Psychosoziale Prozessbegleitung in Österreich. Barbara Unterlerchner Weisser Ring Wien Berlin, 7.

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Transkript:

Psychosoziale Prozessbegleitung in Österreich Barbara Unterlerchner Weisser Ring Wien b.unterlerchner@weisser-ring.at Berlin, 7. Oktober 2015

Entstehungsgeschichte Modellprojekt 1998-2000 psychologische und juristische Prozessbegleitung Kooperationsprojekt zwischen 2 Beratungsstellen + Opferanwältin Zielgruppe: Kinder als Betroffene von sexueller Gewalt StPRG 2004: 65 Z 1 + 2 ivm 66 Abs 2 östpo 2. Gewaltschutzgesetz 2009: Ausweitung der psychosozialen PB auf das zivilrechtliche Verfahren gemäß 73b özpo, 7/1 öaußstrg, und sinngemäß 78 öeo

Warum psychosoziale Prozessbegleitung? Schutz vor sekundärer Traumatisierung im Gerichtsverfahren Schutz- und Schonungsrecht Belastungsfaktoren: Lange Wartezeiten Mehrfache Befragungen Begegnung mit Täter/in Aussage vor anderen Personen bzw. der Öffentlichkeit Mangelnde Informationen über Verfahrensgang bzw. -ausgang

Gesetzliche Grundlagen 3- gliedriger Opferbegriff ( 65 östpo) a) Opfer von vorsätzlicher Gewalt, Drohung und Beeinträchtigung der sexuellen Integrität b) Angehörige (nahe Ang. + Zeug/inn/en) von durch Straftat getöteten Personen c) Opfer sonst. Straftaten a + b Anspruch auf Prozessbegleitung

Gesetzliche Grundlagen Voraussetzungen gem. 66/ östpo Erforderlichkeit zur Wahrung prozessualer Rechte Persönliche Betroffenheit Ausnahme: Entfall der Erforderlichkeitsprüfung bei Opfer unter 14. LJ die in sexueller Integrität verletzt wurden Psychosoziale PB umfasst Vorbereitung auf Verfahren und damit verbundene Belastungen Begleitung im Ermittlungsverfahren und zur HV Aufgabe: Stabilisieren des Opfers (allenfalls dessen Bezugsperson(en)

Zuständigkeiten Finanzierung: Bundesministerium für Justiz Die Bundesministerin für Justiz ist ermächtigt, bewährte geeignete Einrichtungen vertraglich zu beauftragen, Opfern im Sinne des 65 Z1 lit. a und b nach Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen Prozessbegleitung zu gewähren. Warum Opferhilfeeinrichtungen? Fachwissen erforderlich Entlastung der Justiz Sachverständigengutachten für Einzelfall, hoher Kostenaufwand, Verfahrensverzögerung

Kriterien für die Erforderlichkeitsprüfung Jedenfalls erforderliche bei: Mj. Opfer Opfer sexualisierter Gewalt Traumatisierung, psychische Verfassung Unerfahrenheit im Umgang mit Gerichten Fehlende kognitive Fähigkeit zur Bewältigung des Strafverfahrens, Sprachbarrieren Erhöhte emotionale Belastung durch vorangegangene persönliche Beziehung zum/zur Täter/in Angst aufgrund des Gefahrenpotentials des/der Täter/in (Schutzfunktion)

Dauer Prozessbegleitung bis zum rechtskräftigen Ende des Verfahrens Ausnahmen: psychosoziale PB im östvg: Bei Opfern isd 65 a + Opfer von Gewalt in Wohnungen Antragstellung über Verständigung vom ersten unbewachten Verlassen d. Täters/ in aus Strafhaft ( 149/5) Verständigung und Äußerungsrecht für Opfer von sexualisierter Gewalt bei elektronisch überwachten Hausarrest ( 156d/3)

Kostenersatz Innerhalb von 14 Tagen nach HV Bekanntgabe der Kosten an Gericht Im Strafverfahren max. Pauschalbetrag von EUR 1000,- Im Zivilverfahren max. EUR 800,-, EUR 1.200,- wenn Opfer Verfahrenshilfe in Anspruch nimmt Abrechnung BMJ pro Quartal durch OHI Einrichtung Kosten/Stunde: Diplomierte/r Sozialarbeiter/in od. vergleichbare Qualifikation: EUR 63,- Psychotherapeut/in: 71,- EUR Ohne USt

Leistungskatalog (abrechenbar in FDB der Justiz) Teilnahme an Anzeigeerstattung, Vernehmung Polizei/StA, Befundaufnahme-SV, Tatausgleich, Tatrekonstruktion, Verhandlung, sonstiges Beratungsgespräche (auch telefonisch) Erstberatung Akteneinsicht Konferenz mit Opfer und/oder anderen Korrespondenz Schriftsätze (z.b. Anträge auf Verständigung) Nachbesprechung Schlussbesprechung Telefonat/Koordination extern/intern Barauslagen: Dolmetschkosten, Kilometergeld

Systematik der Opferhilfe Derzeit 46 Opferhilfeeinrichtung vertraglich beauftragt durch BMJ Einteilung in 3 Bereiche (Frauen, Kinder, Opfer von situativen Straftaten) Vorteil: hohe Spezialisierung! Nachteile: mangelhaft abgedeckte Opfergruppen (Männer als Betroffene von MH, Betroffene von hate crimes, Menschen mit Behinderungen Unklare Fallzuständigkeiten (Kinder als mittelbare Opfer, 16 jähriger Jugendlicher als Raubopfer)

idealer Verlauf PB beginnt vor Anzeigeerstattung! 10 StPO: Informationspflicht für Opfer durch Polizei, StA und Gericht Opfer wird bereits zur ersten EV prozessbegleitet Psychosoziale PB sollte immer mit juristischer PB einhergehen Psychosoziale PB = Schnittstelle zwischen Opfer, jur. PB und Justiz übersetzt den Verlauf des Verfahrens Keine inhaltliche Beratung Psychosoziale PB ist nicht Rechtsberatung, Therapie oder Krisenintervention Psychosoziale PB ist nicht gleichzeitig Vertrauensperson

Kosten Prozessbegleitung (psychosozial + juristisch) Jahr Einrichtung Opfer Förderung EUR/ Opfer 2000 4 52 17.224,68 EUR 331,24 2007 46 2.606 2.847.176,85 EUR 1.092,55 2014 46 5.068 5.434.058,- EUR 1.072,23 Weisser Ring (2013/2014): Förderung in EUR 719.413,-

Kosten psychosoziale PB 2013 Förderung in EUR Davon MJ gesamt 2.470.579,- 785.359,66 Frauen 2.045.043,96 562.603,80 Männer 425.535,04 222.755,86

Problemfelder Artikel 22 Opfer RL 29/2012 Kein Rechtsmittel bei Nicht-Gewährung Fallkonstellationen mit hoher Betroffenheit, aber kein Anspruch auf PB, z.b.: Fahrlässige schwere Körperverletzung Kinder als unmittelbare Opfer Mangelnde Information über Prozessbegleitung seitens der Behörden

Ausbildung Bisher interne Ausbildung (OHI- Einrichtung) Psychosoziale Prozessbegleiter/in muss institutionell in OHI-Einrichtung eingebunden sein Standards für 3 Bereiche (Kinder, Frauen, situativ) Erarbeitung eines verpflichtenden Ausbildungscurriculum (8tägig), Finanzierung BMJ

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!