Straßenverkehrslärm Rechts- und Berechnungsvorschriften Ermittlung der Lärmbelastung an Straßen: Berechnen, messen und beurteilen im Einklang mit den geltenden Vorschriften Dr. Holger Figge Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Bonn
Tagung Lärmkongress 2000 1. Einzelfahrzeug Grenzwerte für das Fahrgeräusch von motorisierten Straßenfahrzeugen (Typprüfung) sind in EG-Richtlinien geregelt und wurden seit 1989 in 2 Stufen verschärft. Die Grenzwerte wurden dabei je nach Fahrzeugtyp und Leistungsklasse um 2 bis 6 db(a) gesenkt. Ab 1.10.1996 traten beispielsweise für neu zugelassene Lkw gegenüber den bis dahin gültigen Regelungen um 4 db abgesenkte Grenzwerte in Kraft. 2. Straßenverkehrs-Ordnung Die StVO bietet die Möglichkeit, verkehrliche Anordnungen zum Schutz vor negativen Auswirkungen des Straßenverkehrs auf die Umgebung zu erlassen. 45 gestattet,... zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm... die Benutzung von Straßenabschnitten zu beschränken oder zu verbieten. Aus dem Jahr 1981 stammen die Vorläufigen Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm zur StVO, die heute noch gültig sind. Sie sehen ein Eingreifen erst oberhalb vorhandener Pegel von 70/60 db(a) tags/nachts bei allgem. Wohngebieten und 75/65 db(a) bei Kern-, Dorf- und Mischgebieten vor. Weiterhin fordern sie, dass mit verkehrsbeschränkenden Maßnahmen mindestens eine Pegelminderung von 3 db(a) erzielt werden muss. 3. Lärmvorsorge 3.1 Bundes-Immissionsschutzgesetz Das BImSchG wurde kurz vor Erlass im Jahr 1974 um die 41 bis 43 ergänzt, die sich mit dem Lärmschutz bei Bau und wesentlicher Änderung von Straßen und Schienenwegen beschäftigen. Gemäß 41 ist sicherzustellen, dass von den Verkehrswegen keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Der Vorrang aktiver Maßnahmen gegenüber passiven ist damit gesetzlich verankert. Lediglich, wenn die Kosten der Schutzmaßnahme außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen..., kommen Entschädigungsleistungen des Baulastträgers für Schallschutzmaßnahmen an der baulichen Anlage (Passivschutz) in Frage - siehe dazu 42. Der 43 BImSchG enthält die Ermächtigung für die Bundesregierung, Rechtsverordnungen zur Durchführung der 41 und 42 (1) und (2) zu erlassen. Maßnahmen auf der Grundlage des 41 BImSchG werden als Lärmvorsorge bezeichnet. An zwei weiteren Stellen ist der Lärmschutz im BImSchG verankert: Zum einen enthält es den sog. Vorsorgegrundsatz des 50 Planung, wonach schädliche Einwirkungen auf Wohnflächen zu vermeiden sind. Die Regelungen des 50 gelten sowohl für Straßenplanungen als auch für die Bauleitplanung. Zum anderen wurde 47a Lärmminderungspläne vor einigen Jahren hinzugefügt, wonach Gemeinden für Gebiete, in denen schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche hervorgerufen werden oder zu erwarten sind, Lärmminderungspläne aufzustellen haben. Eine zeitliche Vorgabe hierfür sieht das Gesetz allerdings nicht vor. 3.2 Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) Die zum BImSchG 1990 erlassene 16. BImSchV konkretisiert nun die Forderungen des BImSchG und liefert das Werkzeug, um Maßnahmen der Lärmvorsorge realisieren zu können. Sie regelt im wesentlichen dreierlei: Sie definiert den Begriff der Wesentlichen Änderung aus dem BImSchG schreibt ein Berechnungsverfahren für den Beurteilungspegel zur Anspruchsermittlung und Dimensionierung von Lärmschutzmaßnahmen vor gibt die einzuhaltenden IGW vor. Die Verordnung gilt für den Bau und die wesentliche Änderung von Straßen- und Schienenwegen der Eisenbahn und Straßenbahnen.
Die zum Schutz der Nachbarschaft einzuhaltenden Immissionsgrenzwerte (IGW) in db(a) betragen nach 2 (1) der 16. BImSchV: Anlagen und Gebiete Tag Nacht Krankenhäuser, Schulen, Kur- und Altenheime Reine und allgemeine Wohngebiete und Kleinsiedlungsgebiete 57 47 59 49 Kern-, Dorf- und Mischgebiete 64 54 Gewerbegebiete 69 59 3.3 Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmenverordnung (24. BImSchV) Die 24. BImSchV ist seit Frühjahr 1997 in Kraft und behandelt Fälle der Lärmvorsorge. Sie regelt Art und Umfang der zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche notwendigen Schallschutzmaßnahmen für schutzbedürftige Räume in baulichen Anlagen. Auf dem durch die Verkehrslärmschutzverordnung festgelegten Schutzniveau ist die 24. BImSchV als Ergänzung für den Bereich Passivschutz zu sehen. Sie definiert die Schutzmaßnahmen, benennt die schutzbedürftigen Räume und deren Umfassungsbauteile, regelt den Umfang der Schutzmaßnahmen. 4. Lärmsanierung Niemand kann gezwungen werden, an bestehenden Verkehrswegen, die nicht wesentlich geändert werden, Lärmschutzmaßnahmen zu ergreifen, weil eine gesetzliche Regelung hierfür nicht existiert. Das heißt es ist jedem Baulastträger freigestellt, Lärmsanierung zu betreiben oder nicht. Die Handhabung bei Bund, Ländern und Gemeinden ist sehr unterschiedlich; einige Bundesländer sowie viele Gemeinden führen bei ihren Straßen keine Lärmsanierung durch. Für die Bundesfernstraßen, also Autobahnen und Bundesstraßen, führt der Bund im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten seit 1978 Lärmsanierung durch. Er stellt dafür den Ländern z.zt. im Jahr ca. 60 Mio. DM zur Verfügung. Voraussetzung für die Sanierung an Bundesfernstraßen ist, dass diese vor dem 1. April 1974 (Zeitpunkt des Erlasses des BImSchG) gebaut und unter Verkehr genommen wurden und der Beurteilungspegel die folgenden Immissionsgrenzwerte in db(a) überschreitet: Gebietskategorie Tag Nacht Krankenhäuser, Schulen, Kur- und Altenheime, reine und allgemeine Wohn- sowie Kleinsiedlungsgebiete 70 60 Kern-, Dorf- und Mischgebiete 72 62 Gewerbegebiete 75 65
Tagung Lärmkongress 2000 5. Verkehrslärmschutzrichtlinien (VLärmSchR 97) Die Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes stellen eine Verwaltungsvorschrift dar, die in Zusammenarbeit zwischen dem damaligen BMV und den Straßenbauverwaltungen der Länder erarbeitet wurde und seit Mitte 1997 im Rahmen der Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen angewendet wird. Die Richtlinien konkretisieren die normativen Regelungen des BImSchG, der 16. und 24. BImSchV unter Beachtung neuerer Rechtsprechung. Sie behandeln Lärmvorsorge und -sanierung, aktiven und passiven Schutz wie auch Entschädigungsmaßnahmen. 6. Straßenverkehrslärm messen oder berechnen? In 3 der 16. BImSchV ist gefordert: Der Beurteilungspegel ist für Straßen nach Anlage 1... zu dieser Verordnung zu berechnen. Der Beurteilungspegel ist also nicht durch Messungen, sondern durch ein Berechnungsverfahren zu ermitteln. Das Berechnungsverfahren ist in den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen - RLS-90 enthalten, auf die in der Anlage zur 16. Verordnung verwiesen wird. Die Forderung, Lärm vor Ort zu messen, taucht dennoch immer wieder auf. Lärmgeplagte Anwohner wie Bürgermeister machen sich in Besprechungen, Schreiben und Petitionen für einen Nachweis durch Schallmessung stark. Eine Messung erfasst aber nur eine kurzfristige Situation, die sich wenig früher oder später ganz anders darstellen kann und somit nicht repräsentativ ist, da sich Verkehrsmenge und -zusammensetzung, Fahrgeschwindigkeiten, Wind- und Straßenverhältnisse und andere Gegebenheiten ständig ändern (können). Messungen sind auf Grund der örtlichen Gegebenheiten oft gar nicht möglich, z.b. wegen unerwünschter Schallhindernisse oder auftretender -reflexionen. Repräsentative Messungen würden aber jedenfalls einen unvertretbar hohen Aufwand erfordern. Demgegenüber basieren die Rechenmethoden der RLS-90 auf langfristigen, empirischen Untersuchungen, so dass Berechnungen in der Lage sind, allgemein gültige und vergleichbare Ergebnisse zu liefern. Sie gewährleisten eine Gleichbehandlung der vom Lärm Betroffenen. Sie können auch jederzeit von Fachleuten nachvollzogen und überprüft werden. Im übrigen wären Messungen für eine Prognose, also eine Abschätzung des Lärms für ein kommendes Straßenbauvorhaben auf Jahre im Voraus, sowieso nicht möglich. Ebenso können geplante Lärmschutzmaßnahmen ausschließlich mit Hilfe von Berechnungen dimensioniert werden. Aus den vorher genannten Gründen ist auch die nachträgliche Prüfung der Wirksamkeit einer Lärmschutzwand unsinnig. Der Nachweis, dass Bauteile für Lärmschutzwände ihre schalldämmende und absorbierende Funktion erfüllen, wird im Schalllabor erbracht. Die Wände erhalten ein Zeugnis und können dann in gleicher Bauart draußen an der Straße errichtet werden. Zusammengefasst wird in allen konkreten Fällen von Lärmbetroffenheit nicht gemessen, sondern berechnet. In welchen Fällen wird nun gemessen? Messungen haben ihre Berechtigung grundsätzlich emissionsseitig. Sie werden, wie erwähnt, zur Beurteilung der Fahrzeugemissionen (Typprüfung) angewandt. Weiterhin zu Forschungszwecken, z.b. um unterschiedliche Fahrbahnbeläge akustisch qualifizieren zu können (sozusagen als akustische Typprüfung für Deckschichten). Das heißt, es bestehen ganz spezielle und vom einzelnen Immissionsort abgekoppelte Fragestellungen, die mit gezielten und in ihrer Durchführung genau festgelegten Messmethoden beantwortet werden.
7. Perspektiven Wie geht es weiter beim Straßenverkehrslärm? 7.1 Europäische Union Die EU hat sich ebenfalls für eine Berechnung, nicht Messung, von Verkehrslärm ausgesprochen. In einem ersten Schritt ist beabsichtigt, das Berechnungsverfahren innerhalb der Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Eine Differenzierung, wie wir sie kennen, in Lärmvorsorge und -sanierung wird auf europäischer Ebene nicht vorgenommen. Die Europäische Kommission hat im Mai diesen Jahres den Entwurf einer Richtlinie vorgelegt, in welchem im wesentlichen ein Lärm-Mapping oberhalb bestimmter Siedlungsgrößen das Bereitstellen von Daten zu Verkehrsanlagen das 5-jährige Aktualisieren der beiden vorgenannten Datensammlungen die Aufstellung von Aktionsplänen eine Informationspflicht gegenüber der Bevölkerung sowie gegenüber der EU- Kommission vorgesehen sind. Wenn der Entwurf, dessen Inhalte noch ausführlich zu diskutieren sind, zur endgültigen Richtlinie geworden ist, muss die nationale Gesetzgebung entsprechend angepasst werden. Mit einem spürbaren Einfluss auf die nationalen Regelungen zum Lärmschutz ist aus jetziger Sicht mittel- bis langfristig zu rechnen. 7.2 Koalitionsvereinbarung Die Koalitionsvereinbarung vom Herbst 1998 sieht vor, den Schutz vor Verkehrslärm, besonders während der Nachtruhe,... auf eine verbesserte gesetzliche Grundlage zu stellen. Für Straßenlärm gibt es erste Überlegungen zur Umsetzung seitens des Bundesministeriums für Umwelt wie auch seitens des BMVBW. Im Sinne der von Verkehrslärm stark Betroffenen kann durch Aktivitäten bei der Sanierung mehr erreicht werden als bei der Vorsorge.