Wolfgang AMANN Wohnen als Daseinsvorsorge Wohnen hat in Österreich einen hohen politischen Stellenwert. Das ist nicht selbstverständlich und war nicht immer so. Während in jüngster Vergangenheit mit Wohn-Themen Wahlen auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene gewonnen worden sind, wollte sich in früheren Jahrzehnten kaum jemand damit die Finger verbrennen. Dies liegt zweifellos daran, dass es in Österreich gelungen ist, mit dem Tandem aus Wohnbauförderung und Wohnungsgemeinnützigkeit ein System zu entwickeln, das nicht nur beeindruckende Leuchtturmprojekte produziert, sondern damit in die Breite geht. Der Sektor hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Million Wohnungen geschaffen. Das ist ein Viertel des gesamten Wohnungsbestands in Österreich. Mehr als die Hälfte des großvolumigen Neubaus wird in der Verantwortung der Gemeinnützigen errichtet. Das System ist hauptverantwortlich für stabile Wohnkosten auf moderatem Niveau für den größten Teil der Bevölkerung. Während Herr und Frau Österreicher durchschnittlich rund 18% ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen ausgeben, liegt der EU-Durchschnitt bei über 22% (EU- SILC). Qualität und subjektives Wohlbefinden sind hoch. Die österreichischen Gemeinden und Städte sind sicher, Ghettos sind unbekannt. Dabei verursacht das System öffentliche Ausgaben unter jenen der meisten EU- Staaten. Wohnen ist aber nicht nur ein Stabilisator auf Seiten der Haushaltsausgaben, sondern auch volkswirtschaftlich. Kaum ein Aspekt belegt den Wert des Systems besser, als seine Reaktion auf die Globale Finanzkrise 2007. Während fast überall die Wohnungsproduktion aufgrund fehlender Liquidität in die Knie ging, waren im österreichischen Wohnbau kaum Auswirkungen wahrnehmbar. Die Leistungskraft der Bauvereinigungen, das Vertrauen in die Stabilität des Staats und Finanzinstrumente, die trotz aller internationaler Verflechtung auf nationale Kreisläufe setzen (Bausparen, Wohnbaubanken), bewirkten, dass nach einer nur sehr kurzen Schockstarre zum Tagesgeschäft zurück gekehrt wurde. Die stabilisierende Wirkung des Systems hinsichtlich Finanzierung, Marktpreisen, Produktionsvolumina und Wohnkosten wird als sein volkswirtschaftlich vorrangiger Nutzen aufgefasst. Hinzu kommt das Sozialkapital des gemeinnützigen Wohnungssektors. Der Verwaltungsbestand von über 600.000 Mietwohnungen bedeutet eine immens leistungsfähige sozialpolitische Manövriermasse. Die Bilanzsumme des Sektors von über 50 Milliarden Euro ist ein immobilienwirtschaftliches Vermögen, das vor allem als stille Reserven im großen Mietwohnungsbestand steckt. Im Gegensatz zu anderem Immobilienvermögen ist dieser Bestand aber strikt gebunden. Wohnungen können zwar verkauft werden, die Erträge bleiben aber in der Bauvereinigung. Die Eigentümer erhalten eine Dividende von höchstens 3,5% ihres eingezahlten Kapitals. Auch bei Veräußerung von Beteiligungen ist nicht mehr heraus zu holen als das ursprünglich einbezahlte Kapital. Anteilseigentum an gemeinnützi- 1
Wolfgang AMANN gen Bauvereinigungen ist wegen der hohen stillen Reserven und der Investitionssicherheit attraktiv. Die Regulierung des Sektors stellt aber sicher, dass die erzielbaren Renditen weit unter dem ansonsten in der Immobilienwirtschaft üblichen Niveau liegen zum Nutzen der Bewohner. Die Sozialbindung des Kapitals funktioniert in diesem Sektor seit Jahrzehnten sehr gut. Es gab in der Vergangenheit Versuche zu dessen Herauslösung, Stichwort Buwog-Privatisierung. Dies führte zu weiter verschärften Regelungen und einer hohen politischen Sensibilisierung, so dass heute mit ziemlicher Sicherheit von einem dauerhaften Schutz dieses Sozialkapitals auszugehen ist. Das österreichische Modell des leistbaren Wohnens ist mittlerweile international gut positioniert. Die Performance-Indikatoren sind unbestreitbar. Schwierig vermittelbar ist allerdings die Komplexität des Systems. Ähnliche Modelle sind in anderen europäischen Ländern allerdings ebenfalls gut etabliert, etwa in Frankreich, den Niederlanden, Dänemark oder Schweden. Allen gemeinsam ist, dass der private Sektor unter besonderen (förderungs-)rechtlichen Rahmenbedingungen Aufgaben der staatlichen Wohlfahrt und Daseinsvorsorge übernimmt. Es ist ein nur kleiner Gedankensprung zu anderen Ausprägungen des Europäischen Sozialmodells, etwa in der Gesundheits- und Altersvorsorge. Auf der Suche nach Alleinstellungsmerkmalen Europas im internationalen Wettbewerb und nach Gründen für die gute gesellschaftliche und wirtschaftliche Performance des alten Kontinents steht dieses System ganz oben auf der Liste. Es scheint an der Zeit, sich der Entwicklungspotenziale des Europäischen Sozialmodells bei der internationalen Positionierung unseres Kontinents stärker bewusst zu werden. Das österreichische wohnungspolitische System eignet sich zweifellos, diesbezüglich als good practice positioniert zu werden. 2
Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 FH-Doz.Dr. Wolfgang Amann Wohnvorsorge, Wohnfinanzierung, sozialer Wohnbau Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 Institut für Immobilien: Bauen und Wohnen GmbH PF 2: A 1020 Wien +43 1 968 6008 office@iibw.at 1 ropäisches Sozialm n Phantom Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 2
Was macht Europa aus? Was macht Europas Erfolg aus? Ist es ein nachhaltiges Modell im internationalen Konzert? Das österreichische Modell des sozialen Wohnbaus als Europäisches Good Practice? Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 3 Wohlfahrtsregime: Wo steht Österreich? Wohlfahrtsregime nach Esping-Andersen Sozialdemokratisch Konservativ/ korporatistisch Marktliberal Wohnungswohlfahrtsregime nach Kemeny Duale Mietenmärkte Integrative/unitaristische Mietenmärkte Größe des Sozialwohnungssektors groß klein Soziale Ausrichtung Mietenniveau Wettbewerb mit private Mietenmarkt Integration untere und mittlere Einkommen Moderat unter Marktniveau ja integrative Nachbarschaften untere Einkommen niedrig nein Ghettoisierung Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 4
Grundlagen des Sozialstaats Ein Sozialstaat ist ein Staat der in seinem Handeln soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit anstrebt um die Teilhabe aller an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu gewährleisten. (Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik) Anforderungen an den Sozialstaat: Soziale Sicherheit Soziale Gerechtigkeit Teilhabe Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 5 Ansatzpunkte Wohnungspolitik Soziale Sicherheit: Verfügbarkeit von leistbarem Wohnen angemessene (Wohn)Versorgung im Alter Sicherheitsnetz für Notlagen Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilisierung Soziale Gerechtigkeit: Ausgleich unterschiedlicher Marktmacht Sozialtransfers (objekt-/subjektbezogen) positive Diskriminierung Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 6
Wohnungspolitische Instrumente Objektbezogene Förderungen Subjektbezogene Förderungen Wohnungsgemeinnützigkeit Kapitalmarktinstrumente Wohnrecht Andere Instrumente der Marktsteuerung Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 7 Wohnbauförderung und ihre Lenkungseffekte Wirtschaftspolitik: Anreize für private Investitionen, Konjunkturimpuls, Beschäftigungswirkung, regionalwirtschaftliche Impulse Sozialpolitik: Leistbarkeit, Verteilungswirkung, Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, Allokation, Integration, Meritorik, Gesellschaftspolitik Umweltpolitik: Erreichung der Klima-Ziele, Bodenverbrauch, Bauökologie Stadt- und Regionalplanung: eines der griffigsten Instrumente zur Umsetzung planerischer Zielsetzungen Regulativ zur Bestandspolitik: Marktkonforme Steuerung von Angebotsmenge und Preisen = Lenkungseffekte, positive Externalitäten Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 8
Wohnbauförderung / Förderungsdurchsatz Förderung Geschoßwohnbau im langjährigen Durchschnitt Historisches Tief bei Förderung Eigenheime 30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 Baubew. großvolumig WBF großvolumig Baubew. Eigenheime WBF Eigenheime 5.000 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Quelle: Förderungsstellen der Länder, BMF, St.at, IIBW Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 9 Sicherung ausreichenden Wohnungsneubaus Kontinuität auf einem Niveau nahe dem Bedarf Angebotslücken in Ballungsräumen, v.a. im Economy-Sektor 8 7 CH 6 AT 5 PL 4 Europa 3 DE 2 SK 1 CZ 0 HU 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Quelle: Statistik Austria, Euroconstruct, IIBW Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 10
Leistbarkeit? Wohnkostenbelastung (EU-SILC) 30% 28% 26% 24% 22% 20% 18% DE HU CH CZ PL EU 28 SK AT 16% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Source: Eurostat, IIBW Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 11 Herausforderung Sicherung Sozialkapital Stabile Rückflüsse Sinkende Landesmittel 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 Rückflüsse, Zinsen u.a. Landesmittel Zweckzuschüsse Bund 0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Quelle: BMF, IIBW Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 12
Neuer Finanzausgleich Wohnbauprogramme Aufgabenorientierung Kosteneindämmung Klimaschutz (15a B-VG-Vereinbarung) Verländerung des WBF-Beitrags Einheitliche Regelung der bautechnischen Vorschriften Neues Arbeitsprogramm der Regierung Besser Ertragsmöglichkeiten für instistutionelle Investoren bei GBV Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 13 Generationenvertrag Wohnungssozialpolitik Fokus auf Ältere: Einkommensbezogene Förderung (Wohnbeihilfe) Sanierung mit Senioren-Bezug Bau von Seniorenheimen und Betreutem Wohnen Fokus auf Jüngere: Erstversorgung mit Wohnraum Startwohnungen Einkommensbezogene Förderung (Wohnbeihilfe) Familienschwerpunkte Wohnbauförderung als einer der wenigen Transfers von Älteren zu Jüngeren Wohnbauförderung als Mittelstandsmaschine? Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 14
Generationenvertrag mehr als Sozialpolitik Langfristige Sicherung von Sozialvermögen Leistbarer Wohnungsbestand als kritische Infrastruktur Sozialer Wohnbau als Wirtschaftsfaktor und als Instrument der Regionalentwicklung Energieeffizienz und raumordnerische Wirkungen zur langfristigen Sicherung der Lebensgrundlagen Sozialer Wohnbau als Stabilisator ( Shock Absorber ) Sichere Wohnung, Wohnumfeld, Stadtquartiere Wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit! Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 15 Danke für Ihre Aufmerksamkeit Wolfgang Amann amann@iibw.at Denkwerkstatt St. Lambrecht 11. Mai 2017 16