HINTERGRUND Medikamentöse Therapie der Alzheimer-Demenz Memantin als wirksame Behandlungsoption in moderaten bis schweren Stadien In der S3-Leitlinie Demenzen werden für die Therapie der Alzheimer-Demenz zwei medikamentöse Therapieoptionen empfohlen 1 : Acetylcholinesterase-Hemmer in leichten bis mittelschweren Stadien: Diese steigern die Verfügbarkeit des Signalstoffs Acetylcholin, indem sie das Enzym Acetylcholinesterase blockieren, das im gesunden Gehirnstoffwechsel das Acetylcholin abbaut. Der N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptorantagonist (Memantin) in moderaten bis schweren Stadien: Memantin wirkt spezifisch auf das glutamaterge System und reguliert die gestörte Signalübertragung im Gehirn. Antidementiva können eine Alzheimer-Demenz nicht heilen. Sie können aber den Verlauf der Krankheit hinauszögern und dem Patienten ein möglichst langes und weitgehend selbständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen und damit auch den pflegenden Angehörigen entlasten. Im moderaten bis schweren Stadium wird Memantin (Ebixa ) empfohlen. 1 Die Wirksamkeit und die signifikant positiven Effekte auf kognitive Fähigkeiten und funktionelle Kommunikation sind seit vielen Jahren kontinuierlich in Studien, Klinik und Praxis belegt (s.u.). Sie beruhen auf einem einzigartigen Wirkmechanismus. Einzigartiger Wirkmechanismus die Rolle des Glutamats Für höhere Hirnfunktionen wie Lernen und Erinnern spielt der Botenstoff Glutamat eine zentrale Rolle. Glutamat ist der wichtigste exzitatorische Neurotransmitter im zentralen Nervensystem; man geht davon aus, dass es in mehr als 70 Prozent aller erregenden Nervenzellen des Gehirns aktiv ist. Glutamat bindet an den NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptor. Im Ruhezustand ist der Ionenkanal des NMDA-Rezeptors durch Magnesium blockiert. Bei eingehenden Signalen wird verstärkt Glutamat in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Dieses 1 S3-Leitlinie Demenzen (2009) in: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.): S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie. Diagnose- und Behandlungsleitlinie Demenz (Springer). 1
reguliert die Öffnung des Kanals, so dass die Magnesium-Blockade aufgehoben wird und Kalzium-Ionen in die Zelle einströmen können. Bei der Alzheimer-Demenz ist der Glutamatspiegel durch gestörte Freisetzungs- und Wiederaufnahmeprozesse auch im Ruhezustand chronisch erhöht. Dies hat zur Folge, dass der Rezeptorkanal aktiviert bleibt und Kalzium-Ionen kontinuierlich einströmen. So entsteht ein erhöhtes Grundrauschen ; neu eingehende Signale können nicht mehr wahrgenommen werden. Hier setzt die Wirkung von Memantin ein: Der Wirkstoff bindet ähnlich wie Magnesium ebenfalls an den NMDA-Rezeptor und blockiert ihn. Dadurch reduziert er den Einstrom von Kalzium-Ionen, das Grundrauschen nimmt ab. Trifft nun ein neues Signal ein, reicht die kurzfristig erhöhte Glutamat-Konzentration aus, um das Memantin-Molekül vorübergehend zu verdrängen und den Rezeptor zu aktivieren; das Signal wird erkannt und kann gezielt weitergeleitet werden. Somit reguliert Memantin die gestörte Neurotransmission und fördert die Funktion der Nervenzellen. Es kommt zu einer Normalisierung der neuronalen Übertragung, der neuronalen Dysfunktion infolge der pathologischen Erhöhung der Glutamatkonzentration wird entgegengewirkt. Wirksamkeit von Memantin nachgewiesen Für die klinische Wirksamkeit von Memantin liegen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin Belege mit höchstem Evidenzgrad vor. Wie in randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Studien nachgewiesen wurde, ist Memantin in den Kerndomänen Kognition, Alltagskompetenz, Verhalten und Klinischer Gesamteindruck Plazebo signifikant überlegen. 2 Memantin beeinflusst den Verlauf der Erkrankung positiv. Lern- und Gedächtnisdefizite werden verringert und kognitive Leistungen bleiben länger erhalten. Die Betroffenen kommen im Alltag besser zurecht und können alltägliche Aufgaben erfolgreicher bewältigen dazu gehören etwa aufstehen, sich anziehen", essen und trinken oder der Gang zur Toilette. 3 Neben kognitiven und funktionalen Defiziten treten mit dem Fortschreiten der Demenz zunehmend auch psychopathologische Symptome auf. Gerade Verhaltensstörungen wie Agitation oder Aggression erschweren den täglichen Umgang mit den Betroffenen; oft geben sie den Ausschlag für die Unterbringung in einem Pflegeheim. Aktuelle Studien zeigen auch hier signifikante Vorteile von Memantin gegenüber Plazebo 4. 2 Winblad B et al. (2007) Memantine in Moderate to Severe Alzheimer s Disease: a Meta Analysis of Randomised Clinical 3 Doody R et al. (2004): Specific Functional Effects of Memantine Treatment in Patients with Moderate to Severe Alzheimer s Disease. Dementia and Geriatric Cognitive Disorders 18:227-232. 4 Gauthier S et al. (2005): Effects of Memantine on behavioural symptoms in Alzheimer's disease patients: an analysis of the Neuropsychiatric Inventory data of two randomised, controlled studies. International Journal of Geriatric Psychiatry 20:459-464. 2
Die in den klinischen Studien beobachteten Effekte haben sich unter alltäglichen Praxisbedingungen bestätigt: So ergab eine offene, multizentrische Anwendungsbeobachtung, dass die Therapie mit Memantin auch bei einem für die Alzheimer-Demenz typischen heterogenen und multimorbiden Patientenkollektiv in allen drei Kerndomänen zu einer Besserung der Symptomatik führte. 5 Gerade im Hinblick auf die häufige Komorbidität und dadurch bedingte Komedikation bei älteren Patienten ist neben der Wirksamkeit auch die Verträglichkeit der Behandlung entscheidend. Die sehr gute Verträglichkeit von Memantin ist durch langjährige klinische Erfahrung belegt. Die Nebenwirkungsrate liegt auf Plazeboniveau. 6 Zudem werden wichtige Isoenzyme des Cytochrom-P450-Systems durch Memantin nicht beeinflusst, so dass Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gering sind. Aufgrund der klaren Evidenz sprechen sich internationale und nationale ärztliche Leitlinien, darunter die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie 7 und die der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) 8, eindeutig für den Einsatz von Memantin aus. Leitlinien empfehlen Therapie mit Memantin Die S3-Leitlinie zur Prävention, Diagnostik und Therapie von Demenzerkrankungen wurde Ende November 2009 von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) gemeinsam mit weiteren Fachgesellschaften herausgegeben. 7 Für die Evidenz der Leitlinie wurden hochwertige internationale Leitlinien, wie z.b. die des National Institute for Clinical Intelligence (NICE) sowie randomisierte kontrollierte Studien, Reviews und Meta-Analysen herangezogen. Die S3-Leitlinie gibt Empfehlungen zu Diagnostik, medikamentöser Therapie und psychosozialen Interventionen und thematisiert leichte kognitive Störungen sowie Präventionsmaßnahmen. In Bezug auf die Therapiemöglichkeiten der moderaten bis schweren Alzheimer-Demenz spricht sich die Leitlinie eindeutig für die Behandlung mit Memantin aus: Memantin ist wirksam auf die Kognition, Alltagsfunktion und den klinischen Gesamteindruck bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz und eine Behandlung wird empfohlen. 7 Darüber hinaus empfiehlt das britische National Institute for Health and Clinical 5 Calabrese P et al. (2006): Memantin in der klinischen Anwendung. Erfahrungen aus der Praxis. Psychopharmakotherapie 2:64-69. 6 Winblad B et al. (2007) Memantine in Moderate to Severe Alzheimer s Disease: a Meta Analysis of Randomised Clinical 7 S3-Leitlinie Demenzen (2009) in: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.): S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie. Diagnose- und Behandlungsleitlinie Demenz (Springer). 8 AkdÄ (2004) Empfehlungen zur Therapie der Demenz, in: Arzneiverordnung in der Praxis, Band 31, Sonderheft 4 (Therapieempfehlungen). 3
Excellence (NICE) in seinen überarbeiteten und im März 2011 veröffentlichten Leitlinien die Therapie mit Memantin bei einer Alzheimer-Demenz im moderaten bis schweren Stadium. 9 Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erkennt in seinem aktuellen Rapid Report vom März 2011 den Nutzen von Memantin (Ebixa ) in dem patientenrelevanten Therapieziel der kognitiven Leistungsfähigkeit an. 10 Das IQWiG sieht nach der Prüfung von Responderanalysen außerdem Hinweise auf einen Nutzen im Bereich der alltagspraktischen Fähigkeiten sowie signifikant positive Effekte beim klinischen Gesamteindruck. Das IQWiG ändert damit seine Einschätzung aus dem Abschlussbericht 2009. 11 Bezug nehmend auf die Bewertung des IQWiG, hat im August 2011 der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass Memantin wie bisher verordnet werden kann. 12 Damit bleibt Memantin weiterhin im Rahmen bestehender Arzneimittel-Richtlinien verordnungs- und erstattungsfähig. Schematische Darstellung der Behandlung von Demenzen mit Empfehlungsgraden (A,B,C) modifiziert nach der S3-Leitlinie Demenzen, herausgegeben durch die DGPPN und DGN, November 2009. AD - Alzheimer Demenz, GD gemischte Demenz. 9 http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/13419/53619/53619.pdf. 10 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. IQWiG-Berichte Jahr: 2011 Nr. 84, Responderanalysen zu Memantin bei Alzheimer-Demenz. 11 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. IQWiG-Berichte Jahr: 2009 Nr. 59, Memantin bei Alzheimer-Demenz. 12 Memantin bei Alzheimer-Demenz auch künftig zu Lasten der GKV verordnungsfähig. Pressemeldung Nr. 23/2011 des GBA, 18. August 2011, online verfügbar unter http://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/zum-aufgabenbereich/7/. 4
Patienten und Angehörige profitieren Je weiter die Alzheimer-Demenz fortschreitet, desto größer werden auch die Belastungen für die Betroffenen und ihr persönliches Umfeld. So hat eine internationale Umfrage unter pflegenden Angehörigen durch Alzheimer Europe ergeben, dass rund die Hälfte der Angehörigen, die einen Demenz-Patienten im späten Stadium betreuen, täglich mehr als zehn Stunden mit der Pflege verbringen. 13 Wie die Umfrage zeigt, sind es weniger die kognitiven Beeinträchtigungen als vielmehr die nachlassende Alltagskompetenz sowie Verhaltensstörungen, die die tägliche Pflege zunehmend erschweren. Neben der frühzeitigen Diagnose ist es damit entscheidendes Ziel der Therapie, in allen Stadien der Demenz verbliebene Funktionen so lange wie möglich zu erhalten, um die tägliche Pflege zu erleichtern und den Patienten die Selbständigkeit und Selbstbestimmung weitestgehend zu ermöglichen. Solange eine ursächliche Therapie dementieller Erkrankungen nicht in Sicht ist, ist es das wichtigste Ziel einer Behandlung der fortgeschrittenen Alzheimer-Demenz, die Symptomatik zu bessern und die Progression zu verzögern. Memantin wird diesen Anforderungen gerecht. Mit seinen positiven Effekten auf Kognition, Alltagskompetenz und Verhalten 14 trägt es dazu bei, die Lebensqualität von Betroffenen spürbar zu verbessern. Darüber hinaus werden pflegende Angehörige entlastet. Dies wird durch eine gesundheitsökonomische Untersuchung bestätigt: Demnach reduziert sich der Zeitaufwand für die Betreuung von Betroffenen unter Memantin um knapp 52 Stunden pro Monat (täglich 1,7 Stunden), und auch der Zeitraum bis zur Heimeinweisung konnte deutlich verzögert werden. 15 Die empfohlene Tagesdosierung von Memantin ist 20 mg einmal täglich (Ebixa 20 mg Filmtabletten) 16 zur Behandlung der moderaten bis schweren Alzheimer-Demenz. 13 Georges J et al (2008): Alzheimer s disease in real life - the dementia carer s survey. Int J Geriatr Psychiatry 23: 546-551. 14 Winblad B et al. (2007) Memantine in Moderate to Severe Alzheimer s Disease: a Meta Analysis of Randomised Clinical 15 Wimo A et al. (2003): Resource Utilisation and Cost Analysis of Memantine in Patients with Moderate to Severe Alzheimer s Disease. PharmacoEconomics 21(5):327-340. 16 Fachinformation Ebixa (2008). 5