MPR 3 /2007. Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen die Folgen der Neufassung der TRBA 250 für Krankenhäuser undarztpraxen



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MPR 3 /2007 Zeitschrift für das gesamte Medizinprodukterecht 10. Jahrgang, Seiten 57 84 Herausgeber: Peter von Czettriz, Rechtsanwalt, München Dr. Peter Dieners, Rechtsanwalt, Düsseldorf Dr. Thilo Räpple, Rechtsanwalt, Frankfurt Joachim M. Schmitt, BVMed e.v., Berlin Herausgeberbeirat: Dr. EhrhardAnhalt, Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.v., Bonn Maximilian Guido Broglie, Rechtsanwalt, Wiesbaden Hans-Peter Bursig, ZVEI-Fachverband Elektromedizinische Technik, Frankfurt Dr. med. vet. Volker Daum, Aesculap AG, Tuttlingen/Donau Prof. Dr. med. Dr. jur. Alexander P.F. Ehlers, Rechtsanwalt, München Dr. med. Peter W. Gaidzik, Rechtsanwalt, Hamm Dr. med. Dr. rer. nat. Hans-Peter Graf, Freiburger Ethikkommission International, Freiburg Dr. Horst Hasskarl, Rechtsanwalt, Ludwigshafen Rainer Hill, Rechtsanwalt, BVMed, Berlin Hans-Georg Hoffmann, Rechtsanwalt, Köln Dr. med Christian Jäkel, Rechtsanwalt, Berlin Prof. Dr. Thomas Klindt, Rechtsanwalt, München Dr. med. Dr. iur. Adem Koyuncu, Rechtsanwalt, Köln Dierk Meyer-Lüerßen, Rechtsanwalt, VDGH, Frankfurt Prof. Dr. med. Lothar Rabenseifner, Klinikum Offenburg, Offenburg Ministerialrat, MinR WilfriedReischl, Bonn Dr. Axel Sander, Rechtsanwalt, Frankfurt Professor Dr. med. GerhardSchultze-Werninghaus, Bochum BurkhardSträter, Rechtsanwalt, Bonn Prof. Dr. Jochen Taupitz, Universität Mannheim Prof. Dr. Wolfgang Voit, Sprecher der Forschungsstelle für Pharmarecht der Philipps-Universität, Marburg Herbert Wartensleben, Rechtsanwalt, Stolberg Marcus Wenzel, ZVEI, Frankfurt Hans-Georg Will, Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Bonn Schriftleiter: Peter Hoffmann, Oberfeldstraße 29, 60439 Frankfurt/Main Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus Letzgus, Waldseestraße 3 5, 76530 Baden-Baden AUFSÄTZE BERICHTE STELLUNGNAHMEN Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen die Folgen der Neufassung der TRBA 250 für Krankenhäuser undarztpraxen Dr. Dr. Adem Koyuncu und Dr. Hans-Georg Kamann* A. GegenstandundFragestellungen Der Arbeitsschutz im Gesundheitswesen kann und soll durch sichere Medizinprodukte erhöht werden. Es ist allgemein bekannt, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen erheblichen berufsbedingten Verletzungsrisiken unterliegen. Diese Risiken betreffen das ärztliche und nichtärztliche Personal gleichermaßen. Eine besondere Gefahrenquelle sind scharfe und spitze medizinische Instrumente. So sollen sich in Deutschland jährlich alleine ca. 500.000 Nadelstichverletzungen ereignen. 1 Die jährlichen Kosten dieser Verletzungen werden auf47 Millionen Euro geschätzt. 2 Die persönlichen und menschlichen Folgen von Nadelstichverletzungen für die Betroffenen und ihr Umfeld im Falle etwa einer Infektion mit Hepatitis-B, Hepatitis-C oder HIV sind kaum abschätzbar. 3 Die Minimierung solcher Risiken ist eine wesentliche Zielsetzung der Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege ( TRBA 250 ). Dieser Beitrag befasst sich mit den TRBA 250. Ein besonderer Teil der TRBA 250 (Abschnitt 4.2.4) zielt aufden Schutz von Beschäftigten vor Verletzungen bei Tätigkeiten mit spitzen oder scharfen medizinischen Instrumenten ab. Dieser Abschnitt 4.2.4 wurde zum 1. August 2006 neu gefasst und enthält jetzt spezifische Vorgaben und Schutzbestimmungen, um Beschäftigte im Gesundheitswesen vor Verletzungen bei Tätigkeiten mit spitzen Dr. iur. Hans-Georg Kamann (Frankfurt/Main) ist Partner, Dr. iur. Dr. med. Adem Koyuncu (Köln) ist Rechtsanwalt der Sozietät MAYER, BROWN, ROWE & MAW LLP 1 Wittmann/Zylka-Mehlhorn, DÄBl. 2007, 528 (529). 2 Wittmann/Zylka-Mehlhorn, DÄBl. 2007, 528 (529). 3 Im Falle einer Nadelstichverletzung betrage die Übertragungswahrscheinlichkeit für Hepatitis-B-Viren 1:250; für Hepatitis-C-Viren 1:6.500 und für HIV 1:650.000, vgl. Wittmann/Zylka-Mehlhorn, DÄBl. 2007, 528. Neben Nadelstichverletzungen sind im Übrigen auch andere Verletzungsarten nicht außer Acht zu lassen (z. B. Schnittverletzungen). MPR 3/2007 57

AUFSÄTZE Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen oder scharfen medizinischen Instrumenten zu schützen. Es wird im Folgenden untersucht, wie sich die neu gefassten TRBA 250 aufkrankenhäuser und Arztpraxen auswirken und welche Pflichten sich für niedergelassene Ärzte und Krankenhausbetreiber in ihrer Funktion als Arbeitgeber ergeben. Von besonderem Interesse ist die Frage, in welchem Umfang und in welchen Situationen in Arztpraxen und Krankenhäusern sog. sichere medizinische Instrumente zu benutzen sind. Eingegangen wird auch aufdie möglichen rechtlichen Konsequenzen im Falle des Verstoßes gegen die TRBA 250. Für das Verständnis der rechtlichen Folgerungen werden im folgenden Abschnitt die rechtlichen Zusammenhänge der vorliegend maßgeblichen Normen dargestellt (dazu un- ter B.). Sodann wird das mit der Neufassung der TRBA 250 einhergehende Pflichtenprogramm aufgezeigt (C.). Anschließend behandelt der Beitrag die rechtlichen Konsequenzen im Falle des Verstoßens gegen die TRBA 250 (D.), um abschließend einige in der Praxis anzutreffende Problemlösungskonzepte zu bewerten (E.). B. Hintergrund: Die TRBA 250 als Teil des Arbeitsschutzrechts Die TRBA 250 sind dem übergeordneten Sachbereich des Arbeitsschutzrechts zuzuordnen. Die für die TRBA zugrunde liegende Rechtsquelle ist das Arbeitsschutzgesetz Abschnitt 4.2.4 der TRBA 250 in der seit 1. August 2006 gültigen Fassung: Um Beschäftigte vor Verletzungen bei Tätigkeiten mit spitzen oder scharfen medizinischen Instrumenten zu schützen, sind diese Instrumente unter Maßgabe der folgenden Ziffern 1 bis 7 soweit technisch möglich durch geeignete sichere Arbeitsgeräte zu ersetzen, bei denen keine oder eine geringere Gefahr von Stich- und Schnittverletzungen besteht. 1. Sichere Arbeitsgeräte sind bei folgenden Tätigkeiten bzw. in folgenden Bereichen mit höherer Infektionsgefährdung oder Unfallgefahr einzusetzen: Behandlung und Versorgung von Patienten, die nachgewiesenermaßen durch Erreger der Risikogruppe 3 (einschließlich 3**) oder höher infiziert sind; Behandlung fremdgefährdender Patienten; Tätigkeiten im Rettungsdienst und in der Notfallaufnahme; Tätigkeiten in Gefängniskrankenhäusern. 2. Grundsätzlich sind sichere Arbeitsgeräte ergänzend zu Nr. 1 bei Tätigkeiten einzusetzen, bei denen Körperflüssigkeiten in infektionsrelevanter Menge übertragen werden können. Zu diesen Tätigkeiten gehören insbesondere Blutentnahmen; sonstige Punktionen zur Entnahme von Körperflüssigkeiten. 3. Abweichend von Nr. 2 dürfen herkömmliche Arbeitsgeräte weiter eingesetzt werden, wenn im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung, die unter Beteiligung des Betriebsarztes zu erstellen ist, Arbeitsabläufe festgelegt werden, die das Verletzungsrisiko minimieren bzw. ein geringes Infektionsrisiko ermittelt wird. Das Verletzungsrisiko wird beispielsweise minimiert durch festgelegte Arbeitsabläufe, die auch in Notfallsituationen nicht umgangen werden und Schulungen und jährliche Unterweisung der Beschäftigen und ein erprobtes Entsorgungssystem für verwendete Instrumente (siehe Abschnitt 4.1.2.8) Ein geringes Infektionsrisiko besteht, wenn der Infektionsstatus des Patienten HIV und HBV und HCV negativ ist. Das Ergebnis dieses Teils der Gefährdungsbeurteilung ist gesondert zu dokumentieren. 4. Die Auswahl der sicheren Arbeitsgeräte hat anwendungsbezogen zu erfolgen, auch unter dem Gesichtspunkt der Handhabbarkeit und Akzeptanz durch die Beschäftigten. Arbeitsabläufe sind im Hinblick auf die Verwendung sicherer Systeme anzupassen. 5. Es ist sicherzustellen, dass Beschäftigte in der Lage sind, sichere Arbeitsgeräte richtig anzuwenden. Dazu ist es notwendig über sichere Arbeitsgeräte zu informieren und die Handhabung sicherer Arbeitsgeräte zu vermitteln. 6. Die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen ist zu überprüfen. 7. Sichere Arbeitsgeräte zur Verhütung von Stich- und Schnittverletzungen dürfen Patienten nicht gefährden. Darüber hinaus müssen sie folgende Eigenschaften haben: Der Sicherheitsmechanismus ist Bestandteil des Systems und kompatibel mit anderem Zubehör Seine Aktivierung muss mit einer Hand erfolgen können Seine Aktivierung muss sofort nach Gebrauch möglich sein Der Sicherheitsmechanismus schließt einen erneuten Gebrauch aus Das Sicherheitsprodukt erfordert keine Änderung der Anwendungstechnik Der Sicherheitsmechanismus muss durch ein deutliches Signal (fühlbar oder hörbar) gekennzeichnet sein. Dem Einsatz sicherer Arbeitsgeräte stehen auch Verfahren gleich, bei dem das sichere Zurückstecken der Kanüle in die Schützhülle mit einer Hand erfolgen kann, z. B. Lokalanästhesie in der Zahnmedizin oder bei der Injektion von Medikamenten (Pen). 58 MPR 3/2007

Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen AUFSÄTZE ( ArbSchG ). 4 Der Gesetzgeber führt im ArbSchG zunächst Grundpflichten auf, die für alle Arbeitgeber gelten. Gemäß 3 Abs. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben. Bei der Erfüllung dieser verbindlichen, aber als solche abstrakten Grundpflichten hat der Arbeitgeber bestimmte allgemeine Grundsätze zu beachten. Insbesondere hat er gem. 4 Nr. 3 ArbSchG die dem Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene entsprechenden Regeln sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Zur Konkretisierung dieser Grundsätze ermächtigt 18 Abs. 1 ArbSchG die Bundesregierung (mit Zustimmung des Bundesrates) zum Erlass von Rechtsverordnungen. Darin sollen Regelungen zum Arbeitsschutz getroffen werden, die die spezifischen Anforderungen eines Arbeitsbereichs (vorliegend des Gesundheitswesens) berücksichtigen. In den Rechtsverordnungen kann auch bestimmt werden, Ausschüsse zu bilden, denen die Aufgabe übertragen wird, die Bundesregierung oder das zuständige Bundesministerium zu beraten, dem Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene entsprechende Regeln sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse sowie Regeln zu ermitteln, wie die in den Verordnungen gestellten Anforderungen erfüllt werden können ( 18 Abs. 2 Nr. 5 ArbSchG). 5 Die Bundesregierung hat für den hier interessierenden Bereich von der Verordnungsermächtigung dadurch Gebrauch gemacht, dass sie im Jahre 1999 die sog. Biostoffverordnung 6 ( BioStoffV ) erlassen hat. Die Bio- StoffV gilt für Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen 7 und erlegt den Arbeitgebern besondere Pflichten auf (z. B.: Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung, Hygieneund Schutzmaßnahmen, Anzeige- und Aufzeichnungspflichten, arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen). Gemäß 17 Abs. 1 BioStoffV hat die Bundesregierung für Fragen der biologischen Arbeitsstoffe den Ausschuss für biologische Arbeitsstoffe ( ABAS ) errichtet. Der ABAS hat die Regeln und Erkenntnisse gem. 4 ArbSchG (Stand der Technik etc.) zu ermitteln. Dies sind die TRBA. Die TRBA stellen also Konkretisierungen der in 4 und 18 ArbSchG abstrakt genannten Regeln dar, die dem Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene entsprechen und darlegen, wie die in den Rechtsverordnungen zum Arbeitsschutz gestellten Anforderungen erfüllt werden können. 10 BioStoffV gibt Arbeitgebern auf, bei ihren Schutzmaßnahmen die vom ABAS ermittelten Regeln, d. h. die TRBA, zu berücksichtigen. Sie müssen nur dann nicht berücksichtigt werden, wenn gleichwertige Schutzmaßnahmen getroffen werden; dies ist auf Verlangen der zuständigen Behörde nachzuweisen. Zusammengefasst gilt: Die TRBA haben zwar unmittelbar keinen Gesetzescharakter. Sie sind jedoch beim Arbeitsschutz zu berücksichtigen, da sie den jeweils geltenden Stand der Wissenschaft und Technik und damit die gülti- gen arbeitsmedizinischen Sicherheitsstandards wiedergeben und der Arbeitgeber seine Schutzmaßnahmen an diesem Erkenntnisstand auszurichten hat. Demgemäß wird in der TRBA 250 einleitend festgestellt: Die technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) geben den Stand der sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen, hygienischen sowie arbeitswissenschaftlichen Anforderungen bei Tätigkeiten mit Biologischen Arbeitsstoffen wieder. Im Mai 2006 ist der Abschnitt 4.2.4 der TRBA 250 neu gefasst worden. Diese Neufassung ist seit dem 1. August 2006 in Kraft. 8 Neben der TRBA 250 existieren zahlreiche weitere TRBA mit jeweils anderem Fokus. 9 Hervorzuheben sind die TRBA 001 (Allgemeines und Aufbau des Technischen Regelwerks zur Biostoffverordnung Anwendung von Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe TRBA; TRBA 001 ). Diese enthält als vor die Klammer gezogener Regelungskomplex allgemeine Bestimmungen, die für alle TRBA gelten. C. Auswirkungen der Neufassung der TRBA 250 (Abschnitt 4.2.4) auf Ärzte undkrankenhäuser als Arbeitgeber Im Hinblick aufdie Auswirkungen der TRBA 250 auf Krankenhausbetreiber und Ärzte als Arbeitgeber ist zunächst zu prüfen, ob Arztpraxen und Krankenhäuser in den Anwendungsbereich der TRBA 250 fallen (dazu unter I.) und welcher Grad an Verbindlichkeit der TRBA 250 zukommt (II.). Aufdieser Basis werden anschließend zeitliche Aspekte (III.) und die speziellen Auswirkungen (IV.) dargestellt. I. Der Anwendungsbereich der TRBA 250 Die Frage, ob die TRBA 250 für Krankenhäuser und Arztpraxen gelten, ist zu bejahen. In Abschnitt 1.1 der 4 Gesetz vom 7. August 1996 über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit, BGBl. I S. 1246. 5 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann diese Regeln und Erkenntnisse amtlich bekannt machen. 6 Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen vom 27.01.1999, BGBl. I S. 261 7 Biologische Arbeitsstoffe sind Bakterien, Viren und andere Mikroorganismen, einschließlich gentechnisch veränderter Mikroorganismen, Zellkulturen und humanpathogener Endoparasiten, die beim Menschen Infektionen, sensibilisierende oder toxische Wirkungen hervorrufen können ( 2 Abs. 1 BioStoffV). 8 Die Neufassung dieser Bestimmungen wurde wortgleich von der BG als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in ihr Regelwerk implementiert (BGR 250: BG-Regeln: Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege). Diese Regeln stellen zwar keine Unfallverhütungsvorschrift (welche rechtlich verbindlich wäre) dar. Sie werden aber von der Unfallverhütungsvorschrift BGV A1 Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention in Bezug genommen ( 4 Abs. 2 BGV A1: Der Unternehmer hat den Versicherten die für ihren Arbeitsbereich oder für ihre Tätigkeit relevanten Inhalte der geltenden Unfallverhütungsvorschriften und BG-Regeln sowie des einschlägigen staatlichen Vorschriften- und Regelwerks in verständlicher Weise zu vermitteln. ). Somit entfalten die TRBA 250 auch über diesen Weg Rechtswirkungen. 9 Siehe die Übersicht unter: http://www.baua.de/de/themen-von-a-z/ Biologische-Arbeitsstoffe/TRBA/TRBA.html. MPR 3/2007 59

AUFSÄTZE Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen TRBA 250 wird ihr Anwendungsbereich wie folgt definiert: Diese TRBA findet Anwendung auf Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen in Arbeitsbereichen des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege, in denen Menschen medizinisch untersucht, behandelt oder gepflegt werden, Tiere medizinisch untersucht, behandelt oder gepflegt werden. Anschließend wird dazu in Abschnitt 1.4 der TRBA 250 ausgeführt: Die in den Abschnitten 1.1 und 1.2 genannten Tätigkeiten können z. B. in folgenden Einrichtungen stattfinden: Krankenhäuser und Tierkliniken, Arzt- und Zahnarztpraxen, Tierarztpraxen, [...] Somit sind Krankenhäuser und Arztpraxen ausdrücklich in den Anwendungsbereich der TRBA 250 einbezogen. Der Abschnitt 4.2 der TRBA 250 ist im Übrigen überschrieben mit Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten der Schutzstufe 2. Die TRBA definiert die Schutzstufe 2 wie folgt (s. Abschnitt 3.2.3.): Tätigkeiten, bei denen es regelmäßig und in größerem Umfang zum Kontakt mit Körperflüssigkeiten, -ausscheidungen oder -gewebe kommen kann, so dass eine Infektionsgefährdung durch Erreger der Risikogruppe 2 bzw. 3** bestehen kann, sind in der Regel der Schutzstufe 2 zuzuordnen. Hierzu werden in Abschnitt 1.4 als Regelbeispiele unter anderem Punktionen, Injektionen, Blutentnahmen, Legen von Gefäßzugängen, Wundversorgung etc. aufgeführt. Gerade diese Tätigkeiten sind typischerweise in Arztpraxen und Krankenhäusern anzutreffen. Im Ergebnis fallen daher Krankenhäuser und. Arztpraxen in den Anwendungsbereich der TRBA 250. Im Folgenden werden Krankenhausbetreiber und niedergelassene Ärzte unter dem Begriff Arbeitgeber zusammengefasst. Wenn Arbeitgeber anstelle eines Krankenhauses oder eines einzelnen Arztes ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) ist, dann treffen diese Pflichten entsprechend den Betreiber des MVZ. II. Verbindlichkeit der Gebote der TRBA 250 Die TRBA 250 stellen wie auch andere Technische Regelwerke als solche kein zwingendes Recht mit unmittelbarer Wirkung gegenüber Arbeitgebern dar. 10 Abs. 1 BioStoffV ordnet im Einklang mit 4 Nr. 3 ArbSchG bezüglich ihrer Anwendung insoweit nur an, dass sie beim Arbeitsschutz zu berücksichtigen sind. Wenn der Arbeitgeber die TRBA 250 nicht berücksichtigen möchte, hat er gleichwertige Schutzmaßnahmen zu treffen. Diese und ihre Gleichwertigkeit hat er der zuständigen Behörde im Einzelfall nachzuweisen. Allerdings ist dieses Berücksichtigungsgebot im Hinblick aufdie TRBA 250 für den Arbeitgeber bindend und bewirkt damit zumindest eine faktische Verbindlichkeit. Der Arbeitgeber hat die TRBA 250 im Regelfall zu beachten und trägt im Abweichungsfall die Argumentations- und Darlegungslast für die Einhaltung der Regeln. Diese faktische Bindungswirkung wird durch weitere Vorschriften verstärkt. Zunächst bestimmt 10 Abs. 9 BioStoffV: Ist die Sicherheitstechnik eines Arbeitsverfahrens fortentwickelt worden, hat sich diese bewährt und erhöht sich die Arbeitssicherheit hierdurch erheblich, ist das Arbeitsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist dieser Fortentwicklung anzupassen. Diese Regelung schreibt vor, dass der Arbeitgeber die TRBA 250, die für den Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen den Stand der Sicherheitstechnik und der Umsetzung der Arbeitssicherheit abbildet, faktisch zu befolgen und seine Arbeitsweise erforderlichenfalls anzupassen hat. Die grundsätzliche Systematik wird bestätigt durch Ziffer 1 Abs. 3 Satz 4 der TRBA 001. Nach dieser Vermutungsregel kann der Arbeitgeber bei Anwendung einer TRBA davon ausgehen, dass er die Bestimmungen der Biostoffverordnung in diesen Punkten einhält. Das bedeutet, dass ihm bei Beachtung der einschlägigen TRBA im Schadensfall eine Entlastungswirkung zugute kommt. Diese Entlastungswirkung dürfte ihm auch haftungsrechtlich zugute kommen (dazu näher unter D.). Umgekehrt könnte der Arbeitgeber im Schadensfalle unter Nachweisdruck stehen, wenn er die TRBA nicht beachtet hat. Insgesamt können die TRBA in ihrer Rechtsnatur verglichen werden mit anderen technischen Regelwerken, z. B. der TA Lärm. Diese Regelwerke hat die Rechtsprechung regelmäßig als sog. antizipierte Sachverständigengutachten qualifiziert. 10 Ihnen wird eine normenkonkretisierende Wirkung zugesprochen. Die Vergleichbarkeit der TRBA mit diesen Regelwerken resultiert aus ihrer inhaltlichen Ausrichtung (Konkretisierung des aktuellen Stands der Technik und Wissenschaft) sowie aus ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung (Veröffentlichung durch ein Bundesministerium, Bildung des Ausschusses beim Ministerium, Regelungen zur Ausschussbesetzung und Mitgliederberufung durch das Ministerium). Auch die Rechtsprechung im Haftungsrecht zieht bei der Bestimmung des geschuldeten Sorgfaltsmaßstabes technische Regelwerke heran. 11 Die TRBA 250 können somit als technische Regeln den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab im Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen im Gesundheitswesen ausfüllen. Im Ergebnis entfalten die TRBA 250 auch wenn sie technische Regeln enthalten und keine unmittelbar verbindlichen Rechtsnormen eine faktische Verbindlichkeitswirkung. III. Die Auswirkungen auf Arbeitgeber im Einzelnen Da die TRBA 250 für Krankenhausbetreiber und niedergelassene Ärzte als Arbeitgeber eine faktische Bindungswirkung entfalten und kurzfristig Anpassungen im Arbeitsschutz erfordern können, wird nachfolgend geprüft, welche konkreten Verpflichtungen hinsichtlich der Herstellung von mehr Arbeitssicherheit beschrieben sind, d. h. in welchem Ausmaß und in welchen Situationen sichere medizi- 10 BVerwGE 55, 250, (254) Urt. v. 17.2.1978 1 C 102/76; Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 26 Rn. 32 ff. m.w.n. 11 BGHZ 54, 335; OLG Hamm, OLGZ 1990, 119; Palandt, BGB, 276, Rn. 18. 60 MPR 3/2007

Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen AUFSÄTZE nische Instrumente und Medizinprodukte zu benutzen sind. 1. Die Verpflichtungen des Arbeitgebers aus Abschnitt 4.2.4 der TRBA 250 Allgemein bestimmen die TRBA 250 zu Beginn des Abschnitts 4.2.4, dass zum Schutze der Beschäftigten vor Verletzungen bei Tätigkeiten mit spitzen oder scharfen medizinischen Instrumenten diese Instrumente unter Maßgabe der Ziffern 1 bis 7 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 im Rahmen der technischen Möglichkeiten durch geeignete sichere Arbeitsgeräte zu ersetzen sind, bei denen keine oder eine geringere Gefahr von Stich- und Schnittverletzungen besteht. Die technischen Möglichkeiten für einen solchen Austausch der herkömmlichen Instrumente durch sichere Arbeitsgeräte dürften heute als gegeben angesehen werden. Die Systematik der Ziffern 1 bis 7 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 ist folgende: Ziffern 1 und 2 legen fest, in welchem Umfang und in welchen Situationen sichere Arbeitsgeräte einzusetzen sind; Ziffer 3 regelt bestimmte Ausnahmen zu Ziffer 2; Die Ziffern 4 bis 6 sehen weitere Aktivitäten des Arztes im Hinblick aufdie Schulung des Personals und die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitsschutzregeln vor; Ziffer 7 enthält im Stile eines Kriterienkatalogs eine Aufzählung der geforderten Eigenschaften und Sicherheitsmechanismen, über die Arbeitsgeräte verfügen sollen, damit sie als sichere Instrumente bzw. sichere Arbeitsgeräte angesehen werden können. 2. Umfang und Situationen des Einsatzes sicherer Arbeitsgeräte In welchem Umfang und in welchen Situationen sichere Arbeitsgeräte einzusetzen sind, legen die Ziffern 1 und 2 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 fest. Ziffer 1 bestimmt: Sichere Arbeitsgeräte sind bei folgenden Tätigkeiten bzw. in folgenden Bereichen mit höherer Infektionsgefährdung oder Unfallgefahr einzusetzen: Behandlung und Versorgung von Patienten, die nachgewiesenermaßen durch Erreger der Risikogruppe 3 (einschließlich 3**) oder höher infiziert sind; Behandlung fremdgefährdender Patienten; Tätigkeiten im Rettungsdienst und in der Notfallaufnahme; Tätigkeiten in Gefängniskrankenhäusern. Ziffer 2 bestimmt: Grundsätzlich sind sichere Arbeitsgeräte ergänzend zu Nr. 1 bei Tätigkeiten einzusetzen, bei denen Körperflüssigkeiten in infektionsrelevanter Menge übertragen werden können. Zu diesen Tätigkeiten gehören insbesondere Blutentnahmen; sonstige Punktionen zur Entnahme von Körperflüssigkeiten. Systematisch ist zu beachten, dass Ziffer 1 eine verbindliche Regel enthält ( sind... einzusetzen ), während Ziffer 2 nur eine Grundsatzregel aufstellt ( Grundsätzlich... ). Demgemäß regelt die Ziffer 3 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 in Ausnahme zu Ziffer 2 nicht zu Ziffer 1, dass herkömmliche Arbeitsgeräte weiter eingesetzt werden dürfen, wenn im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung unter Beteiligung des Betriebsarztes, Arbeitsabläufe festgelegt werden, die das Verletzungsrisiko minimieren bzw. ein geringes Infektionsrisiko ermittelt wird (dazu sogleich mehr). Im Einzelnen gilt zu den Ziffern 1 und 2 folgendes: a. Regelungsinhalt der Ziffer 1 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 Für die Situation der Arztpraxis und des Krankenhauses besonders relevant sind hier die ersten beiden Fallgruppen der Ziffer 1. Sicheres Arbeitsgerät muss der Arzt einsetzen wenn er Patienten behandelt und versorgt, die nachgewiesenermaßen durch Erreger der Risikogruppe 3 (einschließlich 3**) oder höher infiziert sind. 12 Die Erreger der Risikogruppe 3 sind im Anhang III der Richtlinie 2000/54/EG angegeben. Unter diese Gruppe fallen unter anderem die Hepatitis B- und Hepatitis C-Viren sowie HIV. Die Risikogruppen 3** und höher gehen aber über diese Viren hinaus. Sie enthalten auch eine Reihe von Bakterien, Parasiten und Pilzen. Diese Fallgruppe betrifft somit nicht nur HIV-Schwerpunktpraxen und Lebersprechstunden von Internisten bzw. entsprechende Abteilungen in Krankenhäusern. bei der Behandlung und Versorgung fremdgefährdender Patienten. Ziffer 1 stellt nunmehr klar, dass bei den darin genannten Patientengruppen und Risikosituationen allein die Benutzung von sicheren Arbeitsgeräten dem aktuellen Stand des Arbeitsschutzes entspricht. Wird bei diesen Patienten kein sicheres Arbeitsgerät eingesetzt, wird soweit keine gleichwertige Maßnahme ergriffen ist der aktuelle Stand der Erkenntnisse zum Arbeitsschutz nicht umgesetzt. Bezüglich des Ausmaßes des Einsatzes von sicherem Arbeitsgerät ist nicht explizit niedergelegt, ob die beiden Fallgruppen der Ziffer 1 auch die Blutentnahme umfassen. Die Vorschrift nennt insoweit nur die Behandlung und Versorgung der Risikopatienten bzw. die Behandlung fremdgefährdender Patienten. Nicht genannt ist die Diagnostik, so dass argumentiert werden könnte, dass Ziffer 1 die Blutentnahme nicht erfasst. Diese Interpretation geht jedoch fehl. Die Blutentnahme ist, auch wenn sie zu diagnostischen Zwecken erfolgt, ein Teil der ärztlichen Behandlung. Dies ergibt sich bereits aus der Definition des Begriffs ärztliche Behandlung im Sozialrecht ( 28 SGB V): Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Zur ärztlichen Behand- 12 Die zwei Sternchen (**) werden solchen biologischen Arbeitsstoffen zugewiesen, die in Gruppe 3 eingestuft sind, bei denen aber das Infektionsrisiko für Arbeitnehmer begrenzt ist, da eine Infizierung über den Luftweg normalerweise nicht erfolgen kann. MPR 3/2007 61

AUFSÄTZE Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen lung gehört auch die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist. Entsprechend wird in der arzthaftungsrechtlichen Rechtsprechung auch ein Fehler bei der Diagnostik als ein Behandlungsfehler eingeordnet. Auch die Blutentnahme stellt damit eine Tätigkeit dar, bei der gem. Ziffer 1 sichere Arbeitsgeräte einzusetzen sind. b. Regelungsinhalt der Ziffer 2 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 Der grundsätzliche Einsatz von sicheren Arbeitsgeräten wird in Ziffer 2 daran geknüpft, ob bei der jeweiligen Tätigkeit die Übertragung von Körperflüssigkeiten in infektionsrelevanter Menge möglich ist. Welche Menge hierunter konkret zu verstehen ist, wird nicht weiter präzisiert. Dies dürfte auch angesichts der je nach Krankheitserreger unterschiedlichen Größenordnungen der infektionsrelevanten Menge kaum möglich sein. Vielmehr sieht die Vorschrift eine flexible Differenzierung vor, die den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung trägt. Ziffer 2 nennt mit der Blutentnahme und den sonstigen Punktionen zur Entnahme von Körperflüssigkeiten zwei Regelbeispiele, die eine rechtliche Abgrenzung und bessere Einordnung der relevanten Risikoschwelle erlauben. Die Aufzählung ist aber nicht abschließend. Gemäß der durch die Regelbeispiele möglichen Risikoeinordnung erscheint es im Übrigen sachgerecht, unter die Ziffer 2 auch die Punktion von Venen und Arterien zum Zwecke der Verabreichung von Medikamenten oder Kontrastmitteln zu subsumieren. Genauso wie bei Blutentnahmen werden bei diesen Tätigkeiten Hohlnadeln eingesetzt, die dem unmittelbaren Blutstrom ausgesetzt sind. Daher entfalten sie ebenfalls ein Infektionsrisiko im Falle einer Nadelstichverletzung, auch wenn dieses statistisch nicht so hoch wie bei einer Blutentnahme sein sollte. 3. Regelungsinhalt der Ziffer 3 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 (Ausnahmeregelung) Die Ausnahmeregelung in Ziffer 3 des Abschnitts 4.2.4. der TRBA 250 lautet: Abweichend von Ziffer 2 dürfen herkömmliche Arbeitsgeräte weiter eingesetzt werden, wenn im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung, die unter Beteiligung des Betriebsarztes zu erstellen ist, Arbeitsabläufe festgelegt werden, die das Verletzungsrisiko minimieren bzw. ein geringes Infektionsrisiko ermittelt wird. Das Verletzungsrisiko wird beispielsweise minimiert durch festgelegte Arbeitsabläufe, die auch in Notfallsituationen nicht umgangen werden und Schulungen und jährliche Unterweisung der Beschäftigen und ein erprobtes Entsorgungssystem für verwendete Instrumente (siehe Abschnitt 4.1.2.8). Ein geringes Infektionsrisiko besteht, wenn der Infektionsstatus des Patienten HIV und HBV und HCV negativ ist. Das Ergebnis dieses Teils der Gefährdungsbeurteilung ist gesondert zu dokumentieren. Als Ausnahme zur grundsätzlichen Pflicht (nach Ziffer 2) zur Verwendung sicherer Arbeitsgeräte bei Tätigkeiten, bei denen Körperflüssigkeiten in infektionsrelevanter Menge übertragen werden können, dürfen nach Ziffer 3 herkömmliche Arbeitsgeräte somit dann weiter eingesetzt werden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Es muss eine Gefährdungsbeurteilung erstellt werden, bei welcher der Betriebsarzt beteiligt wird; im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung müssen entweder Arbeitsabläufe festgelegt werden, die das Verletzungsrisiko minimieren bzw. ein geringes Infektionsrisiko ermittelt werden. a. Gefährdungsbeurteilung Die Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz ist eine Kernpflicht im Arbeitsschutz. Auch in der BioStoffV und der TRBA 250 wird sie hervorgehoben. Sie stellt den entscheidenden Schritt dar, wenn der Arbeitgeber von der Ausnahmeregelung in Ziffer 3 Gebrauch machen will. Zur praktischen Durchführung der Gefährdungsbeurteilung existieren im ArbSchG, der BioStoffV und der TRBA 250 konkrete Vorgaben. Im Übrigen hat auch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) im November 2006 eine Publikation zur Gefährdungsbeurteilung in der Humanmedizin veröffentlicht. aa. Formale Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung Als erste formale Anforderung der Gefährdungsbeurteilung muss der Arbeitgeber einen Betriebsarzt heranziehen, wenn er weiterhin herkömmliche Arbeitsgeräte einsetzen will. 8 BioStoffV fordert, dass sich der Arbeitgeber bei der Gefährdungsbeurteilung fachkundig beraten zu lassen hat, sofern er nicht selbst über die erforderlichen Kenntnisse verfügt. Fachkundige Personen sind insbesondere der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit. 13 Eine fachkundige Beratung wäre nur dann entbehrlich, wenn der Praxisinhaber selbst Qualifikationen mitbringt, welche denen eines Betriebsarztes oder einer Fachkraft für Arbeitssicherheit entsprechen. Das gilt auch in Ziffer 3 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250. Des Weiteren treffen den Arbeitgeber bei der Gefährdungsbeurteilung relevante Dokumentationspflichten. Die Dokumentation hat einerseits die der Beurteilung zugrunde liegenden Information zu enthalten. Auch die Beurteilung ist mit den tragenden Erwägungen zu dokumentieren. Fer- 13 Gemäß 4 des Arbeitssicherheitsgesetzes dürfen als Betriebsarzt nur Personen bestellt werden, die berechtigt sind, den ärztlichen Beruf auszuüben, und die über die zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben erforderliche arbeitsmedizinische Fachkunde verfügen. Die arbeitsmedizinische Fachkunde liegt vor, wenn der Arzt die Gebietsbezeichnung Facharzt für Arbeitsmedizin oder die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin führen darf. Hinsichtlich der erforderlichen Kenntnisse ist auf die Kenntnisse eines Betriebsarztes abzustellen, vgl. auch die Unfallverhütungsvorschrift Betriebsärzte BGV A 7 (VBG 123). 62 MPR 3/2007

Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen AUFSÄTZE ner sind die als Ausnahme zur Verwendung sicherer Arbeitsgeräte ergriffenen Schutzmaßnahmen zu dokumentieren. Es müssen alle Tatsachen und Bewertungen dokumentiert werden, die die Anwendung der Ausnahmeregelung in Ziffer 3 des Abschnitts 4.2.4 rechtfertigen sollen. bb. Inhaltliche Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung Inhaltlich hat der Arzt bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung die 5 ff. BioStoffV zu beachten. Vor allem hat er für die Gefährdungsbeurteilung ausreichende Informationen zu beschaffen. Dazu gehören: alle ihm zugänglichen tätigkeitsbezogenen Informationen über Identität, Einstufung und Infektionspotential der vorkommenden biologischen Arbeitsstoffe sowie die von ihnen ausgehenden sensibilisierenden und toxischen Wirkungen; tätigkeitsbezogene Informationen über Betriebsabläufe und Arbeitsverfahren; Art und Dauer der Tätigkeiten und damit verbundene mögliche Übertragungswege sowie Informationen über eine Exposition der Beschäftigten; Erfahrungen aus vergleichbaren Tätigkeiten und Expositionssituationen und über bekannte tätigkeitsbezogene Erkrankungen sowie die ergriffenen Gegenmaßnahmen. Zudem sind bei der Gefährdungsbeurteilung die relevanten Patienten- bzw. Risikogruppen zu ermitteln. Sodann sind die praktisch anfallenden Tätigkeiten einer Schutzstufe zuzuordnen. In Abhängigkeit von diesen Ergebnissen sind die in Betracht kommenden alternativen Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen festzulegen. Die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung sind regelmäßig zu überprüfen und die Schutzmaßnahmen erforderlichenfalls anzupassen. b. Auswahl geeigneter alternativer Schutzmaßnahmen Die Heranziehung der Ausnahmeregelung in Ziffer 3 setzt weiterhin voraus, dass der Arbeitgeber geeignete alternative Schutzmaßnahmen festlegt, wenn er die herkömmlichen Instrumente weiterverwendet. Als solche Maßnahmen werden in Ziffer 3 zwei Vorgehensweisen genannt: Bei der ersten Variante hat der Arbeitgeber Arbeitsabläufe festzulegen, die das Verletzungsrisiko minimieren. In Betracht kommen Arbeitsabläufe, die auch in Notfallsituationen nicht umgangen werden. Auch Schulungen und jährliche Unterweisungen der Beschäftigen sowie ein erprobtes Entsorgungssystem für verwendete Instrumente sind mögliche Maßnahmen. Bei diesen Maßnahmen ist aufein mit der Verwendung sicherer Instrumente vergleichbares Schutzniveau zu achten. Als weitere alternative Schutzmaßnahme nennt Ziffer 3 das Ermitteln eines geringen Infektionsrisikos. Das geringe Infektionsrisiko soll dann vorliegen, wenn der Infektionsstatus des Patienten bezüglich HIV und HBV und HCV negativ ist. 14 Allerdings stellt sich in der Praxis gerade das Problem, das der negative Infektionsstatus eines Patienten vorab nicht bekannt ist. Die Ermittlung des geringen Infektionsrisikos bei einem Patienten setzt voraus, dass ihm zunächst Blut entnommen wird. Somit läuft dieser Ausnahmetatbestand darauf hinaus, dass vor seiner Inanspruchnahme etwa alle Patienten einer Praxis aufhbv, HBC, und HIV getestet werden müssten. Das müsste zudem vor jeder neuen Behandlung wiederholt werden. Daher erscheint die Praktikabilität dieses Ausnahmetatbestands fraglich. c. Gesamtbeurteilung Insgesamt erscheinen Ausnahmen von der grundsätzlichen Pflicht zur Verwendung von sicheren Arbeitsgeräten gem. Ziffer 3 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 angesichts der strengen Vorgaben für die Gefährdungsbeurteilung und die alternativen Schutzmaßnahmen eher schwer begründbar, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen. Zu berücksichtigen wären im Übrigen auch der Aufwand und die Kosten für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung unter Heranziehung des Betriebsarztes, die Dokumentation und die alternativen organisatorischen, personalen und technischen Schutzmaßnahmen. Es erscheint daher nachvollziehbar, dass in Fachkreisen geäußert wird, dass künftig wohl auch bei den unter Ziffer 2 genannten Tätigkeiten, speziell bei der Blutentnahme, die Verwendung der sicheren Arbeitsgeräte den Regelfall darstellen dürfte. 15 IV. Zeitliche Aspekte der Anpassung an die Neufassung der TRBA 250 Grundsätzlich sind die Gebote der TRBA 250 unverzüglich umzusetzen. Bezüglich der Umsetzungsfrist der TRBA 250- Inhalte ist der Beschluss des ABAS vom 28. November 2006 relevant: Laut TRBA 001 ist die geänderte TRBA 250 ab August 2006 umzusetzen. Bezüglich der Neubeschaffung sicherer Arbeitsgeräte hat diese ab sofort zu erfolgen. Der ABAS empfiehlt den zuständigen Aufsichtsbehörden und Aufsichtsdiensten im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ein Aufbrauchen vorhandener Bestände spitzer oder scharfer medizinischer Instrumente bis zum 1. August 2007 zu tolerieren. Die empfohlene Übergangsfrist (1. August 2007) gilt aber nicht für die Behandlung und Versorgung von Patienten, die mit Erregern der Risikogruppe 3 (einschließlich Risikogruppe 3**) oder höher infiziert sind. Hier hat die Umsetzung unverzüglich zu erfolgen. Verantwortlich für die Umsetzung der TRBA 250 im Betrieb ist der jeweilige Arbeitgeber. D. Rechtliche Konsequenzen der Nichtbeachtung der TRBA 250 Die Nichtbeachtung der Vorgaben der TRBA 250 kann für den Arbeitgeber (unter Arbeitgeber werden nachfolgend niedergelassene Ärzte, Betreiber von Krankenhäusern und 14 Das Ergebnis dieses Teils der Gefährdungsbeurteilung ist gesondert zu dokumentieren. 15 So die Äußerung für den ABAS und die Ärztekammer Nordrhein (Dr. Hefer) bei der Bekanntmachung der Neufassung des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 in: Rheinisches Ärzteblatt 9/2006, S. 72. Siehe auch Wittmann, Praktische Arbeitsmedizin 2006; 4: 18 (19); Wittmann/Zylka- Mehlhorn, DÄBl. 2007, 528 f.. Ähnlich die Empfehlung der BGW zu technischen Schutzmaßnahmen bei scharfen und spitzen Instrumenten, s. die Publikation Gefährdungsbeurteilung in der Humanmedizin (November 2006), S. 25. MPR 3/2007 63

AUFSÄTZE Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen MVZ sowie andere Träger medizinischer Einrichtungen zusammengefasst) strafrechtliche, zivilrechtliche, sozialrechtliche, arbeitsrechtliche und kassenarztrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Für alle Rechtsgebiete ist relevant, ob der Arbeitgeber schuldhaft gehandelt hat. Daher werden die Voraussetzungen für die Annahme des Verschuldens im Folgenden vorab erläutert (dazu unter I.). Anschließend werden die einzelnen Konsequenzen näher dargestellt (dazu unter II. VI.). I. Das Verschulden des Arbeitgebers und die TRBA 250 Die Verschuldensgrade lassen sich unterteilen in Fahrlässigkeit und Vorsatz: 1. Fahrlässigkeit Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderlich Sorgfalt außer Acht lässt ( 276 Abs. 2 BGB). Wichtig sind die Kriterien der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit eines Schadens. Welcher Sorgfaltsmaßstab als der erforderliche angesehen wird, bedarfder Konkretisierung für den jeweiligen Sachbereich. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass zur Ausfüllung des gebotenen Sorgfaltsmaßstabes auch Regelwerke herangezogen werden können, auch wenn stets eine Prüfung im Einzelfall geboten ist. 16 Die TRBA 250 sind als technische Regeln geeignet, die erforderliche Sorgfalt im Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen im Gesundheitswesen auszufüllen. Bei der Fahrlässigkeitsprüfung kann ein Verstoß gegen Abschnitt 4.2.4 der TRBA 250 eine Indizwirkung zu Lasten des Arbeitgebers entfalten. Bei der Bestimmung des geschuldeten Sorgfaltsmaßstabs und der Beurteilung einer Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber sind daneben folgende Faktoren zu berücksichtigen: Professionelle Akzeptanz einer bestimmten Schutzmaßnahme bzw. Vorgehensweise. Praktische Verbreitung einer bestimmten Schutzmaßnahme bzw. Vorgehensweise. Entwicklungen und Erfahrungen im (mit Deutschland vergleichbaren) Ausland mit der Schutzmaßnahme bzw. Vorgehensweise. Je mehr professionelle Akzeptanz und praktische Verbreitung eine Vorgehensweise erlangt hat, umso eher wird ein Verstoß gegen sie als sorgfaltswidrig anzusehen sein. Deshalb sprechen vorliegend auch folgende Faktoren zugunsten des Einsatzes sicherer Arbeitsgeräte: Nach der Neufassung der TRBA 250 befürworten verschiedene fachlich ausgewiesene und unabhängige Stellen den Einsatz sicherer Arbeitsgeräte im Sinne der TRBA 250. 17 Auch mit Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit vertraute Experten befürworten den Einsatz sicherer Arbeitsgeräte. 18 Daten aus den USA zufolge soll durch sichere Arbeitsgeräte ein Rückgang der Nadelstichverletzungen von bis zu 85% erreichbar sein. 19 Im Falle eines Schadens wird auch ein Gericht diese Erkenntnisse bei der Prüfung des Vorliegens von Fahrlässigkeit zu berücksichtigen haben. 20 2. Vorsatz Vorsatz ist dem Arbeitgeber schon dann vorzuwerfen, wenn er den Erfolg seines Handelns, d. h. die Gesundheitsschädigung des Verletzten, als möglich vorausgesehen und für den Fall des Eintritts billigend in Kauf genommen hat (Eventualvorsatz). Hierfür reicht es aus, dass er den Erfolg für möglich und nicht ganz fern liegend hält und sich mit ihm abfindet. Es ist nicht erforderlich, dass er es auf den Erfolg abgesehen hatte oder ihm dieser erwünscht war. II. Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers wegen Körperverletzungsdelikten Falls es zu vermeidbaren Gesundheitsschäden infolge der Nichtbeachtung der TRBA 250 und dem Fehlen gleichwertiger Maßnahmen kommt, ist eine Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. 229 StGB möglich. Das Strafmaß bei fahrlässiger Körperverletzung beträgt Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Gegen den Arzt kann auch ein Berufsverbot verhängt werden ( 70 StGB). Sollte der Arbeitgeber den Schaden gar vorsätzlich verursacht haben, kommt die schärfere Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Frage. Vorliegend ist aber das Strafbarkeitsrisiko wegen vorsätzlicher Körperverletzung gering. Dem Arbeitgeber müsste die billigende Inkaufnahme der Verletzung nachgewiesen werden. Hiermit ist die Rechtsprechung zurückhaltend. So ist es anerkannt, dass der Verletzungsvorsatz nicht schon dann vorliegt, wenn der Arbeitgeber Unfallverhütungsvorschriften missachtet hat. Das Strafbarkeitsrisiko für den Arbeitgeber besteht somit primär in der Verantwortlichkeit wegen einer fahrlässigen Körperverletzung, wenn er gebotene Schutzmaßnahmen unterlässt oder Maßnahmen anwendet, die den gebotenen Standard unterschreiten. Bei der Bestimmung des gebotenen Standards sind die TRBA 250 zu berücksichtigen. III. Strafbarkeitsrisiken und Ordnungswidrigkeiten bei Verstößen gegen das ArbSchG und die BioStoffV Strafbarkeitsrisiken für den Arbeitgeber bestehen auch bei Missachtung des ArbSchG und der BioStoffV. Diese bauen 16 Vgl. für Unfallverhütungsvorschriften BGH, NJW 1957, 499; VersR 1962, 358; für technische Regeln BGHZ 1954, 335; OLG Hamm, OLGZ 1990, 119; Palandt, BGB, 276 Rn. 18; für DIN-Normen BGHZ 103, 341; BGHZ 139, 17. 17 Für den ABAS und die Ärztekammer Nordrhein s. Rheinisches Ärzteblatt 9/2006, S. 72. Siehe auch BGW, Gefährdungsbeurteilung in der Humanmedizin (November 2006), S. 25. 18 Vgl. Wittmann, Praktische Arbeitsmedizin 2006, 4, S. 18 f, Wittmann/ Zylka-Mehlhorn, DÄBl. 2007, 528 f. 19 Wittmann/Zylka-Mehlhorn, DÄBl. 2007, 528 (529). 20 Erwähnt sei die Unterscheidung bei der Annahme von Fahrlässigkeit zwischen Strafrecht und Zivilrecht. Im Zivilrecht ist es ausreichend, dass der Arzt objektiv gegen die Sorgfalt verstößt, die in seinem Verkehrskreis (z. B. Facharztgruppe) erforderlich ist (objektivierter Fahrlässigkeitsmaßstab). Im Strafrecht, wo nach der persönlichen Schuld gefragt wird, muss zur objektiven Sorgfaltsmissachtung auch ein subjektiver Sorgfaltsverstoß hinzukommen. 64 MPR 3/2007

Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen AUFSÄTZE auf Ordnungswidrigkeiten auf, die in 18 BioStoffV gesondert niedergelegt sind. Gemäß 25 ArbSchG in Verbindung mit 18 BioStoffV stellt es (unter anderem) eine Ordnungswidrigkeit dar, wenn der Arbeitgeber die erforderliche Gefährdungsbeurteilung nicht, nicht richtig oder nicht vollständig oder nicht wie vorgeschrieben (i.e. unter Hinzuziehung des Betriebsarztes) durchführt, entgegen 11 BioStoffV persönliche Schutzausrüstungen nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig desinfiziert, reinigt, ausbessert, austauscht oder vernichtet, entgegen 11 BioStoffV die Wirksamkeit von technischen Schutzmaßnahmen nicht regelmäßig überprüft, entgegen 12 BioStoffV Beschäftigte nicht, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig unterweist oder den Zeitpunkt oder den Gegenstand der Unterweisung nicht, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig festhält. Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Aber schon der erste Punkt verdeutlicht die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung, deren unsachgemäße Durchführung eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Bußgelder können im ArbSchG bis zu 25.000 Euro betragen. Im Übrigen sind die Überwachungsbehörden berechtigt, Aufsichtsmaßnahmen gegen den Arbeitgeber vorzunehmen. 21 Der Arbeitgeber macht sich zusätzlich nach 26 ArbSchG strafbar, wenn er die genannten Ordnungswidrigkeiten beharrlich wiederholt oder durch eine vorsätzlich begangene Ordnungswidrigkeit das Leben oder die Gesundheit eines Beschäftigten gefährdet. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass tatsächlich jemand verletzt wurde. Die bloße Gefährdung ist ausreichend. Insofern ist die Schwelle des Strafbarkeitsrisikos hier niedriger als bei der vorsätzlichen Körperverletzung im Strafrecht. 22 IV. Kassenarztrechtliche Konsequenzen für Vertragsärzte als Arbeitgeber Dem Formenkreis der aufsichtsrechtlichen Konsequenzen zuzurechnen sind auch Maßnahmen und Sanktionen der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung gegen den Arzt, falls dieser als Vertragsarzt tätig ist. Wenn der Arzt fortwährend gegen arbeitsschutzrechtliche Pflichten verstößt, Gefährdungen für Mitarbeiter und Patienten bewirkt und damit den Eindruck der fehlenden Zuverlässigkeit erweckt, ist es nahe liegend, dass die Kassenärztliche Vereinigung gegen ihn als für den Betrieb der Praxis nicht zuverlässigen Arzt vorgeht. V. Zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers Bei der zivilrechtlichen Haftung des Arbeitgebers ist als mögliche Verletzte und Anspruchsteller zwischen den Patienten und den Mitarbeitern zu unterscheiden. 1. Haftung gegenüber Patienten Eine Haftung des Arztes oder Krankenhauses kommt zunächst bei der Verletzung von Patienten in Betracht. Eine Patientenschädigung kann durch unsichere Instrumente verursacht werden, wenn diese an einem ungeeigneten Platz abgelegt oder sonst unsachgemäß gehandhabt werden. Ähnliches gilt für die unsachgemäße Entsorgung. Für diese Verletzungen gelten die Grundsätze des Arzthaftungsrechts. Bei Schädigungen von Patienten infolge von Organisationspflichtverletzungen, wozu die genannten Schädigungsursachen zu rechnen wären, ist die Rechtsprechung gegenüber Ärzten und Krankenhäusern streng. Hier haben sich spezifische Beweisregeln herausgebildet. Gerade für den Bereich der Organisationssicherheit gilt die Rechtsprechung zu den sog. voll beherrschbaren Risiken. 23 In dieser Fallgruppe wird ein schuldhafter Behandlungsfehler des Arztes vermutet, wenn feststeht, dass die Schädigung aus einem Bereich stammt, dessen Gefahren durch den Arzt voll beherrscht werden können. Das ist bei dem Umgang mit spitzen und scharfen medizinischen Instrumenten und gefahrgeneigten Medizinprodukten, einschließlich ihrer Entsorgung der Fall. In diesen Fällen werden dem Patienten im Arzthaftungsprozess Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugestanden, die in der Regel prozessentscheidend wirken. Insofern besteht ein relevantes zivilrechtliches Haftungsrisiko bei der Verletzung eines Patienten infolge der Nichtbeachtung der Maßgaben der TRBA 250. 24 2. Haftung gegenüber Mitarbeitern Das Haftungsrisiko des Arbeitgebers im Verhältnis zu seinen Beschäftigten ist aufgrund der Besonderheiten des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung begrenzt. Das liegt an dem besonderen Haftungsausschluss zugunsten des Arbeitgebers für Personenschäden infolge von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten gem. 104, 105 SGB VII. Der Haftungsausschluss stellt den Arbeitgeber von der Haftung für fahrlässig verursachte Personenschäden frei. Die verletzten Mitarbeiter sind dafür berechtigt, Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu beziehen. Grundsätzlich kommt die Haftung des Arbeitgebers gegenüber Mitarbeitern daher gem. 104 SGB VII nur bei vorsätzlicher Schädigung in Frage. Wie aber schon ausgeführt, wird Vorsatz in den vorliegenden Bereichen kaum anzunehmen sein. Der Verletzungsvorsatz wird nicht bereits bei der Missachtung der TRBA vorliegen, sondern erst bei der billigenden Inkaufnahme des Verletzungserfolgs. Für das Bundesarbeitsgericht führt die vorsätzliche Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften noch nicht zur Entsperrung des Haftungsausschlusses. 25 Mithin besteht nur ein 21 In 22 ArbSchG sind den Behörden außerdem besondere Befugnisse zugewiesen (z. B. Auskunftsrecht, Betriebsbesichtigungen, Einsicht in Geschäftsunterlagen, Prüfung von Arbeitsabläufen). 22 Für diese Straftaten können Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafen verhängt werden. Auch hier kommt als Sanktion ein Berufsverbot gegen den Arzt in Betracht. 23 BGH; NJW 1982, 699; NJW 1984, 1403; NJW 1991, 1540, 1541. 24 Als Regeln des Arbeitsschutzes zielen die TRBA 250 in erster Linie auf den Beschäftigtenschutz ab. Wie aber Satz 1 der Ziffer 7 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 verdeutlicht, ist auch der Patientenschutz ein Anliegen der TRBA 250. 25 BAG, Urt. 10.10.2002 Az.: 8 AZR 103/02; LAG Köln, Urt. v. 30.01.2003 Az.: 5Sa 966/02: Eine Haftung des Arbeitgebers für Personenschäden aufgrund von Arbeitsunfällen nach 104 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass den Personenschaden als solchen zumindest billigend in Kauf genommen hat; der vorsätzliche Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften allein reicht nicht aus. MPR 3/2007 65

AUFSÄTZE Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen begrenztes Haftungsrisiko des Arbeitgebers gegenüber seinen Mitarbeitern. VI. Haftung des Arbeitgebers gegenüber Sozialversicherungsträgern Dem Arzt oder Krankenhaus drohen bei Verletzungen von Mitarbeitern aber relevante Haftungsrisiken gegenüber dem Träger der Unfallversicherung. Gemäß 110 Abs. 1 SGB VII kann der Sozialversicherungsträger den Arbeitgeber in Regress nehmen, wenn dieser den Versicherungsfall (z. B. die Nadelstichverletzung und Folgeinfektion) grob fahrlässig oder vorsätzlich verursacht hat. Anders als im Verhältnis zu dem Mitarbeiter hat der Arbeitgeber gegenüber dem Sozialversicherungsträger auch für grobe Fahrlässigkeit einzustehen. Fraglich ist, wann der Arzt grob fahrlässig handelt, insbesondere ob dies bei der Missachtung der TRBA 250 angenommen werden kann. Die grobe Fahrlässigkeit ist eine Steigerung der einfachen Fahrlässigkeit. Sie liegt bei einer besonders schweren Verletzung der erforderlichen Sorgfalt vor. 26 Grobe Fahrlässigkeit liegt auch vor, wenn offensichtlich gegen anerkannte Regeln der Technik verstoßen wird. Ob dies bei einem Verstoß gegen die TRBA 250 anzunehmen ist, bedarfder Beurteilung im Einzelfall. Je anerkannter eine TRBA-Bestimmung, je mehr professionelle Akzeptanz und Verbreitung sie erlangt, umso eher ist ihre Missachtung grob fahrlässig. Schließlich ist für den Regress gegen den Arbeitgeber 110 Abs. 1 S. 3 SGB VII wichtig, wonach sich das Verschulden nur aufdas den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen beziehen muss (z. B. eine unterlassene Schutzmaßnahme). Hier muss sich das Verschulden anders als gegenüber Geschädigten nicht auch aufdie eingetretene Verletzung beziehen. Insgesamt besteht in Form des Regresses durch den Sozialversicherungsträger ein relevantes Haftungsrisiko für den Arbeitgeber, wenn er grob fahrlässig den Schutzstandard im Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen missachtet und unzureichende Schutzmaßnahmen ergreift oder wirksame Maßnahmen unterlässt. E. Bewertung von in der Praxis angebotenen Problemlösungen Um den neuen Anforderungen aus der Neufassung des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 gerecht zu werden, sind in der Praxis insbesondere zwei Problemlösungskonzepte anzutreffen. Hierbei handelt es sich um die Teilumstellung des Arbeitsplatzes aufsichere Instrumente einerseits und um die Komplettumstellung des Arbeitsplatzes aufsichere Instrumente andererseits. Beide werden im Folgenden näher beleuchtet und rechtlich bewertet. I. Teilumstellung auf sichere Instrumente Bei der Teilumstellung des Arbeitsplatzes aufsichere Instrumente wird eine Art Kit mit einer bestimmten Anzahl von sicheren Instrumenten vorgehalten (Blutentnahmekanülen, Sicherheitsbutterflies, Sicherheitskatheter etc.). Diese sollen verbunden mit einer Arbeitsanweisung an das Personal immer in solchen Situationen genutzt werden, die von der TRBA 250, Abschnitt 4.2.4, speziell beschrieben werden. Die Teilumstellung kann eine flexible Lösung für solche Arztpraxen und Krankenhäuser darstellen, die momentan ihr Instrumentarium nicht komplett aufsichere Arbeitsgeräte umstellen, aber zeitweise doch Patienten mit Erregern der Risikogruppe 3** und höher behandeln müssen. Denn bei diesen Patienten sind gem. Ziffer 1 des Abschnitts 4.2.4 sichere Arbeitsgeräte einzusetzen. Daher könnte das im Rahmen der Teilumstellung vorgehaltene sichere Arbeitsgerät bei der Behandlung dieser Patienten verwendet werden. Bei der Teilumstellung muss das Personal regelmäßig geschult werden. Dies umso mehr, als es mit zwei verschiedenen Instrumenten-Systemen arbeiten muss. Auch Überprüfungspflichten der Instrumente und Mitarbeiter durch den Arbeitgeber sind zu verlangen. Die Maßnahmen sollten dokumentiert werden. Zusammenfassend erscheint die Durchführung einer Teilumstellung sachgerecht und ratsam für Arztpraxen oder andere Arbeitsplätze im Gesundheitswesen, die nach einer sorgfältigen Gefährdungsbeurteilung nicht komplett auf sichere Arbeitsgeräte umstellen. Aufdiese Weise können sie in Verbindung mit Mitarbeiterschulungen vor allem den Anforderungen der Ziffer 1 des Abschnitts 4.2.4 gerecht werden, wenn die dort genannten Patienten zu behandeln sind. II. Komplettumstellung auf sichere Instrumente Rechtlich ist die vollständige Umstellung des Instrumentariums aufsichere Instrumente als die sicherste Vorgehensweise zu bewerten. Das gilt sowohl aus sicherheitsrechtlicher als auch aus haftungs- und strafrechtlicher Sicht. Dadurch entspricht der Arbeitgeber den Ziffern 1 und 2 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250. Ferner erübrigt sich für ihn die Verpflichtung zur Rechtfertigung etwaiger Ausnahme-Schutzmaßnahmen nach Ziffer 3 nebst darauf bezogener Gefährdungsbeurteilung. Dass hierdurch Folgekosten wegfallen (u. a. Kosten für Betriebsarzt, Dokumentation, Schulungen), liegt aufder Hand. Es entfällt bei der Komplettumstellung auch die Pflicht zur individuellen Abwägung, ob bei einem Patienten nicht doch der Einsatz etwa von sicheren Instrumenten geboten ist (dies ist bei der Teilumstellung der Fall). Auch die Mitarbeiter müssen bei der Komplettumstellung nicht zwischen verschiedenen Arten von Instrumenten unterscheiden. Dadurch wird eine weitere Fehlerquelle für situative Ausreißer in der Sorgfalt verringert. Die Anforderungen an den Schulungs- und Kontrollaufwand reduzieren sich bei einer Komplettumstellung. Letztlich würden bei einer Komplettumstellung alle Mitarbeiter und Patienten gleich (sicher) behandelt. Da der Arzt damit die Ziffern 1 und 2 des Abschnitts 4.2.4 der 26 Siehe die Legaldefinition in 45Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X. In der Rechtsprechung wird grobe Fahrlässigkeit auch wie folgt umschrieben: Verletzung elementarster Sorgfaltspflichten; besonders schweres Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt oder nahe liegender, unschwer zu ergreifender Sicherheitsvorkehrungen; Außerachtlassen ganz nahe liegender Überlegungen und dessen, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste; vgl. BGHZ 10, 16; 89, 161; BGH, NJW 1992, 3236; NJW-RR 1994, 1471. 66 MPR 3/2007

Koyuncu/Kamann, Medizinprodukte zum Arbeitsschutz im Gesundheitswesen AUFSÄTZE TRBA 250 wortgetreu umsetzt, findet zu seinen Gunsten auch die Vermutungswirkung der Ziffer 1 Abs. 3 der TRBA 001 Anwendung, so dass er davon ausgehen darf, in Übereinstimmung mit der BioStoffV zu handeln. F. Zusammenfassung Der Arbeitsschutz im Gesundheitswesen kann und soll durch sichere Medizinprodukte erhöht werden. Das gilt gerade für die Verringerung der Gefahren aus dem Umgang mit scharfen und spitzen medizinischen Instrumenten (z. B. Nadelstichverletzungen). Dieser Beitrag befasst sich mit den insbesondere hierfür konzipierten Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege (TRBA 250). Der Abschnitt 4.2.4 der TRBA 250, der sich mit dem Schutz von Beschäftigte vor Verletzungen bei Tätigkeiten mit spitzen oder scharfen medizinischen Instrumenten befasst, wurde mit Wirkung ab dem 1. August 2006 neu gefasst. Spätestens mit Ablauf der bis zum 1. August 2007 empfohlenen Übergangsfrist für das z.t. noch zulässige Aufbrauchen von Altprodukten muss sich die Praxis aufdie Neufassung der TRBA 250 einstellen. 1. Die TRBA 250 stellen als Technische Regeln zwar keine unmittelbar verbindlichen Rechtsvorschriften dar, sie entfalten aber eine faktische Verbindlichkeitswirkung. Bezüglich des Umgangs mit biologischen Stoffen im Gesundheitswesen konkretisieren sie den aktuellen Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse. Daher können sie vor Gericht als sog. antizipierte Sachverständigengutachten verwendet und im Haftungsfall zur Bestimmung einer Pflichtverletzung und des gebotenen Sorgfaltsmaßstabs im Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen herangezogen werden. 2. Der Anwendungsbereich der TRBA 250 erstreckt sich auch aufkrankenhäuser, Arztpraxen oder Medizinische Versorgungszentren als Arbeitgeber. Die TRBA 250 konkretisieren und präzisieren mit der Neufassung die Forderung, dass zum Arbeitsschutz bei Tätigkeiten mit spitzen oder scharfen medizinischen Instrumenten diese Instrumente durch geeignete sichere Arbeitsgeräte zu ersetzen sind, bei denen keine oder eine geringere Gefahr von Stichund Schnittverletzungen besteht. So sind nunmehr bei der Behandlung, einschließlich Blutentnahme, und Versorgung von Patienten, die mit Erregern der Risikogruppe 3** oder höher infiziert sind, sichere Arbeitsgeräte einzusetzen. Das gleiche gilt bei der Behandlung fremdgefährdender Patienten. Im Übrigen sind sichere Arbeitsgeräte im Rettungsdienst, in der Notfallaufnahme und in Gefängniskrankenhäusern einzusetzen. 3. Zudem wird das grundsätzliche Gebot aufgestellt, sichere Arbeitsgeräte auch bei allen anderen Tätigkeiten einzusetzen, bei denen Körperflüssigkeiten in infektionsrelevanter Menge übertragen werden können (z.b. Blutentnahmen, Punktionen zur Entnahme von Körperflüssigkeiten). Von diesem Grundsatz macht Ziffer 3 des Abschnitts 4.2.4 der TRBA 250 unter besonderen Voraussetzungen Ausnahmen. Die Anforderungen an die Ausnahmen sind hoch. Der Arbeitgeber hat eine Gefährdungsbeurteilung unter Hinzuziehung eines Betriebsarztes vorzunehmen: dabei hat er besondere formale und inhaltliche Anforderungen zu erfüllen und Dokumentationspflichten zu beachten. Die Beiziehung eines Betriebsarztes ist nur dann entbehrlich, wenn der Arzt selbst eine entsprechende Qualifikation mitbringt. Der Arbeitgeber muss geeignete und zweckmäßige alternative Schutzmaßnahmen treffen. Mögliche Ausnahmen von der grundsätzlichen Pflicht zur Verwendung von sicheren Arbeitsgeräten dürften angesichts dieser formalen und inhaltlichen Vorgaben schwer zu begründen sein. Daher wird auch in Fachkreisen geäußert, dass künftig wohl auch bei Blutentnahmen und Punktionen zur Entnahme von Körperflüssigkeiten die Verwendung der sicheren Arbeitsgeräte zum Regelfall werden dürfte. Bis zum 1. August 2007 dürfen Altprodukte z.t. noch aufgebraucht werden. 4. Falls Beschäftigte oder Patienten infolge der Nichtbeachtung der TRBA 250 verletzt werden, drohen dem Praxisinhaber oder Krankenhausbetreiber strafrechtliche, haftungsrechtliche und arbeitsschutzrechtliche Konsequenzen. Da die TRBA 250 als konkretisierter Sorgfaltsmaßstab für den Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen herangezogen werden können, stellt ihre Missachtung bei Fehlen gleichwertiger Maßnahmen einen Sorgfaltsverstoß dar, der zur Strafbarkeit wegen Körperverletzungsdelikten oder zur Schadensersatzpflicht gegenüber Geschädigten und Sozialversicherungsträgern führen kann. Daneben bestehen bei Verstößen gegen das Arbeitsschutzgesetz und die Biostoffverordnung gesonderte Strafbarkeits- und Bußgeldrisiken. Nicht zuletzt können Vertragsärzten Konsequenzen durch die Kassenärztliche Vereinigung drohen. 5. Als praxisrelevante Problemlösungskonzepte wurden in diesem Beitrag die Teilumstellung und die Komplettumstellung des Arbeitsplatzes (z. B. Arztpraxis, Krankenhausstation, MVZ) aufsichere Instrumente und Medizinprodukte bewertet. Die Teilumstellung kann zu einer flexiblen Lösung des Spannungsfeldes zwischen rechtlichen und wirtschaftlichen Überlegungen darstellen. Ihrer Verwendung hat eine Gefährdungsbeurteilung vorauszugehen. Zudem sind bei ihr Anforderungen an Arbeitsorganisation, Mitarbeiterschulung und Überwachung zu beachten. Die Teilumstellung ist ratsam, falls die Arztpraxis oder das Krankenhaus von einer Komplettumstellung absieht; der Einsatz sicherer Arbeitsgeräte ist bei den erwähnten Risikopatienten in der TRBA 250 obligatorisch. Mit der Komplettumstellung aufsichere Instrumente gehen Ärzte und Krankenhäuser bei rechtlicher Betrachtung den wohl schutzintensivsten und damit sichersten Weg. Anschrift für die Verfasser: Dr. iur. Dr. med. Adem Koyuncu Rechtsanwalt u. Arzt MAYER, BROWN, ROWE & MAW LLP Kaiser-Wilhelm-Ring 27 29 50672 Köln Tel.: 0221/5771100 E-Mail: akoyuncu@mayerbrownrowe.com MPR 3/2007 67