Arbeitsökonomie Verhaltensökonomische Aspekte Michael Gerfin Universität Bern FS 2017
Inhalt 1. Verhaltensökonomische Grundlagen 2. Nudging 3. Fairness 4. Fairness und Arbeitslosigkeit 2 / 52
1. Verhaltensökonomische Grundlagen 2. Nudging 3. Fairness 4. Fairness und Arbeitslosigkeit 3 / 52
Beispiel: 401(k) Pensionsplan in den USA 401(k) ist die private Rentenvorsorge in den USA Arbeitgeber bieten ihren Angestellten einen 401k-Plan an Arbeitnehmer geben monatlich automatisch eine bestimmte Summe vom Bruttogehalt ab Der Beitrag ist steuerbefreit Der Beitragssatz kann gewählt werden aus einem Menu Der Arbeitgeber unterstützt die Altersversorgung seiner Mitarbeiter mit Zuschüssen Attraktive Altersvorsorge 4 / 52
Beispiel: 401(k) Pensionsplan in den USA AE: automatic enrollment Die Grafik zeigt den Effekt der Änderung des Defaults: ohne AE müssen sich die Mitarbeiter aktiv anmelden für den Plan, mit AE müssen sie sich akiv abmelden, wenn sie nicht beitreten möchten 5 / 52
Beispiel: 401(k) Pensionsplan in den USA 6 / 52
Beispiel: 401(k) Pensionsplan in den USA Choi, Laibson, Madrian, Metrick (2002) Survey von rund 600 Beschäftigten Daten verknüpft mit administrativen Daten zum Sparverhalten Ergebnis 68% geben an, dass sie zu wenig sparen 24% geben an, in den nächsten zwei Monaten ihre Beitragsrate erhöhen wollen 3% machen es tatsächlich Choi, Laibson, Madrian, Metrick (2004) Auswirkung von Informationsveranstaltungen über Vorsorgepläne 7 / 52
Beispiel: Fryer et al (2012) Fryer et al. (2012), Enhancing the efficacy of teachers incentives through loss aversion Untersuchen die Möglichkeit, mit finanziellen Anreizen Lehrer zu besserer Performance zu motivieren Performance wird gemessen durch die Abschlussnoten und den relative Platzierung der Schülerinnen und Schüler in standardisierten Tests Anreize werden entweder als gain oder als loss präsentiert 8 / 52
Beispiel: Fryer et al (2012) 9 / 52
Beispiel: Fryer et al (2012) Nur das loss-treatment hat einen Effekt 10 / 52
Beispiel: Chetty et al (2014) Dänemark hat zwei Pensionskassensysteme Pension, die als Kapital ausbezahlt wird bei Pensionierung Pension, die monatlich aus dem angesparten Kapital ausbezahlt wird 1999 wurde der steuerbefreite Anteil der Einzahlungen in das Kapitalsystem von 59% auf 45% reduziert für Personen in der höchsten Steuerklasse (ab Einkommen von rund 250 000 DKr) Chetty et al. (2014) untersuchen die Wirkung dieser Änderung auf die Einzahlungen in das Kapitalsystem Als Kontrollgruppe wurden diejenigen Individuen in den tieferen Einkommensklassen verwendet 11 / 52
Beispiel: Chetty et al (2014) 12 / 52
Beispiel: Chetty et al (2014) Klarer Effekt der Reform 13 / 52
Beispiel: Chetty et al (2014) Effekt einzig getrieben von den 19%, die aufhören, die das Kapitalsystem einzuzahlen 81% reagieren nicht auf die Reform 14 / 52
Mögliche Gründe für beobachtetes Verhalten Mangelndes Verständnis und Komplexität Komplexität führt zu Überforderung, Entscheidungen werden hinausgezögert (Prokrastination) Gegenwartsverzerrte Präferenzen Weitere Gründe für Verhalten, das von den Erwartungen der neoklassischen Theorie abweicht Defaults Framing Effekte Verlustaversion (loss aversion) Referenzpunktabhängige Präferenzen (prospect theory) mangelnde Aufmerksamkeit (rational inattention) Ausstattungseffekt (endowment effect) Mentale Buchhaltung (mental accounting) 15 / 52
Gegenwartsverzerrte Präferenzen Angenommen, der Gegenwartswert des Lebensnutzens kann geschrieben werden als U t = u t + β[δu t+1 + δ 2 u t+2 + δ 3 u t+3 +...] wobei δ der Zeitdiskontfaktor ist (je kleiner δ desto grösser die Gegenwartspräferenz) β 1 ist ein Faktor, der die Zukunft uniform abwertet Laibson, Repetto und Tobacman (2004) versuchen, δ und β zu schätzen ˆβ = 0.70 (s.e. = 0.11) ˆδ = 0.96 (s.e. = 0.01) 16 / 52
Zeitinkonsistente Präferenzen Angenommen β = 0.5 und δ = 1, so dass der Vektor der Abdiskontierung lautet: {1, 0.5, 0.5,...} Frage: soll ich heute 100 sparen, damit ich später 110 konsumieren kann? Heute 100 + 0.5 110 = 45 Nein Morgen aus der Perspektive von heute 0.5 100 + 0.5 110 = 5 Ja Morgen aus der Perspektive von morgen 100 + 0.5 110 = 45 Nein Inkonsistent: was heute für morgen optimal ist, ist am nächsten Tag nicht mehr optimal 17 / 52
Framing 18 / 52
Framing 19 / 52
Framing 20 / 52
Loss aversion 21 / 52
Prospect theory Kahnemann und Tversky (1979), Prospect Theory Kernelemente Referenzabhängige Präferenzen (Erträge werden in Relation zu einem Referenzertrag bewertet, nicht absolut) Verlustaversion (die Bewertungsfunktion gewichtet Verluste stärker als Gewinne) Abnehmende Sensitivität (die Bewertungsfunktion ist konkav in Gewinnen und konvex in Verlusten) 22 / 52
Prospect theory Verhaltensmodell nach Prospect Theory Gewinn von y mit Wahrscheinlichkeit p Gewinn von z mit Wahrscheinlichkeit 1 p Diese Lotterie wird nach folgendem Modell bewertet (im einfachsten Fall): V = p v(y r) + (1 p) v(z r) { y r, wenn x > r v(y r) = λ (y r) wenn x < r wobei r der Referenzwert ist und λ 1 der Verlustaversionsparameter ( 2.25 in den Experimenten von Kahneman und Tversky) 23 / 52
Beispiele Referenzpunkte Steuern: prognostizierte oder angekündigte Steuerschuld Arbeitsangebot: Zieleinkommen Arbeitssuche: letztes Einkommen Immobilien: Kaufpreis Sport: runde Zeiten, z.b. Marathon unter 4 Stunden Versicherungen: erwartete Höhe des Schadens 24 / 52
Marathon 25 / 52
Steuerschuld Preliminary deficit bezieht sich darauf, dass die vom Arbeitgeber vom Lohn abgezogene Quellensteuer geringer ist als die Steuerschätzung der Steuerbehörde. Personen mit Defizit bemühen sich verstärkt um Steuerabzüge, um das Defizit nicht zahlen zu müssen 26 / 52
1. Verhaltensökonomische Grundlagen 2. Nudging 3. Fairness 4. Fairness und Arbeitslosigkeit 27 / 52
Nudge Die beschriebene Änderung des Defaults bei den 401(k) Plänen ist ein klassischer Nudge Veränderung der Anordnung der Präsentation des Framings der Information in einer Entscheidungssituation Der Choice-Set bleibt dabei unverändert liberaler Paternalismus Klassischer Paternalismus: z.b. Essensgutscheine statt monetäre Transfers 28 / 52
Organspenden 29 / 52
Allcott (2011) Allcott (2011), Social norms and energy conservation untersucht ein randomiertes Experiment, in dem Haushalte in ihren Elektrizitätrechnungen Informationen erhielten zu ihrer Nutzung relativ zur Nutzung von effizienten Nachbarn und allen Nachbarn Inwieweit beeinflusst diese Information die eigene Nutzung 30 / 52
Allcott (2011) 31 / 52
Allcott (2011) Effekt signifikant nach Treatment und relativ konstant nach etwas 7 Monaten 32 / 52
Experimentelle Evidenz zu Fairness Experimente im Computer-Labor Probanden simulieren Vertragssituation (als Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beide Seiten erhalten einen finanziellen Payoff anhand der gewählten Vertragsform Fehr et al. (1993): Does Fairness Prevent Market Clearing? An Experimental Investigation, Quarterly Journal of Economics sogennantes gift-exchange Experiment 33 / 52
Fehr et al. (1993) Teilnehmer sind entweder Arbeitgeber oder Arbeiter Es gibt mehr Arbeiter als Arbeitgeber Ablauf des Spiels 1 Arbeitgeber macht Arbeiter ein Jobangebot mit verbindlichem Lohn w {30, 35, 40,..., 120} 2 Wenn Arbeiter das Jobangebot annimmt legt er seine tatsächliche Leistung fest, e {0.1, 0.2,..., 1} Dieses Design beschreibt einen unvollständigen Vertrag Leistung e ist nicht Bestandteil des Vertrags, beeinflusst aber die Erträge 34 / 52
Fehr et al. (1993): Payoffs Gewinn des Arbeitsgebers: (126 w) e Nutzen des Arbeiters: w 26 c(e) Kostenfunktion c(e) e.1.2.3.4.5.6.7.8.9 1 c(e) 0 1 2 4 6 8 10 12 15 18 35 / 52
Fehr et al. (1993): erwartetes Ergebnis Arbeiter maximieren ihren Nutzen bei jedem Lohnangebot, wenn sie die geringste Anstrengung wählen (e = 0.1) sie können dafür nicht bestraft werden Arbeitgeber antizipieren dieses Verhalten und setzen den Lohn so tief wie mögliche: w = 30 Das erwartete Gleichgewicht ist somit: w = 30, e = 0.1 Ertrag der Firma = 9.6 Ertrag des Arbeiters = 4 (besser als ohne Vertrag) 36 / 52
Fehr et al. (1993): tatsächliche Ergebnisse 37 / 52
Fehr et al. (1993): Ergebnisse Ergebnis des Experiments prägnante Abweichungen vom erwarteten Ergebnis viele Arbeitgeber bieten w > 30 viele Arbeiter erwidern dies mit e > 0.1 Schlussfolgerung auf Arbeitsmärkten scheinen Fairness und Reziprozität eine wichtige Rolle zu spielen Evidenz für gift exchange 38 / 52
Weitere experimentelle Evidenz Das Ergebnis dieses Experiments (positive Korrelation zwischen offeriertem Lohn und Anstrengung) ist in unzähligen Studien repliziert worden verschiedene Länder und Kulturen Payoffs bis zum dreifachen eines Monatslohns Kann dieses Phänomen auch in realen Situationen repliziert werden (sogenannte Feld-Experimente)? Gneezy and List (2006), Putting Behavioral Economics to Work: Field Evidence of Gift Exchange, Econometrica Kube et al (2013), Do Wage Cuts Damage Work Morale? Evidence from a Natural Field Experiment, Journal of the European Economic Association Cohn et al (2012), Fair Wages and Effort: Evidence from a Field Experiment, WP Uni Zürich 39 / 52
Gneezy and List (2006) Studenten digitalisieren den Katalog einer Bibliothek Job war ausgeschrieben mit fixem Lohn von $12 pro Stunde Ein Teil der Studenten erhielt unerwartet höheren Lohn ($20) Outcome ist Anzahl der digitalisierten Bücher Lohnelastizität des Outputs: 0.15 (allerdings insignifikant) 40 / 52
Gneezy and List (2006) 41 / 52
Cohn et al. (2012) Im Rahmen der Lancierung einer neuen Pendlerzeitung wurden Personen im Raum Zürich rekrutiert, die an den Bahnhöfen die Zeitungen verteilen Der Basislohn war CHF 22 pro Stunde Für einen Teil der Arbeiter wurde Lohn unerwartet auf CHF 27 erhöht Outcome ist Anzahl verteilter Zeitungen Die Arbeiter nahmen auch an einer Befragung teil bezüglich ihrer Fairnessvorstellungen Zudem nahmen sie an einem Experiment teil, das ihr Ausmass an Reziprozität messen soll 42 / 52
Cohn et al. (2012) 43 / 52
Cohn et al. (2012) 44 / 52
1. Verhaltensökonomische Grundlagen 2. Nudging 3. Fairness 4. Fairness und Arbeitslosigkeit 45 / 52
Experimentelle Evidenz Fehr and Falk (1999), Wage Rigidity in a Competitive Incomplete Contract Market, Journal of Political Economy Experiment mit Arbeitslosigkeit pro Experiment 7 Firmen und 11 Arbeiter Arbeitslosengeld = 20 Lohnangebot w {20,..., 120} Firmen machen Lohnangebote und Arbeiter bieten Arbeit zu einem von ihnen bestimmten Lohn an Wenn es zu Vertrag kommt, bestimmen Arbeiter ihre Anstrengung e {.1,.2,..., 1} Payoff der Firmen: (120 w) e Payoff der Arbeiter: w c(e) Kostenfunktion c(e) e.1.2.3.4.5.6.7.8.9 1 c(e) 0 1 2 4 6 8 10 12 15 18 46 / 52
Fehr and Falk (1999) Dieses Design beschreibt wieder einen unvollständigen Vertrag Zum Vergleich wird Experiment mit vollständigem Vertrag durchgeführt Payoff der Firma: 120 w Payoff der Arbeiter: w Erwartetes Gleichgewicht mit rein eigennützigen Akteuren w = 21 e =.1 47 / 52
Fehr and Falk (1999) Unvollständiger Vertrag 48 / 52
Fehr and Falk (1999) Vollständiger Vertrag 49 / 52
Fehr and Falk (1999) 50 / 52
Fehr and Falk (1999) 51 / 52
Fehr and Falk (1999) Ergebnisse der Experimente Bei unvollständigen Verträgen sind die Löhne deutlich höher Unterbieten der Löhne durch die Arbeiter wird von Firmen nicht akzeptiert Firmen bezahlen freiwillig hohe Löhne, weil diese zu höherer Leistung der Arbeiter führen (Effizienzlöhne) Dies zahlt sich durch höhere Gewinne aus Bei vollständigen Verträgen konvergiert das Lohnniveau zum theoretisch erwarteten Wert und Firmen akzeptieren das Unterbieten der Arbeiter (Löhne haben keine Anreizfunktion) 52 / 52