Entwicklungsproduktive Religiositäten und Entwicklung als religiöse Idee.

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Transkript:

Entwicklungsproduktive Religiositäten und Entwicklung als religiöse Idee. Zu den zahlreichen Möglichkeiten, das Verhältnis von Religion und Entwicklung zu denken. Gerald Faschingeder 16. Oktober 2006

Die heutige VO: 1. Die Problematik der Begriffe: Entwicklung, Religion 2. Hat Religion mit Entwicklung zu tun? 3. Ist Entwicklung eine religiöse Idee? 4. Kann Religion Entwicklung produzieren? 5. Ausblick: Religion als Entwicklungskritik?

1. Die Problematik der Begriffe: Entwicklung, Religion 1. Entwicklung, eine junge Erfindung 2. Religion, eine etwas ältere Erfindung

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/bild:weltreligionen.png; 14.10.2006

A major source: detailed countryby-country analysis done by David B. Barrett's religious statistics organization, whose data are published in the Encyclopedia Britannica (including annual updates and yearbooks) and also in the World Christian Encyclopedia. Hundreds of additional sources providing more thorough and detailed research about individual religious groups have also been consulted. Quelle: http://www.adherents.com/religions_by_adherents.html; 14.10.2006

1. Die Problematik der Begriffe: Entwicklung, Religion 2. Religion, eine etwas ältere Erfindung => produktive Trennungen => Abgrenzung ad extra => Abgrenzung ad intra

2. Hat Religion mit Entwicklung zu tun? 1. Nein, 1. weil Entwicklung als säkular betrachtet werden kann

2. Hat Religion mit Entwicklung zu tun? 2. Ja 1. weil religiöse Institutionen an Entwicklung (i.e.s.) beteiligt sind, zum Guten wie zum Schlechten 2. weil Entwicklung & die Frage nach gerechter Gesellschaft als religiöser Auftrag verstanden werden kann 3. weil sich (säkulare) Institutionen der EZA zunehmend mit Religion beschäftigen

2. Hat Religion mit Entwicklung zu tun? DEZA: Viele Akteure/Beneficiaries unserer Entwicklungsvorhaben kennen die Trennung von Säkularem und Sakralem und damit die Dominanz der zweckrationalen Vernunft nicht, welche die westliche Moderne und damit auch ihre Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit geprägt hat. Die Entscheidung, wie und durch wen ein krankes Kind gepflegt werden soll, wann und wie Äcker zu bestellen sind und wie soziales Handeln zu planen ist, sind neben dem, was wir als rationale Entscheidungen bezeichnen, ganz selbstverständlich auch von ihrer Spiritualität beeinflusst. (Holenstein 2005: 21.)

2. Hat Religion mit Entwicklung zu tun? 4. Weil sich religiöse Akteure in Fragen der Weltpolitik, des Friedens,... der Entwicklung einbringen. vgl. rerum novarum, 1891

3. Ist Entwicklung eine religiöse Idee? Funktionaler Religionsbegriff: Religion verdunstet in scheinbar säkulare Bereiche Entwicklung als religioides Konzept, die Religioidität von Entwicklung Entwicklung als Erlösung?

3. Ist Entwicklung eine religiöse Idee? Carl Améry: Der totale Markt erfüllt alle Kriterien einer Religion. Sein Dogmenbestand ist transzendenzarm und banal; seine oberste Maxime lautet: Alles hat seinen Preis, und wenn etwas noch keinen hat, wird er ihm angeheftet. Trotzdem (oder gerade deswegen) ist er zur alternativlosen Instanz der globalen Entscheidungen geworden. (Améry 2000: 82.) Vgl. Walter Benjamin, Der Kapitalismus als Religion, 1921.

4. Kann Religion Entwicklung produzieren? Zur Frage, wie eine Glaubenspraxis Entwicklung beeinflusst: These 1: Karl Marx These 2: Max Weber

4. Kann Religion Entwicklung produzieren? These 2: Max Weber Hinweis zur alten Diskussion zwischen Katholizismus und Protestantismus zur Frage, was die Vorraussetzung für Erlösung ist: Katholizismus: gute (fromme) Werke retten (z.b. Sakramente) Protestantismus: allein aus Glaube, alleine aus Gnade wird der Mensch gerechtfertigt (vgl. http://www.heiligenlexikon.de/glossar/rechtfertigungslehre.html) Weber meint nun, am ökonomischen Erfolg bemerke der Protestant, dass ihm die Gnade der Erlösung gewährt worden sei, weshalb er sich für Reichtum nicht zu schämen habe. P.S.: Diese Debatte wurde im Jahr 1999 mit einer Einigung der Katholischen mit den Protestantischen Kirchen in der Rechtfertigungsfrage beendet, siehe hier...

4. Kann Religion Entwicklung produzieren? Entscheidend aber für unsere Betrachtung war immer wieder [...], dass bei allen Denominationen wiederkehrende Auffassung des»gnadenstandes«eben als eines Standes (status), welche den Menschen von der Verworfenheit des Kreatürlichen, von der»welt«, abschneidet, dessen Besitz aber wie immer er nach der Dogmatik der betreffenden Denominationen erlangt wurde nicht durch irgendwelche magisch-sakramentalen Mittel oder durch Entlastung in der Beichte oder durch einzelne frommer Leistungen garantiert werden konnte, sondern nur durch die Bewährung in einem spezifisch gearteten von dem Lebensstil des»natürlichen«menschen unzweideutig verschiedenen Wandel....

4. Kann Religion Entwicklung produzieren?... Daraus folgte für den einzelnen der Antrieb zur methodischen Kontrolle seines Gnadenstandes in der Lebensführung und damit zu deren asketischer Durchdringung. Dieser asketische Lebensstil aber bedeutete eben, wie wir sahen, eine an Gottes Willen orientierte rationale Gestaltung des ganzen Daseins....

4. Kann Religion Entwicklung produzieren?... Und diese Askese war nicht mehr ein opus supererogationis, sondern eine Leistung, die jedem zugemutet wurde, der seiner Seligkeit gewiss sein wollte. Jenes religiös geforderte, vom»natürlichen«leben verschiedene Sonderleben der Heiligen spielte sich das ist das Entscheidende nicht mehr außerhalb der Welt in Mönchsgemeinschaften, sondern innerhalb der Welt und ihrer Ordnungen ab. Diese Rationalisierung der Lebensführung innerhalb der Welt im Hinblick auf das Jenseits war die Wirkung der Berufskonzeption des asketischen Protestantismus. (Weber 1988b: 162 f.)

4. Kann Religion Entwicklung produzieren? Widerlegungen & Widersprüche zu Weber => Die Frage, ob bestimmten Religionen oder auch nur bestimmten Konfessionen innerhalb von Religionen mehr oder weniger Potenzial zu Entwicklung innewohnt, muss aus heutiger Sicht als unbeantwortbar betrachtet werden.

4. Kann Religion Entwicklung produzieren? Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es nicht eine Religion an sich was immer darunter nun verstanden wird ist, die Entwicklung befördert oder behindert. Es gilt vielmehr, die spezifische religiös geprägte Mentalität im Rahmen einer spezifischen historischen Konstellation zu beschreiben, um in sinnvoller Weise Zusammenhänge zu erkennen.

5. Ausblick: Religion als Entwicklungskritik? 1. Über Religion und deren Rolle im Entwicklungsprozess zu reflektieren führt in begriffliche Komplikationen. 2. Was nun alles zu relativieren droht, hat andrerseits Potential für die kritische Reflexion ideologischer Konzepte.

5. Ausblick: Religion als Entwicklungskritik? 3. Die Rolle der Religionen bleibt ambivalent, wenn sie sich nicht selbst als Lernorte verstehen, in denen der Bezug zur Transzendenz und der Gebrauch der Vernunft einander nicht ausschließen.