Risikomanagement in der Pharmaindustrie



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Transkript:

pharma technologie journal Risikomanagement in der Pharmaindustrie Anforderungen, Methoden, Praxisbeispiele von Ulrich Bieber, Frank Böttcher, Günter Generlich, Katharina Gräser, Michael Jahnke, Karl Metzger, Roland Miksche, Denis Nienhüser, Anna Precht, Heinrich Prinz, Birgitta Steinborn, Rudolf Völler, Andrea Weiland-Waibel, CONCEPT HEIDELBERG 1. Auflage Risikomanagement in der Pharmaindustrie Bieber / Böttcher / Generlich / et al. schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Pharmazie ECV Editio Cantor 2006 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 87193 361 5 Inhaltsverzeichnis: Risikomanagement in der Pharmaindustrie Bieber / Böttcher / Generlich / et al.

Risiko-basierter Ansatz der FDA für die Durchführung von Inspektionen Dr. Heinrich Prinz PDM-Consulting, Groß-Zimmern Zusammenfassung Die US Food and Drug Administration (FDA) hat im Laufe der Jahre erkannt, daß sie ihrer Vorgabe, inländische Hersteller mindestens einmal alle zwei Jahre zu überwachen, aus Zeit- und Kapazitätsgründen nicht nachkommen kann. Somit steht die FDA vor der Aufgabe, ihre Aktivitäten bei der Überwachung der Unternehmen auf die wichtigsten Punkte zu konzentrieren und eine Priorisierung der Inspektionen durchzuführen. Zu diesem Zweck wurde ein sog. Risiko-basierter Ansatz gewählt, um die kritischen und wesentlichen Aspekte in das Zentrum der Aktivitäten der Behörde zu stellen. Ziel war es, die vorhandenen und beschränkten Ressourcen effektiv zu nutzen und einzusetzen. Dieser Ansatz sollte der Behörde helfen dort anzusetzen, wo die Inspektionen mit hoher Wahrscheinlichkeit den größten Nutzen für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung haben. Mit der Risko-basierten Einstufung der Unternehmen ergab sich eine Liste, in der die einzelnen Firmen bezogen auf die Notwendigkeit für die Durchführung einer Inspektion eingestuft wurden. Das Vorhaben und die beabsichtigte Vorgehensweise werden in dem folgenden Beitrag erläutert. Summary FDA s Risk-based Approach for the Conduct of Inspections During the last years the FDA realised that the mission to inspect all the American companies every two years could not be realized due to the lack of time and capacity at the Agency. The FDA faces the question to concentrate their inspections on the most important points and to prioritise the performance of the inspection. To realise this vision they choose a riskbased approach to focus their activities on the most critical and important points during manufacturing and control of the product to reach in an effective use and highest outcome of the inspections. The risk-based approach was implemented to support the FDA in conducting inspections at those sites where the highest output for the health of the American people will be expected. Based on this a risk ranking was drafted where the necessity of each and every company was listed based on the products be manufactured. The content of this schedule together with the performance of the inspection by the FDA in the future will be explained. Key words FDA Inspektionen Risiko-basierter Ansatz Risk Ranking 11

1. Einleitung Im Jahr 2006 feiert die US Food and Drug Administration (FDA) ihren 100. Geburtstag. Seit ihrer Gründung durch den damaligen Präsidenten T. Roosevelt ist die Bedeutung der Behörde sowohl innerhalb der USA als auch weltweit stetig gestiegen. Für die Pharmaindustrie ist ihre Tätigkeit bei der Überwachung und Zulassung von Arzneimitteln von entscheidender Bedeutung. Die hiermit verbundenen regulatorischen Anforderungen, die diesen Tätigkeiten zu Grunde liegen, schlagen sich in den Formulierungen der nationalen Gesetze des Code of Federal Regulation 201/211 ff. für Arzneimittel (Drugs), des 600 ff. für biologischen Arzneimittel (Biologics) und der 805/820 ff. für Medizinprodukte (Medical Devices) nieder. In diesen Regelwerken werden Anforderungen an den Nachweis der hergestellten Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der jeweiligen Arzneimittel gestellt. Weitergehende Erläuterungen und Interpretationen sind in dem Guide to Inspection (Zielgruppe Überwachungsbeamten) und den Guidance for Industry (Zielgruppe Industrie) ausgeführt. Alle diese Regelwerke haben zum Ziel, daß durch deren Einhaltung sichere und wirkungsvolle Produkte in einem angemessenen Zeitraum auf den Markt gebracht werden. Diese Anforderungen sollen von der FDA mit dem Ziel überwacht werden, daß die Sicherheit der Produkte gewährleistet bleibt, wenn sie durch den Patienten in Gebrauch genommen werden. Die Zielsetzung dieser umfassenden Anforderungen der FDA zeigt Abb. 1. 2. Überwachungsaufgabe der FDA Diese festgelegten Kontrollaufgaben versah die FDA über die Jahre hinweg durch eine kontinuierliche Überwachung aller Unternehmen, die Arzneimittel in Amerika auf den Markt brachten. Durch laufende Inspektionen und die damit verbundenen Überprüfungen der durch die Unternehmen festgelegten Kontrollen hier besonders auf Dokumentationsbasis wurde in den letzten Jahrzehnten sichergestellt, daß alle notwendigen Maßnahmen in den Firmen ergriffen wurden, die spezifizierte Qualität des Arzneimittels vor der Freigabe zu kontrollieren. Die hierfür notwendigen Regularien wurden von der FDA hauptsächlich in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgestellt und als Gesetze verbindlich gemacht (s. o.). In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts wurde immer mehr erkannt, daß die Aktualität der Gesetze und Regelwerke nicht dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik entsprachen, da sie durch ihre starre Auslegung Mission Statement der FDA The FDA is responsible for protecting the public health by assuring the safety, efficacy, and security of human and veterinary drugs, biological products, medical devices, our nation s food supply, cosmetics, and products that emit radiation. The FDA is also responsible for advancing the public health by helping to speed innovations that make medicines and foods more effective, safer, and more affordable; and helping the public get the accurate, science-based information they need to use medicines and foods to improve their health. 12 Abb. 1: Anforderungen der FDA an ihre Zielsetzung als überwachende Behörde [1].

und Interpretation eine weitere Entwicklung in der Herstellung und Kontrolle von Arzneimitteln nach der Zulassung durch die Behörde bei den Pharmaunternehmen teilweise sehr erschwerten. Hinzu kam, daß Neuerungen, wenn sie eingeführt werden sollten, einen nicht unerheblichen Zeit- und Kostenaufwand nach sich zogen, so daß sich die Firmen scheuten, evtl. sinnvolle Adaption ihrer Verfahren an den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik durchzuführen. Zu dem mitunter hohen Zeitaufwand kam die strenge Überwachung (Inspektionen) der Unternehmen und Herstellprozesse durch die FDA. Hinzu kam, daß die Behörde darüber hinaus eine oft ausgedehnte Kontrolle über nahezu alle Aspekte des Herstellprozesses übernahm. Dieser Stillstand in der weiteren Prozeßentwicklung war nicht erklärtes Ziel der cgmp-regularien im 21 CFR. Die FDA erkannte, daß in den letzten Jahren eine Reihe von sinnvollen Neuerungen in der Kenntnis der Herstellung, des Qualitätsmanagements und der Risikoanalyse aufgekommen sind, die sinnvollerweise auch umgesetzt und angewendet werden sollten. Zu diesem Zweck hat die FDA eine Änderung ihrer Prioritäten in der Überwachung und Überprüfung vor der Registrierung der Produkte festgelegt, die mit der neuen GMP-Initiative für die Erneuerung des Verständnisses der cgmp- Regelwerke einhergeht. Diese Initiative lautet: Pharmaceutical cgmps for the 21 st Century: A Risk-Based Approach. Als Untertitel wurde gewählt: A science and risk-based approach to product quality regulation incorporating an integrated quality systems approach. Mit dieser Initiative verfolgt die FDA zwei Ziele. Zum einen sollte die Einführung neuer, sinnvoller Technologien in die pharmazeutische Herstellung und Kontrolle erleichtert werden, zum andern sollte die Überwachung der pharmazeutischen Herstellung und gleichzeitig die Prozeßqualität stärker in den Mittelpunkt der FDA-Verantwortung für das 21. Jahrhundert gestellt werden. Die FDA hat aber im Laufe der Jahre erkannt, daß sie ihrer Vorgabe, inländische Hersteller mindestens einmal alle zwei Jahre zu überwachen, nicht nachkommen kann. Die Zahl der relevanten amerikanischen Unternehmen hat sich im Laufe der letzten 25 Jahre vervierfacht, die Zahl der Inspektoren jedoch in demselben Zeitraum um 60 % verringert. Somit steht die FDA vor der Aufgabe, ihre Aktivitäten für die Überwachung der Unternehmen auf die wichtigsten Punkte zu konzentrieren und eine Priorisierung der Inspektionen durchzuführen. Zu diesem Zweck wurde ein sog. Risiko-basierter Ansatz gewählt, um die kritischen und wesentlichen Aspekte in das Zentrum der Aktivitäten der Behörde zu stellen. Ziel war es, die vorhandenen und beschränkten Ressourcen effektiv zu nutzen und einzusetzen. Besonders bei der Überwachung der Unternehmen sollte mit Beginn des Jahres 2005 eine Priorisierung der inländischen Inspektionen durchgeführt werden. Dieser Ansatz sollte der Behörde helfen, dort anzusetzen, wo die Inspektionen mit hoher Wahrscheinlichkeit den größten Nutzen für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung haben. Die Häufigkeit und der Rahmen der Überwachung sollten für diejenigen Firmen reduziert werden, die eine gute Firmenhistorie zusammen mit einem ausreichenden Prozeßverständnis haben und ein effizientes Qualitätsmanagement- System betreiben (Abb. 2). In einer Publikation der FDA vom September 2004 [2] sind die für die Umsetzung des Statements wesentlichsten Punkte und Eckdaten zusammengefaßt. 13

Risikomanagement-Tools Ein Überblick Denis Nienhüser RRR Reduced Rest Risk, Belp (Schweiz) Zusammenfassung Die ICH-Guideline Q9 stellt umfangreiche Anforderungen an das betriebsinterne Risikomanagement und stellt verschiedene Werkzeuge vor, mittels denen die Anforderungen umgesetzt werden können. Jedoch sind die aufgeführten Methoden nicht universell brauchbar und erfordern in den meisten Fällen Anpassungen. Der folgende Beitrag gibt Hilfestellung, die Vorund Nachteile der empfohlenen Methoden zu erkennen. Summary Risk Management Tools An overview The ICH-Guideline Q9 is listening a lot of requirements to the in-house-risk management and visualises a few tools to fulfill these requirements. However none of these tools is all-purpose and demands in most instances necessary adjustments. This text should help to identify the advantages and disadvantages of the tools. Key words ICH Q9 Methoden Risikoanalyse Risikobewertung Risikokommunikation Risikokontrolle Risikomanagement 32 1. Einleitung Die Pharmaceutical Inspection Convention (PIC), das Arzneimittelgesetz (AMG) und das Medizinalgesetz fordern für pharmazeutische Produkte, Arzneimittel und Medizinprodukte ein Risikomanagement. Generell wird unter dem Risikomanagement ein System von Risikoanalyse, Risikoeinschätzung bzw. -bewertung und Risikominderung verstanden. Diverse andere Managementsysteme stellen ebenfalls diese Forderung auf (ISO 9000ff (QMS), ISO 14000ff (UMS), Arbeitssicherheit etc.). Die ICH-Guideline Q9 Step 4 Quality Risk Management ist hierbei die detaillierteste Vorgabe zur Implementierung eines Risikomanagementsystems [1]. Ziel der ICH Q9 ist es, daß sich die verantwortlichen Personen eines pharmazeutischen oder medizinaltechnischen Unternehmens fortlaufend mit der Qualität der hergestellten Produkte beschäftigen. Da eine Produktendkontrolle häufig nicht ausreicht, um zu verhindern, daß ungeeignete Produkte zur Anwendung gelangen, verlangt die ICH Q9 eine risikoorientierte Betrachtung aller qualitätsrelevanter Prozesse eines Unternehmens (Anm. des Autors: und entspricht damit dem Prinzip des freiwilligen QMS).

Die ICH Q9 legt die Bestandteile und den Ablauf eines Risikomanagementsystems fest und gibt eine Auswahl von Werkzeugen (Tools) vor. In der Anwendung der Tools bestehen gemäß Behördeninformationen jedoch häufig folgende Beanstandungen: Die Tools werden falsch eingesetzt Es werden die falschen Tools eingesetzt Die Organisation des Risikomanagements ist fehlerhaft Ziel dieses Überblickes ist es, exemplarisch an einigen Tools deren Vor- und Nachteile aufzuzeigen, damit die richtigen Werkzeuge richtig angewendet werden können. 2. Die Tools Es gibt zwei Kategorien von Tools: 1) Fehlerbaummethoden FTA: Fault tree analysis Fehlerbaumanalyse ETA: Event tree analysis Ereignisbaumanalyse (DIN 25419) CEA: Cause effect analysis Ursache-Wirkungs-Analyse CCA: Cause consequence analysis CCFA: Common cause failure analysis Markov analysis etc. 2) Fehlermatrixmethoden Risk map HACCP: Hazard analysis and critical control points Gefährdungsanalyse und kritische Kontrollpunkte (auch PAAG) FMEA: Failure mode and effect anaylsis Fehlermöglichkeits- und Einflußanalyse (DIN 25448) FMECA: Failure mode, effects and criticality analysis HAZOP: Hazard and operability study Gefahr- und Durchführbarkeitsuntersuchung PHA: Preliminary hazard analysis vorläufige Sicherheitsanalyse Kepner-Tregoe Verfahren (auch KT-Analyse) DRBFM: Design review based on failure mode SHA: System hazard analysis HHA: Health hazard assessment ZHA: Zurich Hazard Analysis HIP-HOPS: Hierarchically performed hazard origin and propagation studies FHA: Functional hazard assessment etc. Im Anhang sind exemplarisch einige Methoden dargestellt. 33

34 3. Anforderungen an das Risikomanagement Ein gut etablierter Herstellungsprozeß ergibt immer wieder ein Produkt mit gleichbleibender Qualität. Diese Produkte haben dementsprechend Definitionen mit engen Spezifikationsbereichen. Primär können unzureichend entwikkelte oder hergestellte Produkte an der Nichteinhaltung dieser Spezifikationsbereiche erkannt werden: den In-Prozeß-Kontrollen und den Analysenresultaten. Da Analysenresultate nicht zwingend die Produktqualität widerspiegeln, verlangen die Gesetzgeber mehr Informationen über den Herstellungsprozeß. Verschiedene Gesetze fordern Konzept-, System- und Prozeßrisikoanalysen für: Infrastruktur (Gebäude, Anlagen) Herstellungsprozeß (inkl. Rohstoffe, Material- und Personenflüsse) Software-Programme Veränderungen am Herstellungsprozeß (changes) Abweichungen vom Herstellungsprozeß (deviations) Analysenmethoden Folgerichtig muß ein Tool zur Risikoanalyse alle qualitätsrelevanten Parameter eines Produktes erfassen können: Dazu gehören alle relevanten Inputparameter (Rohstoffe, Lösungsmittel, Wasser etc.), Prozeßparameter (physikalische und mikrobiologische Parameter, genaue Beschreibung der verwendeten technischen Einrichtungen und Räumlichkeiten etc.) und Output-Parameter (Analysenverfahren und Ergebnisse, Sensorendaten etc.). Die Risikoanalyse muß das Risiko beschreiben, dessen Ursache und dessen Auswirkungen Schwierig wird diese Forderung, wenn es komplexe Wechselwirkungen zwischen mehreren Risikoursachen und Risikoauswirkungen gibt. Die Beschreibung des Risikos muß so detailliert, verständlich und nachvollziehbar erfolgen, daß die anschließende Risikoeinschätzung bzw. -bewertung ebenfalls nachvollziehbar wird. Werden nicht-akzeptable Risiken identifiziert (z. B. bezüglich Wirksamkeit oder Qualität des Produktes), müssen diese Risiken reduziert oder eliminiert werden. Die Dokumentation muß bei nicht-akzeptablen Risiken geplante Verbesserungsmaßnahmen, verantwortliche Personen, geplante Termine zur Umsetzung der Maßnahmen als auch eine Neubewertung (nach Umsetzung der Verbesserungsmaßnahme) enthalten. Neben den gesetzlichen können noch weitere, unternehmensinterne Anforderungen vorliegen, die die Anzahl der möglichen Tools verkleinern: Viele verschiedene Herstellungsschritte Viele verschiedene Produkte bzw. Entwicklungsprojekte Viele Änderungen/Optimierungen an etablierten Herstellungsprozessen Häufige Abweichungen bei der Herstellung von Produkten Mehrzweckgebäude und -anlagen etc. Generell sollten folgende Punkte beachtet werden: Wozu soll das Risikomanagement eingesetzt werden? Es ist für die Auswahl des richtigen Risiko-Tools entscheidend, ob es eine Minimallösung sein soll, die lediglich die gesetzlichen Anforderungen erfüllt, oder ob weitere Möglichkeiten in der Anwendung vorgesehen sind (z. B. für externe Lohnauftraggeber, Entscheidungshilfe für das interne Projektmanagement, Prozeßkenntnisse sollen festgehalten und erweitert werden etc.).

Risk Assessment Tables in der pharmazeutischen Entwicklung Dr. Andrea Weiland-Waibel Explicat Pharma GmbH, Hohenbrunn bei München Zusammenfassung Anhand eines praktischen Beispieles wird aufgezeigt, wie die Analyse der kritischen Prozeßparameter in den pharmazeutischen Entwicklungsprozeß eingebracht wird und wie man die gewonnenen Daten nutzen kann. Dieser Ansatz ist in voller Übereinstimmung mit der FDA-Initiative cgmp regulations for the 21 st century. Der Risikoanalysenansatz erlaubt die Entwicklung begründeter Prozeßparameter und Spezifikationen. Das so erhaltene Datenpaket kann als Grundlage für den Entwicklungsbericht des CTD (Common Technical Document) dienen und ebenfalls für den Produktionsprozeß, z. B. für Validierung- oder Produktionsstandortverlagerung, Verwendung finden. Summary Use of Risk Assessment Tables during Development Stage The paper addresses the importance of analysis of the critical pharmaceutical process parameters during development stage. Practical recommendations are given as to how to apply this approach to manage the pharmaceutical development process and utilize the data package. The approach is in line with the FDA initiative for the cgmp regulations for the 21 st century as it is shown that in relation to PAT (Process Analytical Technology) justified process parameter ranges and specifications may be developed, that the development report may be made compliant for the CTD (Common Technical Document) and how further activities for product/process can be assessed. Key words cgmp for the 21 st Century Design Space Pharmazeutische Entwicklung Risk Assessment Tables 68 1. Einleitung Da pharmazeutische Herstellungsprozesse in der Regel sehr komplex sind, viele Prozeßschritte beinhalten und eine hohe Variabilität aufweisen, ist es essentiell, während der Entwicklung eines Prozesses die entscheidenden Einflußgrößen und kritischen Herstellungsschritte zu identifizieren. Insbesondere die Weitergabe dieser Informationen beim Transfer des Produktes von der pharmazeutischen Entwicklung in die Produktion und anschließender Validierung (bzw. Herstellung von Conformance Batches ) oder bei späte-

rer Verlagerung des Produktes an einen anderen Produktionsstandort ist von entscheidender Bedeutung für die störungsfreie und reproduzierbare Routineproduktion. Im dargestellten Beispielsprojekt wurde eine Risikoanalysen-Methode angewendet, um bereits während der Entwicklung des Produktes die kritischen Prozeßschritte und Einflußgrößen systematisch zu identifizieren. Damit sind für die spätere Routineproduktion schon die kritischen Prozeßparameter identifiziert, die Produktion läßt sich beschleunigen und der Produktionsprozeß wird robuster und somit natürlich auch wirtschaftlicher. Das erarbeitete Informationspaket kann im Laufe der Entwicklung als Bestandteil des zusammenfassenden Entwicklungsberichtes dienen und stellt eine ideale Grundlage für die Validierung (bzw. Herstellung von Conformance Batches nach Compliance Policy Guide (CPG) 7132c.08) des Produktes am Herstellungsstandort dar. Die vorgestellten Aktivitäten stehen auch in Übereinstimmung mit der FDA- Initiative zu Pharmaceutical cgmps for the 21 st Century, die unter anderem im FDA-White Paper Innovation and Continuous Improvement in Pharmaceutical Manufacturing und in der Guidance for Industry PAT A Framework for Innovative Pharmaceutical Manufacturing, and Quality Assurance dargelegt wird (siehe 5. Literatur). Ein wichtiges Dokument in diesem Zusammenhang ist auch die ICH Q8, die das Bindeglied zu CTD (Common Technical Document), Risikoanalyse und PAT (Process Analytical Technology) darstellt. Als weitere wichtige Guideline ist auch noch die neue ICH Q9 Risk Management Guideline zu nennen. Die Daten könnten auch im Zusammenhang mit einem PAT (Process Analytical Technology)-Regulatory Process Verwendung finden, da ein aseptisch durchgeführter Lyoprozeß einen typischen PAT-Prozeß darstellt ( the goal of PAT is to understand and control the manufacturing process... by design and development, so das FDA-PAT Paper). 2. Risikoanalyse in der pharmazeutischen Entwicklung / Regulatorische Anforderungen 2.1. Europa Die EMEA (European Medicines Evaluation Agency) fordert in der Note for Guidance on Development Pharmaceutics und in der Note for Guidance on Process Validation, während der pharmazeutischen Entwicklung die kritischen Prozeßschritte zu identifizieren, da die Entwicklungsdaten die Grundlage einer systematisch angelegten Prozeßvalidierung darstellen. Im Anhang 15 (Qualifizierung und Validierung) zum EU-Leitfaden einer guten Herstellpraxis wird die Durchführung einer Risikobewertung gefordert, um Validierungsumfang und -tiefe bestimmen zu können (Abb. 1). Die Verwendung von Risikoanalysen-Methoden in der pharmazeutischen Entwicklung stellt also eigentlich nur eine logische Konsequenz dar, insbesondere, da man eine systematische Methode benötigt, um die kritischen Parameter zu identifizieren. 2.2. USA Die FDA (Food and Drug Administration) hat mit ihrer Initiative cgmp for the 21 st Century begonnen, das Konzept der Prozeßvalidierung sowie der pharmazeutischen Entwicklung zu verändern. Die Prozeßvalidierung wird bis heute mit drei Validierungsläufen im Produktionsmaßstab in Verbindung gebracht, wie es früher jahrzehntelang u. a. von der FDA gefordert wurde. 69

Note for Guidance on Development Pharmaceutics, July 1998 Pharmaceutical development studies... aim to identify those formulations and processing aspects that are crucial for batch reproducibility...... process development studies will lay down the basis for the process optimisation and validation requirements. Note for Guidance on Process Validation, September 2001... in terms of pharmaceutical process validation it is intended that the combination of the guidance provided in the Note for guidance on Development Pharmaceutics with this guidance should cover all the critical elements in a manufacturing process for a pharmaceutical product, from development of the process through to final validation at the production scale... Information generated during the development stage should thus be used to identify and evaluate the critical pharmaceutical process parameters. Annex 15 Qualification and Validation GMP, September 2001 A risk assessment approach should be used to determine the scope and extent of validation Abb. 1: Verknüpfung von pharmazeutischer Entwicklung, Prozeßvalidierung und Risikoanalyse. Von dieser sehr starren Vorgabe abweichend ist in der 2004 revidierten Compliance Policy Guide 7132c.08 (CPG) keine Zahl bzgl. der Prozeßvalidierungsläufe mehr angegeben. Es wird nun der Begriff der Conformance Batches verwendet, und die Validierung wird als Life Cycle Approach angesehen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen die Daten aus der pharmazeutischen Entwicklung aussagekräftig in bezug auf die kritischen Prozeßschritte sein und ein besseres Prozeßverständnis entwickelt werden. Die FDA fördert ausdrücklich pharmazeutische Innovationen und Prozeßverbesserungen. In diesem Zusammenhang bedeutsam ist die von der FDA herausgegebene Guidance for Industry: PAT A Framework for Innovative Pharmaceutical Development, Manufacturing, and Quality Assurance vom September 2004. Neu verwendet wird hier unter anderem der Begriff des Design Space, das bedeutet der Raum an Prozeßparameter-Bereichen bzw. Spezifikationsgrenzen, in denen das Produkt mit der vorgegebenen Qualität produziert werden kann. Die Begründung dieser Grenzen kann nur aus entsprechenden Untersuchungen, z. B. durch Design of Experiments (DoE) bzw. auf Risikoanalyse gestützte Entwicklungsuntersuchungen mit Daten belegt werden. Dadurch erlangt man ein sehr gutes Wissen und Verständnis über den Entwicklungs- bzw. später den Produktionsprozeß und verbessert somit die Qualität des Produktes. Auf den Punkt gebracht kann man auch sagen: Quality cannot be tested into products; it should be built-in or should be by design, siehe dazu auch die Auszüge aus dem FDA-PAT-Papier (Abb. 2). 70 2.3. ICH (International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for the Registration of Pharmaceuticals for Human Use) / Europa USA Japan Auch die ICH hat die Bedeutung der pharmazeutischen Entwicklung zur Identifizierung und Beherrschung der kritischen Prozeßschritte durch die sich aktuell in Stufe 5 befindliche Pharmaceutical Development Guideline ICH Q8 herausgestellt. In der ICH Q8 werden die Inhalte bzgl. pharmazeutischer Ent-

Anwendung der Risikoanalyse in der Pharmatechnik Ulrich Bieber Bingen am Rhein Zusammenfassung In dem folgenden Beitrag wird die Risikoanalyse als zentrales Planungsund Steuerungselement in der Technik vorgestellt. Es wird gezeigt, wie tatsächliche Risiken erkannt werden, wie man Qualität in die Anlagen einbauen kann und wie der gesamte Anlagen-Life-Cycle mittels Risikoanalyse optimiert werden kann. Summary Risk Assessment The Main GMP-Tool in Pharmaceutical Engineering This article shows the world of risk-analysis in all technical purposes. It is used not only for recognizing of real risks but also for scheduling and controlling the process of risk-minimaziation. Risk-assessment is used as a main tool for planning and controlling the complete life-cycle of all equipments and facilities. Key words Anlagenplanung Qualifizierung Risikoanalyse Wartung 1. Das Problem Aus allen Bereichen der Pharmatechnik und ihrer Zuliefererindustrie ist oft die Meinung zu hören, daß die GMP-Forderungen sehr wenig konkret seien. In vielen Bereichen seien lediglich wachsweiche Vorschriften vorhanden. Man wisse überhaupt nicht, welche Vorgaben man erfüllen müsse, um GMP-gerechte Anlagen zu bauen und zu betreiben. In der Tat sind die GMP-Regularien nicht mit einer technischen Norm zu vergleichen. Sie sind keine Bauanleitung, kein Kochbuch, dem man nur Zeile für Zeile zu folgen braucht um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Sie lassen in der Durchführung immer zahlreiche Möglichkeiten offen. Das ist durchaus so gewollt, denn: GMP gibt das Ziel immer sehr genau vor der Weg allerdings ist selten beschrieben. In der Technik dagegen wird überwiegend nach dem technischen Regelwerk gehandelt, das zum Teil mit atemberaubender Präzision den Weg bis in alle Einzelheiten vorgibt. Schon im Studium wird dem angehenden Ingenieur beigebracht, daß er auch juristisch bestens abgesichert ist, wenn er sich an das technische Regelwerk hält. Kennt man dieses Regelwerk und wendet es konsequent an, so ist die Konstruktion selbst auf jeden Fall rechtlich in Ordnung. Im GMP-Bereich dagegen muß sich der Techniker mit Zielen auseinandersetzen. Diese Denkweise ist ihm oftmals wesensfremd. Wie kann er in seine 189

190 Welt der Zahlen, Dimensionen und Berechnungen einen Begriff wie Qualität unterbringen? Wie soll er z. B. die Forderung keine Verunreinigung konstruktiv fassen oder gar irgendwelche Parameter adäquat kontrollieren? Nun ist es ja durchaus so, daß bereits Lösungen für viele Forderungen seit Jahren existieren. Davon kann man viel bei einschlägigen Seminaren hören oder im Internet lesen. Oftmals ganz ohne hinreichende Begründung gelten sie als spezielles Phama-GMP-Know-how und werden von Dienstleistern mit geheimnisvoller Miene teuer angeboten und vielfach auch noch teurer verkauft. Doch es fehlt das entscheidende GMP-Merkmal: Die nachvollziehbare, dokumentierte Erfüllung der ursprünglichen produktspezifischen Anforderungen. Ein zweiter mindestens genauso kritischer Punkt kommt hinzu: Dadurch, daß versucht wird, alle denkbaren Fälle in einer Ideal-Lösung zu verarbeiten, ist diese unnötig komplex, teuer und wartungsanfällig. Oftmals wird sogar bei der zweiten und bei weiteren Realisationen von der ersten Lösung gelernt und weitere Stufen der Perfektion werden dazugebaut. So wird alles noch teurer, komplexer und störanfälliger der Satz Viel hilft viel wird mit Leben erfüllt. Doch leider stimmt er immer seltener. Und wenn man die Angst regieren läßt, wird es automatisch teuer aber leider nur selten besser. Die Pharmaindustrie könnte viel Aufwand einsparen, wenn sie sich mehr bei der Identifikation, Bewertung und Reduzierung der Risiken engagieren würde. Dann wäre es möglich, den Aufwand auf die kritischen Risiken zu konzentrieren. Im Gegenzug könnte überflüssiger Aufwand für die Reduzierung unkritischer Risiken von vornherein vermieden werden. Der praxiserprobte Lösungsansatz für all diese Probleme ist die Einführung eines Risikomanagements: Frühzeitig wird eine grundlegende Risikoanalyse im Rahmen der technischen Basisplanung durchgeführt. In den weiteren Projektphasen läuft die Risikoanalyse in immer detaillierterer Form mit und identifiziert Umfang und Tiefe der aus GMP-Sicht tatsächlich erforderlichen Maßnahmen. Selbst der Anlagenbetrieb wird sinnvollerweise mit den Methoden der Risikoanalyse begleitet. Dieses Vorgehen hat folgende Konsequenzen: Das Design der errichteten Anlage erfüllt tatsächlich die pharmazeutischen Ziele nachweisbar. Der Planer weiß frühzeitig, welche Maßnahmen zur GMP-gerechten Anlage führen. Er kann auch begründen, was aus GMP-Sicht unnötiger Aufwand ist schriftlich, in GMP-gerechter Form. Da die notwendigen Maßnahmen von vornherein feststehen, werden teure Nachbesserungsarbeiten im späten Projektstadium vermieden. Es ist von vornherein sauber dokumentiert, welche Forderungen bestehen und wie sie erfüllt werden somit ist die Technik ohne weiteres qualifizierbar und nach Erfüllung der identifizierten Punkte inspektionssicher. Auch Umfang und Intervall von Kalibrierungs- und Wartungsarbeiten können bereits im Projektstadium mit der Risikoanalyse bestimmt werden, so daß auch hier von vornherein Planungssicherheit besteht. Mit der Risikoanalyse als zentralem GMP-Planungs-Tool ergibt sich für alle Beteiligten ein hohes Maß an Sicherheit auch den Behörden gegenüber. Der Autor erinnert sich noch gut daran, wie schwer es war, einen altgedienten und erfahrenen Betriebsingenieur zu den zahlreichen Risikoanalysen zu motivieren, die im Rahmen eines umfassenden Projektes erforderlich waren. Doch schon nach den ersten Gehversuchen war es umgehrt: Der alte Hase erkannte schnell das riesige Potential und war nun der Treiber. Im folgenden soll dieses faszinierende Programm die Anwendung der Risikoanalyse in der Pharmatechnik näher beschrieben werden (Abb. 1).

Anlagenplanung Design Errichtung Inbetriebnahme Risikoanalyse Änderungen Change Control Qualifizierung Abb. 1: Risikoanalyse als zentrales Planungs-Tool. Instandhaltung Kalibrierung Anlagenbetrieb Monitoring 2. Aufgaben der Risikoanalyse Folgt man dem bisher gesagten, so hat man vier Schritte [4] vor sich: 1. Prozeß-Definition Genaue Definition des betrachteten Prozesses, vor allem Festlegung der Grenzen der Risikoanalyse und Festlegung der Schnittstellen. Hier sollte man festhalten, was eigentlich betrachtet werden soll (z. B. ein Wirbelschichtgranulator). Die Grenzen der Betrachtung sind genau zu spezifizieren (An welchem Punkt endet die Risikoanalyse genau, an welchem fängt sie an?), ebenso, welche Hilfsenergien mitbetrachtet werden sollen (z. B. Strom kommt aus der Steckdose, die Raumklasse ist anderswo qualifiziert). Weiter sollte das Gerät in die einzelnen Teile entsprechend den nacheinander ablaufenden Schritten aufgeteilt werden. 2. Impact-Study Einteilung der einzelnen Teilschritte in kritische und unkritische Schritte. Hier muß sorgfältig abgewogen werden, ob ein potentieller Einfluß auf die Produktqualität besteht (direct impact) oder nicht. Schritte bzw. Geräteteile, die keinen Einfluß auf die Produktqualität haben, sind unkritisch und brauchen nicht weiter betrachtet zu werden. Natürlich ist die Entscheidung, ob kritisch oder unkritisch, sehr genau zu dokumentieren. 3. Risikoevaluierung Festellung, welche Risiken in den kritischen Schritten auftreten können. Hier kann man sich zwar im Prinzip auf die Risiken des Designs beschränken. Dies wird dann auch zur Absicherung des Designs durch entsprechende Gegenmaßnahmen führen. Da man aber bereits die beiden oben genannten Schritte hinter sich hat, ist es allerdings sinnvoller, wenn auch gleichzeitig alle weiteren Risiken dokumentiert werden. Das sind vor allem a) Verschleiß: Die Anlage verschlechtert sich durch natürliche Abnutzung des betrachteten Teils. Es ergibt sich ein Risiko für die Produktqualität; b) Alterung: Zunehmende Verschlechterung der Meßgenauigkeit durch Alterung der Sensoren; c) Kompletter Ausfall: Gefahr des Ausfalles eines Anlagenteiles durch Alterung. 191