VENRO-Stellungnahme zum Koalitionsvertrag 2018

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Transkript:

März 2018 VENRO-Stellungnahme zum Koalitionsvertrag 2018 VORBEMERKUNG VENRO hat in verschiedenen Veröffentlichungen seine Vorstellungen über und Forderungen an die Politik einer künftigen Bundesregierung im Vorfeld der à Bundestagswahl und der à Koalitionsverhandlungen dargelegt. In dieser Stellungnahme erläutern wir, inwieweit unsere Vorschläge Eingang in den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD gefunden haben und wie dieser Vertrag aus unserer Sicht zu bewerten ist. Wir werden die Schwachpunkte und Leerstellen des Vertrags im politischen Dialog weiterhin thematisieren und uns dafür einsetzen, dass das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung bei uns und weltweit ein stärkeres Gewicht in der deutschen Politik bekommt. ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG In den Abschnitten des Koalitionsvertrags, die sich mit Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe befassen, finden sich viele Aussagen und Zielsetzungen, die mit den Positionen und Forderungen von VENRO übereinstimmen. Aber zentrale Punkte des Vertrags geben auch Anlass zu Kritik. Die Agenda 2030 wird zwar als Maßstab des Regierungshandelns bezeichnet, im Text fehlen jedoch jegliche Hinweise darauf, wie die mangelnde Kohärenz zwischen den Ressorts überwunden werden soll, sodass die Agenda 2030 überhaupt umgesetzt werden kann. Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe werden durchgängig in einem engen Kontext mit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik thematisiert. Wir sehen darin die große Gefahr, dass die Entwicklungspolitik im Sinne sicherheitspolitischer Ziele instrumentalisiert und als eigenständiges Politikfeld marginalisiert wird. Im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik streben die Koalitionspartner eine Begrenzung der Zuwanderung an und setzen mit ihren Maßnahmen vor allem auf Abschottung und Abschreckung. Die vorgesehenen klimapolitischen Maßnahmen werden nicht ausreichen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Auch die Ausführungen zur Entwicklungsfinanzierung enttäuschen. Die dafür in Aussicht gestellten Mittel sind viel zu gering, um das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen. Die Steigerung der Mittel für Entwicklung wird mit der Steigerung des Verteidigungsetats im Verhältnis 1:1 gekoppelt, was völlig unakzeptabel ist. Der in der Finanzplanung ohnehin schon stark wachsende Verteidigungsetat würde weiter aufgebläht. Den Anstieg der Mittel für Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung mit dem Anstieg der Rüstungsausgaben zu verknüpfen, ist sachlich in keiner Weise zu begründen. www.venro.org 1

PRÄAMBEL In der Präambel werden die Grundlinien des Koalitionsvertrags dargelegt und viele relevante innenpolitische Herausforderungen und Ziele thematisiert. Das»internationale Engagement«Deutschlands hat nur in einem einzigen allgemeinen Satz Platz gefunden. Die beiden globalen Rahmenwerke für nachhaltige Entwicklung, die Agenda 2030 und das Pariser Klimaabkommen, werden in der Präambel bedauerlicherweise nicht einmal erwähnt. AGENDA 2030 UMSETZEN NACHHALTIGKEITSSTRATEGIE WEITERENTWICKELN Die Umsetzung der Agenda 2030 und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung werden im Koalitionsvertrag als Maßstab des Regierungshandelns bezeichnet. Die Nachhaltigkeitsstrategie soll kontinuierlich und ambitioniert weiterentwickelt werden. Das ist zu begrüßen und hat unsere volle Unterstützung. Allerdings findet die Agenda 2030 nur im Umweltkapitel und in den Abschnitten zur Außen- und Entwicklungspolitik Erwähnung. Nachhaltige Entwicklung darf aber nicht auf Umwelt- und Entwicklungspolitik reduziert werden. Die notwendige Trendwende in Richtung zu mehr Nachhaltigkeit, beispielsweise in der Agrar-, Handels- und Energiepolitik, ist im Vertrag nicht zu erkennen. Die globalen Nachhaltigkeitsziele müssen sich als ganzheitliches Rahmenwerk wie ein roter Faden durch das politische Handeln in allen Politikfeldern ziehen. Alle Ressorts der künftigen Bundesregierung müssen kohärent im Sinne der Agenda 2030 handeln. Von einer systematischen Umsetzung der Agenda 2030 in allen Politikfeldern ist aber im Vertrag keine Rede. HUNGER ÜBERWINDEN ERNÄHRUNG SICHERN Es ist zu begrüßen, dass die Überwindung von Hunger und Armut im Koalitionsvertrag explizit als Priorität für die Entwicklungspolitik dargestellt wird. Es ist vorgesehen, die Sonderinitiative»Eine Welt ohne Hunger«noch stärker auf die Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft, nachhaltiger und lokaler Lösungen und genossenschaftlicher Ansätze auszurichten. Positiv ist auch, dass sich die künftige Bundesregierung gegen»landgrabbing«und Nahrungsmittelspekulation einsetzen will. Leider verpflichtet sie sich nicht, beim Thema»Landgrabbing«das dazu maßgebliche völkerrechtliche Instrument auch umzusetzen: die»voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure«. Die Koalitionäre bekräftigen zwar die Zusage vom G7-Gipfel in Elmau, 500 Millionen Menschen aus Hunger und Mangelernährung zu befreien. Sie vereinbaren allerdings keinen zeitlich unterlegten Aktionsplan, in dem festgelegt wird, wie und bis wann diese Zusage erreicht werden soll. Wir begrüßen die Festschreibung im Koalitionsvertrag, in Deutschland erzeugte landwirtschaftliche Produkte nicht zulasten der Entwicklungsländer zu produzieren und zu exportieren. Die künftige Bundesregierung sollte aber darauf drängen, dies EU-weit gesetzlich zu verankern und auch in Handelsabkommen www.venro.org 2

festzuschreiben, beispielsweise in den EPAs, den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit afrikanischen Staaten. MENSCHENWÜRDIGE ASYL- UND MIGRATIONSPOLITIK STATT ABSCHOTTUNG Der Koalitionsvertrag bekennt sich zwar zum Grundrecht auf Asyl, zur Genfer Flüchtlingskonvention, zur UN-Kinderrechtskonvention und zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Die angekündigten Vorhaben im Koalitionsvertrag sind jedoch auf Abschottung und Rückführungen ausgerichtet. Die Koalitionspartner setzen sich zum Ziel, die Zuwanderung auf 180.000 bis 220.000 Menschen jährlich zu begrenzen. Der individuelle Schutzanspruch ist jedoch im Grundrecht der Bundesrepublik Deutschland verankert und kann somit nicht auf eine Obergrenze reduziert werden. Trotzdem wurde im Vertrag vereinbart, diese Grenze einzuhalten. Bei der Reform des europäischen Asylsystems setzt die Bundesregierung weiterhin auf die Zuständigkeit des Ersteinreiselandes. Asylverfahren und Rückführungen sollen möglichst direkt an den EU-Außengrenzen stattfinden. Der Vertrag bleibt unkonkret, inwieweit sich die nächste Bundesregierung am Resettlement von Flüchtlingen beteiligen wird, das dringend ausgebaut werden muss. Begrenzte Kontingente für Familienzusammenführung von 1000 Personen pro Monat sind inhuman, integrationsfeindlich und nicht akzeptabel. Die Koalitionspartner versäumen es, für die Bundesregierung eine aktive Rolle bei der Erarbeitung der globalen Rahmenwerke zu Flucht und Migration festzuschreiben. Sie zielen darauf ab, legale und sichere Migration zu fördern und die positiven Aspekte von Migration zu nutzen. In den SDGs, den Zielen für nachhaltige Entwicklung, wird die entwicklungsfördernde Wirkung ausdrücklich anerkannt, die Migration sowohl auf Herkunfts- als auch auf Transit- und Zielländer hat. Auch das angekündigte Regelwerk, um die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt zu steuern, ist zu einseitig auf höher qualifizierte Arbeitskräfte ausgerichtet. Bilaterale Vereinbarungen zwischen Aufnahme- und Herkunftsländern mit entwicklungspolitischer Relevanz oder Angebote für geringer Qualifizierte und für Ausbildungszwecke sind nicht vorgesehen. FRIEDENSFÖRDERUNG AUSBAUEN UND DIE LOKALE ZIVILGESELLSCHAFT FÜR EINE FRIEDLICHE KONFLIKTBEARBEITUNG STÄRKEN VENRO bewertet es als positiv, dass die künftige Bundesregierung auf Frieden, auf Europa als Friedensmacht und auf die Prävention von Gewalt als Ziele ihrer Politik setzt. Die gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik müsse dem Prinzip eines Vorrangs des Politischen vor dem Militärischen folgen und auf Friedenssicherung, Entspannung und zivile Krisenprävention ausgerichtet sein. www.venro.org 3

Erfreulich ist auch die Aussage, die im Jahr 2017 beschlossenen Leitlinien der Bundesregierung»Krisen verhindern, Konflikte bewältigen und Frieden fördern«als Referenzrahmen für Deutschlands Engagement konsequent umzusetzen. Leider wird nicht erwähnt, wie die deutsche Zivilgesellschaft dabei beteiligt und die lokalen Zivilgesellschaften gestärkt werden sollen. Laut Koalitionsvertrag soll der bereits vereinbarte zweite Nationale Aktionsplan zur Resolution 1325 über die»beteiligung von Frauen an Friedensprozessen«umgesetzt werden. Es ist auch vorgesehen, das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, verschiedene Institute der Friedensforschung, der Politikentwicklung und des zivilen Friedensdienstes auszubauen. Es fehlen jedoch innovative Instrumente und Ziele, um diplomatische Konzepte und ihre Mittel zu stärken und auf diese Weise gesellschaftliche Friedensinitiativen zu unterstützen. Dieser strukturelle Ausbau bleibt wenig glaubwürdig, da bei den mittelfristigen Finanzplanungen im Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes gekürzt und die Gesamt-ODA-Mittel nur gering gesteigert werden sollen. Damit löst der Vertrag den eigenen Anspruch nicht ein, dem Politischen Vorrang vor dem Militärischen zu geben. RÜSTUNGSEXPORTE MINDERN UND SCHÄRFER REGULIEREN VENRO begrüßt, dass Kleinwaffen grundsätzlich nicht mehr in Drittländer exportiert werden sollen. Die Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 sollen laut Koalitionsvertrag verschärft werden. Doch diese Ankündigungen reichen nicht aus. Es gab sie bereits in der vorherigen Legislaturperiode, und trotzdem nahmen Rüstungsexporte gerade in Drittstaaten sogar zu. Notwendig wäre stattdessen eine neue gesetzliche Grundlage, um jegliche Exporte von Rüstungsgütern zu regeln und damit die Ausfuhren in Krisen- und Konfliktregionen sowie an autoritäre und menschenrechtsverletzende Regime grundsätzlich zu unterbinden. In die richtige Richtung weist demnach der Ausschluss von Exporten an kriegsführende Parteien im Jemen, der im Koalitionsvertrag formuliert wurde. HUMANITÄRE HILFE AKTIV MITGESTALTEN UND VERLÄSSLICH AUSSTATTEN Humanitäre Hilfe wird im Koalitionsvertrag mit einem Absatz im Unterkapitel»Krisenprävention und humanitäre Hilfe«erwähnt und mit mehreren Themen in Zusammenhang gebracht: mit der zukünftigen Gestaltung Europas, mit dem humanitären Völkerrecht und mit den Vereinten Nationen. Den Bezug zur Fluchtursachenbekämpfung bewertet VENRO außerordentlich kritisch. Humanitäre Hilfe sollte sich nach dem humanitären Bedarf und nicht an medialer Aufmerksamkeit und potenziellen Fluchtbewegungen ausrichten. Wir begrüßen, dass sich die künftige Bundesregierung»entsprechend der wachsenden Bedeutung humanitärer Hilfe engagieren und diese weiter ausbauen sowie die Wahrung der internationalen humanitären Prinzipien und das System der Vereinten Nationen stärken«will. Wir vermissen hier aber eine www.venro.org 4

Konkretisierung inhaltlicher Schwerpunkte, die vorbeugende Stärkung lokaler Akteure der humanitären Hilfe und die Katastrophenvorsorge. Positiv ist dagegen, dass es eine stärkere Abstimmung der humanitären Hilfe geben soll im Zusammenhang mit Krisenprävention, Stabilisierung, Katastrophenvorsorge, Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit. Für einen Ausbau humanitärer Hilfe müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Eine Steigerung der ODA-Mittel und damit auch der humanitären Hilfe laut Koalitionsvertrag an die weitere Erhöhung von Verteidigungsausgaben geknüpft werden. Dies ist im Sinne einer unabhängigen humanitären Hilfe kontraproduktiv. Zurzeit sieht die mittelfristige Finanzplanung vor, die Mittel für den Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes zu reduzieren. Es fehlt daher weiterhin eine verlässliche Planungsgrundlage für humanitäre Akteure. Insgesamt wird die humanitäre Hilfe im Koalitionsvertrag zwar einige Male erwähnt. Die Vorgaben bleiben jedoch sehr unbestimmt, obwohl das Gewicht Deutschlands als humanitäres Geberland gewachsen ist. HANDLUNGSSPIELRÄUME DER ZIVILGESELLSCHAFT SCHÜTZEN UND ERWEITERN Der Koalitionsvertrag enthält ein klares Bekenntnis gegen zunehmende weltweite Tendenzen, die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft einzuschränken. Das begrüßen wir ausdrücklich. Im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit wird die Zivilgesellschaft als wichtiger Kooperationspartner genannt, leider ohne dies konkreter auszuführen. Hier wünschen wir uns von der zukünftigen Bundesregierung mehr Engagement: Ohne eine gestärkte Zivilgesellschaft im Norden wie im Süden werden die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung nicht zu erreichen sein. Im Haushalt des BMZ, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, und des Auswärtigen Amtes sollte deshalb die Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland und ihrer lokalen Partner im Süden in den nächsten vier Jahren verdoppelt werden. Gleichzeitig sollte der Anteil an Eigenmitteln, die Nichtregierungsorganisationen in die Projekte einbringen müssen, reduziert werden. Aus der Sicht von VENRO sollten Förderinstrumente entbürokratisiert und ausdifferenziert sowie innovative Förderinstrumente entwickelt werden, um zivilgesellschaftliche Organisationen im Norden wie im Süden zu stärken. WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE GEHÖREN ZUSAMMEN Beim Thema»Wirtschaft und Menschenrechte«ist positiv hervorzuheben, dass sich die Koalitionäre für eine konsequente Umsetzung des NAP, des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte, einsetzen wollen. Sie sehen explizit eine verbindliche Regelung vor, falls die Überprüfung des NAP im Jahr 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen nicht ausreicht. VENRO kritisiert, dass sich im Koalitionsvertrag kein klares Bekenntnis zur Unterstützung des www.venro.org 5

UN-Treaty-Prozesses findet, der auf ein rechtsverbindliches internationales Abkommen zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen abzielt. KLIMASCHUTZ UND ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL VORANTREIBEN Das klare Bekenntnis zu den Zielen des Pariser Abkommens, das in verschiedenen Kapiteln des Koalitionsvertrags verankert ist, muss so schnell wie möglich in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund kritisieren wir, dass die Koalitionspartner das nationale Klimaschutzziel faktisch aufgeben, bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Es ist unzureichend, die Klimaschutzlücke nur»so weit wie möglich«reduzieren zu wollen. Die konkreten Maßnahmen dafür bleiben zu offen. Diese soll eine Kommission im Laufe des Jahres 2018 erarbeiten, zu ihnen gehört auch ein Datum für den Kohleausstieg. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist hingegen, dass 2019 ein nationales Ziel im Klimaschutz gesetzlich verankert werden soll. Es sieht vor, dass bis 2030 rund 55 Prozent weniger Treibhausgas ausgestoßen werden soll, verglichen mit 1990. Ein großes Versäumnis ist es jedoch, dass das langfristige Klimaschutzziel, bis 2050 die Treibhausgase wirklich um 95 Prozent zu reduzieren, nicht nach oben angepasst wurde. Das vereinbarte Reduktionsziel beträgt nach wie vor nur 80 bis 95 Prozent. Der Koalitionsvertrag bleibt auch im Bereich Klimafinanzierung sehr vage. Wir begrüßen, dass die zukünftige Bundesregierung Entwicklungs- und Schwellenländer beim Umgang mit dem Klimawandel unterstützen will und ein Wachstum der Mittel dafür vorsieht. Jedoch bleibt unklar, ob das bisherige Versprechen noch gilt, die Finanzierung bis 2020 gegenüber 2014 zu verdoppeln und auch die Haushaltsmittel für die Klimafinanzierung bis 2020 zu verzweifachen. Ohnehin wäre ein noch größerer Anstieg in der Finanzierung dringend angemessen. BEI DER FINANZIERUNG NACHHALTIGER ENTWICKLUNG VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN Im Koalitionsvertrag wird zwar das Ziel festgeschrieben, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zu verwenden, die dafür notwendigen Finanzierungszusagen sind jedoch völlig unzureichend. Zusätzlich zu den Mitteln, die bereits in der Finanzplanung vorgesehen sind, sollen bis zum Jahr 2021 lediglich zwei Milliarden Euro im Verhältnis 1:1 für Verteidigung und für ODA-Ausgaben zur Verfügung gestellt werden. Bestenfalls sind das eine Milliarde Euro mehr für Entwicklung und humanitäre Hilfe! Der aktuelle Finanzplan bis 2021 sieht lediglich eine einmalige Steigerung www.venro.org 6

des BMZ-Etats um 159 Millionen auf 8,7 Milliarden Euro im Jahr 2018 vor. Für den Etat des Auswärtigen Amtes ist in der aktuellen Planung keine Erhöhung für die humanitäre Hilfe vorgesehen. Diese Planungen sind enttäuschend, denn sie zeigen keine Perspektive und schon gar keinen konkreten Zeitplan auf, wie eine Finanzierung nachhaltiger Entwicklung sichergestellt werden kann. Im Koalitionsvertrag selbst wird darauf hingewiesen, dass das voraussichtlich erneute Absinken der ODA-Quote in 2018 verhindert werden müsse. VENRO geht davon aus, dass die für April 2018 erwarteten ODA-Zahlen zeigen, dass bereits im vergangenen Jahr die Quote deutlich abgesunken ist. Nach unseren à Berechnungen beläuft sich der Mehrbedarf an ODA-Mitteln jährlich auf 5,9 bis 6 Milliarden Euro, wenn das 0,7-Prozent-Ziel in 2020 erreicht werden soll. VENRO lehnt die im Koalitionsvertrag hergestellte sachgrundlose Koppelung zwischen dem Verteidigungsbudget und den Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ab. Positiv ist zu bewerten, dass die Koalitionspartner die Mittel für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit im Inland erhöhen wollen. Wie viele zusätzliche Mittel dafür verwendet werden sollen, bleibt allerdings offen. HANDELSPOLITIK MIT AFRIKA ENTWICKLUNGSPOLITISCH AUSRICHTEN Die Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent nimmt viel Raum im Koalitionsvertrag ein. Die angekündigte Weiterentwicklung der afrikapolitischen Leitlinien sollte jedoch entwicklungspolitisch kohärent erfolgen und die Zivilgesellschaft einbeziehen. Positiv ist die Ankündigung, dass die nächste Bundesregierung Vorreiter für eine faire Handelspolitik mit Afrika sein will und die EPAs, die Wirtschaftspartnerschaften der EU mit den AKP-Staaten, auf den Prüfstand gestellt werden sollen. Hier wird sich die Regierung daran messen lassen müssen, ob sie tatsächlich entwicklungspolitische Aspekte in ihrer Handelspolitik stärkt. Das Ziel muss dabei sein, die lokale Wirtschaft vor Ort zu fördern und menschenwürdige Arbeitsplätze zu schaffen. Nach dem Prinzip der Agenda 2030»Niemanden zurücklassen«müssen unserer Ansicht nach vor allem die ärmsten Länder sowie die marginalisierten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen zuerst und überdurchschnittlich von handelspolitischen Maßnahmen profitieren. GLOBALE FINANZARCHITEKTUR GERECHTES STEUERSYSTEM Wir begrüßen, dass die Koalitionäre die Interessen von Entwicklungsländern in der internationalen Finanz- und Steuerpolitik stärker berücksichtigen wollen. Es fehlen aber konkrete Aussagen darüber, wie und wann dies erreicht werden soll. Beispielsweise könnte sich die Mitsprache von Entwicklungsländern deutlich erhöhen, wenn das UN-Steuerkomitee zu einem politisch beschlussfähigen Gremium aller Staa- www.venro.org 7

ten aufgewertet wird. Der Koalitionsvertrag lässt jedoch konkrete Handlungsvorschläge dazu vermissen, wie Steueroasen ausgetrocknet sowie Steuerflucht und der internationale Steuerwettbewerb beendet werden können. Wir unterstützen das Vorhaben, die Einführung einer substanziellen Finanztransaktionssteuer innerhalb der EU endlich zum Abschluss zu bringen. Gleichzeitig erwarten wir, dass die Einnahmen aus einer solchen Steuer zum großen Teil für die internationale Klima- und Entwicklungsfinanzierung verwendet werden. ALLE MITNEHMEN BESONDERS DIE BENACHTEILIGTEN Das Grundprinzip der Agenda 2030»Niemanden zurücklassen«wird bedauerlicherweise im Koalitionsvertrag nicht explizit angesprochen. Einzelne Ansätze, wie marginalisierte und benachteiligte Bevölkerungsgruppen gestärkt werden können, gleichen diese fehlende übergeordnete Ausrichtung der Entwicklungspolitik nicht aus. Positiv hervorzuheben ist, dass dem Thema»Globale Gesundheit«erstmals ein eigener Absatz gewidmet wird. Auch soll eine ressortübergreifende Strategie zur globalen Gesundheitspolitik entwickelt werden. Explizit wird die Forschung zu vernachlässigten und armutsbedingten Krankheiten erwähnt. Im Koalitionsvertrag wird besonders das Vorhaben betont, Gesundheitssysteme weltweit zu stärken sowie soziale Sicherungssysteme auszubauen, wobei Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften einbezogen werden sollen. Projekte und multilaterale Beiträge Deutschlands müssten so ausgerichtet sein, dass Gesundheitsdienstleistungen für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sind. Die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie die Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen werden im Vertrag zwar als Grundlage der Entwicklungszusammenarbeit festgeschrieben. Was dies aber konkret bedeutet und wie sich dieser Grundsatz im konkreten Handeln der künftigen Bundesregierung niederschlagen wird, bleibt unklar. Bedauerlich ist außerdem, dass das Thema»Inklusion von Menschen mit Behinderungen«zwar in verschiedenen innenpolitischen Kapiteln behandelt wird, aber bei der internationalen Zusammenarbeit völlig fehlt. Angesichts der menschenrechtlichen Verpflichtung nach Art. 32 der Behindertenrechtskonvention und der BMZ-Inklusionsstrategie, die gerade geplant wird, kritisieren wir deutlich, dass dieser Bezug im Koalitionsvertrag nirgends auftaucht. Die deutsche bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit sollte ihr Handeln an der Behindertenrechtskonvention ausrichten und die Prinzipien der Inklusion umsetzen, um die volle Teilhabe aller Menschen mit Behinderung zu erreichen. www.venro.org 8

IMPRESSUM Herausgeber: Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.v. (VENRO) Stresemannstr. 72 10963 Berlin Tel.: (030) 26 39 299-10 E-Mail: sekretariat@venro.org Internet: www.venro.org Berlin, 7. März 2018 Redaktion: Bodo von Borries, Claus Körting (Verantwortlich), Karoline Krähling, Anke Kurat, Jana Rosenboom Endredaktion: Eva Wagner Gefördert von Engagement Global im Auftrag des www.venro.org 9