Theorie und Empirie der Deutungsmusteranalyse (PS)

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Transkript:

Theorie und Empirie der Deutungsmusteranalyse (PS) Programm der heutigen Sitzung (1) Rückblick: Quantitative vs. Qualitative Sozialforschung (2) Theoretische Einbettung der Deutungsmuster (3) Untersuchungsgegenstand: Arbeitsunwilligkeit

1.1 Rückblick: Quantitative vs. Qualitative Sozialforschung Quantitative Methoden Qualitative Methoden Ausgangspunkt Erster Schritt Gegenstand Geeignete Methode Forschungsprozess Theorien Hypothesenbildung Methode muss dazu passen (bspw. können seltene Fälle nicht untersucht werden) wird vorab festgelegt standardisiert und hypothesengeleitet Theorien und empirischer Gegenstand Vorverständnis offen legen Methode kann angepasst werden Methoden-Mix möglich (Triangulation) offen und regelgeleitet Quantifizierung (Q) Untersuchung erfolgt nur, wenn Q prinzipiell möglich ist Q kann angeschlossen werden

1.2 Rückblick: Quantitative vs. Qualitative Sozialforschung Quantitative Methoden Qualitative Methoden Fallgröße Verallgemeinerbarkeit Datenauswertung Erkenntnisprinzip Rückbindung der Empirie an die Theorie Große Fallzahl, Stichprobenziehung Rückschlüsse auf Grundgesamtheit möglich Korrelationen (Ursachen-Wirkung) durch statistische Verfahren Erklären von isolierten Ursache- Wirkungszusammenhängen Erfolgt nur begrenzt im Rahmen des Pre-Test Typischerweise Einzellfälle, beliebige Ausweitung möglich Nur bedingt möglich Regelgeleitete Interpretation und Typenbildung Verstehen und Rekonstruktion komplexer Zusammenhänge Erfolgt auf allen Stufen des Forschungsprozesses Subjektivität Wird als Störvariable ausgeklammert Wird als unausweichlicher Faktor reflektiert einbezogen Forschungslogik Deduktion Induktion

Theorie und Empirie der Deutungsmusteranalyse (PS) Programm der heutigen Sitzung (1) Rückblick: Quantitative vs. Qualitative Sozialforschung (2) Theoretische Einbettung der Deutungsmuster (3) Untersuchungsgegenstand: Arbeitsunwilligkeit

(2) Theoretische Einbettung der Deutungsmuster Interpretatives Paradigma = Ansätze, die Deutungsleistungen der handelnden und interagierenden Akteure betonen und qualitative Forschungsmethoden bevorzugen 2.1 Amerikanischer Pragmatismus und Chicago School Vertreter: R. E. Park, F. Znaniecki, W. I. Thomas (Thomas-Theorem) G.H. Mead: Kommunikations- und Sozialisationstheorie Symbolischer Interaktionismus (Herbert Blumer) - Joseph Gusfield: öffentliche Problemdefinitionen - Howard S. Becker: abweichendes Verhaltens als Definitionsprozess Erving Goffmann: Rahmen- bzw. Frame-Analyse

2.2 Die Prämissen des Symbolischen Interaktionismus (Blumer) (1) Menschen handeln Dingen gegenüber auf der Grundlage der Bedeutung, die diese Dinge für sie haben (2) Bedeutung solcher Dinge entsteht in der Interaktion (3) Die Bedeutung kann in einem interpretativen Prozess in der Interaktion gehandhabt und abgeändert werden 2.3 Die Bedeutung der Dinge physikalische Objekte (Tisch, Baum) soziale Objekte (Freund, Mutter, Priester) abstrakte Objekte (Gerechtigkeit, Freiheit, Seminar) Quelle: Blumer, Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus, S. 81 Diese Dinge können nicht beliebig gedeutet oder interpretiert werden, sondern immer nur in Abhängigkeit der jeweiligen kulturellen Deutungsangebote signifikante Symbole

2.4 Wissenssoziologie Ausgangspunkt: Wie wird gesellschaftliche Wirklichkeit erzeugt? gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit als permanenter Prozess der a. Objektivierung und Stabilisierung und b. sozialisatorischen Aneignung von Wissensordnungen Typisierung und Wissensvorrat eine Wissensordnung entsteht in einem interaktiven Prozess gegenseitiges Deuten von Handlungen Typisierungen werden im Wissensvorrat abgelagert: Handlungsweisen, Regeln, Normen, Werte, Moralvorstellungen, Sprache, wissenschaftliches Wissen, Klassifikation, Institutionen, Emotionen, Routine- und Referenzwissen, Schemata, Skripte, Rezeptwissen und Deutungsmuster Wissen wird kollektiv erzeugt der gesellschaftliche Wissensvorrat ist Lauf der Geschichte entstanden, deshalb handelt es sich um kein endgültiges, sondern um kontingentes und veränderbares Wissen.

Gesellschaft als objektive und subjektive Wirklichkeit zugleich: Institutionalisierung: Der kontingente Wissensvorrat wird durch verschiedene Vermittlungsinstanzen (Familie, Lehrer, Medien) als objektiv gegeben an das Individuum herangetragen Internalisierung meint schließlich den Vorgang, in welchem sich das Individuum den objektivierten Wissensvorrat im Prozess der Sozialisation aneignet. Im Verlauf der Aneignung des gesellschaftlich objektivierten Wissens kommt es zu individuellen Modifikationen, wodurch aus der objektiven Wissensordnung wiederum ein subjektiver Wissensvorrat entsteht Wir interpretieren und deuten die Welt mit Typisierungen aus dem Wissensvorrat

2.4. Grundannahmen der Wissenssoziologie: gesellschaftlich-historisch entstandener kollektiver Wissensvorrat: Handlungsweisen, Regeln, Normen, Werte, Moralvorstellungen, Sprache, wissenschaftliches Wissen, Klassifikation, Institutionen, Emotionen, Routine- und Referenzwissen Wissensvorrat als Ablagerung von typischen Erfahrungen: wir deuten unsere Erlebnisse und machen Sie dadurch zu Erfahrungen, die sich als Typen oder Typisierungen begreifen lassen Gesellschaft als objektive und subjektive Wirklichkeit zugleich: Der kontingente Wissensvorrat wird über Vermittlungsinstanzen (z.b. Familie, Peers, Bildungseinrichtungen, Massenmedien) als objektiv gegeben vorgestellt und vom Individuum angeeignet Bei der Wahrnehmung der Wirklichkeit greift man auf Deutungen aus dem Wissensvorrat zurück und lagert typische Erfahrungen im subjektiven Wissensvorrat ab neue Erlebnisse, die als typische Erfahrungen wahrgenommen werden, können bei weiter Verbreitung wiederum den kollektiven Wissensvorrat ergänzen oder verändern

2.5 Vertreter der Wissenssoziologie Klassische Ansätze - Tradition der Ideologiekritik: Francis Bacon, Karl Marx - Standortgebundenheit des Wissens: Mannheim, Scheler Soziale Konstruktion des Wissens - Alfred Schütz (phänomenologische Soziologie) - Berger/Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit - Ulrich Oevermann: Objektive Hermeneutik - Reiner Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse (im Anschluss an Michel Foucault) - Michael Schetsche: wissenssoziologische Deutungsmustertheorie

2.6 Grundzüge der Deutungsmuster-Theorie: Deutungsmuster (DM) sind Teil des kollektiven Wissensvorrats DM sind keine einzelnen Wahrnehmungsschemata (bspw. Tisch) und auch keine Skripte (bspw. Verkaufsgespräch) Sondern: DM sind komplex organisierte Wahrnehmungszusammenhänge Deutungsmuster enthalten: Stereotype und Typisierungen Bewertungen (Gut/Böse) Rezeptwissen, Handlungsanleitungen Ursachenerklärungen: Verantwortung und Schuld? Folgen: welche Konsequenzen werden nahe gelegt/gefordert? Problembeschreibung und Problemlösungsstrategien Bereitstellungen passender Affekte und Emotionen. Bsp. Empörung, Betroffenheit

Theorie und Empirie der Deutungsmusteranalyse (PS) Programm der heutigen Sitzung (1) Rückblick: Quantitative vs. Qualitative Sozialforschung (2) Theoretische Einbettung der Deutungsmuster (3) Untersuchungsgegenstand: Arbeitsunwilligkeit

Die soziale Frage Wie geht die Gesellschaft mit Armut um? Historische Unterscheidung im Christentum zwischen würdigen und unwürdigen Armen Fürsorgepraxis im Mittelalter würdige Arme: Kranke, Alte, Witwen, Waisen unwürdige Arme: gesunden und arbeitsfähigen Menschen wird Müßiggang unterstellt Heilsökonomie: kirchliche und weltliche Fürsorge nur für würdige Arme, da nur dies gottgefälliges Handeln ist

Übergang zur Neuzeit (~ 16. Jhdt.) Unwürdige Arme: Vagabunden und Landstreicher 1. Vagabunden und Landstreicher hatten keinen rechtlichen Status als Bürger, da sie außerhalb der Zunftordnung standen Fürsorge erhielten aber nur die arbeitenden Armen der Zünfte (die im Zuge der entstehenden kapitalistischen Ordnung immer mehr wurden) 2. paradoxes Prinzip der Nähe Fürsorge erhält man nur in der Gemeinde, aus der man stammt: die Vagabunden und Landstreicher mussten aber gerade dort weg, weil ihr Überleben nicht möglich war (die örtlichen Fürsorgeeinrichtungen sowie der Familienkreis konnten die Versorgung nicht sicherstellen)

18./19.Jhdt.: (Früh-) Industrialisierung würdige Arme: städtisches Proletariat (working poor) unwürdige Arme: arbeitsfähige, aber arbeitslose Pauper (Marx: Lumpenproletariat) Pauperismus-Frage: Fürsorge prinzipiell auch für arbeitsfähige Arme Keine Bestrafung mehr, jedoch weiterhin gesellschaftliche Stigmatisierung Neues Armengesetz (New Poor Law) um 1834 Einsperrungspraxis (Armenhäuser) damit einhergehend Verlust bürgerlicher Rechte

Entstehen der Arbeiterbewegung Forderung nach politischen und sozialen Rechten Recht auf soziale Sicherung (geregelte Arbeitsverträge, Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung) Recht auf Bildung und medizinische Versorgung Macht der Arbeiterbewegung durch deren zentrale Stellung im Produktionsprozess Arbeiterklasse als gefährliche Klasse : Alternativen waren Revolution oder Reform Soziale Frage konnte nicht mehr durch ausgrenzende Unterscheidungspraxis (würdig/unwürdig) gelöst werden Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat eingeleitet

Thomas H. Marshall: Citizenship and Social Class (Cambridge, 1949) 3 Elemente des Staatsbürgerstatus (88) 18. Jhdt: bürgerliche Rechte Freiheit der Person, Verfügung über Eigentum einschließlich der eigenen Arbeitskraft 19. Jhdt: politische Rechte Zugang zu Institutionen der politischen Macht, aktives und passives Wahlrecht 20. Jhdt.: soziale Rechte Recht auf ökonomische Mindestsicherung, Recht auf zivilisiertes Leben nach gesellschaftlichen vorherrschenden Standards, keine Abhängigkeit von Wohlwollen der Spender Anspruchsberechtigte statt Bittsteller

Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg ab 50er Jahre: Wirtschaftswunder hohes Wachstum Vollbeschäftigung wohlfahrtsstaatliche Entwicklung erreicht den Höhepunkt 1975: Erste Konjunkturelle Einbrüche nach der Ölkrise (1973) Anstieg der Arbeitslosenzahlen und erste Faulheitsdebatte 80er: Massenarbeitslosigkeit kehrt zurück Arbeitslosenzahl steigt über 2 Mio.: 2. Faulheitsdebatte 90er: Arbeitslosenzahl steigt über 3 Millionen 3. Faulheitsdebatte: Kanzler Kohls kollektiver Freizeitpark 4. Faulheitsdebatte: Kanzler Schröder Es gibt kein Recht auf Faulheit

Arbeitslosigkeit als strukturelles Problem Ursachen Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft wirtschaftliche Globalisierung und finanzpolitische Deregulierung Folgen Bedeutungsverlust von un- und angelernter Arbeit (Export der klassischen Industriearbeitsplätze) Einsparungspotential im Dienstleistungssektor wirtschaftliches Wachstum ohne Entstehung neuer Arbeitsplätze ( Jobless Growth )

Deutungsmuster Arbeitsunwilligkeit Deutungsmuster enthalten: Stereotype und Typisierungen Bewertungen (Gut/Böse) Rezeptwissen, Handlungsanleitungen Ursachenerklärungen: Verantwortung und Schuld? Folgen: welche Konsequenzen werden nahe gelegt/gefordert? Problembeschreibung und Problemlösungsstrategien Bereitstellungen passender Affekte und Emotionen. Bsp. Empörung, Betroffenheit

Deutungsmuster Arbeitsunwilligkeit Problembeschreibung: Arbeitslose wollen nicht arbeiten Erkennungsschemata: Sozialleistungsmissbrauch Schmarotzer, Faulenzer, Abzocker Problemursachen der sozialstaatliche Absicherung ermöglicht ein sehr komfortables Leben (Sozialstaat als Hängematte) Sozialleistungen sind im Vergleich zu gering bezahlter Arbeit zu hoch, dadurch fehlt der Anreiz, Arbeit aufzunehmen Sozialhilfe fördert Müßiggang statt Hilfe zur Selbsthilfe zu sein

Problemlösung: Fördern und Fordern 1. Sozialleistungen müssen gekürzt werden Anreize zur Arbeitsaufnahme = Leistungsbereitschaft wird erhöht 2. Arbeitslose müssen jede Arbeit annehmen Zumutbarkeitsregeln müssen verschärft werden (bzgl. Qualifikation, Mobilität und Verdienst) 3. wird Arbeit abgelehnt, müssen härtere Sanktionen erfolgen Leistungskürzungen und die komplette Streichung von Leistungen müssen verstärkt eingesetzt werden

Ziele der empirischen Untersuchung (Gruppendiskussion und Medienanalyse) 1. Zentral: Wie werden Arbeitslose in den Medien dargestellt und wie werden sie öffentlich wahrgenommen? 2. Welche Stereotype existieren? 3. Wie wirksam ist das Deutungsmuster Arbeitsunwilligkeit, d.h. wie stark ist es verbreitet? 4. Durch welche individuellen und kollektiven Akteure wird das Deutungsmuster in Gestalt konkreter Äußerungen verbreitet? Medienanalyse 5. Inwieweit werden Diskurse in alltags- u lebensweltlichen Kommunikationsprozessen und Praktiken aktualisiert? Gruppendiskussion

Waschen und Rasieren reicht? Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!