Möglichkeiten zur Ermittlung des Ernährungszustandes (insbesondere Mangelernährung) Definition Mangelernährung Unter Mangelernährung versteht man jede Störung des Ernährungszustandes durch die mangelnde Aufnahme oder mangelnde Verwertung von Nährstoffen und/oder durch die Beeinträchtigung des Stoffwechsels (Katabolie). Formen der Mangelernährung - Krankheitsassoziierter Gewichtsverlust o unbeabsichtigter, signifikanter Gewichtsverlust (>10% in 6 Monaten) mit Zeichen der Krankheitsaktivität (u.a. Fieber, Schmerzen, Nachtschweiß) - Eiweißmangel o Verminderter Körpereiweißbestand (Verlust von Muskelmasse und Plasmaproteinen) - Spezifischer Nährstoffmangel o Defizite an essenziellen Nährstoffen (u.a. Vitamine, Spurenelementen) Ermittlung des Ernährungszustandes Bei der Beurteilung des Ernährungszustandes ergeben sich insofern Probleme, dass der Ernährungszustand durch verschiedene Faktoren (Zufuhr, Körperressourcen, Stoffwechselvorgänge, Verlust) beeinflusst wird. Methoden 1. Klinisches Bild 2. Ernährungsanamnese - Ernährungsprotokoll - Fragebögen (SGA) 3. Gewichtskontrolle und Körpergröße 4. Anthropometrie - Trizeptshautfaltendicke - Oberarmumfang - Infrarot Interaktanz - BMI 5. Technische Verfahren Bioelektrische Impedanzanalyse Gesamtkörperkalium Dexa Dilutionsmethoden Hydrostisches Wiegen Luft Verdrängungs Technik 6. Laborparameter
1. Klinisches Bild Inspektion Die körperliche Untersuchung kann Hinweise auf eine Energie-Protein, -Vitamin oder Spurenelementmangelernährung liefern. Generell kann man Versorgungsdefizite am deutlichsten an Geweben mit großen Umsatzraten erkennen. Somit lassen sich insbesondere bei Haaren, der Haut und der Mundschleimhaut Auffälligkeiten feststellen. Palpation Überprüfung der Hauttemperatur, des Hautturgors, des Pulses sowie abtasten innerer Organe Perkussion Klopfuntersuchungen der Körperoberfläche, um auf Erkenntnisse des Schalls der Organe, Rückschlüsse ziehen zu können Auskulation Abhorchen mit Hilfe des Stethoskop (u.a. Herz, Lunge, Darm). Zudem werden die Reflexe des Nervensystems und der Blutdruck überprüft. Vorteil: Stellt eindeutige Hinweise der Fehl- und Mangelernährung da wie u.a. der Muskelatrophie, Hautläsionen und Hydratationszustand. Nachteil: - klinische Zeichen sind erst sehr spät während der Entwicklung einer Mangelernährung erkennbar 2. Ernährungsanamnese Ernährungsprotokoll Unzureichende spontane Nahrungsaufnahme z.b. infolge von Appetitlosigkeit ist eine der häufigsten Ursachen für die Entwicklung der Unterernährung. Die qualitative und quantitative Anamnese der täglichen Nahrungsaufnahme ist deshalb ein wichtiges Diagnostikum zur Verifizierung einer drohenden oder vorhandenen Mangelernährung. Die Ernährungsanamnese gibt zudem Aufschluss über individuelle Ernährungsgewohnheiten und Ernährungsbedürfnisse eines Patienten. Mittels des Ernährungsprotokolls soll Ernährungsgewohnheiten (wo, wann, warum) Art und Menge der Verzehrten Lebensmittel ermittelt werden. Mit Hilfe des Ernährungsprotokolls können individuelle Ernährungsfehler, Fehlernährung oder Mangelernährung aufgedeckt werden. 24 h Recall Der Patient schreibt auf, was er den Tag zuvor gegessen und getrunken hat. Vorteil: - Schnell, guter Einblick - geringe Belastung
Nachteil: - hohes Erinnerungsvermögen des Patienten erforderlich - grobe Abschätzung der Menge Fragebogen (Subjective Global Assessement) Der SGA ist ein einfacher, ohne apparativen Aufwand von Ärzten oder medizinischen personal durchzuführende und reproduzierbare Methode zur Einschätzung des Ernährungszustandes. Auf Grundlage von Anamnese (Gewichtsverlust, Veränderung in der Nahrungszufuhr, gastrointestinale Symptome, Leistungsfähigkeit, Grunderkrankung) und klinischer Untersuchung (Verlust subkutanem Fettgewebe, Muskelmasse, Ödem) schätzt der Untersucher den Ernährungszustand des Patienten ein als: A: gut ernährt B: mäßig mangelernährt C: schwer mangelernährt Die Zuordnung ergibt sich allein auf Grundlage der subjektiven Bewertung durch den Untersucher und nicht durch ein gewichtetes Punkteschema. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Merkmalen: - Gewichtverlust - Verminderte Nahrungszufuhr - Verlust von subkutanem Fettgewebe - Muskelschwund Vorteile: - einfache Anwendung - geringer Zeitaufwand - kein apparativer Aufwand - kostengünstig - Ergebnis sofort verfügbar - Anwendung durch Ärzte oder medizinisches Pflegepersonal - Leicht erlernbar Nachteile - mäßig gute Reproduzierbarkeit zwischen unterschiedlichen Untersuchern - nicht geeignet für Verlaufsuntersuchung - Spezifität geringer als Sensitivität, d.h. Patienten mit geringer Mangelernährung werden evtl. nicht erkannt 3. Gewichtskontrolle Um eine krankheitsassozierte Mangelernährung festzustellen, ist es v.a. wichtig den Gewichtsverlust in den letzten 6 Monaten zu bestimmen. Die einfachste und wichtigste Methode zur Gewichtskontrolle ist das regelmäßige wiegen. Damit lässt sich eine vernünftige Verlaufskontrolle der Gewichtsentwicklung durchführen.
Die Gewichtsabnahme ist bei verschiedenen Krankheiten (z.b. chronische Erkrankungen) ein relativ guter valider Parameter und ihre Bewertung fließt in alle Ernährungsbeurteilungen ein. Eine Gewichtsabnahme wird durch geänderte Stoffwechselbedingungen, durch einen gesteigerten Energieverbrauch (Katabolie), durch Malabsorptionsstörungen und externe Verluste (Fisteln) herbeigeführt. Ein Gewichtsverlust führt auch zu einer Abnahme des BMI s. Bei einer Gewichtsabnahme von > 10% innerhalb der letzten 6 Monaten bzw. > 5% in den vorangegangen 3 Monaten spricht man von einer schweren Mangelernährung Vorteile: - einfach - kostengünstig Nachteile: - beim gestörter Flüssigkeitshaushalt ist die Beurteilung des Körpergewichts schwierig 4. Anthropometrie Body Mass Index Zur Beurteilung des relativen Körpergewichts bei Erwachsenen hat sich international der BMI durchgesetzt, der relativ eng mit dem Körperfettgehalt korreliert. Unter dem Body Mass Index (BMI) versteht man den Quotienten aus Körpergewicht (in kg) und dem Quadrat der Körpergröße (in m_). Klassifikation BMI männlich weiblich Untergewicht < 20 < 19 Normalgewicht 20-25 19-24 Übergewicht 25-30 24-30 Adipositas 30-40 30-40 massive Adipositas > 40 > 40 Vorteile: - einfach - kostengünstig - schnell Nachteile: - beim gestörter Flüssigkeitshaushalt ist die Beurteilung des Körpergewichtsschwierig und somit auch des BMI Hautfaltendicke - annähernd 50% des gesamten Depotfetts liegen im subkutanen Fettgewebe Beurteilung des Fettanteils möglich Normal Unterernährung Prozentwert Männer [mm] Frauen [mm] 110 90% 13,7 11,3 18,1 14,9 mild mäßig Schwer <80% <60% 9,9 7,5 <7,5 13,1 9,8 <9,8 <90% 11,2 10,0 14,8 13,2 Tab.: Standardwerte und Klassifizierung der Abweichung für Trizepshautfaltendicke in mm und Angabe in Prozentwerten (mod. Nach Blackburn 1979)
Vorteile: - einfach und schnell durchführbar Nachteile: - untersucherabhängig - keine Aussagen über kurzfristige Veränderungen - nur begrenzte Referenzdaten vorhanden Oberarmmuskelumfang - der Oberarmmuskelumfang (OAM) wird aus dem Oberarmumfang (OAU) und der Trizepshautfaltendicke (TSF) berechnet: OAM [cm] = OAU [cm] (0,314*TSF [cm]) - dies ermöglicht grobe Abschätzung der Muskelmasse und somit indirekt die Bestimmung der Eiweißreserven Prozentwert Männer [mm] Frauen [mm] Normal 110 90% 27,8 22,8 22,5 20,9 Unterernährung mild mäßig Schwer <80% <60% 20,1 15,1 <15,1 18,5 13,9 <13,9 <90% 22,7 20,2 20,8 18,6 Tab.: Standardwerte und Klassifizierung der Abweichung für Armmuskelumfang in cm und Angabe in Prozentwerten (mod. Nach Blackburn 1979) Vorteile: - einfach und schnell durchführbar Nachteile: - untersucherabhängig - keine Aussagen über kurzfristige Veränderungen - nur begrenzte Referenzdaten vorhanden
Infrarot-Interaktanz Diese Methode nutzt ungefährliches Infrarot-Licht, um mit einer Nah-Infrarot-Sonde auf dem Bizeps des dominanten Arms den prozentualen Gesamt-Körperfettanteil zu messen. 5. Technische Verfahren Bioelektrische Impedanzanalyse Die Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) ist ein einfaches, nicht invasives Verfahren zur Erfassung der Körperzusammensetzung mittels elektrischen Wechselstroms. Der Wechselstrom wird in 3 unterschiedlichen Stärken (5, 50, 100 khz) durch den Körper geleitet. Aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung der Gewebe, kommt es zu unterschiedlichen Widerständen. Auf deren Grundlagen könnten Aussagen zur Körperzusammensetzung getroffen werden. Die Bioelektrische Impedanzanalyse beruht auf dem 3 Kompartimenten Modell.
Beim 3 Kompartimenten Modell wird neben dem Körperfett auch die Magermasse ermittelt. Diese setzt sich zusammen aus der Körperzellmasse BCM (v.a. Muskulatur) und der Extrazellulären Masse ECM (u.a. Bindegewebe). So können z.b. Verschiebungen zwischen der Körperzellmasse und Extrazellulärer Masse mit einem stabilen Körpergewicht einhergehen. Daten der Bioelektrischen Impedanz Analyse Körperzellmasse (BCM) Körperzellmasse (BCM) ist die Summe aller aktiv am Stoffwechsel beteiligten Zellen (Motor des Organismus) Skelettmuskulatur Herzmuskulatur Glatte Muskulatur Innere Organe Die BCM ist eine zentrale Größe zur Beurteilung des Ernährungszustandes. Extrazelluläre Masse (ECM) Die Extrazelluläre Masse (ECM) besitzt im Körper vor allem Stütz- und Transportfunktionen. Bindegewebe Sehen Haut Blutplasma Knochen % - Zellanteil Der %-Zellanteil gibt den prozentualen Anteil von Zellen der BCM innerhalb der Magermasse an. Er stellt einen guten Parameter zur Beurteilung der Qualität der Magermasse dar. Normabereich Männer: 53 59 % Normalbereich Frauen: 50 56 %
Phasenwinkel Anhand des Phasenwinkels kann man Aussagen zum Ernährungs- und Trainingszustand der Muskelmasse machen. Gut ernährte und gut trainierte Zellen weisen eine hohe Membranintegrität auf und somit auch einen hohen Phasenwinkel, wohingegen schlecht ernährte und schlecht trainierte Zellen eher welk erscheinen und eine geringe Membranintegrität und einen niedrigen Phasenwinkel aufweisen. Übersicht Phasenwinkel Frauen Männer Beurteilung 6,0-6,4 6,5-6,9 gut 5,5-5,9 6,0-6,4 befriedigend 5,0-5,4 5,5-5,9 ausreichend 5,0-5,4 4,4-5,4 mangelhaft < 4 < 4,5 ungenügend Gesamtkörperkalium Fett ist kaliumfrei und Knochen enthalten nur Spuren von Kalium. Somit befindet sich praktisch das gesamte Körperkalium (98%) in den Zellen der Körperzellmasse. Das natürliche, radioaktive Isotop K40 ist mit einem Anteil von 0,012% am Gesamtkalium vertreten. Durch die Messung des Isotops K40 kann man auf das Ganzkörperkalium und dann auf die Körperzellmasse rückschließen. Die Messung erfolgt in einer Ganzkörper- Zählkammer.
DEXA (Dual Energy X-ray Absorptiometry) Die DEXA wird mit einem speziellen Röntgengerät bei sehr niedriger Strahlendosis durchgeführt. Es werden zwei Photonenstrahlen unterschiedlicher Energiestufen verwandt, daher der Name der Methode. Mittels DEXA können Knochenmasse, Fettmasse und Fettfreie Masse unterschieden werden. Dilutionsmethoden Die Verdünnungstechniken werden meistens zur Bestimmung des gesamt Körperwassers eingesetzt. Als nicht-radioaktiver Tracer wird deuteriertes Wasser eingesetzt, das sich,genau wie normales Wasser, im gesamten Körpr frei verteilt. Ca. 2 Stunden nach Gabe wird die Konzentration an Deuterium mittels Gaschromatographie oder Massen-Spektrometrie in Urin und Blut ermittelt und auf das Ganzkörperwasser rückgeschlossen. Hydrostatisches Wiegen Diese Methode beruht auf dem Prinzip von Archimides, das die Dichtebestimmung des Körpers über das Gewicht und das Volumen des verdrängten Wassers erlaubt. Mit diesem Verfahren läßt sich auf das Körperfett schließen. Es ist aber recht aufwendig. Die Patienten müssen unter Wasser ausatmen und für 15 sec. Die Luft anhalten. Die Messung muss mehrfach wiederholt werden und dauert bis zu 60 Minuten. Luft Verdrängungs Technik (BOD POD) Dies stellt eine Weiterentwicklung des hydrostatischen Wiegens dar. Hierbei wird nicht mehr das Volumen des verdrängten Wassers, sondern das Volumen der verdrängten Luft bestimmt. Mittels der Siri Gleichung kann aus der Dichte auf den Anteil des Körperfetts geschlossen werden. 6. Laborparameter - zur genaueren Beurteilung des Ernährungszustandes stehen zahlreiche biochemische und immunologische Parameter zur Verfügung - diese werden jedoch vielfach durch die bestehende Krankheit beeinflusst (BZ, TG etc.) Plasmaproteine - das Serumalbumin kann als valider Parameter zur Bestimmung des Ernährungszustandes angesehen werden - chronische Mangelzustände gehen mit einem starken Abfall der Albuminkonzentration einher und erholt sich rasch mit Beginn einer ausreichenden Ernährung - Grenzwert für klinischen Eiweißmangel: 30-35 g/l - Korrelation zwischen Höhe des Serumalbumins und der Infektionsgefährdung - - Nachteil: die Aussagekraft ist im weiteren Krankheitsverlauf eingeschränkt (z.b. schwere Sepsis, Verbrennungstraumen)
- Gesamteiweiß korreliert mit dem Serumalbumin und kann als Ersatzparameter verwendet werden Kreatinin - kann im 24 h Urin zur Einschätzung der Muskelmasse herangezogen werden - die Menge der Kreatininausscheidung ist proportional zur Gesamtkörpermuskelmasse - der Kreatinin-Größen-Index (KGI) bietet Referenzwerte bezogen auf den Erwartungswert einen gesunden Erwachsenen mit gleicher Körpergröße Lymphozyten Nachteil: verschiedene Einflussfaktoren müssen berücksichtigt werden: u.a. Niereninsuffizienz, vegane oder Fleischreiche Kost - für die Erfassung des Immunstatus wird die absolute Lymphozytenzahl im Blut und mit verschieden Antigenen eine Intrakutantestung durchgeführt und gemessen - die Lymphozytenzahl verringert sich mit zunehmender Mangelernährung - auch das System der T-Lymphozyten und T-Suppressorzellen ist betroffen Triglyceride Nachteil: die Aussagekraft dieser Tests ist begrenzt - mit zunehmender Mangelernährung vermindern sich die Triglyceride und es kann zur Stoffwechselentgleisung mit zunehmenden freien Fettsäuren im Serum und Bildung von Ketonkörpern kommen Cholesterin - mit zunehmender Mangelernährung können die Werte unter 100 mg/dl abfallen, es ist ein sensitiver Parameter für die chronische Mangelernährung Zusammenfassung Zur Erfassung des Ernährungszustandes sollte man mehrere Methoden gleichzeitig heranziehen. Bislang gibt es keine Methode die den Ernährungsstatus für sich zufrieden stellend Beurteilen kann
Abb.: Portfolio der einzelnen Parameter zur Erfassung des Ernährungszustands anhand von technischer Durchführbarkeit bzw. technischer Fehleranfälligkeit und Aussagekraft