EZB: Mission erfüllt - Umsteuern jetzt einleiten!

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Transkript:

STANDPUNKTE DER CHEFVOLKSWIRTE EZB: Mission erfüllt - Umsteuern jetzt einleiten! Die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe sehen die wirtschaftliche und nanzpolitische Entwicklung im Euroraum auf gutem, wenn auch weiterhin fragilem Weg. Die EZB hat in den vergangenen Jahren mit einer ultra-expansiven Geldpolitik sowohl die Konjunktur als auch die Stabilität des Finanzsystems gestützt. Nach Auffassung der Chefvolkswirte ist es aber jetzt an der Zeit umzusteuern. Eine weiterhin ultra-expansive Geldpolitik birgt die große Gefahr neuer Verwerfungen und Blasen auf den Finanzmärkten. Daher ist jetzt entschlossen der Exit der ultra-expansiven Geldpolitik ins Auge zu fassen: Angesichts des herrschenden Wachstums- und In ationsausblicks sowie des allgemeinen Finanzmarktumfelds sollte die EZB schon in der ersten Jahreshälfte 2017 signalisieren, dass man über den Exit aus der ultra-expansiven Geldpolitik nachdenkt, und in der zweiten Jahreshälfte 2017 erste Maßnahmen in diese Richtung beschließen. Die wachstumsfreundlichen Reformen der europäischen Regierungen der letzten Jahrzehnte dürfen nicht wieder zurückgedreht werden. Vielmehr müssen Handlungsempfehlungen, wie sie gerade auch zuletzt fokussiert den nationalen Regierungen im Europäischen Semester aufgezeigt werden, entschlossener umgesetzt werden. In einem Europa der Bürger muss ein neuer Gleichklang von Wachstum und Verteilung gefunden werden. Berlin, 24. März 2017 Autoren: Uwe Burkert - LBBW Uwe Dürkop - Berliner Sparkasse Folker Hellmeyer - Bremer Landesbank Jochen Intelmann - Haspa Dr. Ulrich Kater - DekaBank Dr. Jürgen Michels - BayernLB Dr. Cyrus de la Rubia - HSH Nordbank Dr. Gertrud Traud - Helaba Prof. Dr. Carsten Wesselmann - Kreissparkasse Köln Torsten Windels - NORD/LB Koordination: Dr. Reinhold Rickes - DSGV dsgv-volkswirtschaft@dsgv.de

EZB: Mission erfüllt - Umsteuern jetzt einleiten! Umstrittene, aber im Großen und Ganzen erfolgreiche Geldpolitik Die EZB hat in den vergangenen Jahren mit einer ultra-expansiven Geldpolitik sowohl die Konjunktur als auch die Stabilität des Finanzsystems im Euroraum unterstützt. Die Motivation hierfür lag in der einzigartigen Beeinträchtigung der europäischen Wirtschaft durch die Finanz- und Staatschuldenkrise ab 2007, welche die größte Wirtschaftskrise in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hervorgerufen hatte. Anders als in der vergleichbaren Lage Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts entschied sich die Wirtschaftspolitik bei der Finanzkrise 2007/08 zu einem Gegensteuern im keynesianischen Sinn. Nach dieser Theorie ist bei großen konjunkturellen Verwerfungen nur der Staat mit seinen Instrumenten der Finanz- und der Geldpolitik in der Lage zu stabilisieren, und er allein kann damit gesellschaftlich zersetzende lange und tiefe Wirtschaftskrisen verhindern. Kann man auch im Einzelnen darüber streiten, ob jedes geldpolitische Instrument insbesondere das der negativen Zinsen, aber auch das der Staatsanleihekäufe angemessen gewesen ist, so war diese Strategie im Großen und Ganzen erfolgreich. Ausgangspunkt der vielfältigen Wirkungsweisen dieser Geldpolitik war dabei eine ächendeckende extreme Kompression des Zinsniveaus in allen Segmenten des Banken- und Kapitalmarktes sowie in allen Regionen des Euroraums. Hiervon gestützt ist trotz weiterhin bestehender Probleme in Teilen des europäischen Finanzsektors eine Wiederbelebung der Kreditvergabe in Euroland gelungen. Die Kreditvergabe an den Privaten Sektor hat sich nach letzten verfügbaren Zahlen im Januar 2017 auf eine Jahresrate von 2,2 % erholt. Befürchtungen einer De ation im Euroraum sind weitgehend ver ogen. Inwieweit die Geldpolitik insgesamt mehr Nutzen als Schaden angerichtet hat, wird erst mit längerem zeitlichem Abstand zu beurteilen sein. Für den Moment ist festzustellen, dass zu den unmittelbaren Erfolgen nicht nur die Konzeption der Geldpolitik selbst, sondern auch deren stringente Umsetzung durch die EZB beigetragen hat. Der Zentralbankrat setzte die gewählte Strategie in aller Entschiedenheit um und holte damit an den Kapitalmärkten die maximalen Ergebnisse dieser Instrumente heraus. Glaubwürdigkeit der Geldpolitik trägt zum Erfolg bei Ebenfalls zu dem Erfolg beigetragen hat aber auch, dass ähnliche Strategien von allen Zentralbanken gewählt wurden, die von der Finanzkrise getroffen waren. Im Ergebnis gab es so eine koordinierte internationale Antwort auf die ebenfalls internationalen Probleme der Finanzkrise. Eines 2

der wesentlichen Ziele dieser Politik war die Abwendung einer de ationären Entwicklung, welche die Bewältigung hoher Schuldenlasten in den verschiedenen Sektoren der Volkswirtschaften noch schwieriger gemacht hätte als sie sich nach dem Ausbruch der Finanzkrise ohnehin schon darstellte. Für den Euroraum ist dabei erschwerend hinzugekommen, dass er nicht nur wie andere westliche Industrieländer mit einer gravierenden Finanzkrise zu kämpfen hatte, sondern zusätzlich auch mit den institutionellen Unzulänglichkeiten einer jungen Währungsunion. Anders als in anderen Währungsräumen soll im Euroraum jedes Mitgliedsland aus eigenen Anstrengungen heraus seine nanzielle Solidität bewahren und die notwendigen realwirtschaftlichen Anpassungsmaßnahmen an radikal veränderte Rahmenbedingungen leisten. Institutionelle Geburtsfehler haben Aufschwung im Euroraum erschwert. Das Fehlen von länderspezi schen monetären Maßnahmen und die selbst auferlegten skalischen Regelungen erschweren bei den Bürgern die Akzeptanz realwirtschaftlicher Anpassungen, die zwar schmerzhaft sind, aber am Ende zu einer größeren Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften im Euroraum führen. Das untergräbt auch die Akzeptanz der Währungsunion selbst, wenn sie etwa als Sündenbock für Versäumnisse in anderen Politikfeldern herhalten muss. Gerade in einer Zeit, in der nationale Antworten als Allheilmittel gegen alle möglichen Missstände gelten, scheint der Ausweg nationaler monetärer Maßnahmen also die Rückkehr zur eigenen Währung verlockend. Wir weisen an dieser Stelle darauf hin, dass die nationale Geldpolitik vor allem von kleinen offenen Ländern im internationalen Maßstab weniger selbstständig ist als oft gedacht, weil eine weitgehend eigenständige Geldpolitik nur von den wirklich großen Währungen gemacht werden kann. Ferner können monetäre Maßnahmen dazu führen, realwirtschaftliche Reformen immer weiter zu verschieben. Den unterschiedlichen Interessen der Regionen kann die EZB wie im Mandat vorgesehen nicht nachgeben. Ihre Geldpolitik am makroökonomischen Durchschnitt der Mitgliedsländer auszurichten, ist ihr gelungen, auch wenn sie die wirtschaftlich schwächeren Mitgliedsländer und damit die Divergenz im Euroraum berücksichtigen musste. Prägend für die Geldpolitik der letzten Jahre war jedoch, der europäischen Politik Zeit zu erkaufen. Mit Strukturreformen sollten leistungsfähige Volkswirtschaften und tragfähige Schuldenstandsquoten geschaffen werden. Ob diese Zeit ausreichend verwendet wurde, ist nicht Gegenstand dieses Standpunktes, sondern nur, dass die Zeit der nahezu unbeschränkten monetären Unterstützung nun abgelaufen ist. 3

Fortsetzung nicht länger zu verantworten Mit der seit 2014 anhaltenden wirtschaftlichen Erholung im Euroraum wurde der Grundstein gelegt für die Abwendung der Stagnations- und/oder De ationsgefahren, die durch die Trendwende bei den Rohstoffpreisen im Jahr 2016 ihren sichtbarsten Ausdruck erhielt. Ungeachtet der politischen Belastungsfaktoren nahm das Wirtschaftswachstum im Euroraum in der zweiten Jahreshälfte 2016 noch einmal Fahrt auf. Dank der hauptsächlich binnenwirtschaftlich getriebenen Aufwärtsentwicklung stehen die Chancen auf eine Fortsetzung des Aufschwungs gut, sollte sich im europäischen Super-Wahljahr kein politischer Schock in Gestalt der Bedrohung der europäischen Institutionen durch neu gewählte Regierungen in den Niederlanden, in Frankreich oder in Deutschland manifestieren. Bleibt die Konjunktur von solchen Schocks verschont, so wird die Euroland-Wirtschaft im Durchschnitt etwa ab dem Jahr 2018 zum ersten Mal seit der Finanzkrise wieder einen normalen Auslastungsgrad erreichen. In den Folgejahren sollte sich über die Arbeitsmärkte auch langsam wieder stärkerer Lohn- und damit In ationsdruck aufbauen. Vor diesem Hintergrund ist bei einer Fortsetzung der gegenwärtigen konjunkturellen Trends eine Fortsetzung der ultra-expansiven Geldpolitik nicht mehr zu verantworten. Selbst wenn man von allen Kollateralschäden dieser Geldpolitik absieht und die engste Aufgabende nition der EZB, die Einhaltung der In ationsnorm von knapp unter zwei Prozent, zum Maßstab nimmt, ist der Expansionsgrad der Geldpolitik spätestens im kommenden Jahr zurückzufahren. In ationsraten im Euroraum, in Prozent gegenüber dem Vorjahr 4 3 Prognose 2 1 0-1 Gesamtrate Kernrate (ohne Energie, Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak) 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Quelle: Eurostat, Prognose Dekabank 4

Ansonsten könnte in den Folgejahren die In ation über das Ziel hinausschießen (wenngleich in diesem Jahr wieder mit einem Rückgang der In ation zu rechnen ist, da der Ölpreiseffekt in den kommenden Monaten auslaufen sollte). Nach vielen Jahren der Abwesenheit von In ation und den Ängsten vor einer De ation könnte man sich hier entspannt geben. Aber die In ation darf nach keiner Seite extrem ausschlagen. Zu wenig In- ation ist gefährlich, weil es ein Zeichen für eine schrumpfende Wirtschaft darstellen kann und im Euroraum die Frage nach der Tragfähigkeit von öffentlichen und privaten Schulden wieder aufwerfen kann. Zu viel In ation ist jedoch ebenfalls gefährlich, nicht zuletzt, weil die In ation, selbst bei nur moderater Zielüberschreitung, eine Umverteilung von privater zu öffentlicher Hand oder von Gläubigern zu Schuldnern und damit mittelbar auch von arm zu reich bewirken kann und so soziale Spannungen noch verschärft. Bei allen Erfolgen gibt es jedoch auch eine gravierende Mängelliste beim Zustand der europäischen Wirtschaft. Man kann sich fragen, warum in Europa eine Arbeitslosenquote von 8 Prozent unter vielen Konjunkturbeobachtern als Vollauslastung bezeichnet wird und warum diese neutrale Arbeitslosenquote in den verschiedenen Ländern des Euroraums immer noch stark unterschiedlich ausfällt. Zudem sind die Altlasten an faulen Krediten in den Bilanzen einiger europäischer Banken und hier insbesondere in Italien noch nicht wirklich ächendeckend ausreichend zurückgeführt worden. Anhaltender struktureller Reformbedarf in allen Euroländern Kritisch bleibt auch der Zustand der europäischen Staats nanzen, bei denen nur einige wenige Länder die Schuldenstandskriterien des Maastricht-Vertrages bald wieder einhalten werden. Aber nach Einschätzung der Winterprognose der Europäischen Kommission würde bei der Mehrzahl der anderen Länder im Euroraum der absehbare Zinsanstieg zu einem kaum kontrollierbaren weiteren Anstieg der Staatsschuldenquoten führen. Von daher bleiben Konsolidierungen der Staats nanzen zu Recht weiterhin auf der Agenda Europas. Und damit einhergehend bleiben viele Fragen ungelöst, die die Bürger an Wirtschaft und Staat haben, etwa wie sich Wohlstand und sozialer Ausgleich unter den sich immer schneller wandelnden ökonomischen und demogra schen Strukturen erhalten lassen. Und man sollte sich schließlich fragen, warum die Europäische (Währungs-)Union an Akzeptanz bei den Bürgern verloren hat. All diese Themen sind große Herausforderungen für die deutsche und die europäische Wirtschaftspolitik. Aber sie sind nicht durch die Geldpolitik lösbar. In Zeiten der abnehmenden Akzeptanz einer zu stark auf Globalisierung und liberale Konzepte setzenden Politik in der Bevölkerung 5

ist zwar die Versuchung groß, durch die Produktion von Geld materielle Probleme aus dem Weg zu in ationieren. Wir können uns allerdings nicht den Vorschlägen von unserer Meinung nach pervertierten keynesianischen Modellen anschließen die so auch nicht von der Mehrheit im EZB- Rat gesehen werden, aber in der internationalen Diskussion insbesondere gegen die deutsche Finanzpolitik gerichtet immer wieder auftauchen. Nach dieser Position soll mit dauerhafter erheblicher De zit nanzierung und der dazu notwendigen geldpolitischen Rückendeckung durch Anleihekäufe und Dauernullzinsen Wachstum generiert werden. Nach unserer Meinung führt diese wirtschaftspolitische Philosophie über kurz oder lang zur Zerrüttung des Geldwesens. Die Probleme bei der Fortsetzung der derzeitigen Geldpolitik über den Punkt ihres sichtbaren Erfolges hinaus sind die folgenden: Geldpolitik zum Nulltarif vernebelt bei wieder zunehmender Knappheit der Produktionskapazitäten immer mehr Entscheidungsträgern die Sinne, welche Investitionsprojekte langfristig Bestand haben können. Sie lenkt also heute Mittel in die Investitionsruinen von morgen. An Finanz- und Immobilienmärkten bauen sich so wieder Spekulationsblasen und die Gefahren von Bankenpleiten auf. Umgekehrt erhalten Nullzinsen zu viele Unternehmen am Leben, die sich zwar jede Mühe geben, mit dem Wandel der technologischen Rahmenbedingungen Schritt zu halten, jedoch gegenüber neuen Marktteilnehmern hoffnungslos unterlegen wären. In der mittleren Frist würde eine solche Nullzinsökonomie gerade mit Blick auf die aktuelle Erholung deutlich zurückfallen. Nullzinspolitik verhindert marktwirtschaftliche Anpassungen In einer Nullzinsökonomie werden besonders die Sparer getroffen. Mit Sorge muss beobachtet werden, dass die Sparer immer stärker liquide und kurzfristige Anlageformen bevorzugen und bspw. im letztjährigen Vermögensbarometer des DSGV (Oktober 2016) 58% der Befragten als größte Sorge die Negativzinspolitik der EZB sehen. Zudem erhöht sich für Versicherungen, Bausparkassen und Banken und Sparkassen der Kostendruck. Die Zinsmargen gehen zurück. Auf Dauer wird es bei weiterem Anhalten der Negativzinspolitik kaum mehr möglich sein, eine Überwälzung dieser Konditionen auf Bürger und Mittelstand zu verhindern. Es besteht die Gefahr, dass das für das kontinentaleuropäische Finanzsystem essenzielle und die Stabilität fördernde Modell der regionalen Kreditbanken Schaden nimmt. Damit nähme auch die Finanzierung der kleinen und mittelständischen Unternehmen Schaden. Insbesondere die Sperrklinkeneffekte einer fortgesetzten Extrempolitik sollten nicht unterschätzt werden. Diese führt zu einer Überproduktion von Kredit an den Finanzmärkten und erzeugt neue Überbewertungen 6

bzw. Blasen, bis eine Korrektur kaum mehr möglich ist. Die Notenbanken müssen dann das Ziel der Finanzstabilität immer mehr über das Ziel der Preisstabilität stellen, Zinserhöhungen sind überhaupt nicht mehr verkraftbar, und damit nimmt der Zustand einen selbstverstärkenden Charakter an. Ausstieg ja, aber nicht zu schnell Wie die Erfahrungen aus den USA zeigen, kann der Einstieg in den Ausstieg aus der ultra-expansiven Geldpolitik gelingen, ohne Wirtschaft und Finanzmärkte dauerhaft wieder in Verunsicherung und Chaos zu stürzen. Die Bedingung dafür ist wohl, diesen Ausstieg sehr behutsam umzusetzen, was in der Sprache der Geldpolitik bedeutet, ihn über mehrere Jahre zu strecken und Finanzmärkte und Unternehmen kommunikativ ausreichend auf die Veränderung der monetären Bedingungen vorzubereiten. Die Geschwindigkeit, mit der die EZB aus ihrer außergewöhnlich expansiven Geldpolitik aussteigt, hängt aber von den ökonomischen Entwicklungen ab. Auf ihrer Ratssitzung im Dezember hat die EZB beschlossen, ihre Wertpapierkäufe ab April 2017 auf immerhin noch 60 Mrd. Euro pro Monat zu reduzieren. Gleichzeitig hat sie jedoch angekündigt, die Käufe in dieser Höhe bis Ende 2017 fortzusetzen. Man sollte die Änderungen, die die EZB jetzt an ihrem Wertpapierankaufprogramm vornehmen wird, daher noch nicht als ersten Schritt des Ausstiegs aus der ultra-expansiven Geldpolitik verstehen. Dass man hierüber nachdenkt, sollte die EZB schon in der ersten Jahreshälfte 2017 signalisieren, und in der zweiten Jahreshälfte 2017 vor dem Hintergrund des dann herrschenden Wachstums- und In ationsausblicks sowie des allgemeinen Finanzmarktumfelds eine entsprechende Entscheidung kommunizieren. Voraussetzung dafür ist aber, dass politische Entwicklungen keine erneuten Unsicherheitsschocks auslösen. Finanzmärkte langfristig auf den Ausstieg vorbereiten Vom ersten Schritt der Beendigung des Wertpapierankaufprogramms über das Ende von Reinvestitionen, das Anheben des bislang negativen Einlagensatzes und der Erhöhung des Geldmarktsatzes können noch zwei bis drei Jahre vergehen. Erst wenn der Einlagensatz ein hinreichend hohes Niveau von ca. 1,0% erreicht hat, könnte eine Verbreiterung des Zinskorridors die Geschäftsbanken animieren, wieder intensivere Beziehungen am Geldmarkt aufzubauen und sich damit von der Re nanzierung bei der EZB unabhängiger zu machen. Wenn die EZB selbst unter der Unsicherheit der wirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden Jahren einen solchen Ausstiegsfahrplan umsetzen will, dann muss sie jetzt die hierzu notwendigen Konzepte entwickeln und bald anfangen, die ersten Signale in diese Richtung zu setzen. 7

Wirtschaftspolitik ist Regierungssache, nicht die der Notenbanken Die Politik muss die EZB unterstützen, indem sie die von der Notenbank in den vergangenen Jahren zusätzlich übernommenen Aufgaben der Wachstumsgenerierung, der Finanzmarktstabilität und des Zusammenhalts der Währungsunion von nun an stärker selbst in die Hände nimmt. Die wieder angesprungene Entwicklung wirtschaftlichen Wachstums können die Regierungen vor allem dadurch unterstützen, dass die wachstumsfreundlichen Reformen der vergangenen Jahrzehnte zuletzt verstärkt durch das neue Europäische Semester der Europäischen Kommission nicht wieder zurückgedreht werden. Demogra sch bedingten Wachstumshemmnissen kann durch eine kontrollierte Einwanderungspolitik entgegengewirkt werden. Notwendige Investitionen in Infrastruktur oder Bildung sollten stärker mit europäischer Beteiligung angegangen werden, wo die nationalen Finanzmittel erschöpft sind. Die Bürger wünschen allerdings nicht mehr länger nur Wachstum, sondern Wachstum für alle, also eine gerechte Verteilung. Hier ist die Politik aufgefordert, nach neuen Formen des sozialen Ausgleichs in den Dienstleistungsökonomien des 21. Jahrhunderts zu suchen und mit den Bürgern hierüber in einen Dialog zu treten. Wir sind der Auffassung, dass die Instrumente der Sozialen Marktwirtschaft nicht völlig neu de niert, sondern neu geschärft werden müssen. Zur Verstetigung der Finanzstabilität sind insbesondere die Entwicklung der Neukreditvergabe und die Behandlung von Altlasten aus Finanzkrisenzeiten bedeutsam. Zusammen mit den privaten Sektoren, der Europäischen Zentralbank und den nationalen Aufsichtsbehörden muss die Politik die Aufdeckung und Abschreibung von leistungsgestörten Krediten voranbringen. Bei der Neukreditvergabe stehen auch die Staats nanzen im Brennpunkt. In diesem Zusammenhang wird auch angeführt, dass insbesondere die Staats nanzen der nanzschwächeren Mitgliedstaaten eine Zinserhöhung durch die EZB nicht verkraften könnten. Abgesehen davon, dass eine solche Auffassung gegen Geist und Buchstaben des gesetzlichen Auftrages der EZB verstößt, ist sie auch politisch höchst unvernünftig. Es besteht die Gefahr, die Notenbanken dauerhaft als Garanten für eine ansonsten unhaltbare Staatsverschuldung zu verwenden. Hohe Staatsverschuldung darf nicht zur Triebfeder der Geldpolitik werden Auch hier ist langfristig die Stabilität des Finanzsystems in Gefahr. Das bedeutet, dass die Gesundung der öffentlichen Finanzen in Europa nur durch die Finanzpolitik selber erreicht werden kann. Auf sehr lange Frist wird man in der Währungsunion nicht darum herumkommen, dass die starken Regionen die schwachen Regionen unterstützen, wie dies in jedem funktionierenden Währungsraum der Fall ist. 8

Vom Frühjahr 2017 bis Frühjahr 2018 wählen voraussichtlich etwa zwei Drittel der Bürger des Europäischen Währungsraumes neue Regierungen. Das Klima ist dabei von tief sitzendem Unmut gegenüber den rapiden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen geprägt, auf die nach dem Emp nden Vieler zu wenig Antworten gegeben werden. Diese Antworten kann jedoch nur die Politik im Dialog mit den Bürgern entwerfen. Es ist also spätestens nach Beginn der Legislaturperioden der neuen Regierungen an der Zeit, sich den großen Fragen zur Zukunft Europas und seiner Wirtschaftsordnung zu widmen. Die Zentralbanken sind nicht dafür da, einer endlosen Diskussion darüber dauerhaft den nanziellen Weg zu ebnen. Sie haben mit der Abwehr der de ationären Gefahren nach der Finanzkrise ihre Mission erfüllt. Nun müssen die Regierungen übernehmen. Disclaimer Das vorliegende Positionspapier der Chefvolkswirte entspricht nicht notwendiger Weise der Haltung der DekaBank oder der Haltung der jeweiligen Landesbanken und Sparkassen. Impressum Herausgeber Deutscher Sparkassen- und Giroverband e. V. Abteilung Volkswirtschaft und Finanzmärkte Charlottenstraße 47 10117 Berlin Verantwortlich Pia Jankowski DSGV Direktorin Volkswirtschaft, Finanzmärkte und Wirtschaftspolitik Pia.Jankowski@DSGV.DE Telefon: 030 20225-5300 DSGV-Volkswirtschaft@DSGV.DE www.dsgv.de Gestaltung Franz Metz, Berlin Bildnachweis Seite 1: plainpicture/jochen Knobloch Dr. Reinhold Rickes DSGV Abteilungsdirektor Volkswirtschaft, Referat Europäische Wirtschatfts- und Währungspolitik, Finanzstabilität Reinhold.Rickes@DSGV.DE Hinweis Alle Publikationen dieser Reihe nden Sie unter http://www.dsgv.de/de/fakten-und-positionen/ Standpunkte_Chefvolkswirte.html ISSN 2509-3851 9