Inhalt. Einführung. Freud im Profil. Serviceteil: Ein Denker des 20. Jahrhunderts, Tabubrecher und Aufklärer... 7

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Transkript:

Inhalt Einführung Ein Denker des 20. Jahrhunderts, Tabubrecher und Aufklärer... 7 Freud im Profil 1 Die Entdeckung des Unbewussten....................... 13 2 Die Entdeckung der infantilen Sexualität................. 26 3 Die Entdeckung des Ödipuskomplexes................... 41 4 Modelle des Seelenlebens.............................. 52 5 Die Einführung des Todestriebes und Freuds letztes Seelenmodell........................................ 70 6 Freud als Kulturkritiker............................... 81 7 Die Kultur und das Problem der Aggression.............. 95 8 Die unbewusste Dimension der Kultur- und Religionsgeschichte................................... 106 Serviceteil: Kurzbiografie........................................... 120 Zitatnachweise.......................................... 121 Personenregister........................................ 132 Begriffsregister......................................... 133

Freud im Profil Die Entdeckung des Unbewussten 1 Die Entdeckung des Unbewussten und die Begründung der Psychoanalyse durch Freud setzten mit der Erforschung der Hysterie ein. Als junger Neurophysiologe ging Freud im Jahr 1885 für mehrere Monate nach Paris zu Jean-Martin Charcot, dem bedeutenden und international anerkannten französischen Neurologen. Charcot hatte eine neue Theorie und Klinik der Neurologie entwickelt, 1882 an der Salpêtrière die Einrichtung eines Lehrstuhls für klinische Nervenkrankenheiten erwirkt und mit diesem Schritt die Neurologie als eigenständige Disziplin etabliert. Bis zu diesem Zeitpunkt stand die Hysterie unter dem Verdacht, eine ausschließlich weibliche Form der Simulation und Einbildung zu sein. Die Definition der Hysterie ging auf Hippokrates aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. zurück, der den Sitz der als typisch weiblich geltenden Krankheit in der Gebärmutter (griech.: hystera) vermutete. Die seit der Antike herrschende Ansicht, Hysterie sei eine organische Erkrankung uterinen Ursprungs, wich nun dem modernen Konzept der Neurose. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts rückte sie in den Rang einer neurologischen Krankheit und ernst zu nehmenden klinischen Tatsache auf. Charcot definierte sie erstmals als neurologische Erkrankung mit organischer oder erblicher Ursache. Er entdeckte, dass hysterische Symptome meist nach seelischen Traumen auftraten, und diagnostizierte sie zum ersten Mal auch bei männlichen Patienten. Wie viele zeitgenössische Neurologen ist Charcot von der Vielfalt der Symptome, ihrer Theatralität wie auch den besonderen hypnoiden und dissoziativen Bewusstseinszuständen der Hysterie fasziniert. An seinen berühmten Leçons du mardi, den Dienstagsvorlesungen, nahm regelmäßig ein prominentes und illustres Publikum aus Ärzten, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern teil. Vor seinen Augen demonstrierte Charcot die Wirksamkeit der Hypnose. Er setzte die hypnotische Methode als diagnostisches Mittel ein und ließ mit ihrer Hilfe

14 Freud im Profil bestehende Symptome bei Patienten verschwinden, wobei er diese nicht heilte, sondern lediglich unterdrückte und dabei manchmal neue hervorrief. Wie Freud in seinem Nachruf auf Charcot bemerkte, hatte dieser die klinische Arbeit des»sehen(s) und Ordnen(s)«gegen die»übergriffe der theoretischen Medizin«verteidigt. Es war Charcots große Begabung, klinisch Neues zu sehen und zu entdecken, und sein Verdienst, sämtliche ihm zugänglichen Erscheinungsformen der Hysterie gesammelt, umfassend untersucht und systematisiert zu haben. Als eines Tages ein Hospitant eine klinische Beobachtung Charcots in Zweifel zog und mit den Worten abwehrte, das widerspreche doch der»theorie von Young-Helmholtz«, antwortete Charcot:»La théorie, c est bon, mais ça n`empêche pas d exister.«(»die Theorie, das ist gut, aber das kann nichts hindern, daß es existiert.«) Freud hielt ein Leben lang an dem Vorrang der Empirie fest. Im Jahr 1889 suchte Freud einen weiteren berühmten französischen Psychiater, Hippolyte Bernheim, auf, der ihn mit den Techniken der Suggestion vertraut machte. Anders als Charcot nutzte Bernheim die verbale Suggestion, um die Patienten von ihren hysterischen Symptomen zu befreien. Durch Charcot und Bernheim gewann die Hysterie als seelische Tatsache an Bedeutung. Mit Freud wanderte sie in die Psychopathologie ein, indem er sie endgültig von der Neurologie trennte. Die kathartische Methode Bereits 1880 lernte Freud in Wien den um 14 Jahre älteren Josef Breuer, einen bekannten Internisten und Physiologen, kennen. Obwohl die Freundschaft der beiden Mitte der 90er-Jahre ihr Ende fand, war die Begegnung für Freud entscheidend und äußerst folgenreich. Das berühmte Zeugnis ihrer Zusammenarbeit sind die»studien über Hysterie«, die in den Jahren zwischen 1893 1895 entstanden. Breuer veröffentlichte darin eine Krankengeschichte unter dem Pseudonym Anna O., Freud vier eigene Fälle. Anna O., eine hochintelligente und begabte Patientin mit schweren hysterischen Symptomen, wurde von Breuer in der Zeit von 1880 1882 behandelt. Zum Zeitpunkt der Erkrankung ist die Patientin 21 Jahre alt. Ihr Krankheitsbild imponiert durch einen Reichtum an Symptomen wie Bewusstseinsspaltungen oder dissoziativen Zustände, abnormen hypnoiden Phasen, Halluzinationen, Lähmungserscheinungen, schweren Seh- und Sprachstörungen. In bestimmten Perioden wechselt sie die Sprache und kann sich nur in Englisch,

1 Die Entdeckung des Unbewussten 15 Französisch oder Italienisch artikulieren. Ihre Symptome erwirbt sie anlässlich einer tödlichen Erkrankung ihres Vaters, den sie während dieser Zeit pflegt und dem sie leidenschaftlich zugeneigt ist. Anna O. wird häufig als Erfinderin der psychoanalytischen Kur genannt. Als sie eines Tages in einem ihrer hypnoiden Zustände Breuer ein Erlebnis, das im Zusammenhang mit dem zeitlichen Auftauchen eines Symptoms steht, schildert, verschwindet es. Von da an wiederholt sie das befreiende symptomlösende Ab- und Aussprechen der Schreckbilder und quälenden Erinnerungen. Anna O. charakterisierte den Vorgang zutreffend als»talking cure«, als Redekur, oder»chimney sweeping«, als Kaminfegen. Breuer machte sich ihre Einsicht als Heilverfahren zu eigen und bezeichnete es mit Blick auf die griechische Tragödie als Katharsis, als Reinigung. Mittels Hypnose werden die von der Erinnerung abgeschnittenen Anlässe für die hysterischen Symptome zugänglich und die ihnen zugehörigen unterdrückten Affekte abreagiert. Anna O., mit bürgerlichem Namen Bertha Pappenheim, geht als erster Fall einer geglückten Therapie in die Geschichte der Psychoanalyse ein, auch wenn der Heilungserfolg begrenzt ist. Freud selbst hat sich unterschiedlich dazu geäußert. Tatsächlich hält sich Anna O. nach ihrer Behandlung durch Breuer einige Zeit in dem Schweizer Sanatorium von Robert Binswanger auf. Die Anfänge der psychoanalytischen Methode Nicht alle hysterischen Patientinnen waren für Breuers kathartische Methode des Abreagierens der pathogenen Erinnerungen im Zustand der Hypnose empfänglich. Ein weiterer Nachteil zeigte sich in ihrem begrenzten Erfolg. Sie enttäuschte die therapeutische Erwartung, denn sie beseitigte lediglich die Symptome, nicht aber die Ursachen. Unter dem Eindruck der verschiedenen klinischen Erfahrungen entwickelte Freud in den folgenden Jahren einen neuen Begriff von Krankheit und eine eigene psychoanalytische Technik, die das Verhältnis zwischen Arzt und Patient grundlegend veränderte. Insbesondere die weiblichen Patienten leisteten in diesem Prozess gute Dienste und Freud erwies sich als ihr aufmerksamer Zuhörer. So belehrte ihn Emmy von N., ihre Erlebnisse von sich aus schildern zu wollen, ohne auf suggestive Weise bedrängt und befragt zu werden. Schließlich hörte Freud auf, die Patienten zu beeinflussen, und ging dazu über, ihnen zu folgen. Er verließ die präanalytischen Methoden und verzichtete auf die Technik der Hypnose.

16 Freud im Profil Mit diesem Verzicht setzt die Geschichte der eigentlichen Psychoanalyse ein. Er bereitet der Methode der freien Assoziation und der daran anschließenden Deutungskunst den Weg, die zusammen das Bewusstwerden von Erlebnissen unter Hypnose ersetzen. Das spezifisch psychoanalytische Verfahren der freien Assoziation beruht auf der Annahme, dass die freien Einfälle zwar spontan, aber keineswegs zufällig erfolgen, sondern immer in einer inneren Verbindung mit den verborgenen, unbekannten Motiven eines Symptoms stehen. Als Zugang zum Unbewussten wurde die freie Assoziation später von Freud zur technischen Grundregel der psychoanalytischen Behandlung erhoben. Sie fordert den Patienten auf, frei zu assoziieren, also alle auftauchenden Vorstellungen, Gedanken und Gefühle dem Therapeuten mitzuteilen, ohne einen Einfall als unvernünftig, unsinnig oder unwichtig beiseitezuschieben, ohne angeblich nicht zur Sache Gehöriges aus der Mitteilung auszuschließen und ohne als peinlich, als beschämend und als unangenehm empfundene Gedanken zu übergehen. Das hysterische Symptom als Produkt eines Abwehrvorgangs Freud entdeckte die»kraft des Widerstands«, der die Bewusstwerdung unbewusster Vorstellungen verhinderte. Sein Maß entspricht der Abwehr, die das Ich aufwendet, um einen Gedanken, der das Gefühl von Scham oder seelischem Schmerz wachruft, aus dem Bewusstsein zu verdrängen, also unbewusst zu machen. Pathogen wirkende Vorstellungen entstehen demzufolge aus dem Umstand, dass sie abgewehrt werden. In der Hysterie wird die Vorstellung unschädlich gemacht, indem der Affekt von der Vorstellung getrennt wird. Der Affektbetrag oder die Erregungssumme übersetzt sich anschließend in ein körperliches Symptom. Die unerträgliche Vorstellung ist somit von einer weiteren Erledigung durch die bewusste Tätigkeit des Denkens, des Urteilens und der assoziativen Verarbeitung abgeschnitten. Die Abfuhr des Affektbetrags hatte nach Freud kathartische Wirkung. Wenn sie unterbleibt, wandelt sich ein unangenehmer Vorfall in eine traumatisierende Ursache und entfaltet auf diese Weise eine pathogene Wirkung. Der Konflikt taucht dann verschoben und als solcher unerkennbar in körperlichen Symptomen wieder auf, die den seelischen Schmerz vertreten. Der eben beschriebene Vorgang ist das wesentliche Merkmal der Konversionshysterie, bei der ein seelischer Konflikt durch die Konversion in somatische Symptome gelöst wird.

1 Die Entdeckung des Unbewussten 17 Lücken und Mängel in der Wiedergabe eines Erlebnisses sind stets ein sicheres Zeichen für unbewusste, dem Kranken verborgen gebliebene Motive. Da der Widerstand des Patienten einen einfachen Zugang zum pathogenen Erlebnis verhindert, sind zahlreiche Annäherungen durch assoziative Gedankenreihen zu seiner Aufklärung notwendig. Dieser Vorgang verweist einerseits auf die freie Assoziation und nimmt andererseits den psychoanalytischen Arbeitsbegriff vorweg, den Freud später in seiner behandlungstechnischen Schrift»Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten«(1914) ausführte. Sexuelle Motive als Ursache hysterischer Symptome Freud hörte aus den Berichten und Einfällen seiner Patientinnen zunehmend den erotischen Hintergrund und die Anspielungen auf sexuelle Wünsche und Konflikte heraus. Schon Breuer äußerte die Ansicht, dass»die große Mehrzahl der schweren Neurosen bei Frauen... dem Ehebett entstamme«, ohne sich tatsächlich für die sexuelle Ätiologie der Hysterie zu interessieren. Zu diesem Zeitpunkt ist die inzestuöse ödipale Phantasie und der Ödipuskomplex als zentraler Konflikt der psychischen Entwicklung noch nicht entdeckt. Aus diesem Grund führte Freud in den»studien«die hysterischen Symptome auf konkrete Umstände und Ereignisse zurück. Erst später erkannte Freud den Zusammenhang zwischen Hysterie und infantilen, aus der Zeit des Ödipuskomplexes stammenden Konflikten. Die hysterischen Symptome von Elisabeth von R. sind beispielsweise der Tatsache geschuldet, dass sie in den Ehemann der Schwester verliebt ist. Als ihre Schwester schwer erkrankt und wenig später stirbt, steht sie wenige Zeit später gemeinsam mit ihrem Schwager am Totenbett. In diesem Augenblick durchzuckt sie der Gedanke:»Jetzt ist er wieder frei, und ich kann seine Frau werden.«in der Behandlung enthüllt die Reproduktion der Erinnerungen die unangenehme Vorstellung, die sich mit ihren moralischen Ansprüchen als unvereinbar erweist. Die peinliche und schuldbeladene Empfindung, unmoralisch und schlecht zu sein, führt zur Konversion in somatische Symptome. Diese und andere Fallgeschichten überzeugten Freud davon, dass die»ätiologie in sexuellen Momenten zu suchen sei«. Der Begriff der Verdrängung als der zentrale Abwehrmechanismus der Hysterie ist in den»studien über Hysterie«noch nicht entwickelt. Damals ging Freud davon aus, dass unangenehme Vorstellungen, meist sexueller Herkunft, vom Bewusstsein abgehalten werden.

Personenregister Alfred Adler 52 Amenohotep IV. 114 Anna O. (Berta Pappenheim) 14, 15 Didier Anzieu 18 Jan Assmann 106 Hermann Beland 19 Hippolyte Bernheim 14 Eugen Bleuler 66 Robert Binswanger 15 Josef Breuer 14, 15, 17, 39, 54 Cäcilie M. 18 Jean-Martin Charcot 13, 14 Auguste Comte 82 Charles Darwin 90 Echnaton 114 Elisabeth von R. 17 Havellock Ellis 27 Emmy von N. 15, 39 Wilhelm Fließ 21, 28, 41, 43, 54, 55, 56, 77 James George Frazer 84, 93, 94 Anna Freud 39 Georg Groddeck 77 Magnus Hirschfeld 27 Karen Horney 34, 39 Jokaste 44, 45, 50 Ernest Jones 34 Carl Gustav Jung 52 f., 62 Melanie Klein 10, 34, 39, 40 Richard von Krafft-Ebing 27 Jacques Lacan 10, 60 Claude Lévi-Strauss 84 Barbara Low 74 Jeffrey M. Masson 43 Theodor Meynert 54 Moses 92, 93, 106, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118 Ödipus 41, 43, 44, 45 Ovid 59 Paulus 118 Oskar Pfister 108 Otto Rank 113 Daniel Paul Schreber 60, 61 Ernst Sellin 115 Robertson Smith 90 Mark Solms 11 Sophokles 44 Karl Stockreiter 118 Edvard Westermarck 93 Arnold Zweig 112

Begriffsregister Abfuhr 16, 64, 76 Affektbetrag 16, 68 Aggression 5, 70, 74, 95, 97, 99, 101-105 Aggressionstrieb 70, 102, 104 Allmacht der Gedanken 61, 83, 88 Ambivalenz, ambivalent 35, 66, 67, 83, 86, 87, 89, 91, 93 Amnesie, infantile 30 anale Zone (Körperzone) 29, 32, 65 archaische Erbschaft 118, 119 Assoziation, freie 16, 17, 23 Autoerotismus 60, 62 autoerotisch 31, 61, 65, 67 Besetzung 60-63, 73 Bewusstsein 16, 17, 19, 25, 49, 58, 63-65, 68, 76, 78, 119 dynamisch 53, 63, 65, 76, 77 Entstellung 22 erogene Zone (Körperzone) 29, 31, 35, 37 Eros 74, 102, 103 Erregung (-en) 29, 32, 56-58, 73, 77 Es 49, 75, 76, 77, 78, 79 Fehlleistungen 24, 25 Fortpflanzung, Fortpflanzungsfunktion 28, 29, 30, 37, 49, 66, 93 genital 29, 31, 32, 36, 37, 51, 65, 100 Genitale (männlich, weiblich) 23, 33, 34, 47 Genitalprimat (Primat der Genitalität) 28, 29, 37 Größenwahn 60, 61 Halluzination 14, 57, 58 Homosexualität 27, 28, 29 Hypnose 13, 15, 16, 18 Hysterie 13, 14, 16, 17, 21, 42, 71, 108 Ich 49, 50, 53, 55, 57, 59-64, 67-69, 75-80, 97, 98, 103, 104 Ichfunktionen (Funktionen des Ichs, Ich-Funktion) 60, 76, 77 Ich- oder Selbsterhaltungstriebe 62, 64, 65, 70, 75 Ichideal 49, 50, 69, 79 Idealich 68, 69 Identifikation, Identifizierung 28, 31, 34, 47, 49, 50, 89, 91, 104 Infantile Sexualität 26, 27, 30-32, 37 Inzesttabu 27, 45, 46, 83, 92, 93, Inzestscheu 85, 94 inzestuöser Wunsch 35, 44, 46, 48, 86, 89 Kastrationsangst 34-36, 50 Kastrationsdrohung 34, 35, 42, 47, 48, 89 Kastrationskomplex 32, 34 kastriertes weibliches Genitale (Geschlecht) 34, 39, 47 Katharsis, kathartisches Verfahren 14-16 Klitoris 32, 33, 36 Konstanzprinzip 56 Konversionshysterie 16 Kultur 66, 81-84, 89, 90, 92, 94-97, 99, 100-106, 109, 112 Kulturentwicklung 99, 101-103, 105 Kulturfeindlichkeit, kulturfeindlich 81, 84, 95, 101, 108 Latenzperiode 36, 116 Lebenstriebe 70, 74 Libido 38, 53, 61, 62, 71, 77 Lustprinzip 63, 64, 66, 70, 77, 98, 99, 103 Masochismus 27, 29, 66, 74, 75 Masturbation 34, 36, 89 Metapsychologie 52 metapsychologisch 22, 54, 62, 63

134 Serviceteil nachträglich, Nachträglichkeit 91 Narzissmus 59-61, 63, 68, 74, 79, 88 Neurose 13, 17, 29, 34, 38, 55, 70, 78, 83, 86, 89, 97, 99, 108, 111 traumatische Neurose (Unfallneurose, Schicksalsneurose) 70, 72, 73 Nirwanaprinzip 74 Not des Lebens 99, 110 Ödipuskomplex 17, 31, 33-36, 38, 41, 44, 45-50, 79, 89, 90, 113 Ödipusmythos 43, 44, 50 orale Zone (orale Stufe, orale Phase) 29, 31, 32, 67 Partialtrieb (-e) 28, 29, 65, 66 Penisneid 35, 39, 40, 49 Perversion 26-29, 42, 99 phallische Phase 33-35, 49 Phallus 34, 48 polymorph pervers 31 prägenitale Stufen (Stadien oder Phasen) 31-33, 39 präödipale Mutterbeziehung (Mutterbindung) 10, 40 Primärprozess (-e, Primärvorgänge) 22, 56, 57, 59 Psychischer (seelischer) Apparat 53, 57, 58, 61, 63, 64, 69, 72, 73, 75 Psychopathologie 24, 27, 51, 54, 112 Pubertät 26, 30, 34, 36, 37, 51 Reaktionsbildung 36, 74, 103, 113 Realitätsprinzip 64, 66, 98 Realitätsprüfung 76 Regression 58, 61, 84, 97, 98 Reiz (-e) 31, 54, 55, 57, 58, 63, 65, 73 Reizschutz 72, 73 Religion 50, 82, 84, 89, 93, 97, 98, 106, 108-116, 118 Rücksicht auf Darstellbarkeit (Traum) 22, 23 Sadismus 27, 29, 74, 75 Schlafwunsch 21, 63 Schuldgefühl (-e) 20, 29, 78, 80, 90, 104, 105, 118 sekundäre Bearbeitung 24 Sekundärprozess (-e, Sekundärvorgänge oder sekundäre Prozesse oder Vorgänge) 22, 56, 57, 63 Selbsterhaltungstriebe 65, 66, 70, 74, 75 Sexualobjekt 28, 33, 36, 48, 49, 51, 59, 92, 100 Sexualtheorie 26, 27, 42, 61 Sexualtrieb (-e) 28, 30, 31, 36, 62, 64-67, 70, 74, 102 Strafbedürfnis 72, 75, 104 Sublimierung 66, 68, 69, 74, 102, 108 Symptom (-e) 13-18, 21, 23, 42, 43, 68, 70, 72, 83, 84, 108, 113, 116 Symptombildung 25, 29, 59, 83 System Unbewußt 22, 58, 59 System Vorbewußt 22, 53, 58, 63, 75-77 Tabu (-s) 44, 45, 83-85, 87, 88, 90, 94, 106, 115 Tierphobie 89 Todestrieb 9, 70, 72-74, 76, 103, 104 Topik, topisch 53, 55, 57 topisches Modell, erstes 22, 53, 57, 76 topisches Modell, zweites 49, 53, 75, 76 Totem 44, 83-86, 89, 90-92, 106, 115, 118 Totemismus 84, 85, 89, 90, 92, 93, 106 Trägheitsprinzip 56 Traum 18, 19, 20-24, 58, 59, 71 Traumarbeit 22-24 Traumdeutung 18, 19, 24, 44, 53, 55, 57, 63, 71 Traumgedanken, latente 22, 23, 58 Trauminhalt, manifester 22-24, 59

Begriffsregister 135 Traumwunsch 21, 22 Traumzensor (Traumzensur) 22, 59, 76 Trieb(-e) 28, 29, 60, 62, 64-66, 68, 69, 73, 74, 77, 100 Triebentwicklung (Entwicklung der Triebe) 29, 31, 64, 66 Triebobjekt(-e) 65, 66 Triebschicksale 64, 66, 68 Triebunterdrückung 66 Triebverzicht 91, 95, 96, 102, 105, 111, 117 Triebziel (-e) 65, 66, 69 Über-Ich 35, 38, 40, 49, 50, 53, 55, 69, 75, 77-80, 104, 105 Über-Ich (kulturelles), 95, 96, 104 Übertragung 71 Übertragungswiderstand 70-72 Unbewusstes 7, 10, 13, 16, 18, 19, 23, 35, 42, 58, 68, 76, 77 unbewusst 16, 17, 19, 22, 29, 41, 43, 45, 52, 58, 63, 71, 72, 76-78, 81, 97, 105-107, 119 Unlustvermeidung 68, 69 Urphantasien 42 Urtrauma 112 Urvatermord (Mord am Urvater) 90, 92, 115, 116, 118 Urverdrängung 68 Vagina 34, 35 Verdichtung 22, 25, 59, 68 Verdrängung 8, 17, 30, 36, 41, 43, 53, 66, 68, 72, 73, 76, 78, 102, 108, 111, 116 Verführungstheorie 41, 43 Verschiebung 22, 23, 25, 59, 68 Wiederholungszwang 70, 72, 73 Wiederkehr des Verdrängten 68, 115 Widerstand, (Heilungs-/Übertragungswiderstand) 16, 17, 30, 41, 44, 53, 63, 70, 71, 77, 78 Wunscherfüllung 21, 22, 71, 110 Zivilisation 81, 95, 99, 105, 119 Zwangsneurose 83, 88, 108, 110, 111 zweizeitiger Ansatz der Sexualentwicklung 36