Handlungsorientierte Sozialberichterstattung Niedersachsen. Statistikteil



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Transkript:

Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration Handlungsorientierte Sozialberichterstattung Niedersachsen Statistikteil

Inhalt Impressum... 2 1. Einleitung Ziele und Grundprinzipien der HSBN... 3 1.1. Ziele der HSBN... 5 1.2 Grundprinzipien der HSBN... 6 1.3 Armut und prekäre Lebenslagen: Begriff und regionale Dimension... 7 1.4 Der richtige regionale Vergleichmaßstab Clusteranalysen... 7 1.4.1 Zur Methode der Clusteranalyse... 8 1.4.2 Ergebnisse der Strukturindikatoren-Clusteranalyse... 9 1.5 Ausländerinnen und Ausländer sowie Menschen mit Migrationshintergrund Definitionen und begriffliche Klärungen... 10 2. Bestandsaufnahme: Armut und Reichtum in Niedersachsen... 13 2.1 Methode der Berichterstattung über Armut und Reichtum... 14 2.2 Differenzierte Armutsgefährdungsquoten in Niedersachsen auf Landesebene und ihre Entwicklung... 15 2.3 Armutsgefährdungsquoten in den Regionen des Landes...21 2.3.1 Durchschnittliches Nettoäquivalenzeinkommen in den Regionen...21 2.3.2 Regionalisierte Reichtumsquoten und soziale Mitte... 22 2.3.3 Veränderungen im Vorjahresvergleich in den Regionen... 22 2.3.4 Grenzen der Aussagekraft regionaler Armutsgefährdungsquoten und Interpretationshinweise... 23 2.4 Bekämpfte Armut Empfängerinnen und Empfänger von Mindestsicherungsleistungen... 24 3. Grundlegende Aspekte von Armut und prekären Lebenslagen... 29 3.1 Einflussfaktoren von Armut... 30 3.2 Folgeerscheinungen und Wechselwirkungen...31 4. Armut und prekäre Lebenslagen: Niedersachsen und seine Regionen im Bund-Länder-Vergleich... 33 4.1. Wirtschaftliche und demographische Rahmenbedingungen... 34 4.1.1 Wirtschaft... 34 4.1.2 Einkommen und Vermögen... 35 4.1.3 Arbeitsmarkt und Erwerbstätigkeit... 39 4.1.4 Demografie... 45 4.2 Gesundheit und Lebenserwartung... 50 4.3 Indikatoren für Armut und schwierige Lebenslagen... 54 4.3.1 Haushalte in wirtschaftlichen Schwierigkeiten... 54 4.3.2 Abweichendes Verhalten... 56 4.3.3 Öffentliche Finanzen: Kommunaler Zuschussbedarf für Soziales und Jugend... 57 4.3.4 Schwangerschaften junger Frauen... 58 4.3.5 Erziehungshilfen und Schutzmaßnahmen... 59 5. Qualifikation... 63 5.1 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und ihr Qualifikationsgrad... 64 5.2 Schulische und berufliche Ausbildung... 66 6. Gesellschaftlicher Zusammenhalt...71 6.1 Haushalte, Familien und Vereinbarkeit von Familie und Beruf... 72 6.2 Formen des gesellschaftlichen Engagements... 74 6.3 Beteiligung bei den Bundestagswahlen... 78 7. Regionale Auffälligkeiten und Handlungsansätze in Bezug auf Kinder und Jugendliche... 79 8. Anhang... 83 8.1 Ausgewählte Indikatoren und wichtigen Begriffe... 84 8.2 Verfügbarkeit der Tabellen auf regionaler Ebene...115 8.3 Zeichen- und Abkürzungserläuterungen...116 8.4 Verzeichnis der Abbildungen, Karten und Tabellen...117 9. Tabellen... 125 1

Impressum Handlungsorientierte Sozialberichterstattung Niedersachsen Statistikteil Bericht 2011 Herausgeber: Erstellt im: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen (LSKN) unter Leitung von Ilka Seyfarth und Beiträgen von Prof. Lothar Eichhorn, Rita Hoffmeister, Jessica Huter und Jan Scharf Hannover, 2011 2

1. Einleitung Ziele und Grundprinzipien der HSBN 3

1. Einleitung Ziele und Grundprinzipien der HSBN Das Projekt Handlungsorientierte Sozialberichterstattung Niedersachen (HSBN) wurde zwischen dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration (MS) und dem Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie (LSKN) vereinbart. Die Laufzeit des Projektes erstreckt sich von Juli 2009 bis mindestens Februar 2013. Die erste 2010 erschienene Ausgabe der HSBN kann auf den Internetseiten des MS unter Themen > Soziales > Handlungsorientierte Sozialberichterstattung heruntergeladen werden. Basierend auf den statistischen Analysen wird künftig auch ein Maßnahmeteil der HSBN erstellt werden, der sich in der Konzeption befindet. Die in der HSBN enthaltenen Datenzusammenstellungen und Analysen werden aufgrund der Bedürfnisse und Anforderungen der Akteure der Armutsbekämpfung in Politik, Verwaltung und Verbänden erstellt und fortentwickelt und stellen somit ein lernendes System dar. Die Kapitelgliederung und die Nummerierung der Tabellen der hier vorliegenden Ausgabe sind im Wesentlichen mit der ersten Ausgabe der HSBN identisch. Ein Vergleich der jetzigen Ergebnisse mit denen der Vorjahresausgabe wird so erleichtert. Im Textteil werden nicht alle Tabellen des Tabellenteils vorgestellt und analysiert, denn der Text soll knapp und prägnant bleiben. Daher werden z. B. die demografischen Grundstrukturen, die in der ersten Ausgabe der HSBN ausführlich dargestellt wurden, diesmal knapper analysiert, denn die Strukturen sind recht stabil und es gibt hier keine wirklich neuen Erkenntnisse. Neu sind die Ergebnisse der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung bis 2031, die seit Anfang 2011 vorliegen. Clusteranalysen: In regionaler Hinsicht wurden tiefere multivariate Datenanalysen vorgenommen. Die erste Ausgabe der HSBN hatte hier erste Ansätze vorlegen können. Insbesondere wurden für die vorliegende Ausgabe der HSBN auf Kreisebene sog. Clusteranalysen durchgeführt. Diese ordnen die niedersächsischen Kreise und Großstädte in bestimmte Cluster, Gruppen von Regionen mit bestimmten Ähnlichkeiten. Ein erster praktischer Nutzen ist, dass jetzt für jede Region angegeben wird, mit welchen strukturell ähnlichen Regionen ein Vergleich sinnvoll ist. Das Thema Migration/Integration wird auf der Grundlage einer Sonderauswertung des Mikrozensus 2005 bis 2009 dargestellt. Dabei wird besonders die schulische und berufliche Entwicklung der Menschen nach ihrem Migrationshintergrund (Kapitel 5.2) beleuchtet. Die übrigen Daten, die diese Personengruppe betreffen, werden im jeweiligen sachlichen Zusammenhang abgebildet. 1. HSBN als integrierendes System Arbeitsmarktkennzahlen Bildungsberichterstattung Genderatlas Gesundheitsberichterstattung Integrationsmonitoring HSBN Armuts- und Reichtumsberichterstattung Jugendhilfe/ IBN Demographischer Wandel 4

Es wird darauf hingewiesen, dass das Themenfeld Migration/Integration komplex ist und in der HSBN lediglich einige Facetten berücksichtigt werden. Die HSBN kann als integrierendes System einen Integrationsbericht nicht ersetzen. So sind z. B. Aspekte der Migration/ Integration für die demographische Situation, für den Arbeitsmarkt und für die Sozialsysteme ebenso wenig in den Bericht eingeflossen wie ein wünschenswerter Abriss der historischen Entwicklung und die wichtige Arbeit der Migranten(selbst)organisationen. Diese Aspekte werden in einer eigenen Studie zu behandeln sein. Der Schwerpunkt Kinder und Jugendliche bleibt erhalten. In dem diesjährigen Statistikteil werden die im letzten Bericht noch bestehenden Datenlücken geschlossen und die Daten des letzten Berichtes soweit möglich aktualisiert. Im ersten Bericht konnte noch nicht das gesamte Spektrum der in die HSBN eingehenden Daten erstellt werden. Diese Lücken werden in diesem Bericht geschlossen, z. B. mit Daten über Empfänger von Pflegeversicherungsleistungen, Eheschließungen oder Schwangerschaftsabbrüchen. Die meisten Tabellen wurden aktualisiert; dies unterblieb nur, wenn es unmöglich war, weil die Daten nur im mehrjährigen Abstand erhoben werden, oder wo aufwändige Sonderuntersuchungen und -auswertungen herangezogen wurden. Diese Daten sind aber im Tabellenteil weiterhin enthalten. 1.1 Ziele der HSBN Die HSBN führt keine neuen Erhebungen und Studien durch, sondern stützt sich auf vorhandenes Daten material. Dieses oft schon lange vorhandene, aber für Zwecke der Sozialberichterstattung noch nicht hinreichend erschlossene Material wird allen Interessenten zur Verfügung gestellt. Dabei werden die folgenden Ziele verfolgt: Handreichung und Anknüpfungspunkte für eigene Untersuchungen der Akteure der Armutsbekämpfung in Land, Kommunen und Verbänden: Diese Akteure kennen sich zwar oft außerordentlich gut in verschiedenen Sozialstatistiken aus, niemand ist aber in der Lage, alle einschlägigen statistischen Materialien zu kennen. Untersuchungen, die für Niedersachsen gelten, interessieren z. B. im Hinblick auf die Situation in der eigenen Region oder Stadt. Basis für sachgerechte zeitliche und regionale Vergleiche: Statistische Informationen dienen immer dem Vergleich. Dieser erfolgt entweder in der Zeit oder im Raum. Diese Vergleichsmöglichkeiten sind manchmal erschwert, weil es regionale Besonderheiten zu berücksichtigen gilt und weil im Zeitablauf manchmal gesetzliche Neuregelungen, veränderte Systematiken und Begriffe sowie veränderte Erhebungsmethoden die Aussagekraft einer Zeitreihe einschränken. Vermeidung von Doppelarbeit und Irritationen: Es ist sinnvoll, bestimmte Standards in der Analyse und Deskription von Armut und prekären Lebenslagen zu vereinbaren. Zum Teil gibt es diese bereits, sie sind aber nicht immer bekannt. Es existiert z. B. der Standard, dass die Armutsgefährdungsquoten auf Basis des Mikrozensus berechnet werden, unter Benutzung der neuen OECD-Skala und mit der Konvention, dass als armutsgefährdet diejenigen gelten, die über weniger als 60 % des Median-Einkommens (netto, monatlich) verfügen. Es wäre wenig sinnvoll, wenn einzelne Kommunen einen anderen Standard und/oder andere Definitionen zugrunde legen würden. Dies würde nur zu Doppelarbeit führen und darüber hinaus im Zweifel Irritationen im Publikum und bei anderen Kommunen auslösen. Fokus auf Kinder und Jugendliche, aber breiter angelegt: Die HSBN ist klar fokussiert auf die Lage von Kindern und Jugendlichen, weil Kinderarmut als besonders problematisch angesehen wird. Es geht auch um die Frage, mit welchen Maßnahmen Kinder und Jugendliche aus der Armut herausfinden können und wie verhindert werden kann, dass ein in Armut lebendes Kind auch als Erwachsener arm ist. Kinder und Jugendliche sind auf Basis eines zu geringen Einkommens und anderer problematischer Lebenslagen ihrer Eltern und Erziehungsberechtigten arm nicht weil ihr eigenes Einkommen zu gering ist. Somit weist Kinderarmut auf gesamtgesellschaftliche Problemlagen hin. Daher ist die HSBN breiter angelegt. So ist die Bearbeitung wechselnder Schwerpunkte (etwa Altersarmut) möglich, ohne sich dabei in Details zu verlieren und die Gesamtschau zu vernachlässigen. Erstellung eines regionalen Gesamtergebnisses über Empfänger von Mindestsicherungsleistungen: Unter den Begriff der Mindestsicherungsleistungen fallen Leistungen nach SGB II ( Hartz IV ) und Sozialhilfeleistungen nach SGB XII: die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie Leistungen der Kriegsopferfürsorge. Da diese Leistungsarten einander ausschließen, wird ein Gesamtbild der bekämpften Armut ermöglicht. Die HSBN erstellt dieses Gesamtbild auf regionaler Ebene; die quantitativ nicht bedeutsamen Zahlen der Kriegsopferfürsorge sind jedoch nicht regionalisierbar. Dieser Bericht enthält die Daten bis auf die Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte sowie eine kartografische Darstellung auf Ebene der Einheits- und Samtgemeinden. Seit Juni 2011 gibt es ergänzend einen neuen Service, der einen leichten Zugriff auf regional noch tiefer gegliederte Informationen ermöglicht: Daten über die Gesamtzahl der Empfängerinnen und Empfänger von Mindest sicherungsleistungen stehen auf Ebene der Einheits- und Samtgemeinden in der interaktiven Datenbank LSKN-Online unter http:// www1.nls. niedersachsen.de/ statistik/ zur Verfügung, und zwar für mehrere Berichtsjahre (2007 bis 2009) und nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit und Leistungsart differenziert. Identifikation regionaler, struktureller und sozialräumlicher Problemballungen: Herausgearbeitet werden soll, wo und bei welchen Bevölkerungsgruppen soziale Problemlagen gehäuft und verstärkt auftreten, und zwar soziostrukturell und regional. Für die Akteure der Sozialpolitik ist entscheidend, wo ein Eingreifen 5

besonders erforderlich ist. So wissen wir z. B. aus der Armutsberichterstattung, dass relative Einkommensarmut vor allem bei Alleinerziehenden, kinderreichen Familien, Erwerbslosen, Geringqualifizierten sowie bei Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund auftritt. Über die Kreuzung solcher Risikofaktoren ist jedoch noch zu wenig bekannt. Wir wissen z. B. auch, dass in bestimmten Großstädten und Regionen, die den wirtschaftlichen Strukturwandel noch nicht verarbeitet haben, die Arbeitsmarktlage kritisch ist und dort häufiger prekäre Lebenslagen vorliegen. Erkenntnis zivilgesellschaftlicher Potenziale: Für Menschen in prekären Lebenslagen, gerade auch für Kinder und Jugendliche, wird außerhalb staatlichbürokratischer Strukturen Arbeit in großem Umfang geleistet. Dieses Engagement ist von großer Bedeutung und wird oft ehrenamtlich geleistet, z. B. von Kirchen und Sportvereinen, von Verbänden, in Nachbarschaften und Quartieren sowie in sozialen Netzwerken und Strukturen. Die HSBN versucht, diese zivilgesellschaftlichen Kräfte darzustellen. Ausschöpfung des Analysepotenzials der amtlichen Statistik: In vielen amtlichen Statistiken sind Informationen über Armut und prekäre Lebenslagen enthalten. Dies sind nicht nur die speziellen Statistiken über Sozial- und Jugendhilfe oder die Erhebungen über die Erwerbstätigkeit und den Arbeitsmarkt, sondern z. B. auch Bevölkerungsstatistiken. In den Gesamtbereich der Darstellung problematischer Lebenslagen gehören, um nur zwei Beispiele zu nennen, auch Statistiken über Schwangerschaftsabbrüche sowie über Kinder von jungen Müttern unter 20 Jahren. Da Armut immer lokal und regional auftritt und die Akteure der Armutsbekämpfung immer konkret vor Ort handeln, benötigen sie genau diese regionalen Informationen. Verknüpfung mit der Armutsberichterstattung: Die Berichterstattung über Armutsgefährdung auf Basis des Konzepts der relativen Armut wird im LSKN seit 1998 durchgeführt. Seit zwei Jahren arbeitet der LSKN in der Bund-Länder AG Amtliche Sozialberichterstattung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder mit. Die erarbeiteten Informationen über Armutsgefährdung für ganz Deutschland, seine Länder und Regionen werden unter www.amtlichesozialberichterstattung.de veröffentlicht. Fragestellungen, die im Rahmen der HSBN auftauchen, werden in diese Arbeitsgruppe eingebracht, umgekehrt fließen deren Resultate in die HSBN ein. 1.2 Grundprinzipien der HSBN HSBN als integrierendes System: Im Bereich der Darstellung und Analyse problematischer Lebenslagen sowie damit zusammenhängender Themenbereiche gibt es neben der eben erwähnten amtlichen Sozialberichterstattung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder mittlerweile eine Vielzahl von Berichtssystemen, Monitorings etc. Diese Berichtssysteme sind zum Teil auf bestimmte Gruppen von Fachleuten und deren Bedürfnisse zugeschnitten. Das gilt z. B. für die Integrierte Berichterstattung Niedersachsen (IBN), die auf hohem fachlichen Niveau zum Teil Informationen für die Kinder- und Jugendhilfe bei den Jugendämtern erfragt, diese aufbereitet und analysiert und das Ergebnis den Jugendämtern als Analysewerkzeug zur Verfügung stellt. Andere Berichtssysteme, die z. T. national organisiert sind, kümmern sich um die Integration von Migranten, wieder andere um die Bildung, Gesundheit und die Gleichstellung der Geschlechter. Auch für Fachleute ist es mittlerweile nicht mehr einfach, hier den Überblick zu behalten. An dieser Stelle soll die HSBN, wie die Abbildung 1 zu zeigen versucht, als integrierendes System helfen: sie hat inhaltliche Bezüge und Überschneidungen zu zahlreichen speziellen Fachinformationssystemen, die aber immer nur einen Teilbereich der Gesamtproblemlage abdecken können. Die HSBN soll für alle Akteure und Interessenten öffentlich die wichtigsten Informationen auf regionaler Basis sammeln und systematisieren. HSBN als regionales Informationsmedium: Alle Informationen sollen regional so fein wie möglich differenziert dargestellt werden. Für den gedruckten Bericht bzw. seine elektronische Variante als pdf-datei kommt die Abbildung von Informationen auf Gemeindeebene nicht in Betracht. Der jährliche Bericht stellt aber, wo immer es fachlich möglich ist, alle Daten nicht nur nach Landkreisen und kreisfreien Städten dar, sondern bringt folgende zusätzliche Informationen, die darüber hinaus gehen: Hannover, Göttingen, Hildesheim: Die Großstädte Hannover, Göttingen und Hildesheim sind nicht kreisfrei, sondern Teil eines Landkreises bzw. einer Region. Da es erhebliche Unterschiede zwischen den Städten und ihrem jeweiligen Umland gibt und die Armut sich in den Städten konzentriert, werden die genannten Großstädte und ihr jeweiliges zumeist recht ländliches Umland separat dargestellt. Statistische Regionen: Um die Möglichkeit eines gesamteuropäischen Vergleichs zu eröffnen, werden Daten für Statistische Regionen nachgewiesen. Diese sind die für die Europäische Regionalstatistik entscheidende Analyseebene und entsprechen in Niedersachsen dem Gebietszuschnitt der ehemaligen Regierungsbezirke. Fundstellen, auch für Gemeindedaten: Der Anhang des Berichts enthält Definitionen und Erläuterungen zu den Tabellen und ihren Merkmalen. Teil dieser Erläuterungen ist immer der Hinweis, wo diese Daten zu finden sind (z. B. in interaktiven Datenbanken des LSKN, 6

der Statistischen Ämter des Bundes und der Ländern oder der BA für Arbeit) sowie die Information, ob es diese auch für Gemeinden und Samtgemeinden gibt. Stadtteil- und Quartiersdaten wird die HSBN nicht liefern können, da dies in die städtische Zuständigkeit fällt. Hier kann und sollte man Schnittstellen vereinbaren, um die HSBN mit den bereits existenten kommunalen Berichtssystemen gut zu verzahnen. 1.3 Armut und prekäre Lebenslagen: Begriff und regionale Dimension Armut ist immer regional zumindest in hochentwickelten Ländern. Steht in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern wie auch hierzulande bei der Armenfürsorge in vorindustrieller Zeit das Problem des physischen Überlebens der betroffenen Personen nach wie vor im Vordergrund der Armutsmessung, wird Armut in hochentwickelten Ländern in neuerer Zeit als mangelnde Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben definiert. Synonym wird oft auch der Begriff der sozialen Ausgrenzung (Exklusion) verwendet etwa durch den Europäischen Rat in Lissabon im Jahr 2000. Soziale Ausgrenzung wird dabei als Folge materieller Armut gesehen. Die Verwendung des Begriffs soll den Blick dafür schärfen, dass Armut nicht nur materiell-finanzielle Aspekte hat, sondern es auch um Partizipationschancen im umfassenden Sinne geht. So hat Armutsbekämpfung hierzulande immer das Ziel, Menschen so gut es geht zu gleichberechtigter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu befähigen und diese Exklusion zu vermeiden. Auf diese Vorgabe gründet sich das Konzept der relativen Armut, die mittels starker Abweichungen vom Einkommensdurchschnitt gemessen wird (näheres hierzu in Kapitel 2.1). Oft wird auch der Begriff der prekären Lebenslagen bzw. des Prekariats gebraucht. Dieser Begriff ist nicht scharf definiert, und er umfasst heterogene Bevölkerungsgruppen und Lebenslagen. Gemeint sind nicht im eigentlichen Sinne Arme, sondern Menschen, die in unsicheren und z. T. nur unzureichend geschützten Verhältnissen leben, so z. B. Zeitarbeitnehmer, Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen, dauerhaft einkommensschwache Selbständige, aber oft auch Alleinerziehende. Menschen in prekären Lebenslagen leben zwar nicht in Armut, müssen aber besorgt sein, in Armut abzurutschen. Die HSBN muss auch die Lage dieser Bevölkerungsgruppen, die nicht im eigentlichen Sinne arm sind, untersuchen. Ein Mensch, der in Armut oder in prekären Lebenslagen lebt, will nicht ausgeschlossen sein er will mit Freunden, Nachbarn, Bekannten und Verwandten mithalten können, will nicht ausgegrenzt oder abgehängt werden und will wahrscheinlich noch weniger, dass dies seinen Kindern passiert. Der Maßstab, an dem ein solcher Mensch seine Armut misst, ist der Maßstab des Einkommens und der Lebenslage all der Menschen seiner Umgebung. Damit ist der Maßstab ein lokaler bzw. regionaler Maßstab. Der Handlungsraum der Betroffenen ist lokal und allenfalls regional, und auch die Akteure der Armutsbekämpfung, die wirklich an der Front stehen, agieren lokal und regional. Lokale Daten stehen für den Statistikteil der HSBN nicht zur Verfügung, denn das würde bei mehr als 1 000 Gemeinden in Niedersachsen die Dimensionen sprengen. Die HSBN bezieht sich daher, wann immer es möglich ist, auf die regionale Ebene. Als kleinste Ebene werden Daten für die Kreise und kreisfreien Städte und möglichst auch für Aufgliederungen der Region Hannover sowie der Landkreise Hildesheim und Göttingen in die jeweilige Kernstadt und ihr Umland bereitgestellt. Lokale Akteure können mit den ihnen zur Verfügung stehenden lokalen Daten an diesem Punkt aufsetzen. Aggregate, wie die Ergebnisse für die einzelnen Statistischen Regionen, d. h. die ehemaligen Regierungsbezirke, und das Land sowie, wenn möglich, Werte für andere Bundesländer und Deutschland, werden ebenfalls einbezogen. Diese Daten sind vor allem von Interesse, wenn Betrachtungen über die Landesgrenzen hinweg und im europäischen Maßstab sinnvoll sind. 1.4 Der richtige regionale Vergleichmaßstab Clusteranalysen Ein wesentliches Element des Statistikteils sind Regionaltabellen mit Ergebnissen für Landkreise, kreisfreie Städte sowie ausgewählte Großstädte und ihr Umland. Die Interpretation der Ergebnisse ist zum Teil schwierig. Zwar lassen sich Entwicklungen in einer Region im Zeitablauf meist recht gut verfolgen. Es stellt sich aber die Frage, wie ein adäquater Vergleich zwischen Regionen erfolgen kann. Sollten sich zwei benachbarte Landkreise überhaupt miteinander vergleichen und aneinander messen oder sind sie strukturell so verschieden, dass auch weiter entfernte Kreise vielleicht einen viel besseren Vergleichspartner darstellen? Dieser Frage wurde mit Hilfe von Clusteranalysen für Strukturdaten zum einen und Daten über die Situation von Kindern und Jugendlichen zum anderen nachgegangen. 7

Aurich Wittmund 8 Bremerhaven Cuxhaven Stade Hamburg 1.4.1 1.5.1 Clusterung niedersächsischer Kreise, kreisfreier Städte und Großstädte nach dem Ward-Verfahren 5 Leer Friesland Ammerland Wesermarsch Osterholz Rotenburg (Wümme) Harburg Lüneburg Cloppenburg 6 Oldenburg 4 Bremen Verden Soltau- Fallingbostel Uelzen Lüchow-Dannenberg Grafschaft Bentheim Emsland Vechta Diepholz Nienburg (Weser) Hannover, Umland Celle Gifhorn Osnabrück 10 3 7 Schaumburg Peine 1 Helmstedt Wolfenbüttel Hameln- Pyrmont 11 Hildesheim, Umland 2 Kreisfreie Städte und Großstädte Clusterzuordnung Strukturschwacher Raum (14) Großstädtisches Umland (8) Ostfriesland (3) Westen (4) Prosperierender ländlicher Raum (12) Großstädte (7) Wolfsburg / monostrukturelle Großstadt (1) Distanzmaß: Euklidische Distanz Holzminden Northeim 9 Göttingen, Umland Goslar Osterode am Harz 1 Braunschweig 2 Salzgitter 3 Wolfsburg 4 Delmenhorst 5 Emden 6 Oldenburg (Oldb) 7 Osnabrück 8 Wilhelmshaven 9 Göttingen 10 Hannover, Ldhptst. 11 Hildesheim 1.4.1 Zur Methode der Clusteranalyse Ziel einer Clusteranalyse ist es, systematische Ähnlichkeiten zwischen Objekten zu identifizieren und diese aufgrund ihrer Ähnlichkeiten zu Gruppen zusammenzufassen. Dabei sollten die Objekte innerhalb einer Gruppe möglichst homogen in Bezug auf die betrachteten Merkmale sein. Zwischen den Gruppen sollten die Unterschiede dagegen möglichst groß sein. Nachfolgend wird eine Clusteranalyse für die niedersächsischen Kreise und kreisfreien Städte vorgestellt, die mit Hilfe von 10 allgemeinen Strukturindikatoren der Regionen, wie z. B. der Arbeitslosenquote durchgeführt wurde (siehe Tabelle 1.4.2). Um Verzerrungen in den Ergebnissen durch zufällige Schwankungen zu vermeiden, wurden mehrjährige Durchschnitte der Daten gebildet. Vorab wurde auch geprüft, ob bestimmte Variablen miteinander stark korrelieren, d. h. ob ein linearer Zusammenhang besteht. Dies war für die Arbeitslosenquote und die Quote der Mindestsicherungsempfänger der Fall. Hier liegt der Korrelationskoeffizient bei 0,9. Da für die Arbeitslosenquote aktuellere Werte vorlagen, wurde die Mindestsicherungsempfängerquote aus der Analyse ausgeschlossen. Die grundlegende Vorgehensweise der Clusteranalyse soll im Folgenden kurz erläutert werden. Die Clusteranalyse lässt sich in drei Ablaufschritte gliedern. Im ersten Schritt wurden die Distanzen zwischen den Kreisen hinsichtlich aller betrachteten Merkmale bestimmt. Für jedes mögliche Paar von Kreisen wurden dafür die Differenzen der einzelnen Merkmale berechnet und dann quadriert. Das gebildete Distanzmaß ergibt sich aus der Summe der quadrierten Werteabstände und wird als quadrierte euklidische Distanz bezeichnet. Da den einbezogenen Merkmalen unterschiedliche Messniveaus zu Grunde liegen, z. B. Quoten und Absolutwerte in Euro, müssen die Werte vor der Berechnung des Distanzmaßes standardisiert, d. h. auf ein Niveau gebracht werden, um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Es wurde dafür eine z-transformation der Ausgangswerte durchgeführt, so dass die standardisierten Werte den Mittelwert 0 und die Standardabweichung 1 aufweisen. Im zweiten Schritt der Analyse wurden die Kreise auf Basis der berechneten Distanzen zu Gruppen zusammengefasst. Dazu wurde das Ward- Verfahren angewandt, ein hierarchisches Verfahren mit agglomerativem Algorithmus. Bei der Agglomeration werden solche Kreise zu Gruppen zusammengefügt, die die Varianz innerhalb der Gruppe, d. h. die Abweichungen vom Durchschnitt, möglichst wenig erhöhen. Die Agglomeration wird ausgehend von der feinsten Gliederung, bei der alle Kreise eine eigene Gruppe darstellen, so oft wiederholt, bis alle Kreise in einer Gruppe vereinigt sind. Dabei nimmt die Homogenität innerhalb der Gruppen mit steigendem Agglomerationsgrad ab. Im letzten Schritt muss nun die optimale Clusterzahl bestimmt werden. Dazu wurden verschiedene statistische Kriterien zur Beurteilung der Clustergüte herangezogen, wie z. B. das Ellbow-Kriterium, die Stopping-Rule von Calinski/Harabasz, der Test von Mojena und die Pseudo-t²-Statistik von Duda/Hart. Auf die einzelnen Kriterien soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Es ist jedoch zu beachten, dass bei der Entscheidung für eine Clusterlösung stets ein Konflikt zwischen der Forderung nach einer möglichst hohen Homogenität und einer handhabbaren, d. h. einer nicht zu großen Clusterzahl besteht, so dass es nicht immer eine beste Lösung gibt. 8

Bei der Analyse der Basisindikatoren wiesen die Gütekriterien gute Werte bei einer Clusterzahl von 3 auf. Vergleichsweise gute Werte lagen auch bei 7 Clustern vor. Bei 3 Clustern waren die Kreise innerhalb einer Gruppe noch relativ heterogen und die Zusammenfassung ist nach inhaltlichen Gesichtspunkten betrachtet noch vergleichsweise grob. Daher wurde als Lösung eine Aufteilung in 7 Cluster bevorzugt. 1.4.2 Ergebnisse der Strukturindikatoren- Clusteranalyse Ergebnis dieser mit zehn Strukturindikatoren durchgeführten Clusteranalyse sind die bereits erwähnten sieben Cluster, d.h. sieben mehr oder weniger große Gruppen mit einander ähnlichen Mitgliedern (siehe Tabelle 1.4.2 und Karte 1.4.1). Strukturschwacher Raum (14 Mitglieder) Großstädtisches Umland (8 Mitglieder) Ostfriesland (3 Mitglieder) Westen (4 Mitglieder) Prosperierender ländlicher Raum (12 Mitglieder) Großstädte (7 Mitglieder) Wolfsburg / monostrukturelle Großstadt (1 Mitglied) Diese sollen im Folgenden näher beschrieben werden. Bessere Werte als im Landesdurchschnitt weisen für die einzelnen Indikatoren vor allem der Westen, der prosperierende ländliche Raum sowie Wolfsburg auf. Das großstädtische Umland und der strukturschwache Raum weichen im Gegensatz dazu eher negativ vom Landesdurchschnitt ab. Strukturschwacher Raum: Dieses Cluster weist die größte Mitgliederzahl auf und enthält als einziges sowohl städtische Gebiete als auch Landkreise. Zu Wilhelmshaven, Delmenhorst und Salzgitter gesellen sich die Heidekreise Soltau-Fallingbostel, Celle und Uelzen, die Landkreise Lüchow-Dannenberg und Helmstedt an der östlichen Landesgrenze, sowie die Kreise im Harz und im Weserbergland. Betrachtet man die eingeflossenen Strukturindikatoren, zeigt sich, dass neben der Kinderbetreuungsquote einzig das verfügbare Einkommen pro Kopf leicht über dem Landesdurchschnitt liegt und dieses sind Indikatoren, die gewöhnlich erst zeitverzögert auf Veränderungen reagieren. In allen anderen Bereichen, d. h. vor allem Arbeitsmarkt, Demografie und Bildung, sind die Werte zum Teil sogar deutlich unterdurchschnittlich. Das ist umso problematischer, weil Arbeitsplätze, Wanderungen und generatives Verhalten zusammenwirken und Positiv- oder Negativspiralen begründen können. Großstädtisches Umland: Dieses Cluster hat acht Mitglieder und ist räumlich dreigeteilt: im Norden gehören Friesland, Wesermarsch und Cuxhaven, im Süden das Göttinger Umland und schließlich weite Teilen des Umlands der Städte Hannover, Hildesheim und Braunschweig dazu. Diese Gebiete sind durch geringe Zahlen von Arbeitslosen sowie niedrige Schuldnerquoten gekennzeichnet. Der leicht unterdurchschnittliche Arbeitsplatzbesatz ist typisch, weil hier zum Teil enge Verflechtungen mit der jeweiligen Großstadt bestehen und zur Arbeit in die Stadt gependelt wird. Die Kinderbetreuungsquoten sind über-, die Schulabbrecherquoten unterdurchschnittlich. Es handelt sich um Speckgürtellandkreise, die vergleichsweise gut dastehen. Das unterdurchschnittliche verfügbare Einkommen pro Kopf passt auf den ersten Blick nicht recht dazu. Es wird maßgeblich durch die drei Kreise im Norden reduziert. Getrübt wird dieses positive Bild durch die demografischen Strukturdaten: unterdurchschnittliche Geburtenzahlen und ein davon beeinflusstes unterdurchschnittliches Kinder-Senioren-Verhältnis gehen mit Wanderungsverlusten einher. Hier zeigt sich auch der in den letzten Jahren zu beobachtende Trend der Rückkehr in die Städte. Ostfriesland: Die drei Mitglieder dieses Clusters sind mit Ausnahme der Stadt Emden, die dem Großstädte- Cluster zugeordnet wurde, genau die Landkreise, die Ostfriesland im historisch-politischen Sinne bilden. Das Cluster weist einen vergleichweise geringen Arbeitsplatzbesatz und leicht überdurchschnittliche Anteile von Arbeitslosen und überschuldeten Personen auf. Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen ist mit Abstand das niedrigste aller gebildeten Cluster und liegt deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Deutlich unterdurchschnittlich sind auch die Kinderbetreuungsquoten 0- bis unter 6-Jähriger. Unter dem Aspekt frühkindlicher Sozialisation und Förderung ist dies negativ zu sehen, zumal die Schulabbrecherquote deutlich höher liegt als im Landesdurchschnitt und das größte aller Cluster darstellt. In den Bereichen demografische Entwicklung sowie den Sachinvestitionen der Gemeinden weisen diese Gebiete jedoch bessere Werte als im Landesdurchschnitt auf. Westen: Es handelt sich bei den Mitgliedern mit den Landkreisen Vechta, Cloppenburg, Emsland und Grafschaft Bentheim um eng kooperierende Gebiete und eine Zone intensivster agrarindustrieller Produktion und Weiterverarbeitung derer Erzeugnisse. Der Boom dieser Gewerbe tritt in Form eines überdurchschnittlichen Arbeitsplatzbesatzes, vergleichsweise niedrigen bzw. sehr niedrigen Arbeitslosenanteilen und Schuldnerquoten zu Tage. Die Gewerbesteuereinnahmen werden von den Gemeinden offensichtlich vor Ort investiert. So gehören die Sachinvestitionen der Gemeinden je Einwohner zu den höchsten aller Cluster und überragen den Landesdurchschnitt. Demografisch steht dieses Cluster mit hohen Geburtenzahlen, Wanderungsgewinnen und einem günstigen Kinder-Senioren-Verhältnis so gut da wie kein anderes. Nach unten weichen allein das verfügbare Einkommen pro Kopf und die Kinderbetreuungsquoten vom Durchschnitt ab. Ersteres ist angesichts der Stärke des produzierenden Gewerbes mit vielfach einfachen Tätigkeiten allerdings nicht überraschend. Prosperierender ländlicher Raum: Dieses aus zwölf Landkreisen bestehende Cluster ist strukturell dem Cluster Westen sehr ähnlich. Es handelt sich insbesondere um den sich in den letzten Jahren positiv entwickelnden Raum, der das Land von den Landkreisen Osnabrück und Ammerland bis vor die Tore Hamburgs durchzieht. Hinzu kommt mit dem Landkreis Gifhorn das Speckpolster der Städte Wolfsburg und Braunschweig. Strukturell sind Arbeitsplatzbesatz und Kinderbetreuungsquote leicht unterdurchschnittlich. Das verfügbare Einkommen ist hingegen stark über dem Landesdurchschnitt und 9

1.5 Ausländerinnen und Ausländer sowie Menschen mit Migrationshintergrund Definitionen und begriffliche Klärungen bildet hier mit dem Cluster Wolfsburg die Spitze. Das ist durchaus typisch. Im Gegensatz zum Westen ist dieses Cluster nämlich keineswegs zentrenfern, sondern enthält eine Reihe von Kreisen, die unmittelbar an Großstädte angrenzen und zumindest in Teilen auch schlicht das (sehr) wohlhabende Umland eines Zentrums darstellen. Großstädte: Mitglieder dieses Clusters sind demografisch gut aufgestellte Großstädte, die sich als Zentren von Wirtschaft, Ausbildung und Forschung durch ihren Arbeitsplatzbesatz positiv abheben. Von einer traditionell größeren Dichte an Kinderbetreuungseinrichtungen einmal abgesehen, weichen alle anderen Parameter eher leicht bis deutlich negativ vom Landesdurchschnitt ab. Neben einem vergleichsweise großen Angebot sozialer, kultureller und sonstiger Einrichtungen sind eine soziale Dichotomie sowie eine Ballung sozialer Problemlagen (wie sie hier in Arbeitslosenanteil, Schulabbrecher- und Schuldnerquote zum Ausdruck kommt) typisch. Wolfsburg / monostrukturelle Großstadt: Wolfsburg nimmt eine Sonderstellung ein. Würde man nur sechs Cluster bilden, fände sich die VW-Stadt mit den Großstädten in einer Gruppe wieder. Damit würde man aber eine eigenständige Struktur überdecken. Problematisch ist, dass der Stadt so in Niedersachsen ein geeigneter Vergleichsmaßstab fehlt. Hier ist bundesweit nach geeigneten Partnern zu suchen. Möglicherweise könnten Städte wie Leverkusen, Mannheim / Ludwigshafen und Ingolstadt geeignet sein. Das Arbeitsplatzangebot, das verfügbare Einkommen und die Sachinvestitionen suchen vom Niveau her ihresgleichen, sind aber überaus stark durch die dominierende Automobilindustrie beeinflusst und durch diese Monostruktur an deren Veränderung gearbeitet wird letztlich auch rapide wandelbar. Auch Werte aus den Bereichen Demografie, Kinderbetreuung und Überschuldung privater Haushalte stechen positiv hervor. Das Kinder-Senioren-Verhältnis ist allerdings das schlechteste aller Cluster. Ausländerinnen / Ausländer: Der Begriff der Ausländerin bzw. des Ausländers spielt in der amtlichen Statistik bereits seit langem eine Rolle. Da sich fraglos viele Ausländerinnen und Ausländer schon lange im Inland aufhalten, ist der Begriff in sich etwas fragwürdig; gelegentlich wird stattdessen von Nichtdeutschen gesprochen. Der statistische Begriff der Ausländerin bzw. des Ausländers macht sich ausschließlich am rechtlichen Status der Staatsangehörigkeit fest: Man ist entweder deutsche Staatsbürgerin bzw. deutscher Staatsbürger oder eben Ausländerin bzw. Ausländer. Menschen mit einer deutschen und zugleich nichtdeutschen Staatsangehörigkeit werden dabei als Deutsche gezählt. Datenquellen für die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer sind vor allem die Bevölkerungsfortschreibung und das Ausländerzentralregister, das auch Angaben zu den verschiedenen ausländischen Staatsangehörigkeiten sowie zur Aufenthaltsdauer in Deutschland enthält; beide Quellen weichen z. T. deutlich voneinander ab. Der Begriff des Menschen mit Migrationshintergrund klingt zwar recht bürokratisch, hinter ihm steht aber ein klares Erkenntnisinteresse. Die schlichte, rechtlich basierte Unterscheidung in Deutsche / Ausländerinnen bzw. Ausländer gibt die Lebenswirklichkeit nicht adäquat wider. Viele Menschen, die rechtlich Deutsche sind, haben eine Migrationserfahrung hinter sich. Manche wurden eingebürgert, bei anderen z.b. vor allem Spätaussiedlerinnen und -aussiedlern aus Polen, Rumänien, Russland und ehemals sowjetischen Republiken wurde die deutsche Staatsangehörigkeit festgestellt. Außerdem leben in Deutschland viele Menschen, deren Eltern oder Großeltern als so genannte Gastarbeiterin oder als Gastarbeiter ins Land kamen wobei manchmal das Phänomen auftritt, dass bestimmte Schwierigkeiten stärker in der 3. Generation als in der 2. Generation der Migrantenfamilien auftreten. Es gibt aktuell zwei wichtige Datenquellen für Menschen mit Migrationshintergrund: den Mikrozensus und die Kinder- und Jugendhilfestatistik. Die jeweiligen Definitionen weichen auf Basis unterschiedlicher Erhebungswege voneinander ab. Künftig wird es auch noch weitere Datenquellen über Menschen mit Migrationshintergrund geben und zwar aus dem Zensus 2011 und aus den Beständen der Bundesagentur (BA) für Arbeit. Mikrozensus: In der amtlichen Statistik wurde ein umfassendes Konzept zur Erfassung des Migrationshintergrundes erstmals mit dem Mikrozensus 2005 eingeführt. Dazu wurde zusätzlich eine Reihe von Fragen zur Migration aufgenommen, aus denen der Migrationshintergrund abgeleitet wird. Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen alle nach 1949 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, 10

sowie alle in Deutschland geborenen Ausländerinnen und Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländerin bzw. Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil. Das heißt, zur Bestimmung des Migrationshintergrundes: wird nur die Zuwanderung auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik ab 1950 berücksichtigt; werden auch die Nachkommen der Zuwanderinnen und Zuwanderer einbezogen, die bereits in der Bundesrepublik geboren sind. Es lassen sich in aller Regel auch Personen identifizieren, deren Großeltern zugewandert sind, weil die Vertreter der 3. Generation gegenwärtig mehrheitlich noch so jung sind, dass sie mit ihren Eltern im Haushalt leben, aus deren Angaben sich die Zuwanderung ihrer eigenen Eltern ergibt (Großelterngeneration). wird für alle Ausländerinnen und Ausländer sowie für alle Eingebürgerten ein Migrationshintergrund unterstellt. Kinder- und Jugendhilfestatistik: Hier wird der Migrationshintergrund mit der Frage erfasst, ob mindestens ein Elternteil des Kindes im Ausland geboren wurde. Ergänzend wird zu jedem Kind erhoben, ob es zu Hause überwiegend deutsch spricht (Familiensprache). Die Kinder werden nicht selbst befragt, sondern die Leiterinnen und Leiter der Kindertagesstätten. Die aktuelle Staatsangehörigkeit der Eltern ist nicht maßgeblich. So hat ein Kind, dessen Vater als deutschstämmiger Spätaussiedler aus Russland zugewandert ist, einen Migrationshintergrund. Ein Kind, dessen Vater die italienische Staatsangehörigkeit hat, der aber in Deutschland geboren wurde, hat gemäß Kinder- und Jugendhilfestatistik keinen Migrationshintergrund. Zensus 2011: Zum Stichtag 9. Mai 2011 werden in der ergänzenden Haushaltsstichprobe bei ca. 10 % der Bevölkerung Fragen zur eigenen bzw. zur Zuwanderung der Eltern gestellt. Verwendung finden aus dem Melderegister Daten über den Geburtsort und das Geburtsland sowie gegebenenfalls über das ausländische Zuzugsland. Erste Ergebnisse liegen Ende 2012, detailliertere Ergebnisse erst ab Mai 2013 vor. Statistiken der Bundesagentur für Arbeit: Für die Zwecke der Arbeitsmarktstatistik soll der Migrationshintergrund zukünftig derzeit liegen noch keine Ergebnisse vor nach der folgenden Definition ermittelt werden: Ein Migrationshintergrund liegt dann vor, wenn 1. die Person nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder 2. der Geburtsort der Person außerhalb der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland liegt und eine Zuwanderung in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 erfolgte oder 3. der Geburtsort mindestens eines Elternteiles der Person außerhalb der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland liegt sowie eine Zuwanderung dieses Elternteils in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 erfolgte. 11

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2. Bestandsaufnahme: Armut und Reichtum in Niedersachsen 13

2. Bestandsaufnahme: Armut und Reichtum in Niedersachsen 2.1 Methode der Berichterstattung über Armut und Reichtum Die methodischen Grundannahmen und -entscheidungen der niedersächsischen Berichterstattung über Armut und Reichtum decken sich mit denen, die den Ergebnissen der Berechnungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Sozialberichterstattung (www.amtliche-sozialberichterstattung.de) zugrunde liegen. In dieser Bund-Länder- Arbeitsgruppe erarbeiten verschiedene Statistische Landesämter (Berlin-Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen) und das Statistische Bundesamt unter anderem gemeinsame und abgestimmte Daten über Armutsgefährdungsquoten und Reichtumsquoten; die Ergebnisse werden auch nach Lebenslagen und sozialen Gruppen sowie nach Regionen differenziert. Die Bund- Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet daneben auch gemeinsame Mindestsicherungsberichte, die ein Gesamtbild über die Empfängerstruktur verschiedener staatlicher Mindestsicherungsleistungen ( bekämpfte Armut ) geben. Dargestellt wird vor allem der zentrale Begriff der relativen Armut : Armut bzw. Armutsgefährdung werden bezüglich des Einkommens an einem in Zeit und Raum variablen gesellschaftlichen Durchschnittseinkommen gemessen. Wer einen bestimmten Prozentwert des Durchschnittseinkommens (60 %) unterschreitet, gilt als armutsgefährdet. Diesem Konzept relativer Armut die wichtigsten anderen Begriffe sind absolute Armut und auch bekämpfte Armut liegt die Vorstellung und Wertentscheidung zugrunde, dass soziale Ausgrenzung oder Exklusion von bestimmten Bevölkerungsgruppen aufgrund materieller Not nicht zugelassen werden darf. Ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben muss demnach auf jeden Fall garantiert sein. Analog wird mit der Berechnung von relativem Reichtum verfahren. Als reich gilt demnach, wer über 200 % oder mehr des Durchschnittseinkommens verfügt. Die Berechnungen erfolgen auf Basis des monatlichen Netto-Haushaltseinkommens, das mittels einer Äquivalenzskala auf ein bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen pro Person (im Folgenden auch als Durchschnittseinkommen oder durchschnittliches Pro- Kopf-Einkommen bezeichnet) transformiert wird. Die international übliche und daher auch hier verwendete Skala ist die neue OECD-Skala. Diese Skala sieht ein Äquivalenzgewicht von 1,0 für die erste Person im Haushalt, von 0,5 für alle weiteren Personen über 14 Jahre und von 0,3 für alle Kinder unter 14 Jahren vor. Maßgeblich für die Bestimmung des Durchschnittseinkommens ist nicht das arithmetische Mittel, sondern der Median ; das ist der mittlere Wert einer aufsteigend geordneten Datenreihe. Ober- beziehungsweise unterhalb des Medians liegt jeweils die Hälfte der Fälle der Datenreihe. Der Median wird daher durch Ausreißerwerte weniger stark beeinflusst als das arithmetische Mittel und vermeidet damit Verzerrungen, die besonders bei Einkommensdaten durch teils extrem hohe Einkommen auftreten. Datenquelle ist der Mikrozensus, weil nur dieser die für regionale Berechnungen erforderliche Stichprobengröße hat, er zudem eine Vielzahl von Auswertungen und weiteren Erkenntnissen ermöglicht und außerdem deutlich aktueller als alternative Datenquellen zur Verfügung steht. Solche sehr wertvollen, aber in diesem Zusammenhang nicht nutzbaren Datenquellen, sind die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), das Sozioökonomische Panel (SOEP) und die EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living Conditions / Leben in Europa). Für die kleinräumige Darstellung wird auf die sog. Untergruppen des Mikrozensus zurückgegriffen. Diese entsprechen meist der Kreisebene. Sind Kreise zu klein, um eine eigene Untergruppe zu bilden, werden sie mit einem Nachbarkreis vereinigt. Umgekehrt können Kreise, die groß genug sind, auch in zwei Untergruppen zerlegt werden. So wird mit dem Landkreis Göttingen und der Region Hannover verfahren. Methodisch ist eine Auswertung auf Ebene der Untergruppen im Grenzbereich des stichprobentheoretisch Zulässigen. Da das Erkenntnisinteresse jedoch stark auf Kleinräumigkeit fokussiert ist, wird so verfahren. Werte, die rein stichprobentheoretisch zu unsicher sind, wurden in der Tabelle 2.3.1 unterdrückt; das Symbol ist ein Schrägstrich ( / ). Werte, deren Aussagegehalt aus denselben Gründen eingeschränkt ist, wurden eingeklammert ( () ). Vor allem bei Interpretationen von Veränderungen im Zeitablauf gilt es, sehr zurückhaltend zu sein. Im Fokus sollte die regionale Struktur stehen. Im Zeitvergleich deutlich verlässlicher sind Daten auf Ebene der so genannten Anpassungsschichten des Mikrozensus. Darunter sind Zusammenfassungen mehrerer Gebietseinheiten zu verstehen, die zusammen circa 500 000 Einwohner haben. Als Durchschnittseinkommen wird der jeweilige regionale Durchschnitt (= Regionalkonzept) herangezogen, weil nur dieser dem der Berechnung wissenschaftlich zugrunde liegenden Teilhabekonzept entspricht. Alternativ kann man auch den nationalen Durchschnitt (Nationalkonzept) zugrunde legen, was allerdings dazu führt, dass man in wirtschaftlich schwachen Regionen die Armut überschätzt und sie in prosperierenden Räumen systematisch unterschätzt. Die Ergebnisse nach dem Nationalkonzept sind hier nicht dargestellt. Sie können jedoch im Internetangebot der Bund-Länder- Arbeitsgruppe Amtliche Sozialberichterstattung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder unter www.amtliche-sozialberichterstattung.de abgerufen werden. 14

Grundsätzlich enthält die nach dem Regionalkonzept berechnete Armutsgefährdungsquote die deutlich wertvollere und realitätsnähere Information. Doch auch die Berechnung der Armutsgefährdung nach dem Regionalkonzept hat Schwächen: Wenn das Durchschnittseinkommen in einer Region sehr gering ist, fallen die am Durchschnittseinkommen gemessenen Armutsgefährdungsquoten oft ebenfalls sehr niedrig aus. Dies ist in der methodischen Grundannahme aller Konzepte relativer Armutsmessung begründet: Die (relative) Armut wird gemessen anhand der Ungleichverteilung von Einkommen, weil man ein bestimmtes (relatives, zeitlich und regional variables) Einkommensniveau braucht, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Dieses Niveau definiert man üblicherweise mit 60 %. Wenn das gesamte soziale Umfeld ebenfalls ein recht niedriges Einkommen hat, braucht es weniger, um die 60 % zu erreichen, als wenn man in einem wohlhabenden Umfeld lebt. So kommt es regional zu unterschiedlichen Schwellenwerten für die Armutsgefährdung. Übrigens kommt so auch der Effekt zustande, dass oft bei steigenden Einkommen zugleich die Armutsgefährdungsquote steigt: Die Reichen sichern sich oft einen überproportionalen Anteil des Einkommenszuwachses, so dass die Armen obwohl auch ihre Einkünfte gestiegen sind relativ gesehen zurückfallen. 2.2 Differenzierte Armutsgefährdungsquoten in Niedersachsen auf Landesebene und ihre Entwicklung Maßgeblich für die Bestimmung der Menschen, die als armutsgefährdet oder reich eingestuft werden, ist das bedarfsgewichtete Nettoäquivalenzeinkommen pro Person. Dieses betrug in Niedersachsen im Jahr 2009 1 316. Die Armutsgefährdungsschwelle von 60 % lag demnach bei 790, die Reichtumsschwelle bei 2 632. Zur Erläuterung: Bei diesem Wert handelt es sich um das bedarfsgewichtete Nettoäquivalenzeinkommen eines Einpersonenhaushaltes. Daraus ergibt sich eine Armutsgefährdungsschwelle von 790 für Einpersonenhaushalte. Um die Armutsgefährdungsschwellen für andere Haushaltstypen zu ermitteln, muss dieser Wert wiederum mit den entsprechenden Bedarfsgewichten multipliziert werden, z. B. für einen Vierpersonenhaushalt mit 2 Kindern unter 14 Jahren in Niedersachsen 790 Euro x (1,0 + 0,5 + 0,3 + 0,3) = 1 659. Die Armutsgefährdungsschwelle ist in den Jahren 2005 bis 2009 kontinuierlich angestiegen (siehe Tabelle 2.2.4): von 730 auf aktuell 790. Das entspricht einem Anstieg des Durchschnitts einkommens um + 8,2 %. Dieser Zuwachs fällt allerdings etwas schwächer aus als in Deutschland insgesamt (+ 8,8 %). 15

2.2.1 Regionale Armutsgefährdungsquoten 2009 Aurich Friesland/ Wittmund 8 Cuxhaven Stade 5 (Emden, Stadt)/ Leer Ammerland 6 Wesermarsch Osterholz Rotenburg (Wümme) Harburg Lüneburg Oldenburg 4 Verden Soltau- Fallingbostel Uelzen/ Lüchow-Dannenberg Grafschaft Bentheim Emsland Cloppenburg Vechta Diepholz Nienburg (Weser) Hannover, Umland Celle Gifhorn Osnabrück 10 3 7 Schaumburg Peine 1 Helmstedt Wolfenbüttel Hameln- Pyrmont Hildesheim 2 Anteil der armutsgefährdeten Personen an der Bevölkerung in Prozent 17,0 und mehr 15,0 bis unter 17,0 13,0 bis unter 15,0 11,0 bis unter 13,0 unter 11,0 Minimum: 7,3 % (LK Osterholz) Maximum: 20,7 % (Osnabrück, Stadt) Niedersachsen: 14,6 % Holzminden Northeim 9 Göttingen, Umland Goslar Osterode am Harz Kreisfreie Städte und Großstädte 1 Braunschweig 2 Salzgitter 3 Wolfsburg 4 Delmenhorst 5 Emden 6 Oldenburg (Oldb) 7 Osnabrück 8 Wilhelmshaven 9 Göttingen 10 Hannover Am aktuellen Rand, d. h. von 2008 auf 2009, lag die Steigerung mit + 2,9 % deutlich über der Inflationsrate von + 0,4 %. Im Jahr 2009 hatten 14,6 % aller Niedersachsen weniger als 790 als Einkommen zur Verfügung. Das bedeutet: 1 147 700 Menschen also gut jeder 7. Einwohner müssen als armutsgefährdet gelten. Niedersachsen liegt mit dieser Armutsgefährdungsquote genau auf dem Niveau des Bundes und nimmt im Vergleich der Bundesländer einen Mittelplatz ein. Die niedrigsten Werte gibt es mit 13,0 % in Thüringen und mit 13,6 % in Sachsen. Die höchsten Werte treten in den Stadtstaaten Hamburg (18,0 %) und Bremen (15,9 %) auf. Unter den Flächenländern hat Schleswig-Holstein mit 15,8 % die höchste Armutsgefährdungsquote (siehe Tabelle 2.2.1). Im Vergleich mit den Vorjahren ist die Entwicklung Niedersachsens klar positiv. Gegenüber dem Jahr 2005 ist hinsichtlich der Armutsgefährdungsquote ein Rückgang von - 0,5 Prozentpunkten zu konstatieren. Zwar gab es in anderen Ländern zum Teil noch stärkere Rückgänge, aber es gab auch Länder mit Zunahmen. Im Vergleich zum Jahr 2008 ist die Abnahme allerdings marginal. Trotz der Wirtschaftskrise stieg zugleich die Reichtumsquote von 2008 auf 2009 von 7,1 % auf 7,4 %. Damit bestätigt sich eine Trendwende der letzten Jahre: Die Armutsgefährdungsquoten waren bis zum Jahr 2005 jährlich gestiegen, und die Schere zwischen arm und reich ging immer weiter auf. Im Zeitraum 2005 bis 2008 hatte sich die Schere etwas geschlossen. Da 2009 die Armutsgefährdung um 0,1 Punkte zurückging und zugleich die Reichtumsquote um 0,3 Punkte stieg, verlor die soziale Mitte per saldo 0,2 Prozentpunkte. Insgesamt gesehen ist das Land als Ganzes aktuell aber weniger disparat als noch 2005. Indiz dafür ist auch der verringerte Gini-Koeffizient der Äquivalenzeinkommen. 1 Je höher dieser Koeffizient ausfällt, desto größer ist die Ungleichverteilung. Für Niedersachsen hatte er 2005 den Wert 0,29; im folgenden Jahr fiel der Wert auf 0,28 und blieb seither unverändert. Bundesweit lag die Reichtumsquote 2009 bei 7,8 %. Niedersachsen war mit 7,4 % diesbezüglich also unterdurchschnittlich (siehe Tabelle 2.2.2). Die höchsten Reichtumsquoten traten im Ländervergleich nicht überraschend in den Stadtstaaten Hamburg (10,2 %) und Berlin (9,3 %) auf. Die niedrigsten Werte gab es ebenfalls nicht überraschend in Ostdeutschland, und zwar in Sachsen und Thüringen (beide 4,9 %). Tabelle 2.2.3 informiert über die Armutsgefährdungsquoten in Niedersachsen nach verschiedenen soziodemografischen Merkmalen bzw. Lebenslagen: Staatsangehörigkeit und Migrationsstatus: Deutliche Unterschiede in der Armutsgefährdung ergeben sich zwischen Deutschen und Ausländern sowie Menschen mit bzw. ohne Migrationshintergrund. Die Armutsgefährdungsquote Nicht-Deutscher ist mit 37,9 % etwa dreimal so hoch wie die der Deutschen von 13,0 % (Abb. 2.2.1). Die Armutsgefährdungsquoten von Menschen mit 1 Der Gini-Koeffizient ist ein Maß der relativen Konzentration beziehungsweise Ungleichheit und kann einen Wert zwischen Null und Eins annehmen. Im Falle der Gleichverteilung ergibt sich für den Gini-Koeffizienten ein Wert von Null und im Falle der Konzentration des gesamten Einkommens auf nur eine Person ein Wert von Eins. 16

2.2.2 Durchschnittliches monatliches Pro-Kopf-Einkommen 2009 Aurich Friesland/ Wittmund 8 Cuxhaven Stade 5 (Emden, Stadt)/ Leer Friesland Ammerland 6 Wesermarsch Osterholz Rotenburg (Wümme) Harburg Lüneburg Oldenburg 4 Verden Soltau- Fallingbostel Uelzen/ Lüchow-Dannenberg Cloppenburg Grafschaft Bentheim Emsland Vechta Diepholz Nienburg (Weser) Hannover, Umland Celle Gifhorn Osnabrück 10 3 7 Schaumburg Peine 1 Helmstedt Wolfenbüttel Hameln- Pyrmont Hildesheim 2 Durchschnittliches monatliches Pro-Kopf-Einkommen (Nettoäquivalenzeinkommen) in Euro 1.400 und mehr 1.350 bis unter 1.400 1.300 bis unter 1.350 1.250 bis unter 1.300 unter 1.250 Minimum: 1.134 Euro (LK Osterode am Harz) Maximum: 1.499 Euro (LK Harburg) Niedersachsen: 1.316 Euro Holzminden Northeim 9 Göttingen, Umland Goslar Osterode am Harz Kreisfreie Städte und Großstädte 1 Braunschweig 2 Salzgitter 3 Wolfsburg 4 Delmenhorst 5 Emden 6 Oldenburg (Oldb) 7 Osnabrück 8 Wilhelmshaven 9 Göttingen 10 Hannover 17

2.2.3 Regionale Quoten des relativen Reichtums 2009 Aurich Friesland/ Wittmund 8 Cuxhaven Stade 5 (Emden, Stadt)/ Leer Friesland Ammerland 6 Wesermarsch Osterholz Rotenburg (Wümme) Harburg Lüneburg Oldenburg 4 Verden Soltau- Fallingbostel Uelzen/ Lüchow-Dannenberg Cloppenburg Grafschaft Bentheim Emsland Vechta Diepholz Nienburg (Weser) Hannover, Umland Celle Gifhorn Osnabrück 10 3 7 Schaumburg Peine 1 Helmstedt Wolfenbüttel Hameln- Pyrmont Hildesheim 2 Holzminden Goslar Kreisfreie Städte und Großstädte Anteil der relativ reichen Personen an der Bevölkerung in Prozent 9,0 und mehr 8,0 bis unter 9,0 7,0 bis unter 8,0 6,0 bis unter 7,0 unter 6,0 Minimum: 4,0 % (LK Cloppenburg) Maximum: 11,4 % (Göttingen, Stadt) Niedersachsen: 7,4 % Northeim 9 Göttingen, Umland Osterode am Harz 1 Braunschweig 2 Salzgitter 3 Wolfsburg 4 Delmenhorst 5 Emden 6 Oldenburg (Oldb) 7 Osnabrück 8 Wilhelmshaven 9 Göttingen 10 Hannover 18