Technologie und Innovation als Ausweg aus dem Umwelt-Wachstum Dilemma? 4. Österreichische Entwicklungstagung 2008 14.-16. November 2008, Innsbruck Dr. Andreas Stamm, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik www.die-gdi.de 1
Das normative Dilemma zu Beginn des neuen Millennium Die Weltgemeinschaft hat sich zu zwei Agenden verpflichtet, die nur schwer vereinbar sind: 1. Entwicklungsagenda (MDG1): Rasche Bekämpfung der Armut und Herstellung angemessener Lebensbedingungen in allen Weltregionen (horizontale Gerechtigkeit). 2. Nachhaltigkeitsagenda (MDG7): Sicherung der Umwelt und der Ressourcenbasis für die künftigen Generationen (Generationengerechtigkeit). Während 1) eher eine Begrenzung des Wirtschaftswachstums implizieren würde, verlangt 2) im Gegenteil beschleunigtes Wachstum vor allem in den Entwicklungsländern. 2
Ein globales System kommunizierender Röhren? Eine drastische Reduzierung des Ressourcenverbrauchs in den IL könnte den EL das für die Überwindung der Armut notwendige Wachstum ermöglicht werden, ohne dass die globale Umwelt an die Systemgrenzen stößt. Aber: Der ökologische Fußabdruck der IL wird nicht kleiner, sondern größer; in der EU steigt trotz niedriger Wachstumsraten der absolute Energieverbrauch. Entwicklungsländer Industrieländer und: das rasche Wachstum in einigen EL macht das Modell kommunizierender Röhren hinfällig. 3
Global challenge: meeting increasing transport needs... 2500 Total Vehicles (millions) 2000 2080 1500 1000 812 617 1172 908 OECD Non-OECD Total World 500 0 122 195 115 9 1960 2002 2030 Source: Dargay / Gately / Sommer 2007 4
Global challenge:... limiting further increases in GHG emissions Source: US-EIA 2007 5
Eine Leitfrage und zwei Hypothesen Welchen Beitrag kann ein veränderter Lebensstil in den OECD Ländern leisten? Wir brauchen (baldige) technologische Durchbrüche, um die Entwicklungs- und die Nachhaltigkeitsagenda zu versöhnen! Internationale Kooperation und Global Governance in Forschung und Technologie als Antwort auf globale Herausforderungen 6
Lebensstil ändern aber wie? Konsumarmer Lebensstil im Norden als Antwort auf Ressourcenkrisen wurde in den vergangenen 40 Jahren immer wieder diskutiert. Umfassende Veränderungen sind ausgeblieben, allerdings haben im einzelnen wichtige Anpassungen stattgefunden (Bioprodukte, Fairer Handel, Rohstoff-Recycling). Strukturelle Barrieren eines umfassenden Wandels im Lebensstil: Logik kapitalistisch verfasster Wirtschaften Was ist ein nachhaltiger Konsum? Logik kollektiven Handelns in einer freien Gesellschaft 7
Barrieren eines umfassenden Wandels zu einem nachhaltigen Lebensstil 1. Es gibt kein Modell, wie eine kapitalistisch verfasste Wirtschaft dauerhaft ohne Wachstum auskommen kann (weder in der Praxis noch in der Theorie). Alternative(n)? 2. Für das Individuum ist nicht zu überblicken, welche Konsumentscheidungen tatsächlich im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung sind. Konsumverzicht kann massive nicht intendierte Folgen haben, die gegen eine nachhaltige Entwicklung wirken (Costa Rica). und 3 8
Der Zustand aller menschlichen Moral lässt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: We ought to but we don t (Kurt Tucholsky) Verzichte ich aus Gründen der Nachhaltigkeit auf meine Urlaubsreise, dann profitiert grundsätzlich auch mein Kollege, der mit seiner Freundin über Ostern zum Tauchurlaub nach Bali jettet 9
Zwischenfazit Veränderte Lebensstile in den OECD-Ländern können dazu beitragen, die Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenden zu harmonisieren. Gezielte Kaufentscheidungen benötigen kluge und transparente Bewertungs- und Zertifizierungsmodelle (Fairtrade). Es ist nicht absehbar, dass über veränderte Lebensstile alleine das Wachstums-Umwelt-Dilemma gelöst werden könnte! Daher: Technologie und Innovation müssen gezielt zu einer massiven Steigerung der Ressourcenproduktivität und zum Übergang in eine low carbon economy eingesetzt werden! 10
Globale Herausforderungen erfordern globale Anstrengungen bei Forschung und Technologie Beschleunigter Transfer von Umwelttechnologien erfordert eine Neubewertung der Regulierung von Intellektuellen Eigentumsrechten (öffentlich, privat). Institutionelle Regelungen zur raschen Diffusion vorhandener ressourcenschonender Technologien (Energieeinspeisegesetz). Stärkung der Innovationsfähigkeit in den Entwicklungsländern. Internationale F&E-Kooperationen zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen. 11
Individuelle Mobilität ökologisch nachhaltig machen Beispiel: Biodiesel aus Jatropha, technisch machbar, noch bestehen aber keine (ökonomisch, sozial und ökologisch) nachhaltigen Betriebssysteme. 2500 Total Vehicles (millions) 2000 2080 1500 1000 812 617 1172 908 OECD Non-OECD Total World 500 0 122 195 115 9 1960 2002 2030 12
Nachhaltige Energieversorgung sicherstellen IEA erwartet einen Anstieg des weltweiten Primärenergiebedarfs von 11,4 Mrd. TOE (2005) auf 17,7 Mrd. TOE im Jahr 2030 (+ 55%). Entwicklungslände (einschließlich China and India) werden zu etwa 74% für diesen Anstieg verantwortlich sein. Etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt heute noch ohne Zugang zu Elektrizität (2000, South Africa: 34%, Indien: 57%). Vielfalt nachhaltiger Energiequellen nutzen: (Finanzierbare) Photovoltaik, (offshore) Windkraft, Geothermie, Wellenkraftwerke etc. 13
Urbanisierung nachhaltig gestalten Städte sind für ca. 80% der Emissionen von Treibhaus- Gasen verantwortlich. Urbanisierung nimmt weiter zu. Themen, die dringend globaler F&E-Anstrengungen bedürfen: Energieeffizienz von Gebäuden Nachhaltige Energieversorgung Nachhaltige Verkehrssysteme 14
Innovationssysteme für Nachhaltigkeit in den Entwicklungsländern stärken Eine Reihe von EL unternimmt erhebliche Anstrengungen, die eigene wissenschaftliche und technologische Leistungsfähigkeit zu steigern (China, Brasilien, Südafrika). Dabei wird teilweise gezielt nach technologischen Lösungen für den Übergang zu nachhaltigeren Entwicklungsmustern gesucht. EZ der OECD-Länder sollte diese Bemühungen massiv unterstützen (Institutionen, Anreizsysteme, Humanressourcen). Ausweitung der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit. 15
Global Governance in Wissenschaft und Technologie für Nachhaltigkeit Im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen menschlichen Handelns bestehen für die Wissenschaft keine globalen Institutionen, zur Koordination und Kooperation. IPCC als recht erfolgreiches Netzwerk-Modell globaler Forschungskooperation zur Bearbeitung globaler Problemlagen. Brauchen wir einen Global Research Council? Welche anderen Governance Formen sind ergänzend oder alternativ vorstellbar? 16
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit! 17
Global challenge: Facing soil degradation 18
Global challenge: Assuring a decent living to a growing world population World population per level of regional development (1950-2050) (in millions) 10000 9000 8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 7946 6751 5674 4145 1721 813 114 9 12 15 12 5 8 12 4 5 1950 1990 2005 2025 2050 More developed regions Less developed regions 19
Global challenge: Meeting inceasingly demanding consumption patterns Daily calorie intake / cap. Meat consumption 90 80 76,4 77,2 80 70 in kg/capita 60 50 40 30 20 31,2 36,1 38,6 39,7 24,4 18,8 28 28,9 1990 1995 2000 2002 10 0 World developed countries developing countries Sources: FAO / World Resources Institute 20