von Professor Dr. Kai A. Konrad



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Transkript:

Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD für die Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen am 4. Mai 2009 von Professor Dr. Kai A. Konrad Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Freie Universität Berlin und Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht Inhaltsverzeichnis A. Vorbemerkungen B. Die Ausgangssituation C. Grundsätzliche Lösungswege D. Kernpunkte der Verfassungsänderung E. Vergleich mit dem Status quo F. Zusammenfassende Bewertung 1

A. Vorbemerkungen Nachfolgend nehme ich Stellung zu den Beschlüssen der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder- Finanzbeziehungen (Kommissionsdrucksache 174). Ich beschränke mich auf die Änderungen betreffend die Artikel 109 und 115 GG, den neuen Artikel 109a, sowie die Entwürfe der zugehörigen Ausführungsgesetze. Zunächst beschreibe ich die Ausgangslage und die Probleme der Finanzverfassung, die sich im Status quo ergeben. Sodann skizziere ich kurz zwei verschiedene Lösungen, die grundsätzlich zur Verfügung stehen. Anschließend beschreibe ich den materiellen Kern der Verfassungsänderung und bewerte diese materiellen Änderungen unter Bezugnahme auf die Probleme im Status quo. Ich verzichte auf eine Behandlung der Änderungen des Finanzausgleichs. Diese Änderungen lassen sich kaum auf der Basis eines ökonomischallokationspolitischen Kalküls bewerten. Ich gehe auch nicht näher auf die Frage des Übergangs und der geplanten Übergangsfristen ein. Klar ist, dass ein sofortiger Übergang auf die im Gesetzentwurf skizzierten Regeln angesichts der derzeit bestehenden Finanz- und Wirtschafskrise kaum praktikabel ist. Die Änderungen erfordern zudem strukturelle Anpassungen in den Haushalten des Bundes und der Ländern und einen Abbau bestehender struktureller Defizite. Diese Anpassungen benötigen Zeit. Die Frage der genauen Länge der Übergangsfristen ist eine weitgehend politische Frage, die sich einer ökonomisch-allokationspolitischen Einschätzung weitgehend entzieht. 2

B. Die Ausgangssituation Der Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 16/12410) nennt das Ansteigen der Schuldenlast von Bund und Ländern als ein zentrales Problem. Die bestehenden verfassungsrechtlichen Regelungen zur Begrenzung der Kreditaufnahme haben diesen Schuldenanstieg nicht wirksam verhindern können. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen zu ändern und damit die institutionellen Voraussetzungen für eine langfristig tragfähige Finanzpolitik zu schaffen. Der Gesetzgeber hat die Symptome des Problems zutreffend beschrieben. Im Zentrum des Problems steht ein Anreizproblem. Die herrschende Gesetzeslage gibt dem Bund und den Ländern weitgehende Autonomie in Bezug auf die Wahl der Höhe ihrer Neuverschuldung. Die Verschuldungsautonomie des Bundes und der Länder wird im Status quo zwar durch den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt einerseits und durch die Verschuldungsgrenzen in Höhe der Bruttoinvestitionen andererseits beschränkt. De facto ist indes keine dieser Beschränkungen für den Bund oder die einzelnen Länder bindend. Für die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts gibt es letztlich nur eine kollektive Verantwortung, und das Investitionskriterium hat wegen der Ausnahmeregelungen für den Fall einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts faktisch keine Bindungswirkung. Diese Verschuldungsautonomie geht einher mit kollektiver Schuldenverantwortung. Bund und Länder sind zwar formal für die Rückzahlung ihrer Kredite allein verantwortlich. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil 2006 zur Klage Berlins auf Bundeshilfen wegen einer extremen Haushaltsnotlage indes noch einmal klar gestellt, dass Bund und Länder in einer gegenseitigen Solidaritätsbeziehung zueinander stehen. Es bestehen föderale Hilfsverpflichtungen als 'ultima ratio'. Angesichts dieser Verpflichtungen haften Bund und Länder letztlich gesamtschuldnerisch, so dass für die Frage der Kreditsicherheit für Gläubiger nur die Bonität der Bund-Länder-Gemeinschaft insgesamt relevant ist. 3

Die Kombination von Verschuldungsautonomie und gemeinschuldnerischer Haftung als 'ultima ratio' führt dazu, dass jeder Schuldner die vollen Vorteile seiner zusätzlichen Nettokreditaufnahme genießen kann, einen großen Teil der Kosten für diese zusätzliche Nettokreditaufnahme aber an die Schuldnergemeinschaft überwälzen kann. Dies führt zu übermäßigen Verschuldungsanreizen und gefährdet mittel- bis langfristig die Stabilität und Tragfähigkeit des Systems der öffentlichen Finanzen. Eine Befassung des Gesetzgebers mit diesem Problem war geboten. C. Grundsätzliche Lösungswege Aus dem beschriebenen Dilemma führen grundsätzlich zwei verschiedene Wege. Zum einen kann der Verfassungsgeber die Verschuldungsautonomie durch ein System von Geboten, Verboten, Kontrollinstanzen und Sanktionsmechanismen einschränken. Die dadurch möglicherweise erreichbare effektive Beschränkung der Verschuldungsautonomie würde eine übermäßige Kreditaufnahme des Bundes und der Länder verhindern. Somit könnten sich die Anreize aus der bundesstaatlichen Solidarität nicht mehr schädlich auswirken. Effektive Verschuldungsgrenzen lassen sich indes auch ohne eine formale Beschränkung der Verschuldungsautonomie der einzelnen Gebietskörperschaften erreichen. Statt solche Verschuldungsgrenzen festzuschreiben, könnte man den Haftungsverbund lösen und das Element der Schuldeneigenverantwortlichkeit von Bund und Ländern stärken. Hierzu wäre es erforderlich, mindestens auf der Ebene der Länder die Möglichkeit zu eröffnen, dass Länder sich im Fall einer Überschuldung selbst durch eine Sanierungsinsolvenz nach amerikanischem oder kanadischem Vorbild entschulden können. Diese Alternative habe ich in meiner Stellungnahme vom 25. Mai 2007 (Kommissionsdrucksache 020) favorisiert. 4

Zur Lösung des Anreizproblems hat sich der Gesetzgeber mit dem vorliegenden Entwurf für die erste Variante entschieden, die eine Beschränkung der Verschuldungsautonomie vorsieht. Hierfür kombiniert der Gesetzentwurf verschiedene Regelwerke und Haushaltsvorschriften. Der Entwurf zielt darauf ab, die bestehenden Regelungen der Schuldenbegrenzung für Bund und Länder über eine Reform der Artikel 109 GG und Artikel 115 GG so zu ändern und zu ergänzen, dass ein restriktiveres Regelwerk zur Beschränkung der Neuverschuldung und zu einer transparenten Überwachung der Haushalte geschaffen wird. D. Kernpunkte der Verfassungsänderung Im Kern umfasst der Reformvorschlag die folgenden Beschränkungen, Kontrollinstrumente und Sanktionsmechanismen für Bund und Länder: Verzicht der Haushalte von Bund und Ländern auf ein strukturelles Haushaltsdefizit, bzw. die Erhebung eines Kreditfinanzierungsverbots in den Verfassungsrang (Art. 109). Eine Öffnung des Kreditverbots für konjunkturell bedingte Haushaltsdefizite mit klaren Regeln für den Ausgleich der Defizite durch Überschüsse im Konjunkturverlauf (Art. 109). Eine Öffnungsklausel für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen (Art. 109). Die Schaffung eines Stabilitätsrats mit den Aufgaben Überwachung der öffentlichen Haushalte, der Früherkennung möglicher Haushaltsnotlagen und der Befassung mit Sanierungsplänen (Art. 109a). Artikel 115 GG und das zugehörige Ausführungsgesetz präzisieren die Kreditbeschränkungen in den Punkten 1-3 für den Bund. Die Bedingungen für den Bund gelten als materiell erfüllt, wenn die Nettokreditaufnahme des Bundes in 5

der konjunkturellen Normallage 0,35 Prozent des BIP nicht übersteigt. Die Neuverschuldung kann diese Grenze im Konjunkturverlauf unter- oder überschreiten. Diese Abweichungen werden auf einem Kontrollkonto protokolliert. Übersteigen die akkumulierten Überschreitungen auf dem Kontrollkonto 1,5 Prozent des BIP, muss der Bund diese Überschreitungen konjunkturgerecht zurückführen. Ein Bundesgesetz regelt die Verfahren zur Berechnung der konjunkturbereinigten Verschuldung. Für Notsituationen existiert eine Ausnahmeklausel, die eine Abweichung von der Regelverschuldungsgrenze erlaubt. So motivierte zusätzliche Verschuldung ist mit einem Tilgungsplan zu versehen, der vermeiden soll, dass sich die so entstandene Verschuldung perpetuiert. E. Vergleich mit dem Status quo Der vorliegende Reformvorschlag gibt dem Prinzip eines strukturell ausgeglichenen Haushalts Verfassungsrang. Damit verliert die Kreditfinanzierung des Haushalts ihre verfassungsmäßige Legitimation. Kreditfinanzierung ist nur noch in der kurzen Frist, zum Ausgleich von konjunkturellen Schwankungen oder in Extremsituationen legitim. Jeder noch zulässigen Kreditfinanzierung steht die klare Forderung gegenüber, diese Kredite zeitnah im Konjunkturverlauf oder nach einem klar definierten Tilgungsplan durch Haushaltsüberschüsse auszugleichen. Diese neue Verfassungsnorm wird ihre Wirkung mittelfristig entfalten. Sie hat das Potential, die Einstellung von Politik und Bevölkerung nachhaltig so zu verändern, dass die Finanzierung von öffentlichen Haushalten durch strukturelle Defizite aus der Haushaltspraxis verschwindet. Die Schaffung dieser Norm ist uneingeschränkt positiv zu bewerten. Es ist sehr schwierig oder unmöglich, ein sanktionsbewehrtes, glaubhaftes und justiziables Regelwerk der Beschränkung der öffentlichen Kreditaufnahme zu konzipieren, das in der Verfassungswirklichkeit einerseits dem Anspruch an 6

Flexibilität (konjunkturelles "Atmen" der Haushalte, Finanzierung von Ausgaben in Extremsituationen) gerecht wird und andererseits den Missbrauch solcher Flexibilität strikt unterbindet. Auch das Regelwerk im Gesetzentwurf ist in diesem Sinne aus verschiedenen Gründen missbrauchsanfällig. Als Grund sind zum einen die Kassenkredite zu nennen. Es bestehen ferner auch nach entsprechender Verfassungsänderung Möglichkeiten, künftige staatliche Zahlungsverpflichtungen einzugehen, die formal keine Kreditverbindlichkeiten sind, in ihren ökonomischen Wirkungen Kreditverpflichtungen aber gleichartig sind. Theoretisch ist es ferner denkbar, dass nach einer Reform die Begriffe 'Naturkatastrophe' oder 'außergewöhnliche Notsituation' in der Verfassungswirklichkeit sehr weit ausgelegt und überstrapaziert werden. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass Sanktionen mit strikter Regelbindung nicht vorgesehen sind. Als wesentlicher Kontrollmechanismus ist die Einrichtung eines Stabilitätsrats vorgesehen, welcher aber nicht über verbindliche, sanktionsbewehrte Instrumente verfügt. Trotz dieser Sachverhalte kann die Umsetzung des vorliegenden Entwurfs die deutsche Finanzordnung maßgeblich verbessern und auf eine größere Nachhaltigkeit bzw. langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte hinwirken. Das Verbot der Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte in die Verfassung zusammen mit der Öffentlichkeitspflicht des Stabilitätsrats könnten eine starke normative Kraft entfalten. Wenn es gelingt, die Kreditfinanzierung öffentlicher Haushalte im Bewusstsein einer breiten politischen Öffentlichkeit zu ächten, dann ergeben sich daraus die gewünschten Wirkungen für eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Haushaltspolitik. Darin liegt die große Chance des Reformentwurfs. Gegenüber dem Status quo ergeben sich aus den Änderungen der Artikel 109 und 115 und der Ergänzung des Grundgesetzes um den Artikel 109a auch einige konkrete Verbesserungen. In der geltenden Fassung des Artikels 115 GG ist eine Finanzierung öffentlicher Ausgaben bis zur Höhe der öffentlichen Bruttoinvestitionen durch Nettokreditaufnahme verfassungskonform. Die daraus resultierende Problematik wurde ausgiebig in der Wissenschaft diskutiert. Die 7

Bindung der Obergrenze der möglichen Nettokreditaufnahme an die öffentlichen Bruttoinvestitionen hat in der Verfassungswirklichkeit die Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte zum Normalfall gemacht. Eine Bindung an die öffentlichen Bruttoinvestitionen als Obergrenze ist in hohem Maße willkürlich und lässt sich weder allokationspolitisch noch unter der Perspektive intergenerativer Verteilungsgerechtigkeit schlüssig begründen. Die Loslösung der Grenzen öffentlicher Nettokreditaufnahme von den öffentlichen Bruttoinvestitionen ist geboten. In der geltenden Fassung des Artikels 115 GG ist die Höhe der Bruttoinvestitionen zudem faktisch keine bindende Kreditgrenze. Die Regierung kann eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen und zu deren Beseitigung Kredite in nicht weiter beschränkter Höhe aufnehmen. Von dieser Ausnahmeregelung wurde in der Vergangenheit für den Bundeshaushalt und in mehreren Landeshaushalten wiederholt Gebrauch gemacht. Die Abschaffung dieser Öffnungsklausel ist sehr positiv zu bewerten. Der Entwurf sieht zwar ebenfalls eine Aussetzung der Kreditbegrenzung in besonderen Ausnahmesituationen vor. Der Kanon der Ausnahmesituationen ist indes anders im Status quo definiert und die Nutzung des Ausnahmesachverhalts soll mit der Auflage eines Tilgungsplans für die in diesem Zusammenhang aufgenommenen Kredite verbunden werden. Es ist zu erwarten, dass die neue Verfassungsnorm des strukturell ausgeglichenen Haushalts auch auf die Verfassungswirklichkeit wirkt und eine Übernutzung der Ausnahmeregelung verhindert. Die Norm kann dazu führen, den Kanon möglicher Ausnahmesachverhalte für eine solche Kreditaufnahme restriktiver zu interpretieren, als dies für das Kriterium der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. 8

F. Zusammenfassende Bewertung Mit den angestrebten Änderungen der Finanzverfassung in Hinblick auf die Artikel 109, 109a und 115 GG reagiert der Gesetzgeber auf Fehlsteuerungen im Rahmen der bestehenden Finanzverfassung. Die beabsichtigten Änderungen sind in ihrer Gesamtheit sehr positiv zu bewerten. Sie sind geeignet, bestehende Fehlsteuerungen zu verringern und auf eine größere Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte hinzuwirken. 9