Ehrbarer Staat? Gesundheitsprämien und Rentenindexierung auf dem Prüfstand der Generationenbilanz Bernd Raffelhüschen Stefan Moog Stiftung Marktwirtschaft Forschungszentrum Generationenverträge Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Pressegespräch am 10. November 2009, Berlin 1
Herausforderung Gesundheitswesen Wie in der GRV sehen sich auch die GKV und die SPV demografisch bedingt einem wachsenden Missverhältnis zwischen der Entwicklung der Leistungsausgaben und der Beitragseinnahmen gegenüber. Aufgrund der mit dem Alter stark ansteigenden Leistungsausgaben hat die demografische Entwicklung im Vergleich zur GRV allerdings ein höheres Ausgabenwachstum zur Folge. Insbesondere in der SPV führt die Zunahme der Lebenserwartung zu einem deutlichen Anstieg der Pflegefälle und damit der Leistungsausgaben. In der GKV führt zusätzlich der medizinische Fortschritt zu einer permanenten Ausweitung des Leistungskatalogs und damit zu einer Verschärfung des demografischen Problems. 2
Altersspezifische Ausgaben und Einnahmen der GKV 500 450 400 350 ro Monat in Euro pr 300 250 200 150 100 50 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 Alter Ausgaben Beiträge Kopfprämie 3
Altersspezifische Ausgaben und Einnahmen der SPV 500 450 400 350 in Euro pro Monat 300 250 200 150 100 50 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 Alter Ausgaben Beiträge Kopfprämie 4
Nachhaltigkeitslücken der GKV und der SPV im Status quo 120 Basisjahr 2007, g=1,5%, r=3% 100 98,7 Nachhaltigkeitslücke (in Proz zent des BIP) 80 60 40 33,2 20 0 Gesetzliche Krankenversicherung Soziale Pflegeversicherung 5
180 Kostenexplosion im Gesundheitswesen 170 160 Bundespflegesatzverordnung Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) 150 19 991 = 100 140 130 120 Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 110 100 90 80 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 BIP pro Einwohner GKV-Leistungsausgaben pro Versicherten GKV-Leistungsausgaben pro Versicherten (ohne Kostendämpfungsgesetze) Allein Kostendämpfungsgesetze haben der GKV kurzfristig immer wieder Luft verschafft. 6
und ihre Konsequenzen für die Nachhaltigkeit der GKV 250 Basisjahr 2007, g=1,5%, r=3% 231,4 200 (in Prozent des BIP) Nachhaltigkeitslücke ( 150 100 50 98,7 0 Status quo mit Kostendruck (Gesundheitsausgaben wachsen mit 2,5 Prozent) Ohne weitere Kostendämpfungsgesetze wird sich das Nachhaltigkeitsproblem der GKV mehr als verdoppeln. 7
5.0 Die Hebelwirkung der Lebenserwartung in der SPV Annahme: Konstante Pflegewahrscheinlichkeit 4.5 Pfegefälle (in Mio o. Personen) 4.0 3.5 3.0 2.5 2.0 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 Jahr Status quo ohne Anstieg der Lebenserwartung 8
und ihre Konsequenzen für die Nachhaltigkeit der SPV 35 Basisjahr 2007, g=1,5%, r=3% 33,2 30 Nachhaltigkeitslücke (in Prozent des BIP) 25 20 15 10 12,7 5 0 ohne Anstieg der Lebenserwartung Status quo Das Nachhaltigkeitsproblem der SPV ist zu etwa zwei Drittel auf den Anstieg der Lebenserwartung zurückzuführen. 9
Die Kehrseite der Medaille - Steigende Beitragsbelastung, steigende Arbeitskosten 35 Basisjahr 2007, g=1,5%, r=3% 30 Beitragssatz (in Prozent) 25 20 15 10 5 0 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 Gesetzliche Krankenversicherung Gesetzliche Krankenversicherung (mit Kostendruck) Soziale Pflegeversicherung 10
Zwischenfazit Das Nachhaltigkeitsproblem der SPV ist zu etwa zwei Drittel auf die Zunahme der Lebenserwartung zurückzuführen und damit im Wesentlichen demografisch bedingt. In der GKV haben die Ausweitung des Leistungskatalogs und der medizinische Fortschritt bereits in der Vergangenheit zu einer Kostenexplosion geführt. Durch Kostendämpfungsgesetze konnte das Ausgabenwachstum in der GKV in der Vergangenheit kurzfristig begrenzt werden. Langfristig können Kostendämpfungsgesetze das Tragfähigkeitsproblem der GKV nicht lösen sondern bestenfalls begrenzen. Die steigenden Ausgaben für die Gesundheitsversorgung haben zukünftig einen massiven Anstieg der Beitragssätze zur GKV und SPV zur Folge und führen damit zu einer Zunahme der Arbeitskosten. 11
Können Prämienmodelle das Tragfähigkeitsproblem lösen? Mögliche Ausgestaltung eines Prämienmodells: Kinder werden weiterhin beitragsfrei mitversichert. Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung von Ehepartnern. Jeder Erwachsene muss die Prämie entrichten. Monatliche Prämie: GKV: ca. 230 SPV: ca. 29 Arbeitgeberbeiträge werden ausgeschüttet. steuerfinanzierter Sozialer Ausgleich: Bemessung anhand des Bruttohaushaltseinkommens. Zumutbarer Eigenanteil in Höhe der aktuellen Beitragssätze. 12
250 Nachhaltigkeit von Prämienmodellen Basisjahr 2007, g=1,5%, r=3% 231,4 200 207,7 Status quo in Prozent des BIP) 150 Prämienmodell Implizite Staatsschuld (i 100 98,7 75,0 50 33,2 30,0 0 Gesetzliche Krankenversicherung Gesetzliche Krankenversicherung (mit Kostendruck) Soziale Pflegeversicherung Prämienmodelle bieten lediglich eine Kur, aber keine Heilung 13
500 450 Auch Prämienmodelle führen zu einer steigenden Beitragsbelastung Basisjahr 2007, g=1,5%, r=3% Prämienhöhe (in Euro pro Monat) 400 350 300 250 200 150 100 50 0 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 Gesetzliche Krankenversicherung Gesetzliche Krankenversicherung (mit Kostendruck) Soziale Pflegeversicherung 14
Drei gute Gründe für ein Prämienmodell Lohnerhöhungen machen nicht krank Prämien schaffen eine stabile Kalkulationsgrundlage. für Unternehmen: Arbeitskosten sind unabhängig von der Beitragssatzentwicklung. für Krankenkassen: Beitragseinnahmen sind konjunktur- und demografieunabhängig. Prämienmodell mit steuerfinanziertem sozialen Ausgleich ist fairer. Umverteilung im aktuellen System ist intransparent. endet an der Beitragsbemessungsgrenze. erfolgt nur innerhalb des GKV-Versichertenkreises. 15
Welche zusätzlichen Bedingungen muss eine nachhaltige Reform des Gesundheitswesens erfüllen? Eine nachhaltige Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung muss auf der Ausgabenseite ansetzen, beispielsweise durch Ausgliederung zahnärztlicher Leistungen Selbstbehalt für ambulante Leistungen mehr Wettbewerb im stationären Sektor Eine nachhaltige Reform der Sozialen Pflegeversicherung erfordert den Übergang vom Umlage- zum Kapitaldeckungsverfahren. Aufbau eines Kapitalstocks zur Finanzierung der demografischen Lasten. Stärkung der individuellen Eigenvorsorge zur Absicherung des Pflegerisikos 16
Ehrbare Staaten? Die deutsche Rentenformel im internationalen Vergleich 17
Von Preisen und Löhnen Rentenindexierung im internationalen Vergleich Im internationalen Vergleich erfolgen die jährlichen Rentenanpassungen neben Deutschland nur im Vereinigten Königreich nach Maßgabe der Lohnentwicklung. Hingegen orientiert sich die Rentenanpassung in der Mehrheit der betrachteten Länder an der Preisentwicklung, während in CH und NO nur ein Teil des Lohnwachstums an die Rentner weitergegeben wird. NO ES CH AT US FR DE UK Misch Preis Misch Preis Preis Preis Lohn Lohn Quelle: OECD, Europäische Kommission. Allerdings wird in Deutschland die Rentenentwicklung durch den Nachhaltigkeits- und Riesterfaktor gedämpft. Wie ist die deutsche Rentenformel im Vergleich zu einer preisoder mischindexierten Rentenanpassung zu beurteilen? 18
Auswirkungen der Rentenindexierung für die Nachhaltigkeit 800 Status quo 700 Ohne Nachhaltigkeitsfaktoren Basisjahr 2005, g=1,5%, r=3% 725 600 582 564 in Prozent des BIP 500 400 300 200 100 0-100 505 470 447 433 413 418 399 358 336 332 313 294 287 288 226 232 228 177 177 137132 139 98 45 31 42 10-17 -29 CH ES AT NO DE FR UK US Ohne Reformen, mit Lohnindexierung Mit Reformen, mit Lohnindexierung Mit Reformen, mit Mischindexierung Mit Reformen, mit Preisindexierung 19
Die deutsche Rentenformel im internationalen Vergleich 600 Status quo Ohne Nachhaltigkeitsfaktoren 500 Basisjahr 2005, g=1,5%, r=3% 400 399 in Prozen nt des BIP 300 294 336 287 200 100 0 Ohne Reformen, mit Lohnindexierung Mit Nachhalitgkeits- und Riesterfaktor, mit Rente mit 67, mit Lohnindexierung Ohne Nachhalitgkeits- und Riesterfaktor, mit Rente mit 67, mit Mischindexierung Ohne Nachhalitgkeits- und Riesterfaktor, mit Rente mit 67, mit Preisindexierung Die deutsche Rentenformel kommt gemessen an der Nachhaltigkeitswirkung einer Preisindexierung sehr nahe. 20
Aber: Unterschiedliche Konsequenzen für die Entwicklung der durchschnittlichen Rentenausgaben 105 100 95 Basisjahr 2005, g=1,5%, r=3% Status quo Mischindexierung Preisindexierung 90 2005 = 100 85 80 75 70 65 60 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Jahr Preisindexierung würde den Anstieg der Rentenausgaben in der nahen Zukunft sehr viel stärker dämpfen. 21
und die intergenerativen Verteilungswirkungen 1800 Basisjahr 2005, g=1,5%, r=3% 1600 1400 Status quo Mischindexierung Preisindexierung jährliche Mehrbe elastung (in Euro) 1200 1000 800 600 400 200 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 Alter Nachhaltigkeitsfaktoren verteilen Lasten der demografischen Entwicklung gleichmäßiger auf lebende Generationen. 22
Fazit Die deutsche Kombination aus Nachhaltigkeits- und Riesterfaktor hat eine ähnliche Nachhaltigkeitswirkung wie eine preisindexierte Rentenanpassung. Da der Nachhaltigkeitsfaktor auf die demografische Entwicklung reagiert, wird der Anstieg der Rentenausgaben erst mit einer Verzögerung gedämpft, während die Nachhaltigkeitsgewinne in einem preisindexierten System früher realisiert werden. Die Lasten der demografischen Entwicklung werden durch den Nachhaltigkeitsfaktor gleichmäßiger auf die Schultern der heute lebenden Generationen verteilt, während ein preisindexiertes System die heutigen Rentner stärker belasten würde. Preis- und mischindexierte Systeme bieten allerdings den Vorteil der Einfachheit, während die deutsche Rentenformel für den Laien kaum nachvollziehbar ist und eine Vielzahl politischer Stellschrauben bietet. 23