Ungewollter Stuhlabgang Stuhlinkontinenz

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Transkript:

Ungewollter Stuhlabgang Stuhlinkontinenz Heiko Frühauf Definition Stuhlinkontinenz ist gemäß der aktuellen Rome IV-Kriterien definiert als der ungewollte Verlust von flüssigem, schleimigem oder festem Stuhl mindestens zweimal innerhalb einer 4-Wochenperiode (bei Personen älter als 4 Jahren), und zwar unabhängig von der zugrundeliegenden Ätiologie. In früheren epidemiologischen Studien war bereits eine Episode pro Monat für die Diagnosestellung ausreichend. Häufig besteht im Vorfeld ein ungewollter Windabgang. Epidemiologie in der Allgemeinbevölkerung sind 2-18% von Stuhlinkontinenzepisoden (mindestens einmal pro Monat) betroffen; vor allem aufgrund traumatischer Verletzungen im Dammbereich während einer Entbindung Frauen häufiger als Männer. Die Prävalenz ist bei über 70-jährigen höher als bei 20-29-jährigen (15% vs. 3%). Stuhlinkontinenz ist der zweithäufigste Grund für die Unterbringung von älteren Menschen in Pflegeheim, in dieser Patientengruppe ist jeder zweite von der Symptomatik betroffen. Es wird geschätzt, dass nur ca. 1/3 der Betroffen diese Problematik bei einem Arztbesuch anspricht. Die Verwendung des Begriffs «ungewollter Stuhlabgang» ist als neutralerer Begriff bei der Anamneseerhebung möglicherweise von Vorteil. Stuhlinkontinenz verursacht hohe sozioökonomische Kosten, hauptsächlich durch Pflege und die Anschaffung von Einlagen oder Windeln. Neben Alter und Geschlecht ist aber vor allem auch die Stuhlkonsistenz für die Häufigkeit von Inkontinenzepisoden von entscheidender Bedeutung. Flüssiger Stuhl kann wesentlich schlechter gehalten werden als schleimiger oder geformter Stuhl. Aber auch eine Stuhldrangsymptomatik, eine bestehende Urin(drang)inkontinenz oder das Vorhandensein schwerer chronischer Begleiterkrankungen können ungewollten Stuhlverlust begünstigen. In der Tabelle 1 sind die Risikofaktoren und einige prinzipiell beeinflussbare Risikofaktoren für das Auftreten einer Stuhlinkontinenz zusammengefasst. Tabelle 1. Risikofaktoren für ungewollten Stuhlverlust / Stuhlinkontinenz Fortgeschrittenes Alter weibliches Geschlecht weiche oder flüssige Stuhlkonsistenz ausgeprägter Stuhldrang Urin(drang)inkontinenz Schwerer chronische Begleiterkrankungen Beeinflussbare Risikofaktoren: Rektozele Nikotinkonsum Adipositas Inadäquate Cholezystektomie

Analsphinktertrauma Körperliche Inaktivität Kontinenzbestimmende Faktoren und Pathophysiologie Für die Kontinenz ist ein komplexes Zusammenspiel aus anatomischen oder strukturellen Gegebenheiten (Reservoirvolumen des Rektums ( Rektalkapzität )) und funktionellen Mechanismen entscheidend. Hierzu zählen neben der Stuhlkonsistenz vor allem die anorektale Sensibilität, also die Wahrnehmung von Dehnungsreizen im Rektum und dem Analkanal ebenso wie eine regelrechte Funktion des Sphinkterapparates in bezug auf Ruhe- und Kneif- oder Klemmdruck sowie eine ausreichende Klemmdauer. In der Abb. 1 sind die kontinenzdeterminierenden Faktoren schematisch dargestellt. Abb. 1. Kontinenzbestimmende Faktoren. Diagnostik Anamnese Der erste diagnostische Schritt umfasst die sorgfältige Anamneseerhebung in Bezug auf Inkontinenzepisoden für Wind, flüssigen und festen Stuhl sowie die Erfassung der Stuhlkonsistenz. Hierfür kann das Bristol-Stuhlkonsistenzschema ( Bristol stool chart ) verwendet werden. Dabei wird schafkotartiger fester Stuhl als Typ 1 klassifiziert und Durchfall als Typ VII. Treten Inkontinenzepisoden vor allem im Zusammenhang mit Durchfall auf, sollten chronische internistische Erkrankungen wie eine Zoeliakie, Laktoseintoleranz, chronische entzündliche Darmerkrankungen, eine mikroskopische Kolitis oder ein Reizdarmsyndrom sowie Passagestörungen, die bei Stuhlimpaktation zu einer Überlauf-Inkontinenz führen, ausgeschlossen werden. Darüberhinaus ist gezielt nach Sphinkterverletzungen durch Traumata oder vorangegangene

Operationen sowie nach Entbindungen mit Sphinkterotomien ( Dammschnitt ) oder Dammverletzungen zu fragen. Bildgebung Zum Ausschluss eines Kolonkarzinoms, einer mikroskopischen Kolitis oder struktureller Sphinkterdefekte ist eine Koloskopie zu erwägen, sofern diese nicht allein schon zur Krebsvorsorge indiziert ist. Sie kann mit einer unteren radialen Endosonographie zur Beurteilung des Sphinkterapparates kombiniert werden. Diese Untersuchungen liefern oft aber keine befriedigende Erklärung für die Ursache der Inkontinenz. Eine CT- (cave Strahlenbelastung!) oder MRI-Defäkographie ermöglicht strukturelle Veränderungen im Rektum wie z.b. eine Rektozele oder Intussuszeption zu erkennen, die insbesondere in Kombination mit einem schwachen M.- sphincter ani internus (Ruhetonus) zu Stuhlschmieren oder einer Ruheinkontinenz führen kann. Hierbei wird auch der durch Kontraktion und Relaxation der Puborektalisschlinge modifizierbare anorektale Winkel beim Klemmen und im Pressversuch bestimmt, der einen wesentlichen Kontinenzmechanismus darstellt. Anorektale Funktionsdiagnostik Der Sphinkterapparat umfasst den inneren und äusseren Schliessmuskel sowie die Puborectalisschlinge. Der Musculus sphincter ani internus weist einen Ruhetonus auf und beeinflusst die Perzeptionsschwellen für die initiale Dehnung im Rektum. Bei Sphinkterinsuffizienz kommt es zu Stuhlschmieren sowie Inkontinenz für flüssigen Stuhl. Der Musculus sphincter ani externus ermöglicht eine willkürliche Kontrolle der Defäkation, bestimmt die Perzeptionsschwelle für Stuhldrang und führt bei struktureller oder funktioneller Beeinträchtigung zu einer Dranginkontinenz für weichen Stuhl und Wind. Für eine regelrechte Funktion ist nicht nur der absolute Sphinkterdruck bzw. die Relation zum intraabominellen oder Rektaldruck entscheidend, sondern auch die Zeitspanne, über die eine Kontraktion maximal aufrechterhalten werden kann (Klemmdauer). - digitale Rektalpalpation Die digitale Rektalpalpation beim Klemmen und im Pressversuch kann dem erfahrenen Untersucher beim nichtsedierten und kooperativen Patienten eine erste grobe Einschätzung der Sphinkterfunktion ermöglichen und zusammen mit der Inspektion bei der Diagnostik eines Anal- oder Rektumprolaps hilfreich sein. Sie kann die differenzierte Sphinkterbeurteilung mittels Analmanometrie aber nicht ersetzen. - (Hochauflösende) Analmanometrie Die Sphinkterfunktion kann mittels (hochauflösender) Analmanometrie bestimmt werden. Hierzu wird ein Katheter mit 4-12 Drucksensoren in den Enddarm eingeführt und die Druckverhältnisse im Rektum sowie im Analkanal in Ruhe und beim Klemmen (Kneifen) sowie bei simulierter Defäkation (Pressversuch) ermittelt und der Patient zu einer guten Mitarbeit motiviert. Ein isoliert verminderter Ruhedruck bei normalem Klemmdruckanstieg und normaler Klemmdauer deutet dabei auf eine Insuffizienz (oder auch Verkürzung) des Musculus sphincter ani internus hin und wird als passive Inkontinenz bezeichnet. Findet sich hingegen bei normalem Ruhedruck des Musculus sphincter ani internus ein unzureichender Anstieg des Drucks im Klemmversuch liegt eine Insuffizienz der Musculus sphincter ani externus vor, der insbesondere in Kombination mit einer verminderten Klemmdauer typischerweise zu einer Dranginkontinenzsymptomatik führt. Sind Ruhe- und Klemmdruck und gegebenenfalls die Klemmdauer

beeinträchtigt, spricht man von einer kombinierten Stuhlinkontinenz, wobei dieser Begriff z.t. auch für die Kombination aus Urin- und Stuhlinkontinenz verwendet wird. - Anorektale Perzeptionsmessung In klinischen Studien konnte mithilfe von Retentionstests gezeigt werden, dass es auch bei gesunden Probanden nach Überschreiten des maximalen Reservoirvolumens des Rektums ( Rektalkapazität ) zu einer (Überlauf-)Inkontinenz kommt. Dabei korreliert die Rektalkapazität mit dem maximal retinierten Stuhlvolumen. Diese Volumenbestimmung, aber auch die Füllungsvolumina, bei denen die erste Wahrnehmung der Rektumfüllung und später Stuhldrang angegeben werden sind intraindividuell jeweils gut reproduzierbar und normalisiert auf die Rektalkapazität auch zwischen verschiedenen Patienten (mit unterschiedlicher Rektalkapazität) vergleichbar. So haben konstitutionell unterschiedliche Probanden zwar individuell verschiedene Reservoirvolumen und nehmen in Retentionstests die Rektumfüllung in absoluten Zahlen gemessen bei unterschiedlichen Füllungsvolumina wahr. Normalisiert man die Füllungsvolumina, bei denen initiale Wahrnehmung, Stuhldrang oder maximal tolerierbares Volumen angegeben werden aber auf die Rektalkapazität, so sind die jeweiligen Wahrnehmungsschwellen auch zwischen verschiedenen Patienten gut vergleichbar. So erfolgt die initiale Wahrnehmung einer Rektumfüllung bei ca. 15% der Rektalkapazität, während Stuhldrang und maximal tolerierbares Volumen bei 75% bzw. 90% der Rektalkapazität angegeben werden. Da Retentionstest im klinischen Alltag nicht durchführbar sind und die in Retentionstests ermittelte Rektalkapazität gut mit dem Füllungsvolumen eines in das Rektum eingeführten und mit Luft gefüllten Ballons entspricht, wenn der Druck im Ballon 40 mm Hg beträgt, werden die Perzeptionsschwellen für initiale Perzeption, Stuhldrang und maximal tolerierbaren Volumen im Anschluss an die Analmanometrie mit dieser Methode ermittelt und in Bezug auf die Rektalkapazität angegeben. Führt bereits eine kleine Zunahme des Füllungsvolumens im Rektum zu einem großen Anstieg des intrarektalen Drucks, liegt eine verminderte rektale Compliance vor, die sich typischerweise mit einer Stuhldrangsymptomatik oder Dranginkontinenz klinisch bemerkbar macht. Umgekehrt entwickeln Patienten mit erhöhter rektaler Compliance (große Füllungsvolumina führen nur zu einem geringen Anstieg des intrarektalen Drucks) typischerweise Evakuationsstörungen, gegebenenfalls in Kombination mit einer passiven Stuhlinkontinenz. Konservative Therapie Die Behandlung der Stuhlinkontinenz beruht auf dem Ausschluss zugrundeliegender Diarrhoeursachen (vergleiche Abschnitt Epidemiologie), Allgemeinmassnahmen zur Symptomkontrolle, Medikamenten zur Beeinflussung der Stuhlkonsistenz (Ballaststoffe/Quellmittel, Loperamid), physiotherapeutischen Massnahmen zur Stärkung des Beckenbodens mithilfe Biofeedback und gegebenenfalls chirurgischen Therapieverfahren zur Rekonstruktion struktureller Sphinkterdefekte, Resektion einer Rektozele oder auf der Implantation eines Neurostimulators zur Verbesserung der Sphinkterfunktion und der anorektalen Perzeption ( sakrale Neuromodulation ). Allgemeinmassnahmen umfassen die Information des Patienten über die zugrundeliegenden Kontinenz- und Defäkationsmechanismen sowie die Einübung ritualisierter Stuhlgewohnheiten (z.b. immer morgens nach dem Frühstück ). Diätetische Massnahmen im Sinne einer ballaststoffreichen Diät sowie die Vermeidung diarrhöeauslösender Zucker wie Laktose oder Fruktose sowie prokinetisch wirkender

Genussmittel (wie z. B. Kaffee) ist eine Beeinflussung der Stuhlkonsistenz und damit auch eine verbesserte Symptomkontrolle möglich. Daneben kommt das Tragen von Einlagen und Windeln und eine Hautpflege zur Vermeidung von Ekzemen (Zinksalbe) in Betracht. Da mittels diätetischer Massnahmen allein häufig keine ausreichenden Ballaststoffmengen zugeführt werden können werden Quellmittel auf Basis von Flohsamenschalen oder Sterculiagummi eingesetzt. Diese sind in der Schweiz nur zur Stuhlregulation bei der Behandlung einer Obstipation zugelassen, können durch ihre wasserbindenden Eigenschaften aber auch die Konsistenz von weichem Stuhl erhöhen und auf diese Weise zu einer signifikanten Reduktion von Inkontinenzepisoden beitragen. Die medikamentöse Therapie umfasst in erster Linie den Einsatz von Loperamid, das den Sphinktertonus erhöht, die Kolontransitzeit verlängert und damit zu einer Verbesserung der Stuhlkonsistenz, einer Reduktion der Stuhlfrequenz und des Stuhlgewichts beiträgt und so Drang- und Inkontinenzepisoden zu vermeiden hilft. Loperamid hat ausserdem signifikante Effekte auf die anorektale Perzeption (Stuhldrang sowie maximal retiniertes Volumen). Spezifische Beckenbodenphysiotherapie mittels Biofeedback. Mithilfe einer speziellen Beckenbodenphysiotherapie bei der auch Trainingsmethoden aus dem Bereich der operanten Konditionierung zur bewussten Kontrolle sonst nicht oder unzureichend wahrgenommener Körperfunktionen zum Einsatz kommen ( Biofeedback ), kann in 40-85% der Fälle eine Besserung der Inkontinenz mit einer Verbesserung der Kontraktionskraft und Kontraktionsdauer des Musculus sphincter ani externus erreicht werden und häufig auch eine verbesserte Koordination und Perzeption erreicht werden. Die Behandlung hat keine Nebenwirkungen, führt zu einer hohen Patientenzufriedenheit. Möglicherweise sind aber die Motivation des Patienten und der Enthusiasmus des Therapeuten wichtiger als konkrete technische Aspekte der Behandlung. Die Biofeedback-Methode ist einer konventionellen Beckenbodenphysiotherapie aber überlegen und führt zu einer adäquaten Besserung der Symptomatik, die bis zu 1 Jahr und länger anhält. Faktoren, die das Ansprechen auf eine Biofeedbacktherapie begünstigen, sind in Tabelle 2 dargestellt. Tabelle 2. Prädiktionsfaktoren für den Erfolg einer Biofeedbacktherapie bei Stuhlinkontinenz. Kooperation und Motivation der Patienten Rektale Perzeption vorhanden Intakter Analsphinkter Dranginkontinenz Inkontinenz nach OP oder Trauma Keine psychischen Begleiterkrankung Chirurgische Therapieverfahren Operative Sphinkterrekonstruktionen zur Korrektur struktureller Sphinkterdefekte bedürfen einer sorgfältigen Patientenselektion und kommen in der Regel erst in

Betracht, wenn konservative Therapieverfahren versagt haben und die individuelle Situation in einer interdisziplinären Diskussion diskutiert wurden. Ein sehr vielversprechendes, in der komplexen Wirkung aber noch nicht abschliessend verstandenes Verfahren stellt die Implantation eines Neurostimulators zur sakralen Neuromodulation dar. Hier wird nach einer erfolgreichen 4-wöchigen Testphase ein Neurostimulator gluteal unter der Haut implantiert und über eine im Bereich der sakralen Nervenwurzeln des Rückenmarks positionierte Neurostimulationselektrode für den Patienten nicht wahrnehmbare Stromimpulse appliziert, die zu einer Verbesserung speziell des Musculus sphincter ani externus und der anorektalen Perzeption führen und bei fehlendem Ansprechen auf konservative Therapieverfahren zunehmend eingesetzt werden. Mit dieser Methode lässt sich bei 75-100% der Patienten eine Besserung der Inkontinenzsymptomatik und bei 41-75% gar eine vollständige Kontinenz erreichen. Das Therapieverfahren ist auch bei Sphinkterdefekten und Neuropathien wirksam. Eine gute Patientenselektion durch interdisziplinäre Diskussion zwischen Proktochirurgen, Gastroenterologen, Urologen, Gynäkologen, Radiologen und Beckenbodenphysiotherapeuten können zu einer erheblichen Verbesserung der Versorgungsqualität dieses aus falschem Schamgefühl oft tabuisierten Symptomkomplexes beitragen.