E M P F E H L U N G DER KULTUSMINISTERKONFERENZ ZUR FÖRDERUNG DER MENSCHENRECHTSERZIEHUNG IN DER SCHULE

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Transkript:

E M P F E H L U N G DER KULTUSMINISTERKONFERENZ ZUR FÖRDERUNG DER MENSCHENRECHTSERZIEHUNG IN DER SCHULE (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 04.12.1980 i.d.f. vom 14.12.2000)

- 2 - Herausgeber: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Lennéstraße 6, Postfach 2240, 53113 Bonn Editor: Secretariat of the Standing Conference of the Ministers of Education an Cultural Affairs of the Länder in the Federal Republic of Germany Lennéstraße 6, Postfach 2240, 53113 Bonn Edité par le Secrétariat de la Conférence permanente des Ministres de l'education et des Affaires culturelles des Länder en République fédérale d'allemagne Lennéstraße 6, Postfach 2240, 53113 Bonn

- 3-1. Die Ausgangslage Die Menschenrechte gehören zu den unabdingbaren Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben. Politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit sind nicht zu verwirklichen, wenn die aus der Würde des Menschen herzuleitenden Grundrechte nicht sichergestellt sind. Ebenso ist eine auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit beruhende Weltordnung, die allein das friedliche Zusammenleben der Völker dauerhaft sichern kann, ohne die Respektierung dieser Rechte nicht möglich. Seit Ende des 18. Jahrhunderts haben die Menschenrechte zunehmend Eingang in die Verfassungen vieler Staaten gefunden. Über diesen nationalen Rahmen hinaus ist ihnen nach dem 2. Weltkrieg durch Vereinbarungen im internationalen Bereich weitere Geltung zugewachsen. So hat sich die Mehrzahl der Staaten erstmals in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen öffentlich zur Geltung der Menschenrechte bekannt und zugleich darüber verständigt, welche Rechte zu gewährleisten sind. Mit den von den Vereinten Nationen aufgelegten internationalen Pakten über wirtschaftliche, soziale und kulturelle sowie über bürgerliche und politische Rechte sind zudem Vertragswerke in Kraft, die die Unterzeichnerstaaten völkerrechtlich binden. Auch im regionalen Rahmen gibt es Bestrebungen und vertragliche Regelungen, mit denen die Menschenrechte größere Geltung erlangen. Neben der Amerikanischen Menschenrechtskonvention gewährt insbesondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten den Bürgerinnen und Bürgern der Vertragsstaaten ein hohes Maß an Rechtsschutz. Darüber hinaus haben sich auch die Teilnehmer der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in der Schlussakte zur Geltung und Achtung der Menschenrechte bekannt. Auch zu Beginn des neuen Jahrtausends bleibt die Situation der Menschenrechte zwiespältig. Zwar werden sie weltweit verbal anerkannt, im Widerspruch dazu steht aber die Wirklichkeit, die vielfach von der Missachtung und Verletzung dieser grundlegenden Rechte gekennzeichnet ist. Die Verletzung dieser Rechte - nicht nur durch staatliche Willkür - ist in vielen Ländern der Erde eine alltägliche Erfahrung: Das Verweigern des Rechts auf politische Selbstbestimmung,

- 4 - die Verfolgung und Unterdrückung Andersdenkender und die Diskriminierung von Minderheiten gehören dazu ebenso wie die tägliche Bedrängnis durch Mangel und Not in vielen Ländern. Die internationalen Konventionen haben eine Entwicklung eingeleitet, die die Menschenrechte nicht mehr als ausschließlich innere Angelegenheit der Staaten gelten lässt. Ihre Verwirklichung ist als Aufgabe der gesamten Staatengemeinschaft anerkannt. Denjenigen Staaten, die in ihren politischen Traditionen der Idee der Menschenrechte verbunden sind und den Einzelnen als Mitte des Gemeinwesens anerkennen, kommt dabei eine besondere Verpflichtung zu. Dazu gehört auch Deutschland, das sich im Grundgesetz zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt. Die Menschenrechte werden nicht nur durch staatliches Handeln verwirklicht, sondern maßgeblich durch die Haltung und das Engagement jedes Einzelnen. Hierzu muss die Schule durch eine entsprechende Persönlichkeitsbildung einen maßgeblichen Beitrag leisten. Menschenrechtserziehung gehört zum Kernbereich des Bildungs- und Erziehungsauftrages von Schule und ist in allen Landesverfassungen und Schulgesetzen als oberstes Bildungsziel festgelegt. Sie erfasst alle Felder schulischen Handelns. 2. Ziele und Inhalte des Unterrichts Eine Behandlung der Menschenrechtsthematik im Unterricht soll insbesondere Kenntnisse und Einsichten vermitteln über - die historische Entwicklung der Menschenrechte und ihre gegenwärtige Bedeutung; - die Bedeutung der Grund- und Menschenrechte, sowohl für die Rechte des Einzelnen als auch für die objektiven Gestaltungsprinzipien des Gemeinwesens; - das Verhältnis von persönlichen Freiheitsrechten und sozialen Grundrechten im Grundgesetz und in internationalen Konventionen;

- 5 - - die unterschiedliche Auffassung und Gewährleistung der Menschenrechte in verschiedenen politischen Systemen und Kulturen; - die grundlegende Bedeutung der Menschenrechte für das Entstehen des modernen Verfassungsstaates; - die Notwendigkeit der Berücksichtigung eines individuellen Menschenrechtsschutzes im Völkerrecht; - die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit für die Verwirklichung der Menschenrechte und die Sicherung des Friedens; - das Ausmaß und die sozialen, ökonomischen und politischen Gründe der weltweit festzustellenden Menschenrechtsverletzungen. Die Beschäftigung mit den Menschenrechten soll bei den Schülerinnen und Schülern die Bereitschaft wecken und stärken, für ihre Verwirklichung einzutreten und sich ihrer Missachtung und Verletzung zu widersetzen. Eine Erziehung im Hinblick auf die Menschenrechte soll die Schülerinnen und Schüler befähigen, sich in ihrem persönlichen und politischen Lebensumkreis für deren Realisierung einzusetzen. Sie sollen bereit sein, die Frage nach der Verwirklichung der Menschenrechte als wichtigen Maßstab zur Beurteilung der politischen Verhältnisse im eigenen wie in anderen Ländern zu nutzen. Eingeschlossen ist damit die Bereitschaft, für die Rechte anderer einzutreten. 3. Beitrag der Fächer Menschenrechtserziehung ist Aufgabe für den gesamten Unterricht und Aufgabe aller Lehrerinnen und Lehrer. Einen besonderen systematischen Beitrag sollen die Fächer des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes leisten, der seinen Niederschlag in den Lehrplänen dieser Fächer finden soll.

- 6-4. Schulbücher Schulbücher müssen dem Inhalt dieser Empfehlung Rechnung tragen. Dasselbe gilt für sonstige Lehr- und Lernmittel. 5. Schulleben Menschenrechtserziehung kann sich nicht auf die Vermittlung von Wissen beschränken. Sie muss die emotionale und handelnde Komponente einbeziehen. Schülerinnen und Schüler müssen die Achtung des Mitmenschen im täglichen Umgang in der Schule erleben und üben. 6. Lehreraus- und -fortbildung Die Kultusministerinnen und Kultusminister sowie die Kultussenatorinnen und -senatoren der Länder wirken darauf hin, dass diese Vereinbarung auch im Rahmen der Lehreraus- und - fortbildung angemessen berücksichtigt wird.