VGR-Revision 2014: Was bedeuten die höheren Investitionen für die ökonomische Analyse? Prof. Dr. Michael Grömling Institut der deutschen Wirtschaft Köln
VGR-Revision 2014 Generalrevision der VGR Einführung des ESVG 2010 im Herbst 2014 Beschluss (Europäisches Parlament und Rat) vom Mai 2013 ESVG 2010 ersetzt ESVG 1995, das in Deutschland 1999 und 2005 umgesetzt wurde. ESVG 2010 basiert auf dem SNA 2008, welches das SNA 1993 ersetzt. Rückrechnung in Deutschland bis 1991 (ESVG 1995 wurde bis 1970 revidiert). 2
Wofür braucht man die VGR? Konjunkturbeobachtung / Konjunkturanalyse / Prognose Branchenstudien und Analyse des Strukturwandels Wachstumsempirie Makroökonomische Einkommensentstehung Regionale und internationale Vergleiche Ökonomische Bezugsgröße... Komponente bei der Wohlstandsmessung 3
Gründe für VGR-Revisionen Neue Basisdaten (z. B. Zensus-Ergebnisse) Neue Berechnungsmethoden (z. B. Preisbereinigung) Neue Definitionen und Konzepte (z. B. Investitionen) 4
Konzeptänderungen durch das ESVG 2014 1. Erweiterung des Investitionsbegriffs F&E als Bruttoanlageinvestition Militärische Waffensysteme als Investitionen des Staates 2. Höhere Bedeutung des Sektors Staat Neue Kriterien für die Staatszugehörigkeit von Branchen Neuverbuchung der Staatsbürgschaften 3. Revision des Produktionswerts von Versicherungsunternehmen 5
F&E im ESVG 1995 F&E-Ausgaben waren bereits VGR-Produktion (PW). F&E-Ausgaben waren zugleich Vorleistungen (VL). keine Auswirkungen auf BWS (bzw. BIP): BWS = PW VL 6
F&E im ESVG 2010 F&E-Ausgaben bleiben VGR-Produktion (PW). Sie sind jetzt Investition (BAI) und keine Vorleistung (VL) mehr. Marktproduzenten (v.a. Unternehmen): Anstieg von PW, BWS und BAI im Ausmaß der selbst erstellten F&E-Leistungen. Kauf von F&E-Leistungen werden von den VL zu den Investitionen umgebucht: BIP-Anstieg: 1:1 Nicht-Marktproduzenten (v.a. Staat): Umbuchung der selbst erstellten und gekauften F&E-Leistungen von den Konsumausgaben zu den BAI: kein BIP-Effekt! F&E Leistungen sind vermögenswirksam; zusätzliche Abschreibungen auf das höhere Anlagevermögen; positiver BIP-Effekt über Abschreibungen und Konsum. 7
Ausmaß der erwarteten Revisionseffekte 2014 Geschätzte Auswirkungen der konzeptionellen Änderungen durch das ESVG 20120 auf das nominale BIP 1) ; Anzahl der Länder 2) nach dem Ausmaß des BIP-Effekts in Prozent 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 5 LV; LT; HU; PL; RO 9 CZ; EE; IE; ES; IT; LU; PT; SI; SK 4 BE; DK; DE; FR 0 bis 1 % 1 bis 2 % 2 bis 3 % 3 bis 4 % 4 bis 5 % 3 AT; NL; UK 2 FI; SE 1) Referenzjahr: 2011. 2) Für BG, EL, CY, MT und HR liegen keinen Schätzungen vor. Quellen: EU-Kommission (2014); Brümmerhoff/Grömling (2014) 8
Auswirkungen der VGR-Revision Niveau- und Struktureffekte Bedeutung für die 1. Konjunkturanalyse 2. Verteilungsanalyse 3. Wachstumsanalyse 9
Modellrechnungen Vergleich der Durchschnittswerte für den Betrachtungszeitraum 2000 bis 2013 auf Basis ESVG 1995 und der Modellrechnungen Annahmen für Szenario 1 und 2: Investitionsquote: 90 Prozent der BIP-Änderung resultiert aus dem erweiterten Investitionsbegriff Lohnquote: Anstieg des Volkseinkommens wie BIP-Anstieg und 100 Prozent entfallen auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen Szenario A: BIP-Anstieg infolge der VGR-Revision um 2,5 % pro Jahr Szenario B: BIP-Anstieg infolge VGR-Revision um 3 % pro Jahr 10
Niveaueffekte der VGR-Revisionen Nominales Bruttoinlandsprodukt in Deutschland in Milliarden Euro auf Basis unterschiedlicher VGR-Datenstände 2.100 2.000 1.900 2009 1965 1943 1921 1.800 1.700 1.600 1.500 1.400 Datenstand 1997 Datenstand 1998 Datenstand 2005 Szenario A 2014 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen 11
Auswirkungen auf die Investitionsquote Geschätzte Auswirkung des erweiterten Investitionsbegriffs auf die Investitionsquote 1) und die nominalen Bruttoanlageinvestitionen in Prozent 25 20 Investitionsquote 18,2 Investitionsniveau 20,0 20,3 15 10 12 15 5 0 ESVG 1995 Szenario A Szenario B 1) Anteil der nominalen Bruttoanlageinvestitionen am nominalen BIP im Zeitraum 2000 bis 2013 in Prozent Quellen: Statistisches Bundesamt; Brümmerhoff/Grömling (2014) 12
Volatilität der Investitionen in Deutschland Veränderung der realen FuE-Ausgaben und der realen Bruttoanlageinvestitionen gegenüber Vorjahr in Prozent 10,0 5,0 0,0-5,0-10,0 FuE Bruttoanlageinvestitionen -15,0 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 Quellen: Statistisches Bundesamt; OECD 13
Ergebnisse Anstieg der Investitionsquote (und Sparquote) um rund 2 Prozentpunkte. Unveränderte Wachstumsraten des BIP. Geringere Volatilität der Bruttoanlageinvestitionen. 14
Auswirkungen auf die Lohnquote 1991 bis 1998 Lohnquote 1) in Deutschland auf Basis unterschiedlicher VGR- Datenstände; in Prozent 80 75 70 73 71 70 68 65 Datenstand 1997 Datenstand 1998 Datenstand 2005 60 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1) Anteil der Arbeitsentgelte am Volkseinkommen in Prozent Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen 15
Auswirkungen auf die Lohnquote Geschätzte Auswirkung des ESVG 2010 auf die Lohnquote 1) und auf die nominalen Unternehmens- und Vermögenseinkommen in Prozent 80 Lohnquote Unternehmens- und Vermögenseinkommen 70 67,6 66,0 65,7 60 50 40 30 20 10 0 7,8 9,3 ESVG 1995 Szenario A Szenario B 1) Anteil der Arbeitsentgelte am Volkseinkommen im Zeitraum 2000 bis 2013 in Prozent Quellen: Statistisches Bundesamt; Brümmerhoff/Grömling (2014) 16
Lohnquoteneffekte im Vergleich Lohnquote 1) in Prozent auf Basis unterschiedlicher VGR-Datenstände 80 75 73 70 71 69 70 68 65 Datenstand 1997 Datenstand 1998 Datenstand 2005 Szenario A 2014 60 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1) Anteil der Arbeitsentgelte am Volkseinkommen in Prozent. Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen 17
Ergebnisse Höheres Niveau des BIP je Einwohner und der Arbeitsproduktivität Keine Auswirkungen auf die jeweiligen Wachstumsraten Höheres Anlagevermögen führt zu höheren Kapitalund Vermögenseinkommen Niedrigere Lohnquote um rund 2 Prozentpunkte Schwierigere Interpretation der Kapitaleinkommen (z. B. Waffensysteme) 18
Quellen des Wachstums in Deutschland Beiträge der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Totale Faktorproduktivität zum Wachstum des realen BIP in Prozentpunkten 4 2 0-2 -4 TFP Arbeit Kapital -6 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Quellen: Statistisches Bundesamt; Brümmerhoff/Grömling (2014) 19
Wachstumszerlegung (Growth Accounting) ESVG 1995: Y = α* N + (1-α)* K + TFP LQ ET K VGR HC, F&E, Institutionen ESVG 2014: Y = α* N + (1-α)* K + TFP unverändert LQ sinkt (Zensus?) (1-LQ) steigt steigt (?) sinkt (?) 20
Schlussfolgerungen Bürger Europas sind ab Herbst 2014 rechnerisch reicher. Neben Niveau- auch Struktureffekte (Investitions-, Lohn-, Defizitquote, ) Kapitalisierung von F&E ist überzeugend. Kapitaleinkommen von militärischen Waffensystemen sind schwer interpretierbar. Begriffssystem und Interpretation der VGR werden durch die Revision komplexer. Zunehmender Modellcharakter von VGR-Größen ist problematisch und schränkt den Nutzen der VGR für Konjunkturanalyse ein. 21
Literatur A. Braakmann: Revidierte Konzepte für Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, in: Wirtschaft und Statistik, (2013), Nr. 8, S. 521 525. D. Brümmerhoff / M. Grömling: Ökonomische Auswirkungen von VGR- Revisionen, in: AStA Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv, 6. Jg. (2012), Nr. 3 4, S. 133 148 D. Brümmerhoff / M. Grömling: Are national accounts revisions harmful for historical comparisons?, in: World Economics, 13. Jg. (2012), Nr. 4, S. 79 97 D. Brümmerhoff / M. Grömling: VGR-Revision 2014: Was bedeuten die höheren Investitionen für die ökonomische Analyse? Thünen-Series of Applied Economic Theory, Nr. 133, Rostock; erscheint in: Wirtschaftsdienst Nr. 4/2014 E. Oltmanns / R. Bolleyer / I. Schulz: Forschung und Entwicklung nach Konzepten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, in: Wirtschaft und Statistik, (2009), Nr. 2, S. 125 135 22
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! groemling@iwkoeln.de