KOOPERATIONEN VON KRANKENKASSEN MIT LEISTUNGSERBRINGERN UND DRITTEN Deutsche Gesellschaft für Kassenarztrecht Symposium am 27.04.2017 Dr. Reimar Buchner, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Medizinrecht Gleiss Lutz Hootz Hirsch PartmbB Rechtsanwälte, Steuerberater Friedrichstraße 71 10117 Berlin T +49 30 800979-129 E reimar.buchner@gleisslutz.com
Inhalt I. Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen der Kooperationen von Krankenkassen II. Regelfall: Finanzielle Anreize in Kooperationen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit 1. Interessenlage der Krankenkassen (1) 2. Sozial- und berufsrechtlich privilegierte Zulässigkeit III. Sonderkonstellation: Verbesserung der Kodierqualität im Rahmen von Kooperationen zur Sicherung der Einnahmen der Krankenkassen 1. Interessenlage der Krankenkassen (2) 2. Bisherige Prüf- und Sanktionsregelungen 3. Verbotsregelungen im SGB V i.d.f. der Änderungen durch das HHVG IV. Strafrechtliche Auswirkungen 2
I. Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen der Kooperationen Status der KKen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung ( 29 SGB IV, 4 Abs.1 SGB V) Gesetzesvorbehalt nur gesetzlich zugelassene Aufgaben dürfen erfüllt werden ( 30 Abs. 1 SGB IV) Finanzierung über Beiträge Keine Gewinnorientierung Regelung des Leistungserbringerrechts durch öffentlich-rechtliche Verträge ( 69 ff. SGB V) Rechtsaufsicht, Anzeigepflichten insbesondere für bestimmte Verträge ( 87 ff. SGB IV, 71 Abs.4 ff. SGB V) 3
I. Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen der Kooperationen Finanzierung der Krankenkassen Finanzbedarf Allgemeiner Beitragssatz ( 241 SGB V) Zusatzbeitragssatz ( 242 SGB V) [ca. 95 % der notwendigen Finanzmittel] [ Preiswettbewerb der Krankenkassen um Versicherte mit der Höhe der Zusatzbeitragssätze 4
II. Regelfall: Finanzielle Anreize in Kooperationen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit 1. Interessenlage der Krankenkassen (1) Grundsatz: Kontrolle der Leistungsausgaben ist wesentlich, um Zusatzbeitragserhöhungen zu vermeiden Finanzielle Anreize in Kooperationen werden grundsätzlich nur bei erwarteter Wirtschaftlichkeitsverbesserung der Versorgung gewährt Beispiele: Zielquoten für Arzneimittelverordnungen, Reduzierung Krankenhauseinweisungen etc. 5
II. Regelfall: Finanzielle Anreize in Kooperationen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit 2. Sozial- und berufsrechtlich privilegierte Zulässigkeit Grundsätzlich sind zwar auch finanzielle Anreize von Krankenkassen geeignet, die ausschließlich medizinische Ausrichtung der Entscheidungen des behandelnden Arztes zu beeinflussen Dennoch sind finanzielle Anreize durch Krankenkassen privilegiert zulässig 128 Abs. 6 Satz 2, 128 Abs.4a, 84 Abs.4 SGB V etc. 32 Abs. 1 Satz 2 MBO Eine Beeinflussung ist dann nicht berufswidrig, wenn sie einer wirtschaftlichen Behandlungs- oder Verordnungsweise auf sozialrechtlicher Grundlage dient und der Ärztin oder dem Arzt die Möglichkeit erhalten bleibt, aus medizinischen Gründen eine andere als die mit finanziellen Anreizen verbundene Entscheidung zu treffen. 6
1. Interessenlage der Krankenkassen unter Berücksichtigung der Einnahmenseite (2) Die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds erfolgen morbiditätsorientiert Bestimmung der Höhe der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds der GKV an die Krankenkassen entsprechend der Zahl und der Morbiditätsstruktur der Versicherten gemäß 266 SGB V Feststellung durch das Bundesversicherungsamt (BVA) 7
Wie wird festgestellt, ob eine Krankenkasse für einen Versicherten einen Morbiditätszuschlag erhält? Anknüpfungspunkt sind hierbei die ärztlichen Diagnosen. Ambulante Ärzte und Krankenhäuser müssen für ihre Abrechnungen mit den Krankenkassen jede Diagnose nach einem vorgegebenen Klassifikationssystem, dem sogenannten ICD-10, verschlüsseln. Von den über 15.000 ICD-10-Codes stehen ca. 3.800 mit einer der 80 ausgewählten Krankheiten in Verbindung und können daher einer Morbiditätsgruppe zugeordnet werden. Bei den Diagnosen der niedergelassenen Ärzte ( 295 Abs. 1 S. 2 u. 3 SGB V) erfolgt die Einstufung des Versicherten in eine Morbiditätsgruppe erst, wenn eine Diagnose durch eine Zweitdiagnose derselben Krankheit in mindestens einem anderen Abrechnungsquartal bestätigt wurde. Bei einigen Krankheiten ist zusätzlich ein entsprechender Therapienachweis erforderlich. Dies ist insbesondere bei solchen Krankheiten bzw. Krankheitsverläufen der Fall, bei denen ein stationärer Aufenthalt (z.b. bei einem akuten Herzinfarkt) oder eine Arzneimitteltherapie (z.b. bei Diabetes mellitus Typ 1) medizinisch zwingend erforderlich ist. 8
Quelle: Bundesversicherungsamt 9
Quelle: Bundesversicherungsamt 10
Folgerungen: [ Über Diagnosekodierungen werden Geldflüsse im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich gesteuert [ Die Erfassung der Morbidität der Versicherten einer Krankenkasse (auch) in der ambulanten Versorgung hat wesentlichen Einfluss auf die Höhe der risikoadjustierten Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds [ Im Wettbewerb mit der Zusatzbeitragshöhe ist die Sicherung der Einnahmen in Form der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds ebenso wichtig wie die Ausgabenkontrolle [ Investition in die Verbesserung der Erfassung der Morbidität ihrer Versicherten kann aus Sicht der einzelnen Krankenkasse sinnvoll sein, solange die Mehrkosten niedriger sind als die zusätzlich erwarteten Zuweisungen (# Wirtschaftlichkeit i.s. des SGB (?)) [ grundsätzlich gemeinsame Grundlage von Krankenkasse und KVen, auch im Hinblick auf die morbiditätsorientierte Ermittlung der jahresbezogenen Veränderung des Behandlungsbedarfs gemäß 87a Abs. 4 SGB V 11
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Wie sind Bemühungen um die Verbesserung der Kodierqualität zu bewerten? Materiell richtige Erfassung der Morbidität der Versicherten ist Voraussetzung der Funktion des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs sowie auch der weiteren mit der Diagnosekodierung verbundenen Aufgabenstellungen [ Rightcoding ist grundsätzlich erwünscht Upcoding ist unzulässig Aber: qualitativ unterschiedliche Diagnoseerfassung der Versicherten verschiedener Krankenkassen kann zu sachlich nicht gerechtfertigten Umverteilungen der Zuweisungen aus dem feststehenden Finanzvolumen des Gesundheitsfonds führen 14
2. Bisherige Prüf- und Sanktionsregelungen Aufsicht Prüfung der Datenmeldungen durch das BVA nach 273 SGB V Auffälligkeitsprüfung 273 Abs. 2 SGB V als kassenübergreifende Vergleichsanalyse ( 39a RSAV) Einzelfallprüfung bei Auffälligkeit nach Vergleichsanalyse oder bei tatsachengestütztem Verdacht auf Verstoß [ Kürzung der Zuweisungen um einen Korrekturbetrag (=Differenzbetrag) [ Strafzuschlag in Höhe von 25 % des Differenzbetrags bei Korrekturmeldung 15
3. Verbotsregelungen im SGB V i.d.f. der Änderungen durch das HHVG FAS vom 09.10.2016 - Interview mit Jens Baas: Wir Krankenkassen schummeln ständig Reaktion des Gesetzgebers - Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) vom 4. April 2017 (BGBl. Teil I v. 10.4.2017, S. 778) [ Einfügung mehrerer Verbotsregelungen ins SGB V ( klarstellend?!): 71 Abs. 6 S.9, 73 Abs. 7 S.1, 303 Abs. 4, 305a S. 7 SGB V 16
3. Verbotsregelungen im SGB V i.d.f. der Änderungen durch das HHVG 73 Kassenärztliche Versorgung (7) Es ist Vertragsärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Versicherten oder für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen ein Entgelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren. 128 Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend. " Begründung Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit: Die Regelung stellt klar, dass neben dem Verbot von Zuweisungen von Versicherten gegen Entgelt auch ein vertragsärztliches Fehlverhalten gegeben ist, wenn Vertragsärztinnen und Vertragsärzte allein für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen eine zusätzliche Vergütung (ergänzend zur regulären Vergütung) oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren lassen oder selbst versprechen oder gewähren. Das ärztliche Handeln ist am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten. Insbesondere dürfen Ärztinnen und Ärzte nicht eigene wirtschaftliche Interessen oder das Interesse Dritter über dieses Wohl stellen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben diesen Tatbestand bei der Verhängung von Sanktionsmaßnahmen entsprechend ihrer Satzungsbestimmungen gemäß 81 Absatz 5 zu berücksichtigen. 17
3. Verbotsregelungen im SGB V i.d.f. der Änderungen durch das HHVG 305a S.7 SGB V - neu Eine Beratung des Arztes oder Psychotherapeuten durch die Krankenkasse oder durch einen von der Krankenkasse beauftragten Dritten im Hinblick auf die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen auch mittels informationstechnischer Systeme ist unzulässig. 18
3. Verbotsregelungen im SGB V i.d.f. der Änderungen durch das HHVG 303 Ergänzende Regelungen (4) Sofern Datenübermittlungen zu Diagnosen nach den 295 und 295a fehlerhaft oder unvollständig sind, ist eine erneute Übermittlung in korrigierter oder ergänzter Form nur im Falle technischer Übermittlungs- oder formaler Datenfehler zulässig. Eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung von Diagnosedaten insbesondere auch aufgrund von Prüfungen gemäß 106 bis 106c, Unterrichtungen nach 106d Absatz 3 Satz 2 und Anträgen nach 106d Absatz 4 ist unzulässig. Das Nähere regeln die Vertragspartner nach 82 Absatz 1 Satz 1. [ Maßgeblich ist nach 303 Abs.4 SGB V nicht die materielle Richtigkeit der Kodierung, sondern allein die formale Nichtveränderung der einmal erfassten Diagnosen Zugrunde liegende These, dass Mängel in der Diagnosekodierung alle Krankenkassen gleichermäßig betreffen, ist angesichts nachgewiesen regional unterschiedlicher Kodierqualität und der unterschiedlichen regionalen Verteilung der Versicherten und deren unterschiedlich hoher Morbidität fragwürdig Abweichung von materiellem Richtigkeitsbegriff ist im Hinblick auf die Funktion des Morbi-RSA und die weiteren Funktionen der Diagnosekodierung problematisch 19
3. Verbotsregelungen im SGB V i.d.f. der Änderungen durch das HHVG Während die nachträgliche Prüfung der Abrechnungen als mittel der Sicherung der Diagnosekodierqualität durch 303 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen wird, bleiben vor der Kodierung wirkende Verträge grundsätzlich zulässig [ Problematisch bleibt weiterhin die Abgrenzung zulässiger von unzulässigen Gestaltungen bei Verträgen, die die Diagnoseerfassung vorab beeinflussen [ Frage: Entgelt für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen versus Entgelt für die besonders aufwendige Behandlung entsprechend erkrankter Versicherter? 20
Beispiel 1: 21
Beispiel 2: (5) Die Parteien vereinbaren die jährliche Überprüfung und ggf. Anpassung des Anhangs 2 der Anlage 3. Bei Anpassungen ist die Finanzneutralität zu beachten. Anpassungsersuchen der <KK>, die die Finanzneutralität wahren, sind durch die Vertragspartner zu akzeptieren. 22
3. Verbotsregelungen im SGB V i.d.f. der Änderungen durch das HHVG Zum Beispiel 1: nach bisheriger durch das HHVG nach der Gesetzesbegründung nur klarstellend geänderter Rechtslage insoweit rechtmäßig durch Schiedsspruch festgesetzter Vertrag BSG, Urt. v. 25.03.2015 B 6 KA 9/14 R SozR 4-2500, 73b SGB V Nr. 1 23
IV. Strafrechtliche Auswirkungen 1. Regelfall: Finanzielle Anreize zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit [ Die sozial- und berufsrechtliche Privilegierung ist strafrechtlich zu berücksichtigen, schließt aber z.b. bei mehrseitigen Verträgen Strafbarkeit durch Vorteilsgewährungen von Leistungserbringern untereinander nicht aus [ darüber hinaus ist nach der Begründung des Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen bei Weitergabe von Vorteilen an die Krankenkassen als Kostenträger bei der Behandlung gesetzlicher Versicherter auch die Annahme von Vorteilen durch Dritte nicht strafbar 2. Sonderfall: Finanzieller Anreiz zur Verbesserung der Kodierqualität [ Unbeschadet der sozialrechtliche Unzulässigkeit nicht tatbestandsmäßig i.s. der 299a, b StGB [ Betrug ( 263 Abs. 1 StGB) mit anderen Krankenkassen als mittelbar Geschädigten denkbar 24
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