ANALYSEN & ARGUMENTE

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ANALYSEN & ARGUMENTE PERSPEKTIVEN DEUTSCHER AUSSENPOLITIK Die Interventionsbrigade der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo EIN NEUES PARADIGMA FÜR FRIEDENSMISSIONEN? Dustin Dehéz (ext.) In der Demokratischen Republik Kongo unterhalten die Vereinten Nationen ihre gegenwärtig größte Friedensmission. Doch trotz ihres jahrelangen Einsatzes blieb die Lage im Osten des Landes instabil. Mit der Verlegung einer Force Intervention Brigade haben die Vereinten Nationen vor einem Jahr darauf reagiert: Offensive Operationen und neue Einsatzmittel, allen voran Drohnen, haben zu einer deutlichen Verbesserung der Sicherheitslage geführt. Schaffen die Vereinten Nationen damit ein neues Paradigma, das auch für andere Friedensmissionen genutzt werden kann? Ansprechpartner in der Konrad-Adenauer-Stiftung Dr. Patrick Keller Koordinator Außen- und Sicherheitspolitik Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit Telefon: +49(0)30 2 69 96-35 10 E-Mail: patrick.keller@kas.de Postanschrift Konrad-Adenauer-Stiftung, 10907 Berlin www.kas.de publikationen@kas.de ISBN 978-3-95721-042-5

SEITE 2 INHALT 3 EINLEITUNG 3 MILITÄRISCHE IMPLIKATIONEN: MORE WITH LESS? 4 POLITISCHE IMPLIKATIONEN: EINZEL- ODER PRÄZEDENZFALL? 5 SCHLUSSFOLGERUNG UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN DER AUTOR Dustin Dehéz lebt in Frankfurt am Main und ist Senior Expert am Global Governance Institute. Er ist Mitglied im Arbeitskreis Junge Außenpolitiker der Konrad-Adenauer-Stiftung.

SEITE 3 EINLEITUNG Im November 2012 überrannten Milizionäre der M23 die Stadt Goma, Hauptstadt der rohstoffreichen Provinz Nord- Kivu in der Demokratischen Republik Kongo (DRC). Eigentlich sollten die dort stationierten 1500 Soldaten der Friedensmission MONSUCO (United Nations Stabilisation Mission in the Democratic Republic of the Congo) gemeinsam mit 7000 Soldaten der kongolesischen Armee die Stadt und ihre Bewohner vor Übergriffen der verschiedenen Milizen im Land schützen. Doch selbst die starke Präsenz der Vereinten Nationen konnte den Fall der Stadt nicht verhindern. Erneut wurden Tausende im Land vertrieben, und wieder einmal schienen die Vereinten Nationen mit dem Versuch gescheitert zu sein, den Kongo zu stabilisieren. Dabei war die M23 eine relativ junge Miliz, die sich erst im April 2012 gebildet hatte. Benannt nach dem letzten Friedensabkommen vom 23. März 2009 markierte ihre Formierung auch das Scheitern des Friedensprozesses, denn ein großer Teil ihrer Angehörigen stammte aus dem Congrès national pour la défense du peuple (CNDP), der 2009 noch der eigenen Entwaffnung zugestimmt hatte. Neben der M23 zog der Osten Kongos auch andere Milizen an, die zum Teil aus den Nachbarstaaten einsickerten. Überhaupt entstand der Eindruck, dass in dem Moment, in dem eine Friedensvereinbarung unterschrieben wurde, eine neue Miliz die Bühne betrat und die Bemühungen um eine Stabilisierung des östlichen Kongos zunichte machte und die Regierung der DRC nicht immer vollends gewillt war, die Bestimmungen der gemachten Verträge auch umzusetzen. Vereinten Nationen Neuland, feindliche Elemente mit militärischer Gewalt zu neutralisieren, also aufzureiben. In dem Rahmenabkommen verpflichtete sich die kongolesische Regierung zudem zu weitreichenden Reformen des Sicherheitssektors und zu einer Dezentralisierung der Regierungsführung. Das war ein wichtiges Zugeständnis, nachdem in den vergangenen Jahren immer wieder der Eindruck entstanden war, die Regierung in Kinshasa betrachte den Friedensprozess allenfalls als notwendiges Übel. Die Entsendung der Interventionsbrigade ging also einher mit einem politischen Prozess und war von Beginn an darauf ausgerichtet, die Entstehung weiterer Milizen, die den Friedensprozess erneut würden zurückwerfen können, zu verhindern. Ihre Entsendung hat damit idealtypisch deutlich gemacht, was militärische Einsätze erreichen können, wenn sie mit einer umfassenden diplomatischen Strategie gekoppelt werden. Dabei ist bemerkenswert, dass die Vereinten Nationen und einige afrikanische Staaten nach vierzehn Jahren eines Einsatzes bereit sind, ihr Engagement zu eskalieren und nicht nach Auswegen zu suchen. Hier zeigt sich eine ermutigende Standfestigkeit afrikanischer Regierungen. Ein Jahr nach erstmaliger Autorisierung der Interventionsbrigade gilt die M23 als geschlagen, und die Brigade kämpft vermehrt gegen andere Milizen: die Allied Democratic Forces (ADF), die Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) und die Alliance des Patriotes pour un Congo libre et souverain (APCLS). Es ist also an der Zeit, nach den militärischen und politischen Implikationen des im Kongo erstmals angewandten offensiven Peacekeepings zu fragen. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Sicherheitslage, dem Fall der Stadt Goma und der Bildung immer neuer Milizen, nahmen die diplomatischen Bemühungen zur Beilegung des Konflikts erneut Fahrt auf. Uganda, Südafrika und einige andere Staaten der Region trafen im Rahmen der International Conference of the Great Lakes Region (ICGLR) und der Southern African Development Organisation (SADC) aufeinander und legten den Grundstein für einen neuen diplomatischen Prozess. An dessen Ende wurde im Februar 2013 am Sitz der Afrikanischen Union (AU) in Addis Abeba ein neues Rahmenabkommen unterzeichnet, das auch den Weg für die Vereinten Nationen ebnete, der MONUSCO eine sogenannte Interventionsbrigade hinzuzufügen. Das UNO-Personal in der Demokratischen Republik Kongo wünschte sich schon seit längerer Zeit Abschreckungsmittel und robustere Kräfte; zusammen mit der Interventionsbrigade sollte der politische Prozess einen vorläufigen Durchbruch bringen. MILITÄRISCHE IMPLIKATIONEN: MORE WITH LESS? Die Vereinten Nationen standen allerdings vor der Frage, wie sie mit den absehbar geringen Ressourcen dem neuen Mandat würden Rechnung tragen können. Die Interventionsbrigade sollte mit gerade 3000 Soldaten Sicherheit in einem unverhältnismäßig großen und unüberschaubaren Operationsgebiet schaffen und auch noch die Milizen in der Region bekämpfen. Allerdings ist es der Truppe recht schnell gelungen, Goma, Kiwanja und die meisten anderen Städte Nord- Kivus unter ihre Kontrolle zu bringen und dabei der M23 auch noch eine vernichtende Niederlage zuzufügen. Das wiederum wirft zwei Fragen auf: Mit welcher Strategie ist die Interventionsbrigade ihrem Auftrag gerecht geworden und welche Rolle spielen dabei neue Einsatzmittel, allen voran Drohnen? Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen autorisierte Ende März 2013 schließlich die Force Intervention Brigade (FIB). Gestellt ausschließlich von afrikanischen Staaten Südafrika, Tansania und Malawi hat diese die Aufgabe, die Bevölkerung in der Region zu schützen und, hier betraten die Die militärische Strategie der Interventionsbrigade hat, erstens, bislang zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Während sich die Diskussion allgemein um die Vereinbarkeit von offensivem Mandat mit den Prinzipien des neutralen und unparteiischen Peacekeepings drehte, ist die Vereinbarkeit

SEITE 4 des im Mandat festgeschriebenen Schutzes der Bevölkerung mit dem dort ebenfalls erteilten Auftrag des Neutralisierens von Milizen kaum betrachtet worden. Dabei ist gerade diese letzte Frage von großer Bedeutung, denn die Interventionsbrigade hat kaum die nötige Größe, auch nur einem dieser Aufträge im vollen Umfang nachzukommen. Die Vereinten Nationen standen vor der Frage, ob sie die M23 und andere bewaffnete Gruppen verfolgen und die Sicherheit der befreiten Städte preisgeben oder sich zu einer Aufstandsbekämpfungsstrategie (counterinsurgency) entschließen sollten in der Hoffnung, dass die in Goma zu schaffende Stabilität auf die Region ausstrahlt und so den Rückhalt für Milizen untergräbt. Vor dem Hintergrund geringer Ressourcen und des klaren Auftrages, die Bevölkerung zu schützen, entschied sich die Führung der UN-Mission für letzteren Ansatz, obwohl dieser nach den Erfahrungen in Afghanistan und im Irak keineswegs populär war und nicht garantieren konnte, dass die M23-Miliz tatsächlich aufgerieben werden würde. Zwar war Teil der Strategie, befreite Gebiete an die kongolesischen Streitkräfte zu übergeben, aber ob diese angesichts schlechter Ausbildung in der Lage sein würden, Gebiete auch zu halten, war zunächst unklar. Dieser Umstand hat der Sorge Auftrieb gegeben, dass die Miliz oder neue Abspaltungen der Gruppe überleben und in einiger Zeit den Frieden in der Region erneut gefährden könnten, selbst wenn Sicherheit in Goma und anderen Orten geschaffen würde. Der Ansatz, vom deutschen Sonderbeauftragen und Leiter der MONUSCO-Mission Martin Kobler in Anlehnung an die NATO- Strategie in Afghanistan als clear, hold and build beschrieben, ist daher nicht ohne Risiko. Der Zugewinn an Sicherheit in den vergangenen Monaten bleibt nicht garantiert. Darüber hinaus benötigt eine Aufstandsbekämpfungsstrategie in der Regel einen langen Zeitraum, in dem die gemachten Sicherheitsgewinne in mehr Legitimität der staatlichen Strukturen übersetzt werden können für eine wirkliche Bilanz der Mission ist es also nach zwölf Monaten noch zu früh, wenngleich die bisherigen Ergebnisse vielversprechend sind. Der militärische Erfolg der Interventionsbrigade darf zudem, das haben Afghanistan und Irak gezeigt, nicht dazu führen, dass der politische Prozess vernachlässigt wird. Ob die Strategie langfristig erfolgreich sein kann, wird sich daher weniger in Goma zeigen, als vielmehr in Kinshasa und Kigali. Die Vereinten Nationen haben, zweitens, erstmals unbemannte Flugkörper in einer Friedensmission eingesetzt. Dieser Einsatz von Drohnen durch die Vereinten Nationen hat kaum die Aufmerksamkeit in sicherheitspolitischen Kreisen erhalten, den er verdient. Die Drohnen dienten in erster Linie der besseren Aufklärung des Einsatzgebietes, womit die Vereinten Nationen ihre größte Schwäche ausgleichen wollten: ihren kleinen Fußabdruck in einem unverhältnismäßig weitläufigen Operationsgebiet. Während der Einsatz also vor allem den Friedenstruppen einen besseren Überblick über die Bewegungen der Milizen geben sollte, hat er auch eine politische Dimension. So haben einige Beobachter argumentiert, dass der Einsatz von Drohnen nur dann sinnvoll sei, wenn der erzielte Informationsgewinn auch für Operationen der MONUSCO nutzbar gemacht werden könne. Dazu war die MONUSCO personell allerdings kaum in der Lage. Zudem sprach sich Ruanda gegen den Einsatz der unbemannten Flugkörper aus, wohl weil es fürchtete, dass aufgeklärt werden könne, dass die schon länger bekannte Unterstützung der M23 von Ruanda fortgesetzt wurde. Kigali konnte aber, obwohl just zum Abstimmungszeitpunkt nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat, die Nutzung der Drohnen nicht verhindern. So hat der Einsatz unbemannter Flugkörper zwar nur beschränkten militärischen Nutzen gehabt, wohl aber eine politisch abschreckende Wirkung entfaltet. Die Regierung in Ruanda hat dann auch die Unterstützung für die M23 eingestellt. Das wäre der Interventionsbrigade allein so sicher nicht gelungen. POLITISCHE IMPLIKATIONEN: EINZEL- ODER PRÄZEDENZFALL? Die Autorisierung einer Interventionsbrigade in der Demokratischen Republik Kongo hat über die militärischen Implikationen hinaus vor allem politische Folgen für Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Getragen wird der Einsatz von afrikanischen Staaten. Sollten der Interventionsbrigade weitere offensive Mandate folgen, dann stellt sich die Frage, ob die traditionellen asiatischen und lateinamerikanischen Truppensteller und die europäischen Staaten bereit sind, diese Entwicklung mitzutragen. Erstens zeigen vor allem die Staaten der Region, dass sie nicht länger gewillt sind, die guten wirtschaftlichen Nachrichten aus dem Kontinent von langanhaltenden Bürgerkriegen überschatten zu lassen. Auch wenn die Interventionsbrigade meist als Präzedenzfall betrachtet wird, wirkt sie im Kontext der Missionen der Afrikanischen Union eher wie eine natürliche Fortsetzung der bereits in Somalia gemachten Erfahrungen mit außerordentlich robust gestalteten Mandaten. Dort hat die Friedensmission der Afrikanischen Union (AMISOM) mit offensiven Operationen und unter zum Teil erheblichen eigenen Verlusten die Miliz al-shabaab aus weiten Teilen des Landes verdrängen können. In diesem Zusammenhang gesehen, handelte es sich also bei der Interventionsbrigade von Beginn an nicht um einen Einzelfall. Mit Blick auf die westlichen Staaten wird, zweitens, bereits seit einiger Zeit über die Rückkehr der NATO-Staaten in die Friedensmissionen der Vereinten Nationen spekuliert. Mit dem absehbaren Rückzug der Alliierten aus Afghanistan haben verschiedene Regierungen angedeutet, sich in Zukunft stärker in Blauhelmmissionen der Vereinten Nationen

SEITE 5 einbringen zu wollen. Das wird mit dem Trend zu offensiveren Mandaten allerdings keineswegs einfacher, denn vor allem die europäischen Staaten werden vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Afghanistan kaum bereit sein, ausgerechnet in Missionen der Vereinten Nationen größere Risiken einzugehen gerade dann nicht, wenn diese Missionen ähnliche Strategien verfolgen, wie sie zuvor von den Alliierten in Afghanistan und im Irak angelegt worden sind. Dieser Umstand erhält, drittens, besonderes Gewicht, da auch einige der klassischen Truppensteller bei UN-Missionen die Interventionsbrigade mit Skepsis betrachten. Viele dieser Staaten, allen voran asiatische Länder, entsenden ihre Soldaten in Missionen der Vereinten Nationen, um sie entweder Erfahrungen in komplexen Einsätzen sammeln oder sie vorübergehend über die Vereinten Nationen bezahlen zu lassen. Dabei gehen sie prinzipiell davon aus, dass ihre Soldaten keinem unverhältnismäßig hohen Risiko ausgesetzt sind. In den Augen dieser Truppensteller besteht die Gefahr, dass der Einsatz der Interventionsbrigade das Risiko für die restlichen, im Rahmen der MONUSCO eingesetzten, Truppen erhöhen könnte. Indien hat vor diesem Hintergrund eine ablehnende Haltung formuliert, der sich Uruguay schnell angeschlossen hat. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das allgemeine Mandat der MONUSCO unter Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen beschlossen worden war und daher offensive Operationen durchaus erlaubte. Allerdings haben die traditionellen Truppensteller nur selten die volle Bandbreite autorisierter Operationen ausgeschöpft und so zumindest indirekt eine robuste Interventionsbrigade notwendig gemacht. Einige militärische Kontingente in der MONUSCO haben begonnen, militärisch schwierige Aufträge direkt an die Interventionsbrigade abzugeben, um das Risiko bei eigenen Operationen zu minimieren. Dadurch übernimmt die Interventionsbrigade Aufgaben, für die sie eigentlich nicht vorgesehen ist. Das kann zur Überdehnung der Kapazitäten führen und vom ursprünglichen Auftrag der Interventionsbrigade ablenken. Gemeinsam mit der Risikoaversion westlicher Staaten droht damit der Schwung der offensiveren Mandate wieder verloren zu gehen, bevor sich ihr Erfolg voll attestieren lässt. SCHLUSSFOLGERUNG UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Die Vereinten Nationen haben Wert darauf gelegt, die Interventionsbrigade nicht als Präzedenzfall für zukünftige UN- Friedensmissionen darzustellen. Doch selbst der Sondergesandte des Generalsekretärs für die Demokratische Republik Kongo gesteht ein, dass das Modell Schule machen könnte, sofern die Vereinten Nationen in anderen Einsätzen vor ähnlich komplexen Herausforderungen stehen und mehr Mandate in Zukunft den Schutz der Bevölkerung zur zentralen Aufgabe der Friedenstruppen erklären. Hierin drückt sich zwar in gewisser Weise die Umsetzung der 2005 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Schutzverantwortung (responsibility to protect) in den vom Sicherheitsrat erteilten Mandaten aus, allerdings werden auch die traditionellen Prinzipien der Neutralität und Unparteilichkeit der Blauhelmmissionen relativiert. Dennoch gilt, dass gerade vor dem Hintergrund der lange frustrierenden Bilanzen von UN-Friedensmissionen der Einsatz der Interventionsbrigade einige Erfolge vorzuweisen hat, der Wandel hin zu offensiverem Peacekeeping also eher eine verspätete, wohl gar überfällige Anerkennung der Realitäten ist. Die westlichen Staaten, auch die Bundesrepublik, sollten diese Entwicklung begrüßen und nach Möglichkeit fördern: Ausrüstung und Ausbildung: Die militärischen Fähigkeiten der Staaten, die sich an der Interventionsbrigade beteiligt haben, sind mit denen westlicher Staaten nur bedingt vergleichbar. Im Nachgang zu den Krisen in Somalia und Ruanda in den 1990er Jahren haben die westlichen Staaten gerne die Verantwortungsbereitschaft afrikanischer Länder eingefordert und zu diesem Zweck Ausbildungshilfe angeboten. Gerade bei der Ausrüstung afrikanischer Streitkräfte und damit der potentiellen Peacekeeper bestehen weiterhin größere Defizite: Sowohl Fähigkeiten zur Luftverlegung von Einheiten, als auch an die klimatischen Bedingungen angepasste Fahrzeuge und Kommando- und Kontrolleinheiten sind für die komplizierten Einsätze, die afrikanische Staaten inzwischen angehen, nur unzureichend vorhanden. Hier liegt es im Interesse der westlichen Staaten neben der Ausbildung auch bessere Ausrüstung anzubieten, um afrikanische Staaten in die Lage zu versetzten, robustes und offensives Peacekeeping durchzuführen. Der an sich lobenswerten Enable and Enhance Initiative (E2I) fehlt also ein drittes E für Equip. Bessere Abschreckungsmittel: Der Einsatz der Interventionsbrigade hat deutlich gemacht, wie dringend Friedensmissionen auch Abschreckungsmittel benötigen. Die traditionellen Truppensteller und die afrikanischen Staaten sind aber kaum in der Lage, die dafür notwendigen Ressourcen aufzubringen. Daher sollten die Bundesrepublik und ihre europäischen Alliierten eine größere Bereitschaft zeigen, neben Transportflugzeugen, Sanitätskontingenten und Stabsoffizieren, auch auf regulärer Basis Kontingente mit schwereren Waffensystemen beizusteuern, allen voran Hubschrauber und Aufklärungsdrohnen.

SEITE 6 Diplomatischer Druck und weiterführende Maßnahmen: Damit die erzielten Fortschritte in der Befriedung des östlichen Kongos nicht erneut verloren gehen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Ruanda nicht wieder Milizen in seinem westlichen Nachbarland unterstützt. Dass Ruanda den Einsatz der MONUSCO und der Interventionsbrigade nicht für selbstverständlich hält, ist auch den Vereinten Nationen bewusst. Deren Generalsekretär wies in seinem letzten Bericht darauf hin, dass insbesondere die Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) bekämpft werden müssen, wenn die Regierung in Kigali im Friedensprozess gehalten werden soll. Die Disarmament, Demobilisation, and Reintegration (DDR)- Maßnahmen sehen zwar auch für Kämpfer der FDLR die Möglichkeit zur Eingliederung in die kongolesischen Streitkräfte vor. Allerdings braucht die kongolesische Armee gerade dann weiterführende Ausbildungshilfe, denn DDR- Maßnahmen können bei Wiedereingliederung in die Streitkräfte deren Kohäsion und damit ihre Zuverlässigkeit untergraben. Lehren aus Aufstandsbekämpfungsstrategien: Im Nachgang zur Afghanistan-Intervention sind die Alliierten nur sehr bedingt gewillt, weitere Aufstandsbekämpfungsstrategien zu unterstützen oder in sogenanntes nationbuilding zu investieren. Der Einsatz der MONUSCO und die Krisen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik machen aber deutlich, dass Missionen mit ähnlichem Charakter auch in der Zukunft zu erwarten sind. Vor dem Hintergrund der deutschen Ankündigung, sich an Stabilisierungseinsätzen in Afrika stärker zu beteiligen, ist es also um so wichtiger, dass aus dem Afghanistan-Einsatz Lehren gezogen werden, die tiefer gehen als eine einfache Ablehnung solch komplexer Missionen in der Zukunft. Diese Freiheit wird, wenn die deutsche Ankündigung ernst gemeint ist, nicht existieren. Gefällt Ihnen diese Publikation? Dann unterstützen Sie die Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung für mehr Demokratie weltweit mit einer mobilen Spende. Der Betrag kommt unmittelbar der Stiftung zugute und wird für die Förderung unserer satzungsgemäßen Zwecke verwendet. Jetzt QR-Code scannen und Betrag eingeben. Foto: Ara Güler/KAS-ACDP