Humankapital Wertschätzung oder Degradierung des Menschen? Prof. Dr. Ludger Wößmann Ludwig-Maximilians-Universität München und ifo Institut für Wirtschaftsforschung
Humankapital 1. Humankapital: Was ist das und was soll das? 2. Wertschätzung oder Degradierung des Menschen? Ein paar kurze Gedanken zur Semantik 3. Warum und in welcher Art Humankapital in der Substanz so wichtig ist! Wie auch immer man es nennen möchte 4. Wie lässt sich das Humankapital erhöhen?
Warum Human kapital? Bildung als Investitionsgut Verursacht vorausgehende Kosten Bringt in Zukunft Nutzen vor allem in Form höherer Einkommen und geringerer Arbeitslosigkeit (aber etwa auch: gestärkte Demokratie) Bildung als in Menschen investiertes Kapital Wer in seine Bildung investiert: Verzichtet heute auf anderweitige Nutzung der Ressourcen Opportunitätskosten der Zeit und direkte Bildungsausgaben In der Hoffnung, dass sie ihn in Zukunft produktiver macht Was ihm dann durch die genannten Nutzen entlohnt wird Bildung ist eine Investitionsentscheidung = Abwägung heutiger Kosten gegen zukünftige Nutzen
Warum Human kapital? Adam Smith (1776), Der Wohlstand der Nationen: Einen Menschen, der mit großem Aufwand an Mühe und Zeit für eine Beschäftigung ausgebildet wurde, die außergewöhnliches Geschick und Fachkenntnis erfordert, kann man mit einer aufwendigen Maschine vergleichen. Man sollte erwarten, dass er aus seinem erlernten Beruf einen Ertrag erzielen kann, der so weit über dem üblichen Lohn für einfache Arbeit liegt, dass er ihm den gesamten Ausbildungsaufwand ersetzt, mit zumindest dem normalen Gewinn für ein gleichwertiges Kapital.
Wertschätzung oder Degradierung? Semantisches In seiner ganzen Genese ist der Begriff Humankapital ausschließlich auf eine Erhöhung der Wertschätzung des Menschen angelegt! Weg von Produktionsfaktor Arbeit! Unwort Humankapital? Eine selbsternannte Jury aus Sprachwissenschaftlern hat das Wort Humankapital zum Unwort des Jahres 2004 gewählt, weil es aus ihrer Sicht Menschen zu nur noch ökonomisch interessanten Größen degradiert zumindest, wenn sich der Gebrauch dieses Wortes aus der Wirtschaftsfachsprache zunehmend auch in nicht-fachlichen Bereichen ausbreitet.
Wertschätzung oder Degradierung? Semantisches Diese Sicht stellt den Sinn des Konzeptes Humankapital geradezu auf den Kopf: Ganz im Gegensatz zu einer Degradierung der Menschen zu nur noch ökonomisch interessanten Größen stellt das Konzept Humankapital den Menschen ins Zentrum der Analyse wirtschaftlicher Zusammenhänge! Es geht nicht darum, das Wirtschaftliche ins Zentrum des menschlichen Daseins zu stellen Selbstverständlich ist eine ökonomische Analyse nicht gleichbedeutend mit dem Ausschluss jeder anderen Bedeutung oder Betrachtungsweise Sonst müsste man mit gleichem Recht einem Mediziner, der von Patienten redet, vorwerfen, er degradiere den Menschen auf ein krankhaftes Wesen!
Wertschätzung oder Degradierung? Semantisches Menschenmaterial : Unwort des 20. Jahrhunderts Dient nicht zuletzt als Umschreibung von Menschen, die als Soldaten im 1. und 2. Weltkrieg»verbraucht«wurden Menschenmaterial und Humankapital stehen sinngemäß in diametral entgegengesetzten Traditionen Mittel vs. Wert Kapital ist (in einer freien Gesellschaft) kein Buh-Wort! Bsp.: Sozialkapital Anonymes Ersetzbares vs. Besonderes Besitz- und Machtverhältnisse! Sklavenhafte Abhängigkeit vs. Jeder Mensch als Eigentümer, als Kapitalist der zentralen Grundlage des modernen Wirtschaftens
Wertschätzung oder Degradierung? Semantisches Nicht: Mensch = Humankapital Sondern: menschliche Fähigkeiten = Humankapital Im Rahmen einer explizit rein ökonomischen Betrachtung Welche ja an sich noch nicht ausschließt, dass es auch andere sinnvolle (sinnvollere ) Betrachtungsweisen gibt Ein überzeugender, weil realistischer Humanismus bedarf geradezu des Bewusstseins ökonomischer Zusammenhänge Und damit gerade auch des Bewusstseins der Bedeutung menschlicher Fähigkeiten als Humankapital! Humankapital = menschliche Fähigkeiten: U. a. auch diejenige, den Sinn von Wörtern gedanklich zu durchdringen
Warum Humankapital in der Substanz so wichtig ist! Auf das, was PISA testet, kommt es doch gar nicht wirklich an.!? 1. Arbeitslosigkeit 2. Persönliches Einkommen 3. Gesellschaftliche Einkommensverteilung 4. Langfristiges volkswirtschaftliches Wachstum
Warum Humankapital in der Substanz so wichtig ist! Arbeitslosenrate nach höchstem Bildungsniveau, in Prozent, 25- bis 64-jährige Männer, 2003. Quelle: Basierend auf OECD (2005). Bildung und Arbeitslosigkeit in Deutschland
Warum Humankapital in der Substanz so wichtig ist! Arbeitslosenrate in Prozent, 30- bis 44-jährige Männer, 2001. Quelle: Basierend auf OECD (2003). Arbeitslosenrate nach Bildungsniveau
Warum Humankapital in der Substanz so wichtig ist! Relatives Einkommen, höhere Sekundarbildung = 100. Quelle: Basierend auf OECD (2004c, 2005). Bevölkerung zwischen 25 und 64 Jahren mit Erwerbseinkommen. Letztes verfügbares Jahr (1999-2003) Relatives Einkommen nach Bildungsniveau
Einkommenserhöhung 14% 12% 10% 8% Warum Humankapital in der Substanz so wichtig ist! 1 Schuljahr 1 SA Akademische Leistung (AFQT) 6% 4% 2% 0% 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Erwerbserfahrung (Jahre) Renditen auf beobachtbare Bildungsquantität und unbeobachtbare Bildungsqualität im Verlauf des Erwerbslebens. Auf der Basis von Daten des National Longitudinal Survey of Youth (NLSY) und des Armed Forces Qualification Test (AFQT). SA = Standardabweichung. Quelle: Altonji und Pierret (2001).
Warum Humankapital in der Substanz so wichtig ist! Streuungsmaß ist jeweils das Verhältnis zwischen dem neunten und ersten Dezil. Testleistungen sind Ergebnisse im Textverständnistest des International Adult Literacy Survey. Quelle: Basierend auf Nickell (2004). Ungleichheit von Bildung und von Einkommen
Das Ungleichheit der PISA-Kompetenzen Streuung der Schülerleistungen Punktdifferenz zwischen 90. und 10. Perzentil im PISA-Mathematiktest 2003
Kontrollvariablen: BIP pro Kopf und Schuljahre, 1960. Quelle: Hanushek und Wößmann (2006). Warum Humankapital in der Substanz so wichtig ist! Schülerleistungen und Wirtschaftswachstum, 1960-2000
Das Niveau der PISA-Kompetenzen Durchschnittliche Schülerleistungen Testergebnis in PISA 2003 (Zahlen = Mathematik)
Bessere Bildung durch leistungsfördernde Rahmenbedingungen Autonomie mit und ohne Rechenschaft Mathematik- Punktzahl 80 70 76,2 60 55,5 50 40 30 20 23,7 10 0 Nein Schulautonomie über Lehrergehälter Ja 0,0 Nein Ja Externe Abschlussprüfungen TIMSS + TIMSS-R
Bessere Bildung durch leistungsfördernde Rahmenbedingungen Autonomie mit und ohne Rechenschaft Mathematik- Punktzahl 40 35 32,5 36,4 30 25 20 20,8 15 10 5 0 Nein Schulautonomie über Lehrergehälter Ja 0,0 Nein Ja Externe Abschlussprüfungen PISA
Bessere Bildung durch leistungsfördernde Rahmenbedingungen Autonomie mit und ohne Rechenschaft Mathematik- Punktzahl 80 70 64,1 67,6 60 50 40 30 20 22,7 10 0 Nein Lehrereinfluss Ja auf Ressourcenausstattung 0,0 Nein Ja Externe Abschlussprüfungen TIMSS + TIMSS-R
Bessere Bildung durch leistungsfördernde Rahmenbedingungen Autonomie mit und ohne Rechenschaft Mathematik- Punktzahl 40 35 30 25 23,6 20 15 10 11,7 4,5 5 0 Nein Schulautonomie über Lehrinhalte Ja 0,0 Nein Ja Externe Abschlussprüfungen PISA
Bessere Bildung durch leistungsfördernde Rahmenbedingungen Private vs. öffentliche Trägerschaft und Finanzierung Mathematik- Punktzahl 80 70 60 50 74,6 40 30 36,7 36,6 20 10 0 niedrig Öffentliches Management hoch 0,0 niedrig hoch Öffentliche Finanzierung PISA
Mehrgliedrigkeit und Chancenungleichheit Neuseeland 20.0 PISA 2003 (Sekundarschule) Türkei 15.0 USA Deutschland Norwegen 10.0 3/3 Neuseeland Griechenland Island 5.0 Norwegen USA Italien Griechenland Kanada Italien Frankreich Slovak. Rep. Deutschland Ungarn Schweden Russland Tschech. Rep. Hongkong Lettland Niederlande 0.0-5.0 3/3-10.0-15.0 Standardabweichung Island Frankreich Schweden Tschech. Rep. Türkei Slovak. Rep. Russland Ungarn Lettland Kanada Hongkong Niederlande Mehrgliedrig Eingliedrig
Mehrgliedrigkeit und Chancenungleichheit IGLU (Grundschule) PISA 2003 (Sekundarschule) Neuseeland 2 20.0 Türkei 15.0 USA 1 4 1 Deutschland Norwegen 5 10.0 Neuseeland Griechenland 2 Norwegen 5.0 USA Italien Island 4 Griechenland Island Kanada 3 Frankreich Italien 0.0 Schweden Tschech. Rep. Frankreich 3 Türkei Slovak. Rep. Slovak. Rep. Deutschland Russland Ungarn Ungarn Schweden -5.0 Russland Lettland Tschech. Rep. Kanada Hongkong 6 Lettland -10.0 Hongkong Niederlande Niederlande -15.0 Standardabweichung Veränderung: 1. Deutschland 0,71 2. Griechenland 0,30 3. Tschech. Rep. 0,25 4. Italien 0,22 5. Schweden 0,21 6. Lettland 0,12 7. Niederlande 0,11 8. Frankreich 0,09 9. Russland 0,08 10. Ungarn 0,04 11. Island -0,07 12. Slovak. Rep. -0,08 13. Hongkong -0,13 14. Norwegen -0,14 15. USA -0,27 16. Kanada -0,32 17. Neuseeland -0,50 18. Türkei -0,63 Mehrgliedrig Eingliedrig
Bildungspolitik und Chancenungleichheit
Vorschulische Bildungseinrichtungen und Chancenungleichheit
Wie lässt sich das Humankapital erhöhen? Kein nennenswerter Einfluss von Ausgabenhöhe oder Klassengröße Innerhalb des gegebenen institutionellen Rahmens Wie bekommen wir bessere PISA-Leistungen? Nur durch ein anreizkompatibles Schulsystem: Extern überprüfte Standards Schulautonomie mit Rechenschaft Private Trägerschaft bei öffentlicher Finanzierung Wie bekommen wir mehr Chancengleichheit? Umfassende frühkindliche Bildung Spätere Selektion
Fazit: Humankapital als Wertschätzung menschlicher Fähigkeiten 1. Konzept Humankapital stellt Menschen als heterogenes Wesen ins Zentrum ökonomischer Analyse. 2. Ist es etwas Schlechtes, wenn man die menschlichen Fähigkeiten als etwas (auch) wirtschaftlich Wertvolles betont? 3. Die Substanz: Humankapital, insb. in Form kognitiver Fähigkeiten, ist von zentraler Bedeutung für Arbeitslosigkeit, Einkommen, Verteilung und Wachstum. Das PISA von heute ist der (fehlende) Wohlstand von morgen! 4. Humankapital lässt sich nicht allein durch mehr Geld im Bildungssystem verbessern, sondern nur durch strukturelle Reformen.