Auf dem Weg zu einer neuen Identität

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Transkript:

Sonos-Mitgliederporträt: Therapiezentrum Oensingen Das Kind im Zentrum Auf dem Weg zu einer neuen Identität Solothurn hat seit 2015 seinen eigenen Audiopädagogischen Dienst (APD). Dieser betreut Kinder und Jugendliche mit einer Hörbeeinträchtigung, welche die Regelschule besuchen. Besonders daran: Der APD ist Teil des Therapiezentrums Oensingen, das sieben Therapieformen von Physiotherapie bis Visiopädagogik im Angebot hat. Text: Franziska Meier, Fotos: Dieter Spörri Schwerhörig- und Gehörlosigkeit sind unsichtbare Behinderungen. Da ist kein Blindenstock und kein Rollstuhl. Deshalb gehen betroffene Menschen in der Gesellschaft oft unter. Schnell ist vergessen, dass sie Schwierigkeiten mit Verstehen haben, wenn man ihnen zum Beispiel das Gesicht nicht zuwendet fürs Lippenlesen oder wenn mehrere Leute durcheinanderreden. Dann nützen Hilfsmittel wie Hörgeräte oder Cochlea Implantate wenig. Damit Kinder mit Hörbeeinträchtigung nicht vergessen gehen Hörbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche, welche die Regelschule besuchen, verpassen deshalb einen Teil des vermittelten Wissens. Es ist eine der Aufgaben Therapiezentrum Oensingen Das Kind im Zentrum Das Therapiezentrum Oensingen ist Teil des «Zentrums für Kinder mit Sinnes- und Körperbeeinträchtigungen ZKSK», welches wiederum von der «Solothurner Stiftung Schulheim für körperbehinderte Kinder» geführt wird. Letztere übernahm das Therapiezentrum 2015 und baute dessen Angebot aus: Der bereits bestehende Bereich Therapie wurde um den Bereich Dienste ergänzt, sodass heute sieben Therapieformen im Haus beheimatet sind: Physiound Ergotherapie, Logopädie im Frühbereich, Psychomotorik, Heilpädagogische Früherziehung, Audio- und Visiopädagogik. Der Audiopädagogische Dienst (APD) ist der Grund, dass das Therapiezentrum Sonos-Mitglied wurde. Der APD betreut rund 70 Kinder und Jugendliche mit Hörbeeinträchtigung. Die Hälfte davon werden wöchentlich besucht, die anderen erhalten Beratung nach Bedarf. Zum ZKSK gehören neben dem Standort in Oensingen zwei weitere Solothurner Zentren im Therapie- und Schulbereich. www.zksk.ch der Audiopädagogik, die «hörende Welt» für die Bedürfnisse von jungen Betroffenen zu sensibilisieren. Eine, die diese Arbeit leistet, ist Judith Sidler Altermatt aus dem Therapiezentrum Oensingen. Die hörende Audiopädagogin erzählt: «Durch meine regelmässige Anwesenheit im Unterricht wird das schulische Umfeld sensibilisiert. Kürzlich meinte ein Mitschüler des hörbeeinträchtigten Kindes, als einem anderen Kind die Farbschachtel zu Boden fiel: <Du hast ein Störgeräusch gemacht!>» Audiopädagoginnen wie Judith Sidler begleiten gehörlose und schwerhörige Kinder und Jugendliche von der Geburt bis zur Volljährigkeit. Diese Aufgabe fällt im Kanton Solothurn einem fünfköpfigen Team, dem Audiopädagogischen Dienst (APD), zu. Die vier Frauen und ein Mann sind eher selten im Therapiezentrum anzutreffen. Meist sind sie unterwegs und besuchen ihre jungen Klienten, zu Hause bei der Familie oder in der Schule. Schnittstelle zu Medizin, Technik und Pädagogik Neben dem APD bietet das Therapiezentrum weitere sechs Therapieformen (siehe Kasten). Diese breite Palette bietet natürlich Chancen. «Realisiert eine Psychomotoriktherapeutin, dass ein Kind ein Hörproblem hat, kann sie sich innerhalb unseres Hauses kompetenten Rat holen», erklärt die stellvertretende Standortleiterin, Marianne Bossard (hörend). Wie auch andere im Haus verfügt sie über zwei Ausbildungen: über Psycho- 20 Sonos 4/2017

Impressionen aus dem Therapiezentrum Oensingen Die stellvertretende Standortleiterin Marianne Bossard: «Hier im Therapiezentrum Oensingen ist es vielseitig und bunt.» Ein Paradies für Kletterfans: die Bewegungsräume im Ober- und Erdgeschoss. Blick ins Zentrum: Psychomotoriktherapeutin Seline Bieri und ein Mädchen arbeiten im Bewegungsraum des Erdgeschosses. Sonos 4/2017 21

Die Leiterin des Therapiezentrums Oensingen «Ich habe eine unglaubliche Neugier auf die Menschen» Sonos: Frau Ris, Sie haben im August Ihre Stelle als Standortleiterin in Oensingen angetreten. Welchen Eindruck haben Sie nach einem Monat? Karin Ris: Das Team ist absolut genial. Derart engagierte Leute mit so viel Know-how: Es ist ein unglaubliches Kapital, das dem Unternehmen zur Verfügung steht. Ich bin hier mit offenen Armen empfangen worden. Nun gilt es, in der täglichen Arbeit anzukommen. Was wird dabei die grösste Herausforderung sein? Meine Ungeduld mir selbst gegenüber. Ich möchte so schnell wie möglich gute Arbeit leisten und eine kompetente Ansprechperson sein. Welchen Ort an Ihrer Arbeitsstelle mögen Sie besonders? Ich habe dieses Haus vom ersten Moment an geliebt, nenne es «mis Häxehüsli», weil diesem Haus nicht nur ein Zauber für die Kinder innewohnt. Ich mag jene Orte besonders, wo das Wir-Gefühl gefördert wird, wo man sich begegnet. Die genialsten Ideen entstehen ja oft beim «Pläuderle» in der Pause. Welches ist Ihr Arbeitsmotto? Ein Motto habe ich nicht. Aber ein Menschenbild. Ich glaube, der Mensch will sich ständig weiterentwickeln. Aus dieser Haltung heraus lerne ich gerne Neues und habe eine unglaubliche Neugier auf das Leben und die Menschen. Wohin wollen Sie mit Ihrem Team? Ich mag Leute, die Ecken und Kanten haben. Man muss nicht immer gleicher Meinung sein, aber es braucht Fairness. Mit Fairness können wir als Team zu einer Einheit werden, in der jede Person dennoch ihre Individualität behalten kann. Karin Ris (1963) hörend, Lautsprache Arbeit: Leiterin Therapiezentrum ZKSK Standort Oensingen seit August 2017, 90-Prozent-Pensum. Ursprünglich dipl. Kindergärtnerin, diverse Aus- und Weiterbildungen (u. a. zur dipl. Logopädin EDK mit eigener Praxis, Master of Advanced Studies in Special Needs Educational Management and Leadership), schliesslich Leiterin des Pädagogisch-therapeutischen Dienstes des Kantons Schaffhausen (von 2010-2017) Familie: Verheiratet, zwei erwachsene Söhne, ein Hund, zwei Katzen Hobbys: Musik hören, Klavier und Querflöte spielen, Gesang, Garten, Kochen 22 Sonos 4/2017

motorik und Heilpädagogische Früherziehung. Das unterstützt die Interdisziplinarität und trägt dazu bei, dass das Therapiezentrum seinem Namen «Das Kind im Zentrum» gerecht werden kann. Die Aufgabe, das Kind ins Zentrum zu stellen, hat für den APD viele Facetten. Mittels Übungen wird das Kind bei der Hör- und Sprachentwicklung unterstützt, Schulstoff wird wiederholt. Audiopädagoginnen bilden zudem die Schnittstelle zu Medizin, Technik und Pädagogik: «Wir managen das ganze Umfeld des betroffenen Kindes», erklärt die hochgradig schwerhörige Audiopädagogin Cécile Aeschlimann Müller. Eltern werden nach dem Diagnoseschock «Hörbehinderung» unterstützt, Lehrpersonen werden bezüglich Hörbehinderten-Didaktik beraten, Betroffene werden zur Ohrenärztin oder zum Hörgeräteakustiker begleitet. Nicht immer ist Integration das Richtige Das ganze Umfeld mitzuberücksichtigen bedeutet auch, Grundsatzfragen zu stellen. Zum Beispiel: Ist die Integration immer das Richtige? Cécile Aeschlimann erzählt dazu: «Ich betreute ein Mädchen in der Regelschule. Es ging ihm immer schlechter, weil es wegen seiner einseitigen Hörbehinderung schulische Schwierigkeiten hatte und zu viele Förderstunden ausserhalb der Klasse beanspruchte. Dies führte zur sozialen Separation. Ich setzte mich für den Wechsel an eine Sonderschule ein. Heute ist das Mädchen glücklich, da es in der Sonderschule den ganzen Unterricht in der Klasse bestreiten kann und auch noch Kontakt zu anderen Betroffenen fand.» Im Therapiezentrum Oensingen existieren derzeit Stabilität und Instabilität nebeneinander. Stabil ist laut Marianne Bossard das attraktive Arbeitsumfeld für die 25 Mitarbeitenden: «Wir sind ein gutes Team, schauen zueinander und arbeiten dank grossem Gestaltungsfreiraum gern hier hier ist es vielseitig und bunt.» Nicht zuletzt habe das Kompetenzzentrum einen guten Ruf, sowohl bei Fachleuten wie auch Eltern. Die Instabilität hat mit den Entwicklungen der letzten Jahre zu tun. 2015 entschied sich das Volksschulamt des Kantons Solothurn für ein kantonales Angebot für seh- und hörbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche (bisher waren diese von entsprechenden Diensten aus den Nachbarkantonen betreut worden). Daraufhin kam es zu einer Übernahme. Das Therapiezentrum, während acht Jahren von seiner Gründerin geführt, wurde 2015 von einer Stiftung erworben. Sogleich baute man vor Ort die zwei neuen Dienste Audio- und Visiopädagogik auf, 2017 wurde die komplette Fusion mit dem ZKSK vollzogen (siehe dazu Kasten Seite 20). Und nicht zuletzt hat der Standort ZKSK Oensingen seit August 2017 eine neue Leiterin. Neupositionierung durch Vernetzung An dieser neuen Standortleiterin, Karin Ris (hörend), ist es nun, nach dieser Zeit der Veränderungen und Unsicherheit für stabile Strukturen zu sorgen. Nach Besitzerwechsel, Wachstum und Strukturanpassungen gilt es, eine neue Identität zu entwickeln: im Haus selbst, aber auch innerhalb der Gesamtorganisation. Diese ideelle Neupositionierung soll vor allem durch professionelle Vernetzung erreicht werden. Karin Ris plant, auf jeder Ebene Austauschgefässe zu schaffen. Die unterschiedlich etablierten Bereiche innerhalb des Hauses sollen noch stärker miteinander verbunden werden, es soll standortübergreifende Austauschtreffen geben, und auch zwischen den insgesamt drei solothurnischen Organisationen, die Heilpädagogische Früherziehung anbieten, möchte Karin Ris einen verstärkten Austausch anregen. «Wie ein Sechser im Lotto» Mittels dieser Vernetzung beabsichtigt die Standortleiterin, das Therapiezentrum fachlich weiterzuentwickeln. Nach nur wenigen Wochen im neuen Job ist Karin Ris daran, die Abläufe besser kennen zu lernen, sich zu vernetzen, eine Bestandesaufnahme zu machen und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden kennen zu lernen. Dabei kann sie schon jetzt auf die Mitarbeit des Teams zählen: «Wir werden den Weg miteinander gehen». Zu ihren Mitarbeitenden hat die Standortleiterin bereits eine sehr klare Meinung: Im Team sei sehr viel Fachkompetenz, Engagement und Herzblut vorhanden. Und so lautet das vorläufige Fazit von Karin Ris: «Das schöne Therapiezentrum, das fachlich exzellente Team und überhaupt meine neue Stelle: Das ist wie ein Sechser im Lotto!» Sonos 4/2017 23

Die Audiopädagogin im Therapiezentrum Oensingen «Danke, dass Sie sich für mein Kind einsetzen!» Sonos: Frau Sidler, Sie sind die dienstälteste Mitarbeiterin im Audiopädagogischen Dienst (APD) Solothurn. Haben Sie dadurch eine spezielle Funktion? Judith Sidler Altermatt: Ich habe den Aufbau des APD von Anfang an mitgestaltet. Zudem verfüge ich über ein grosses fachliches Netzwerk. Daher ergibt es sich oft, dass ich im Betrieb und von aussen kontaktiert werde. Ich coache gerne jene, die neu in unser Team kommen. Was an Ihrer Tätigkeit macht Ihnen besonders Freude? Eine gelungene Lektion. Wenn ein Kind etwas gelernt hat, wenn etwas von der Arbeit der letzten Woche hängengeblieben ist und es Bezug darauf nimmt. Das ist es, was meiner Arbeit Sinn gibt. Welches Erlebnis an dieser Arbeitsstelle hat Sie am stärksten beeindruckt? Ein Kind mit zwei Cochlea Implantaten sprach lange nicht. Die Familie hat mit einem Gebärden-Heimkurs angefangen. Dank dieser Bilingualität hat sich dem Kind die Tür zur Kommunikation geöffnet. Es lernte erste Wörter, dann kamen Zwei-Wort-Sätze. Es ist schön zu sehen, wie sich der Wortschatz wöchentlich in Gebärden- und Lautsprache erweitert. Was an Ihrer Arbeit wird besonders geschätzt? Eltern müssen ihrem hörbeeinträchtigten Kind oft Gehör verschaffen. Das ist häufig eine undankbare Aufgabe, denn sie wollen keine Extrawurst. Sie sind froh, dass wir vom APD das teilweise übernehmen. Ich höre oft: «Danke, dass Sie sich für mein Kind einsetzen!» Judith Sidler Altermatt (1975) hörend, Lautsprache, Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) im Berufssetting Arbeit: Audiopädagogin am Therapiezentrum Oensingen, seit 2014, 40-Prozent-Pensum. Ursprünglich Primarlehrerin, Weiterbildung zur Schulischen Heilpädagogin mit Schwerpunkt Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose, Anstellungen am Heilpädagogischen Zentrum Hohenrain und am Landenhof, Zentrum und Schweizerische Schule für Schwerhörige in der Schule und beim APD. Familie: Verheiratet, zwei Kinder (alle hörend) Hobbys: Sport in der Natur, Skifahren, Joggen, Biken, Wandern; Familie und Freunde, Haus und Garten 24 Sonos 4/2017

Die Audiopädagogin im Therapiezentrum Oensingen «Heute kann ich eine Vorbildfunktion übernehmen» Sonos: Frau Aeschlimann, Sie sind hochgradig schwerhörig. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Audiopädagogin? Cécile Aeschlimann Müller: Was ich den Kindern und Jugendlichen erzähle, ist authentisch. Ich habe das Gleiche erlebt, auch ich wurde als Kind von einem Audiopädagogen begleitet. Ich weiss aus Erfahrung, dass Integration nicht immer einfach ist. Auch bei mir gab es Zeiten, in denen ich die Schule nur mit Ach und Krach bewältigte. Und doch kann ich heute eine Vorbildfunktion übernehmen: Die Kinder sehen an meinem Beispiel, dass man trotz Hörbeeinträchtigung ein eigenständiges Leben führen kann. Was an Ihrer Tätigkeit macht Ihnen besonders Freude? Die Zusammenarbeit mit den Fachpersonen rund um das betroffene Kind sowie die Arbeit mit dem Kind selbst. Dabei braucht es eine grosse Portion Spontaneität und Flexibilität. Man weiss bei der Ankunft in der Schule oder beim Kind zu Hause nie, was einen erwartet. Das ist das Spannende an dieser Arbeit. Was ist herausfordernd? Schwierig ist es, wenn Betroffene oder deren Eltern die Diagnose «Hörbehinderung» nicht akzeptieren können. Es gibt auch Leute, die überzeugt sind, dass eine Hörbehinderung mit dem Erwachsenwerden «auswächst». Gibt es ein Arbeitsritual, das Sie besonders mögen? Im Auto, auf dem Weg zu den Kindern, höre ich seit einiger Zeit vermehrt Radio und verstehe manchmal ganze Sätze. Cécile Aeschlimann Müller (1979) seit Geburt hochgradig schwerhörig, ein Cochlea Implantat, ein Hörgerät, Lautsprache und Kenntnisse der Gebärdensprache Arbeit: Audiopädagogin am Therapiezentrum Oensingen, seit 2015, 50-Prozent-Pensum. Ursprünglich Hauswirtschaftslehrerin mit integralem Patent, bildete sie sich weiter zur Schulischen Heilpädagogin mit Schwerpunkt Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose, arbeitete zuletzt 14 Jahre am Landenhof, Zentrum und Schweizerische Schule für Schwerhörige, auf verschiedenen Schulstufen. Familie: Verheiratet mit einem hörbehinderten Mann, zwei hörende Söhne, eine Katze Hobbys: B- und Bassklarinette spielen in einer Musikgesellschaft, Badminton in einem Gehörlosensportverein, Schwimmen, Skifahren, Familie und Garten Sonos 4/2017 25