Themenkreis 5: Religiöse Entwicklung von Kindern allgemeine Theorien und erste Anwendungen im Bereich Religion Grundlagen der Entwicklungspsychologie von Jean Piaget Jean Piaget (1896-1980, Genf) war ein Schweizer Pädagoge. Er untersuchte zunächst seine eigenen drei Kinder, später erweiterte er seine Forschungen auf größere Samples. Er ging davon aus, dass sich die kognitive Entwicklung in mehreren Phasen bzw. Stufen vollzieht. Jeder Mensch, unabhängig von seiner Kultur, durchläuft diese Entwicklungsphasen, die ungefähr (!) mit einem bestimmten Alter einhergehen. In der Phase des vorbegrifflichen Denkens (auch: prä-operationale Phase), die im Kindergartenalter auftritt, verlagert das Kind den Schwerpunkt von den in der sensomotorischen Phase gelernten Bewegungen mehr und mehr auf geistige Aktivitäten wie Sprache und das Denken in Bildern. Dabei gibt es vier Hauptbegriffe, mit denen das Denken des Kindes beschrieben werden kann: Egozentrismus Als kindlichen Egozentrismus bezeichnet Piaget den Umstand, dass das Kind denkt, dass jeder andere die gleiche Wahrnehmung haben müsse, wie es selbst. Das Kind ist noch nicht fähig, sich in Andere hineinzuversetzen. Es muss die Fähigkeit zur Empathie erst noch entwickeln. Ein Beispiel dafür ist, wie Kinder verstecken spielen: Ein Kind hält die Hände vor die Augen, sieht sich selbst nicht und denkt folglich, jemand Anderes könne es auch nicht sehen. Realismus Mit dem Egozentrismus verwandt ist der kindliche Realismus: Es hält die Dinge, die es wahrnimmt, unmittelbar für real. Es kann noch nicht zwischen Fiktion und Realität unterscheiden.
In diese Bereiche fallen die noch fehlende Erkenntnis von Objektpermanenz und Mengeninvarianz: Stellt man zwischen ein kleines Kind und ein Objekt etwas, was das Objekt verdeckt, verhält es sich so, als habe das Objekt sich in Luft aufgelöst dass das Objekt hingegen permanent vorhanden ist, auch hinter einem Sichtschutz, kann das Kind noch nicht erkennen. Ähnlich verhält es sich mit der Erkenntnis, dass Eigenschaften eines Objekts konstant (invariant) bleiben, wenn andere sich verändern. Das Beispiel hierzu ist der Wasserglas-Test: Wenn man vor den Augen eines Kindes Wasser aus einem breiten, niedrigen Glas (Whiskeyglas) in ein hohes, schlankes Glas (Saftglas) schüttet, denkt das Kind, im hohen Glas befinde sich mehr Wasser. Der Realismus führt auch dazu, dass Kinder dem, was ihnen gesagt wird, Glauben schenken: Sie verstehen noch keine Ironie (bzw. lernen erst langsam, Ironie zu verstehen), nehmen Geschichten beim Wort Märchen sind für sie durchaus real. Animismus Kinder stellen sich Objekte ihrer Umwelt als belebt vor auch solche, die es nicht sind: Das Auto fährt selbst; Wolken bewegen sich, weil sie es wollen; ein Ball kann sich weigern, geradeaus zu fliegen; einer Blume tut es weh, wenn man sie pflückt usw. Dabei können Objekte auch in magische Handlungen verwickelt werden. Der Animismus steht in gewisser Weise im Gegensatz zum Egozentrismus: Animistische Vorstellungen bringen das Kind dahin, sich in andere Objekte / Lebewesen hineinzuversetzen und so nach und nach den Egozentrismus zu überwinden. Der Animismus wird mit steigendem Alter sukzessive überwunden: zunächst stellt sich das Kind unbewegte Objekte nicht mehr als belebt vor, dann nur noch solche, die sich aus eigener Kraft bewegen (z.b. nicht mehr ein Spielzeugauto), schlussendlich nur noch Menschen und Tiere. Artifizialismus Kinder gehen davon aus, dass alles, was ist, gemacht wurde. Zunächst sind Eltern oder von den Kindern als mächtig wahrgenommene Bezugspersonen (ggf. auch Erzieherinnen) verantwortlich. Wenn das Kind merkt, dass die Eltern nicht alles gemacht haben können, werden größere Personen gesucht: Hier kommt bei vielen eine (vielfach noch sehr undurchdachte) Gottesvorstellung ins Spiel, denn nur Gott ist so groß, dass er beispielsweise die Berge gemacht haben kann. Gott wird in dieser Phase oftmals als Riesenmensch gedacht: Er muss Fähigkeiten haben, wie ein Mensch, denn sonst wäre er nicht in der Lage, etwas zu bauen, aber er muss halt größer sein. Das Genre Gott als alter Mann mit langem weißen Bart kommt in dieser Phase der frühen Kindheit zustande.
Religionspädagogische Schlussfolgerungen und Anwendungen Erarbeite mit deinen Nachbarn religionspädagogische Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen Piagets! Phase / Erscheinung Religionspädagogische Schlussfolgerungen Voroperationale Phase (Kindergartenalter) Konkretoperationale Phase (Grundschulalter) Egozentrismus Realismus Animismus Artifizialismus
Die Entwicklung des moralischen Urteils nach Lawrence Kohlberg Lawrence Kohlberg (1927-1987, New York) war ein amerikanischer Psychologe. Kohlberg entwickelte, aufbauend auf den Studien Piagets, eine Stufentheorie der Entwicklung des moralischen Urteils. Dabei ging er so vor, dass er Probanden das sogenannte Heinz-Dilemma vorlegte: Die Probanden sollten sich dazu äußern, wie sie die Handlung von Heinz beurteilen würden. Das Heinz-Dilemma lautet wie folgt: Heinz ist der Mann einer sterbenskranken Frau. Der einzige Apotheker der Stadt hat ein Medikament entwickelt, das die Frau heilen könnte. Der Apotheker verkauft das Medikament für den zehnfachen Preis, den ihn die Herstellung kostet, und er ist nicht bereit, Heinz das Medikament zu einem geringeren als den veranschlagten Preis zu verkaufen. Trotz zahlreicher Bemühungen gelingt es Heinz nicht, ausreichend Geld zu beschaffen, um das Medikament kaufen zu können. Verzweifelt bricht Heinz in die Apotheke ein und stiehlt das Medikament für seine Frau. Nach Kohlbergs Stufenmodell sind grob 3 Phasen zu unterscheiden, die jeweils wiederum in zwei Stufen gegliedert sind, so dass sich insgesamt 6 Stufen ergeben. Der Gedanke ist, dass Menschen erst nach und nach die Regeln der Welt erlernen: Sie müssen aus der egozentrischen Phase heraustreten in die Phasen, in der sie erkennen, dass andere Menschen legitime Ansprüche haben. Im Lernprozess zeigen sie typische Muster des Urteils, die sich analog der Entwicklungsphasen zeigen, die Piaget ausmachte. Wichtig ist die Erkenntnis, dass ein moralisches Urteil und moralisches Handeln nicht identisch ist: Menschen können kognitiv eine bestimmte Weise der Urteilsfindung haben das heißt aber noch lange nicht, dass sie im praktischen Handeln das auch so umsetzen. Gerade bei Kindern ist zuweilen eine große Differenz zwischen Reden und Handeln zu beobachten. Phase 1 ist die Präkonventionelle Ebene, auf der sich Kinder etwa bis zum 9. Lebensjahr befinden: Stufe Name Bedeutung 1 Strafe und Gehorsam Kleine Kinder orientieren sich moralisch nicht an Regeln (die können sie noch nicht verstehen), sondern an Autoritäten. Ihre Motivation, eine bestimmte Handlung nicht auszuführen, ist Strafvermeidung. 2 Do ut des Auf dieser Stufe, die im Vorschulalter eintritt, haben Kinder die Gegenseitigkeit menschlichen Handelns erkannt: Die Befriedigung eigener Bedürfnisse hängt davon ab, dass man gelegentlich auch die Bedürfnisse anderer befriedigt (z.b. man lässt ein anderes Kind mit seinem Lieblingsspielzeug spielen, damit man ein Spielzeug des anderen bekommt). Kinder in dieser Phase agieren kooperativ auf kooperatives Verhalten, aber sie können auch Rache üben für etwas, das ihnen angetan wurde. Ihr Verhalten folgt der Logik: Ich tue etwas für dich, damit du etwas für mich tust (do ut des, tit for tat).
Phase 2 ist die Konventionelle Ebene, auf der sich viele Jugendliche und Erwachsene bis zum Lebensende befinden: Stufe Name Bedeutung 3 good boy / nice girl 4 Recht und Ordnung / law and order Der Mensch auf dieser Stufe erkennt die moralischen Erwartungen Anderer. Um diesen gerecht zu werden und nicht aufzufallen, orientiert man sich an diesen Erwartungen. Im Umgang mit Anderen stellt man auch ähnliche Erwartungen auf, beurteilt den Anderen aber nach seinen Intentionen (X hat es doch gut gemeint). Auf dieser Stufe erkennt der Mensch die Bedeutung rechtlicher Normen für das Funktionieren von Gesellschaften. Der Mensch auf Stufe 4 hält sich selbst an die Regeln und erwartet das auch von Anderen, zuweilen etwas kleinlich. Phase 3 ist die Postkonventionelle Ebene: Stufe Name Bedeutung 5 Orientierung am Gesellschaftsvertrag 6 Orientierung an universa lem ethischen Prinzip Rechtliche Normen werden nur noch als verbindlich angesehen, wenn sie gut begründet sind. Normen werden akzeptiert, wenn sie als nützlich für die Gesellschaft angesehen werden. Nur etwa 5% erreichen diese Stufe. Die Orientierung ist dann nicht mehr nach der Nützlichkeit in der Gesellschaft, sondern an universalen Prinzipien wie z.b. dem kategorischen Imperativ oder universeller christlicher Nächstenliebe etc.
Pädagogische Schlussfolgerungen für die Werteerziehung Erarbeite mit Deinen Nachbarn pädagogische Schlussfolgerungen für die Werteerziehung und den Konfliktumgang mit Kindern! Gib geeignete Beispiele! Stufe Werteerziehung und Konfliktlösung 1: Strafe und Gehorsam 2: do ut des