Kolloquium des Deutschen Zentrums für Altersfragen am 11. Dezember 2008 in Berlin Die Weiterentwicklung der Alterssicherung in Deutschland: Aktuelle und längerfristige Perspektiven Dr. Reinhold Thiede Deutsche Rentenversicherung Bund Referat für Entwicklungsfragen der Sozialen Sicherheit
Die Weiterentwicklung der Alterssicherung in Deutschland: Aktuelle und längerfristige Perspektiven 1. Finanzsituation der Gesetzlichen Rentenversicherung vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarktkrise 2. Diskussion um Altersarmut 3. Weiterentwicklung der grv zu einer Erwerbstätigenversicherung 4. Arbeitslosigkeit und Alterssicherung 5. 3 Säulen -Ansatz: Auch in der Invaliditätssicherung?
Aktuelle Finanzsituation der grv Finanzentwicklung 2008 Einnahmen Ausgaben 237,3 Mrd. Euro 233,5 Mrd. Euro Haushaltssaldo + 3,8 Mrd. Euro Nachhaltigkeitsrücklage 15,7 Mrd. Euro in Monatsausgaben 0,97 Schätzung Oktober 2008
Aktuelle Finanzsituation der grv Basis der mittelfristigen Finanzschätzung: Annahmen der Bundesregierung zur ökonomischen Entwicklung Jahr Schätzung Oktober 2008 Beitragspflichtiges Durchschnittsentgelt Versicherungspflichtig Beschäftigte 2008 2,3% 1,6% 2009 2,8% 0,1% 2010 2,2% 0,2% 2011 2,2% 0,2% 2012 2,2% 0,2%
Aktuelle Finanzsituation der grv Schätzung des Beitragssatzes im mittelfristigen Zeitraum Nachhaltigkeitsrücklage in Mrd. Euro in Monatsausgaben Beitragssatz 2009 18,8 1,13 19,9 % 2010 21,5 1,26 19,9 % 2011 26,7 1,54 19,9 % 2012 27,2 1,54 19,2 % Schätzung Oktober 2008
Diskussion um Altersarmut Anzahl der Grundsicherungsempfänger nach Ursache des Grundsicherungsbedarfs (Invalidität oder Alter) im Alter wg. Invalidität 270000 293100 342350 371000 392368 196000 232900 287150 311000 340234 2003 2004 2005 2006 2007 Altersarmut nimmt zu aber: aktuell kein vordringliches gesellschaftliches Problem!
Diskussion um Altersarmut Anteil der Empfänger von Fürsorgeleistungen* an der Gesamtbevölkerung (nach Altersgruppen) 30% Personen in Privathaushalten und Einrichtungen 25% Stand: 2006 20% 16,8% 15% 10% 10,8% 5% 2,8% 0% unter 15 Jahren 15-64 Jahre 65 Jahre und älter *) Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung für Arbeitssuchende (Alg II) und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
*) 2004: Quote der Bezieher von Grundsicherung im Alter Diskussion um Altersarmut Entwicklung der Armutsquoten bei Älteren und im Bevölkerungsdurchschnitt 5,0% Sozialhilfequote* (Gesamtbevölkerung und Bevölkerung über 65 Jahre) - Entwicklung 1969 bis 2004* - 4,0% 3,0% 3,1% 2,7% 3,3% 3,5% 2,0% 1,0% 1,2% 1,5% 2,0% 1,9% 1,9%* Bevölkerung insg. 1,1% 1,1% Männer 65 Jahre + Frauen 65 Jahre + 0,0% 1969 1981 1993 2004
Diskussion um Altersarmut Niedrige grv-rente = Altersarmut Hohe grv-rente ist Hinweis auf hohes Gesamteinkommen im Alter aber: Niedrige grv-rente ist kein Hinweis auf niedriges Gesamteinkommen im Alter bzw. auf Altersarmut
Diskussion um Altersarmut Gesetzliche Rente und Gesamteinkommen im Alter Höhe der GRV-Bruttorente und des Brutto-Haushaltseinkommens der 65Jährigen und älteren 2.500 Haushaltseinkommen (brutto) 2.000 1.500 1.000 500 1230 1729 1188 1483 Alleinst. Frauen Alleinst. Männer 980 966 1252 1098 1578 1829 0 unter 250 250-500 500-750 750-1000 über 1000 Bruttorente der gesetzlichen Rentenversicherung Quelle: Alterssicherungbericht 2008
Diskussion um Altersarmut 65 Jahre oder älter 53,6% Invalidität 46,4% Struktur der Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Invalidität (Stand: 31.12.2007) These Armut wegen zu geringer Altersrente nur teilweise richtig ohne grv- Anspruch 51,4% mit grv- Anspruch 48,6%
Diskussion um Altersarmut Bezieher niedriger Alterseinkommen in der Zukunft: Durchschnittliche Dauer charakteristischer Biografiemerkmale (in Jahren) 40,0 35,0 Geburtsjahrgänge 1942-1961 Alte Bundesländer 30,0 25,0 26,1 Jahre 20,0 18,3 unteres Quintil obere 4 Quintile 15,0 10,0 5,0 2,4 3,5 4,4 6,4 2,9 1,6 1,9 2,0 5,0 4,1 0,0 sv-pflichtige Vollzeitarbeit sv-pflichtige Teilzeitarbeit Selbständige Erwerbsarbeit Geringfügige Beschäftigung Arbeitslosigkeit Kindererziehung Quelle: AVID 2005
Diskussion um Altersarmut Bezieher niedriger Alterseinkommen in der Zukunft: Durchschnittliche Dauer charakteristischer Biografiemerkmale (in Jahren) 40,0 35,0 34,5 Geburtsjahrgänge 1942-1961 Neue Bundesländer 30,0 26,1 Jahre 25,0 20,0 unteres Quintil obere 4 Quintile 15,0 10,0 10,0 5,0 0,0 1,1 1,6 1,9 1,1 1,3 0,5 3,3 1,5 1,2 sv-pflichtige Vollzeitarbeit sv-pflichtige Teilzeitarbeit Selbständige Erwerbsarbeit Geringfügige Beschäftigung Arbeitslosigkeit Kindererziehung Quelle: AVID 2005
Diskussion um Altersarmut Armut bei älteren Menschen heute weitaus seltener als bei Jüngeren - aber Befürchtung, Altersarmut wird in Zukunft steigen: Anhaltende Arbeitslosigkeit Rentenrechtliche Bewertung Absenkung des Rentenniveaus der grv zu wenig Vorsorge/ Rendite ohne ausreichende Zusatzvorsorge Invaliditätsabsicherung??? Zunahme nicht sozialversicherungspflichtiger Erwerbsarbeit Selbständige Mini-Jobs Niedriglohnsektor Niedrigeinkommen Ost-West Problematik Teilzeitarbeit
Diskussion um Altersarmut... Rente nach Mindesteinkommen Einheitliche Grundrente Aufwertung bestimmter Zeiten Zahllose Lösungsvorschläge aber: Bedürftigkeitsabh. Grundsicherung...... Flexible Anwartschaften Sockelrente (Kath. Verbände) Kein schlüssiges, systematisch begründetes Gesamtkonzept Allgemeines Bürgergeld Rentenangleichung Ost Höheres Rentenniveau Mindestrente (Rürup- Vorschlag)......
Diskussion um Altersarmut Deutsche Rentenversicherung Bund: Ursachenadäquate Strategie zur Vermeidung von Altersarmut Anstieg nicht svpflichtiger Erwerbsarbeit Erwerbstätigenversicherung (Langzeit-) Arbeitslosigkeit Arbeitsmarktpolitik, Rentenrecht: ALG-II-Zeiten Invalidität Umsetzung 3-Säulen-Konzept Unzureichende Zusatzvorsorge Ausweitung der Förderung Dauerhafte Niedriglohnarbeit Arbeitsmarkt-/Lohnpolitik (ggf. rentenrechtl. Flankierung)
Weiterentwicklung der grv zu einer Erwerbstätigenversicherung Alterssicherungsschutz der Selbständigen - Deutschland, Stand: 31.12.1999 - Insgesamt ca. 3,5 Mio. Selbständige 2005: rd. 4,1 Mio. Selbständige Gesetzliche Rentenversicherung 6,3% Alterssicherung der Landwirte 7,2% Berufsständische Versorgungs-werke 8,0% Keine obligatorische Alterssicherung 78,5%
Weiterentwicklung der grv zu einer Erwerbstätigenversicherung Fließende Übergänge von Abhängiger Beschäftigung in Selbständige Erwerbst. Steigende Selbständigenquote Zusätzlicher Verwaltungsaufwand wg. Abgrenzungsproblemen Weiterentwicklung zur Erwerbstätigenversicherung wird notwendig Zusätzliche Finanzbelastung in einer Arbeitnehmerversicherung Bei fehlender anderweitiger Sicherung: Armut im Alter u. bei Invalidität Lücken in der Versichertenbiografie => Sicherungsdefizite
Weiterentwicklung der grv zu einer Erwerbstätigenversicherung Obligatorische Alterssicherung für alle Erwerbstätigen: Erwerbstätigenversicherung Formen der konkreten Umsetzung: Versicherungspflicht mit freier Wahl der Vorsorgeform Pflichtversicherung in der grv für alle sonst nicht obligatorisch gesicherten Erwerbstätigen Pflichtversicherung in der grv für alle Erwerbstätigen (auch Beamte, Freiberufler, etc.) u.a. diskutiert vom Sachverständigenrat Deutsche Rentenversicherung DGB, Sozialverbände
Weiterentwicklung der grv zu einer Erwerbstätigenversicherung Versicherungspflicht mit freier Wahl der Vorsorgeform: Viele Probleme Ausreichende Sicherung für alle möglich? Regulierungen bei Wechsel des Trägers nötig Ungleichbehandlung? Verfassungsrechtliche Bedenken Risikostrukturausgleich erforderlich
Weiterentwicklung der grv zu einer Erwerbstätigenversicherung Pflichtversicherung in der grv für alle Erwerbstätigen: ebenfalls erhebliche Probleme Schließung bestehender Versorgungseinrichtungen Kein Armutsrisiko! => Begründungsdefizite Wirksamer politischer Widerstand der Betroffenen Gefahr: grv muss bestehende Ansprüche übernehmen
deshalb: Weiterentwicklung der grv zu einer Erwerbstätigenversicherung Mit Übergangs- und Vertrauensschutzregelungen Pflichtversicherung in der grv für alle sonst nicht obligatorisch gesicherten Erwerbstätigen Ggf. mit Sonderregelungen >Versicherungspflicht >Bemessungsgrundlage >Beitragstragung >Beitragssatz >Beitragszahlung
Arbeitslosigkeit und Alterssicherung Rentenrechtliche Bewertung von Langzeitarbeitslosigkeit Rentenrechtliche Bewertung von Zeiten des Bezuges von Arbeitslosenhilfe bzw. Arbeitslosengeld II 1999 u. früher Zeiten der Arbeitslosigkeit (Alogeld, Alohilfe) orientiert am früheren sv-pflichtigenlohn bewertet (80 %) ab 2000 Zeiten des Bezugs von Alohilfe entsprechend der Höhe der Leistung bewertet ab 2005 Zeiten des Bezugs von Alg II pauschal entsprechend Arbeitsentgelt von 400 Euro bewertet ab 2007 Zeiten des Bezugs von Alg II pauschal entsprechend Arbeitsentgelt von 205 Euro bewertet
Arbeitslosigkeit und Alterssicherung Rentenrechtliche Bewertung von Langzeitarbeitslosigkeit Monatsrente aufgrund von 1 Jahr Bezug von Arbeitslosenhilfe bzw. Arbeitslosengeld II (aktuelle Werte für die alten BL) Rentenbeginn Arbeitseink. vor Alo 100 % Durchschnitt Arbeitseink. vor Alo 80 % Durchschnitt Vor 2000 21,25 Euro 17,00 Euro 2000 2004 14,08 Euro 11,26 Euro 2005 2006 4,23 Euro 4,23 Euro Ab 2007 2,17 Euro 2,17 Euro
Arbeitslosigkeit und Alterssicherung Rentenrechtliche Bewertung von Langzeitarbeitslosigkeit Mögliche Verbesserungen der rentenrechtlichen Bewertung von Zeiten des Bezugs von Alg II Regelung Aktueller Gegenwert (alte BL) Geltendes Recht Basis: 205 Euro/Monat 2,17 Euro Basis: Orientierung am Alg II-Anspruch (ca. 615 ) 6,88 Euro DGB 0,5 EP 13,28 Euro Prof. Rürup 0,5 EP bis 30 EP insg. max. 13,28 Euro Alternative??? Anrechnungszeit mit Gesamtleistungsbewertung und Deckelung??? Euro
3 Säulen -Ansatz: Auch in der Invaliditätssicherung? 70% Entwicklung der Zahl der Grundsicherungsbezieher Anteil der Empfänger wg. Invalidität und wg. Alters 60% 57,9% 55,7% 54,4% 54,4% 53,6% 50% 40% 42,1% 44,3% 45,6% 45,6% 46,4% wg. Invalidität im Alter 30% 2003 2004 2005 2006 2007
3 Säulen -Ansatz: Auch in der Invaliditätssicherung? Rentenreformen 2001/2004: Neues Leitbild des deutschen Alterssicherungssystems Früher: Heute: grv soll auch allein sicherstellen, dass im Alter der zuvor erreichte Lebensstandard aufrecht erhalten werden kann ( lebensstandardsichernde Rente ) grv ist wesentlicher Teil der Lebensstandardsicherung aus mehreren Säulen Langfristige Senkung des Renteniveaus der grv Förderung des Aufbaus ergänzender kapitalgedeckter Anwartschaften in der 2. und 3. Säule Zusammenwirken der drei Säulen notwendig
3 Säulen -Ansatz: Auch in der Invaliditätssicherung? Strukturelle Probleme bei Umsetzung des Leitbildes in der Invaliditätssicherung Nicht für alle Versicherten geeignete Produkte der Zusatzvorsorge zu vertretbaren Konditionen. Keine für alle Säulen einheitliche Entscheidung über Leistungsfall Risikospezifische Beiträge der Versicherungsprodukte Keine Angebote für spezielle Risikogruppen Jede Säule entscheidet über Vorliegen von Invalidität Zusammenwirken der drei Säulen nicht gesichert
3 Säulen -Ansatz: Auch in der Invaliditätssicherung? Beispiel: Risikospezifische Beiträge der privaten Invaliditätssicherung * (Jahresbeiträge) Frau Mann Bankangestellter, 30 Jahre 476 EUR 482 EUR Bankangestellter, 40 Jahre 697 EUR 673 EUR Krankenpfleger/-schwester, 30 J. 1.264 EUR 1.231 EUR Krankenpfleger/-schwester, 40 J. 1.905 EUR 1.741 EUR * Risikolebensversicherung mit Berufsunfähigkeitsversicherung (Tarif einer großen deutschen Versicherungsgesellschaft); 50.000 EUR Einmalzahlung bei Tod, 1.000 EUR Monatsrente bei Berufsunfähigkeit; Laufzeit bis zum 65. Lebensjahr Tarif für Nichtraucher; Konstante Beiträge (abh. vom Eintrittsalter) während der Laufzeit
3 Säulen -Ansatz: Auch in der Invaliditätssicherung? Option 1: Umsetzung analog zu Altersrente (Konzept Riester-Rente ) Leistungen der 2./3. Säule als notwendige Ergänzung zur Lebensstandardsicherung bei Invalidität Dafür wären aber erforderlich: Angebote für zusätzlichen Invaliditätsschutz zu akzeptablen Konditionen für alle Vereinheitlichung bzw. Angleichung des Invaliditätsbegriffs in grv und Privater RV Ggf. zusätzliche Förderung durch den Staat Erhebliche Probleme für Anbieter der 3. (und z.t. auch der 2.) Säule => Realisierung derzeit nicht absehbar!!!
3 Säulen -Ansatz: Auch in der Invaliditätssicherung? Option 2: Umsetzung ohne Ergänzung durch 2. und 3. Säule Leistungsniveau der grv bei Invalidität muss für sich genommen zur Lebensstandardsicherung ausreichen Dafür wären aber erforderlich: Rentenniveau vor Riester-Reform Keine Rentenabschläge bei Erwerbsminderungsrenten ( lebensstandardsichernde Rente ) Unterschiedliche Rentenanpassungen für Alters- und EM-Renten Kaum lösbare Probleme für grv => Realisierung derzeit nicht absehbar!!!
3 Säulen -Ansatz: Auch in der Invaliditätssicherung? Mögliche Ansätze zur Umsetzung des neuen Leitbildes bei der Absicherung von Invalidität Staatliche Förderung nur für Produkte mit Invaliditätsabsicherung? Unterstützung der Versicherungswirtschaft bei Entwicklung geeigneter Produkte Suche nach tarifvertraglichen Lösungen in der 2. Säule Suche nach Möglichkeiten einer umfassenden Invaliditätssicherung in der grv
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Reinhold Thiede Leiter des Referates Entwicklungsfragen der Sozialen Sicherheit Deutsche Rentenversicherung Bund Tel.: 030 865 89 503 Reinhold.Thiede@drv-bund.de