Bildungsmobilität und Gesundheit Die Bedeutung intergenerationaler Bildungsmobilität für die Gesundheit von Schülerinnen und Schülern in Deutschland Max Herke 1, Matthias Richter 1, Katharina Rathmann 2 1 Institut für Medizinische Soziologie, Medizinische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2 Lehrgebiet Rehabilitationssoziologie, Fakultät für Rehabilitationswissenschaften Technische Universität Dortmund 1
Hintergrund Zukünftiger Bildungsstatus (Schulform) Gesundheit / Gesundheitsverhalten (Havas et al. 2010; Moor & Richter 2013; Richter & Lampert 2008) Bildungsaufstieg weniger Verhaltensauffälligkeiten (Lampert 2010) / besseres Gesundheitsverhalten (Kuntz 2011; Kuntz & Lampert 2011; Kuntz & Lampert 2013a; Kuntz & Lampert, 2013b) Hypothese: Bildungsaufstieg verbesserte Gesundheitschancen 2
Fragestellungen 1. Welche Bedeutung hat der zukünftige Bildungsstatus von Schülern im Vergleich zum elterlichen Bildungsstatus für die Gesundheit? 2. Welche Rolle spielen bildungsbezogene intergenerationale Mobilitätsprozesse für die Gesundheit? 3
Material und Methode Datenbasis: National Educational Panel Study (NEPS) Panelstudie des Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.v. (LIfBi) Ziel: Analyse von Bildungsverläufen über die gesamte Lebenspanne (Blossfeld et al. 2011) Stichprobe: NEPS 2010, Startkohorte 4, Welle 1 (9. Klasse) Regelschüler, n=7.067 Analyse: Deskriptive und multivariate Analyse (χ²-unabhängigkeitstests und binärlogistische Regressionsmodelle) differenziert nach Geschlecht 4
Variablen AV: Selbstberichtete Gesundheit dichotomisiert: sehr gut/gut vs. mittelmäßig/schlecht/sehr schlecht (Lampert et al. 2010) UV: Besuchter Schultyp dichotomisiert: Gymnasium vs. andere Schulformen (Kuntz & Lampert 2011) Bildungsabschluss der Eltern dichotomisiert: mind. ein Elternteil mit Abitur vs. beide Eltern ohne Abitur (Kuntz & Lampert 2011) Kontrollvariablen: Alter (zentriert) Migrationshintergrund (ja=staatsbürgerschaft deutsch vs. nicht deutsch) Wohnregion (neue vs. alte Bundesländer) Bildungsmobilität Bildungsabschluss Eltern + besuchter Schultyp (Kuntz & Lampert 2011): Konstant hoch Konstant niedrig Bildungsaufstieg Bildungsabstieg 5
Stichprobenbeschreibung Variable Fallzahl (n) Stichprobe (%) Subjektive Gesundheitseinschätzung Sehr gut/gut 10.527 72,4 Mittelmäßig/schlecht/sehr schlecht 2.616 18,0 Fehlend 1.397 9,6 Bildung der Eltern Beide Eltern ohne Abitur 3.898 26,8 Mind. ein Elternteil mit Abitur 4.398 30,2 Fehlend 6.244 42,9 Schulform Gymnasium 5.314 36,5 Andere Schulformen (Haupt-, Real- und 9.226 63,5 Gesamtschulen) Fehlend 0 0 Intergenerationale Bildungsmobilität Konstant hoch 2.476 17,0 Potenzielle Bildungsaufsteiger 1.121 7,7 Potenzielle Bildungsabsteiger 1.422 9,8 Konstant niedrig 3.277 22,5 Fehlend 6.244 42,9 6
Stichprobenbeschreibung (Fortsetzung) Variable Fallzahl (n) Stichprobe (%) Alter Mittelwert (Standardabweichung) 14,7 (0,72) >99,9 Fehlend 2 <0,1 Geschlecht Jungen 7.307 50,3 Mädchen 7.231 49,7 Fehlend 2 <0,1 Migrationshintergrund: Staatsangehörigkeit Deutsch 12.224 84,1 Nicht deutsch 1.764 12,1 Fehlend 552 3,8 Wohnregion Neue Bundesländer 1.848 12,7 Alte Bundesländer 12.692 87,3 Fehlend 0 0 Berücksichtigte Fälle in der Analyse 7.067 48,6 7
Ergebnisse Kopplung zwischen sozialer Herkunft und der besuchten Schulform Soziale Herkunft (Bildung der Eltern) Schulform Mindestens ein Elternteil mit Abitur 63,6% 36,4% Gymnasium Beide Elternteile ohne Abitur 25,1% 74,9% Andere Schulform Anmerkung: eigene Darstellung (in Anlehnung an Kuntz 2011). Berechnungen beruhen auf Daten des NEPS (SK4, Welle 1, 2010, n=7.067) mittels einer Kreuztabellierung und Chi²-Tests. Bivariater Zusammenhang ist nach Chi²-Verteilung statistisch auf dem 1%-Niveau signifikant. 8
Ergebnisse Logistische Regressionen zur Bedeutung der elterlichen Bildung, der besuchten Schulform und der Bildungsmobilität für die Gesundheit Gesundheit mittelmäßig/schlecht/sehr schlecht Odds Ratios Jungen (n=3.505) M1 M2 M3 Bildung der Eltern Mind. ein Elternteil mit Abitur Ref. Ref. Beide Eltern ohne Abitur 1,05 0,95 Schulform Gymnasium Ref. Ref. Andere Schulform 1,30 *** 1,35 *** Bildungsmobilität Konstant hoch Ref. Potenzielle Bildungsaufsteiger 0,97 Potenzielle Bildungsabsteiger 1,23 Konstant niedrig 1,20 Mädchen (n=3.562) M1 M2 M3 Bildung der Eltern Mind. ein Elternteil mit Abitur Ref. Ref. Beide Eltern ohne Abitur 1,29 ** 1,16 Schulform Gymnasium Ref. Ref. Andere Schulform 1,39 *** 1,35 *** Bildungsmobilität Konstant hoch Ref. Potenzielle Bildungsaufsteiger 1,30 * Potenzielle Bildungsabsteiger 1,43 ** Konstant niedrig 1,53 *** M1: Separate Modelle für Bildung der Eltern und Schulform M2: Gemeinsames Modell mit Bildung der Eltern und Schulform M3: Modell mit Bildungsmobilität Jeweils unter Kontrolle von Alter, Migrationshintergrund und Wohnregion 9
Schlussfolgerungen Ergebnisse unterstreichen die besondere Rolle des künftigen Bildungsstatus sowie der Bildungsmobilität für die Gesundheit von Jugendlichen. Förderung bildungsbezogener Aufwärtsmobilität kann nicht nur Bildungsungleichheit, sondern auch gesundheitliche Ungleichheit verringern. 10
Dipl.-Soz. Max Herke Vertr.-Prof. Dr. Katharina Rathmann Prof. Dr. Matthias Richter Institut für Medizinische Soziologie () Medizinische Fakultät Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg E-Mail: max.herke@medizin.uni-halle.de 11
Literatur Blossfeld, H.-P., Roßbach, H.-G. & von Maurice, J. (Hg.) (2011). Education as a lifelong process: The German National Educational Panel Study(NEPS). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Cantril, H. (1965). Pattern of human concerns. New Brunswick: Rutgers University Press. Havas, J., Bosma, H., Spreeuwenberg, C. & Feron, F. J. M. (2010). Mental health problems of Dutch adolescents: the association with adolescents' and their parents' educational level. The European Journal of Public Health, 20(3), 258 264. Moor, I. & Richter, M. (2013). Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter: Welche Rolle spielt das Gesundheitsverhalten? In P. Kolip, A. Klocke, W. Melzer, & U. Ravens-Sieberer (Hrsg.), Gesundheit und Gesundheitsverhalten im Geschlechtervergleich. Ergebnisse des Jugendsurveys "Health Behaviour in School-aged Children" (S. 209 228). Weinheim, Basel: Beltz Juventa. Kuntz, B. (2011). Bildung schlägt soziale Herkunft. Intergenerationale Bildungsmobilität und Gesundheitsverhalten im Jugendalter. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 31(2), 136 152. Kuntz, B. & Lampert, T. (2011). Potenzielle Bildungsaufsteiger leben gesünder: Soziale Herkunft, Schulbildung und Gesundheitsverhalten von 14- bis 17-jährigen Jugendlichen in Deutschland. Prävention und Gesundheitsförderung, 6(1), 11 18. Kuntz, B. & Lampert, T. (2013a). Wie gesund leben Jugendliche in Deutschland? Das Gesundheitswesen, 75(02), 67 76. Kuntz, B. & Lampert, T. (2013b). Educational differences in smoking among adolescents in Germany: what is the role of parental and adolescent education levels and intergenerational educational mobility? International Journal Environmental Research Public Health, 10(7), 3015 3032. Lampert, T. (2010). Gesundheitschancen von Kindern und Jugendlichen: Zur Bedeutung der sozialen Herkunft und Schulbildung. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 30(3), 231 247. Lampert, T. et al. (2010) Gesundheitliche Ungleichheit bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Berlin: Robert Koch-Institut. Richter, M. & Lampert, T. (2008). Verkörperte Ungleichheiten: Die Rolle multipler Statusindikatoren für das Gesundheitsverhalten im Jugendalter. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 28(2), 174 190. 12