Babylotse: Prävention von Anfang an 30.06.17 Fachtag Frühförderung, Bad Nauheim Nicola Küpelikilinc- Deutscher Kinderschutzbund, Bezirksverband Frankfurt am Main e.v. Ablauf Babylotse im Zusammenhang der Frühen Hilfen Babylotse Abläufe Babylotse Fallbeispiele Zugänge zu den Frühen Hilfen: Was benötigen Eltern? 1
Frühe Hilfen Wissenschaftlicher Beirat NZFH, 2009 Frühe Hilfen bilden lokale und regionale Unterstützungssysteme mit koordinierten Hilfeangeboten für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen. Ziele Früher Hilfen Wissenschaftlicher Beirat NZFH, 2009 Sie zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. Neben alltagspraktischer Unterstützung wollen Frühe Hilfen insbesondere einen Beitrag zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von (werdenden) Müttern und Vätern leisten. Damit tragen sie maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei und sichern deren Rechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe. 2
Rechtliche Einordnung Im BKiSchuG werden erstmalig Frühe Hilfen als SOLL- Vorschrift aufgenommen Netzwerkstrukturen finden gesetzliche Hervorhebung Verantwortungsgemeinschaft über Professionen und Resorts hinweg Bundesinitiative Frühe Hilfen, Zwischenbericht 2014: Das Gesundheitswesen hat einen guten Zugang zu allen Familien und die Kinder- und Jugendhilfe verfügt über die notwendigen psychosozialen Unterstützungsangebote. Zielsetzung Systematische Früherkennung belasteter Familien und bedarfsgerechte Vermittlung Früher Hilfen Überwindung von Systemgrenzen Gesundheitshilfe / Kinder und Jugendhilfe Stigmatisierungsfreier Zugang und Freiwilligkeit Zugang zu Familien zum bestmöglichen Zeitpunkt Positiver Zugang zum Hilfesystem 3
Babylotse - bundesweit Babylotse Projektbeginn 2007 Stiftung SeeYou, am Wilhelmsstift, Hamburg Aktuell 31 Kliniken in 7 Bundesländern (Stand 05/17) Bundesweiter Qualitätsverbund zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung Hintergründe zum Modellprojekt Babylotse Etabliert in Frankfurt am Main Dezember 2014 Gefördert von: 4
Aktuelle Situation Ziel: Flächendeckende Versorgung aller Frankfurter Geburtskliniken Universitätsklinikum seit Dez. 2015 2016 Beginn in Krankenhaus Nord-West Hospital zum Heiligen Geist Krankenhaus Sachsenhausen Agaplesion Markus Krankenhaus 07/2017 St. Marien Krankenhaus ein Angebot für 13.000 Familien Ausgangslage in Frankfurt In Frankfurt werden pro Jahr ca.12.800 Kinder geboren. Etwa 2/3 dieser Kinder leben mit ihren Familien auch in Frankfurt. (Stand: 31.12.2016) Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass bei 25-30% der Familien mit Neugeborenen rund um die Geburt weiterer Unterstützungs- und Informationsbedarf unterschiedlich starker Ausprägung besteht. Wir erreichen perspektivisch jährlich etwa 4.000 Familien mit Unterstützungsbedarf 5
Ausgangslage in Frankfurt Es existiert ein breitgefächertes Angebot Früher Hilfen in Frankfurt für unterschiedliche Lebenslagen und Bedarfssituationen Wie kommen die Familien mit einem erweiterten Unterstützungsbedarf an das für sie passende und gut erreichbare Angebot? Notwendigkeit einer systematischen Früherkennung und bedarfsgerechten Vermittlung Babylotse: Rahmenbedingungen Babylotsinnen qualifizierte Pädagoginnen oder Sozialarbeiterinnen Arbeiten in unmittelbarer Nahe zur Station Tägliche Präsenz im Krankenhaus (Mo. Fr. & lange Wochenenden) Zuständig für Alle, die in der jeweiligen Klinik entbinden (ca. 2 Monate vor Entbindung bis 3 Monate nach) 6
Wie funktioniert Babylotse? Kern des Programms ist eine Lotsenfunktion für psychosozial belastete Eltern in das bestehende Netz der Frühen Hilfen: 1. Erkennen 2. Klären 3. Vernetzen 15 1. Erkennen Jede Frau erhält Informationen über Babylotsen bei der Anmeldung zur Geburt. Auf Wunsch der Frau nimmt die Babylotsin unmittelbar Kontakt auf. 16 7
1. Erkennen Erfassung aller Schwangeren mittels eines strukturierten psychosozialen Anhaltsbogens bei der Anmeldung zur Entbindung in der Klinik (ca. 6 10 Wochen vor der Geburt) Pseudonymisierung und Übergabe des Anhaltsbogens an die Babylotsen Auswertung der Anhaltsbögen durch Babylotsen in den Kliniken Benennung der Anhaltsbögen mit identifiziertem Unterstützungsbedarf Einwilligung und Gesprächsvermittlung durch Klinikpersonal 17 1. Erkennen Klar strukturierte Anhaltsbögen und Erfassungsprozesse gewährleisten kontinuierlich hohe Erfassungsraten! 18 8
1. Erkennen Beispielhafte Belastungsfaktoren Besondere (auch soziale) Belastungen (Integration, wirtschaftliche Probleme, alleinerziehend) psychische Belastung (familiär oder beruflich) Sehr junge Mütter (< 22 Jahre) Erhöhte Fürsorgeanforderungen (Entwicklungsverzögerungen, Behinderungen, z.b. bei Geschwisterkindern) Mehrlingsgeburten, viele Kinder Drogen- / Nikotin- / Alkoholkonsum 2. Klären Im individuellen Gespräch wird der konkrete Unterstützungsbedarf der Familie geklärt Weiterführende Fragen und Anliegen der Familie können bei dieser Gelegenheit auch angesprochen werden Die Babylotsenberatung steht als offenes Beratungsangebot grundsätzlich allen Familien zur Verfügung Keine Stigmatisierung! 20 9
3. Vernetzen Aufbau einer Datenbank Frühe Hilfen in Frankfurt Empfehlung und Vermittlung passender Angebote Früher Hilfen mit entsprechender Einverständniserklärung der Familien Unterstützung bei der Kontaktaufnahme (Lotsenfunktion) Monitoring: Bei persönlicher Vermittlung erkundigt sich die Babylotsin nach ca. 4-6 Wochen, ob die Familie durch das Angebot gut versorgt ist. Kontinuierlicher Dialog mit den Trägern Früher Hilfen und passgenaue Vermittlung 21 1. Erkennen 2. Klären 3. Vernetzen Wirkung: Systematische Identifizierung des Unterstützungsbedarfs durch die Erfassung aller Geburten in den beteiligten Kliniken Unterstützung des Klinikpersonals durch qualifizierte externe Babylotsen Aufbau einer umfassenden Datenbank zu den Angeboten der Frühen Hilfen in Frankfurt Passgenaue Heranführung psychosozial belasteter Familien an bestehende Angebote Identifizierung fehlender Angebote Erstmalig ein flächendeckendes Angebot an alle Familien! 22 10
Übersicht zu 2016 Anteil Familien mit Unterstützungsbedarf (A-Bogen) Alle Kliniken, 2016 (N=6.728) 1535 23% ohne Unterstützungsbedarf mit Unterstützungsbedarf 5193 77% Maßnahmen f. Familien mit Unterstützungsbedarf (A-Bogen) 2016 (N=1.535) 4% 3% 7% 2% Gespräche aufgr. A-Bogen KM bereits versorgt Ablehnung 15% Nicht zuzuordnen Sozialdienst 59% KM Entlassung 10% Sonstige 11
Anteil Gespräche zu Geburten Alle Kliniken 2016 (N=8.638) 6898 80% 1740 20% 898 10% 842 10% Geburten ohne Gespräche Gespräche aufgr. A-Bogen Spontan-Gespräche Fallarten 34 11% 9 3% 246 80% 18 6% Beratung Kurzfall Intensivfall Kein Bedarf 12
Themen der Beratung Informationen zu den Frühen Hilfen: Eltern-Kind-Treffs, offene Sprechstunden Hebammenvermittlung mit positiven Tendenzen! Sozialberatung: Anmeldung / Geburtsurkunde, Elterngeld oft als Türöffner Gesundheitliche Probleme / Behinderung bei Mutter oder Kind große Belastung zu Beginn der Eltern-Kind-Beziehung Gefahr einer psychischen Krise Themen der Beratung (2) Drohende Überlastung oft bei bestehenden Erziehungsproblemen / familiären Konflikten Migrantenfamilien ohne Zugang zur Familienbildung, z.t. sozial isoliert: niedrigschwellige, offene Angebote Frauen in äußerst prekären Lebenssituationen intensive Übergangsbegleitung 13
Beratungsthemen Beratungsthemen Nennungen Behördenangelegenheiten bei neugeborenem Kind 1065 Geburtsvorbereitung / Nachsorge 806 Medizinische Versorgung 714 Bedürfnisse von Säuglingen 525 Soziale Isolation 487 Gesundheitsförderung 375 Alltagsstrukturierung 361 Migrationsbedingte Fragen 357 Behördenangelegenheiten 245 Materielle Armut 194 Frühgeburt / Behinderung / Erkrankung Kind 132 Psychische / emotionale Belastungen der Eltern 113 Partnerkonflikte, Trennung, Scheidung 70 Wohnungsnot / Obdachlosigkeit 67 Psychische Erkrankung eines Elternteils 32 Behinderung / Erkrankung eines Elternteils 31 Erziehungsfragen (auch Geschwisterkinder) 24 Suchtbezogene Belastung 7 Fallbeispiel - Beratung Beratungsgespräch in der Schwangerschaft Kindesmutter (KM) stationär Trennung vom Kindesvater (KV) zu Beginn der Schwangerschaft KV hat Probleme, Situation zu akzeptieren. Themen der KM: Zukünftige Rolle als Alleinerziehende, Gestaltung der Beziehung zwischen Kind und KV, Fragen zu Scheidung und Sorgerecht Vermittlung in Beratungsstelle und zu Wellcome 14
Fallbeispiel - Kurzfall Erstgespräch in der Schwangerschaft (Anmeldung zur Geburt); Fallabschluss nach Geburt / Entlassung Bulgarische Familie, 2. Kind (1. Kind in Bulgarien geboren), KV in prekärem Arbeitsverhältnis Themen: Finanzielle Absicherung, Elterngeld, Kita für 1. Kind, gesundheitliche Versorgung Vermittlung und Begleitung Schwangerenberatung (Mutter-Kind-Stiftung) Vermittlung Sozialberatung (bulgarisch-sprachig) Eltern-Kind-Gruppe als Vorstufe zu Kita Fallbeispiel - Intensivfall Frau F. aus Moldawien / Bulgarien, kam nach D. zum Arbeiten, ungeplante Schwangerschaft. Kein Kontakt zum Kindesvater. Kind 2 Monate zu früh geboren. Durch prekäre Arbeitsverhältnisse und keinen Mietvertrag kein Anspruch auf Unterstützung. Jugendamt wegen drohender Obdachlosigkeit eingeschaltet. Maßnahmen: Kontakte Sozialamt (BD3), Standesamt, Jugendamt 15
Intensivfall (2) Anbindung Migrationsberatung und Beratung DGB wegen Sozialleistungen / Ansprüche an Arbeitgeber Anbindung Zentrum Familie: Hebammensprechstunde, evtl. Willkommenstage Fazit: Durch Übergangsbegleitung Stabilisierung der Mutter-Kind-Bindung (Risikofaktoren: ungeplante Schwangerschaft, Frühgeburt, unsichere Lebenssituation, Angst vor Inobhutnahme) Überleitung Frühförderung Interdisziplinäre Frühförderstelle als langfristige Begleitung, wenn das Kind gesund, aber mit Entwicklungsrisiko zur Welt kommt (z.b. Down-S.) Offene Anlaufstelle: Sorgen um Geschwisterkinder 16
Überleitung Frühförderung Geschwisterkinder mit Entwicklungsauffälligkeiten: Familienbegleitung in der Umstellung nach Geburt des neuen Kindes (Familien- und Umfeldorientierung der IFF) Ängste der Eltern als Belastung der Bindung zum Neugeborenen (interaktionsfokussierte Ansatz der IFF) Installation praktischer Hilfen rundum Geburt (z.b. geeigneter Kita-Platz) Überleitung Frühförderung Babylotse bei erneuter Schwangerschaft Spannungsverhältnis Frühe Hilfen / Kinderschutz? Babylotse = Freiwillig und setzt Einverständnis der Eltern voraus Frühe Hilfen: Protektive Faktoren fördern! Begründeter VD auf Kindeswohlgefährdung = Sozialdienst der Klinik (s.a. 3 Abs.2 KKG) Babylotsen werden über das bisherige Maß hinaus VD auf Kindeswohlgefährdungen identifizieren 17
Chancen Nutzt die einmalige Situation rund um die Geburt, in der Familien besonders offen für Veränderung sind. Eine Anlaufstelle für alle Fragen von der Sozialberatung bis hin zum Umgang mit Traumatisierung oder psychischer Erkrankung und auch bei Behinderung / Erkrankung des Kindes. Tägliche Präsenz der Babylotsinnen auf Station erleichtert den Zugang Niedrigschwellig und unabhängig von Wohnort Fragen und Diskussion 18
Zugang zu Frühen Hilfen: Was benötigen Eltern? 19
Danke für Ihre Aufmerksamkeit 20