Gewinner und Verlierer: Paritätischer legt Jahresgutachten zur sozialen Lage in Deutschland vor Pressestatement von Prof. Dr.

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Transkript:

Gewinner und Verlierer: Paritätischer legt Jahresgutachten zur sozialen Lage in Deutschland vor Pressestatement von Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes anlässlich der Präsentation des Paritätischen Jahresgutachtens 2015 auf der Pressekonferenz am Dienstag, den 28. April 2015, 11 Uhr in Berlin Es gilt das gesprochene Wort. Sehr geehrte Damen und Herren, die Wirtschaftsentwicklung wird in Deutschland von Amts wegen kontinuierlich und detailliert beobachtet und prognostiziert. Neben den Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung haben wir die Prognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die Prognosen der EU und schließlich noch von der Bundesregierung selbst. Dass die Prognosen sehr oft nicht verlässlich sind und deshalb wie es so schön heißt aktualisiert werde müssen, ist das Eine. Wichtiger aber ist die Tatsache, dass die Beschränkung der Ökonomen auf das Wirtschaftswachstum genau jene Ziele und Faktoren ausblendet, auf die es letztlich ankommt: auch die Wirtschaftspolitik muss sich daran messen lassen, ob sie einen Beitrag leistet für ein gutes Leben für alle in diesem Lande, ob sie den sozialen Zusammenhalt stärkt, denn Deutschland ist nicht nur Wirtschaftsstandort, sondern vor allem Lebensstandort. Der Paritätische legt daher heute sein zweites Jahresgutachten zur Entwicklung des sozialen Zusammenhalts in Deutschland vor als Korrektiv zur einseitigen ökonomistischen Betrachtung, die aus unserer Sicht viel zu kurz greift. Der soziale Zusammenhalt bzw. die Soziale Kohäsion ist eine wesentliche Grundlage für die Stabilität und Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft. Gesellschaften mit größerem Zusammenhalt sind produktiver, friedlicher, sie bewältigen Krisen besser und sie sind auch innovationsfreundlicher. Der soziale Zusammenhalt wird gestärkt durch Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand und am soziokulturellen Leben in der Gemeinschaft, durch die Bereitstellung sozialer Infrastruktur und durch die Gewährleistung subjektiver Rechte, die Partizipation und soziale Integration ermöglichen bzw. verbessern. Politik auch die Wirtschaftspolitik muss sich daran messen lassen, ob und was sie zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes in diesem Sinne beiträgt. Wir fragen in unserem Jahresgutachten: Wie entwickeln sich in Deutschland die sozioökonomischen Indikatoren, die uns Rückschlüsse erlauben auf den sozialen Zusammenhalt? Und: Was tut Politik, was tun

Bundesregierung und Gesetzgeber konkret, um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zu stärken und schädliche Marktentwicklungen ggf. zu korrigieren? Welche Auswirkungen haben politisches Handeln einerseits und politische Unterlassungen andererseits auf den sozialen Zusammenhalt? Das Gutachten ist in drei Teile gegliedert: 1. Empirische Bestandsaufnahme anhand ausgewählter wirtschaftlicher Kennziffern, die für den sozialen Zusammenhalts in unserer Gesellschaft wichtig sind 2. Zusammenfassung und Bewertung der gesetzgeberischen Tätigkeit im Berichtszeitraum mit Blick auf die Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt in Deutschland 3. Aktuelle Handlungsempfehlungen an die Politik zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts Was die empirische Bestandsaufnahme angeht, stützen wir uns ausschließlich auf amtliche Daten, die regelmäßig nach stabilen Kriterien erhoben werden. Bei der Auswahl der Indikatoren haben wir uns auf die Aspekte Teilhabe und Ressource konzentriert. Für uns heißt das vor allem: Arbeit und Geld. Da wir in einer Erwerbsarbeitsgesellschaft leben, ist Erwerbsarbeit der entscheidende Schlüssel zur Teilhabe. Die entscheidende Ressource ist Geld. Im empirischen Teil betrachten wir also zum einen jene Indikatoren, die etwas über Erwerbsarbeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland aussagen. Dabei haben wir besonderes Augenmerk auf die Qualität der Arbeitsverhältnisse gelegt. Denn: Nicht Arbeit um jeden Preis stärkt den sozialen Zusammenhalt, nicht alles, was Arbeit schafft, ist auch sozial. Sozialer Zusammenhalt kann nur wachsen, wenn gute Arbeit zunimmt. Zum anderen betrachten wir jene Indikatoren, die etwas über die Ressourcenverteilung in Deutschland aussagen: die Entwicklung der Erwerbsarbeit, die Gewährung von Mindestsicherungsleistungen sowie Daten zur Überschuldung und zur Vermögensentwicklung. Deutschland ist tief gespalten. Die Befunde des Jahresgutachtens sind alarmierend: Am wachsenden Wohlstand in Deutschland haben immer weniger Menschen teil. Die Spaltung in Deutschland im Hinblick auf Teilhabe und Ressourcen nimmt stetig zu. Die zentralen Indikatoren unserer Studie zeigen: Zwar gab noch nie so viele Erwerbstätige wie heute, aber es gab auch noch nie mehr Mini Jobs, nicht auskömmliche Teilzeitbeschäftigung und befristete Arbeitsverhältnisse. 7,8 Millionen Menschen waren 2014 in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, die Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmer stieg in den letzten 20 Jahren um mehr als 70 Prozent. Gute Arbeit wird immer seltener und das sogenannte Normalarbeitsverhältnis ist immer weniger normal. Die Arbeitslosenquote ist über mehrere Jahre hinweg gesunken, zuletzt stieg sie marginal um 0,1 Prozentpunkte wieder an, das ist im europäischen Vergleich ein gutes Ergebnis. Besorgniserregend jedoch: Die Langzeitarbeitslosigkeit stagniert auf ungebrochen hohem Niveau. Nach wie vor sind mehr als eine Million Menschen länger als ein Jahr arbeitslos. Über ein Fünftel der Hartz IV Bezieher insgesamt rund 1,3 Millionen Menschen ist seit nunmehr 10 Jahren im Leistungsbezug!

Die Armut ist erneut angestiegen, auf mittlerweile 15,5 Prozent. Erwerbslose und Alleinerziehende sind die hervorstechenden Risikogruppen. Über 40 Prozent der Alleinerziehenden und fast 60 Prozent der Erwerbslosen in Deutschland sind arm. Und zwar mit einer seit 2006 ansteigenden Tendenz. Auch die Kinderarmut bleibt in Deutschland weiterhin auf sehr hohem Niveau. 15,4 Prozent der unter 15 Jährigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland lebt von Hartz IV und damit in bitterer Armut. Bedrohlich zugenommen hat in den letzten Jahren insbesondere die Altersarmut, insbesondere unter Rentnerinnen und Rentnern. Deren Armutsquote liegt mit 15,2 Prozent zwar noch knapp unter dem Durchschnitt, ist jedoch seit 2006 viermal so stark wie in der Gesamtbevölkerung gestiegen. Keine andere Bevölkerungsgruppe zeigt eine rasantere Entwicklung in Richtung Armut. Die Zahl derer, die Grundsicherung im Alter in Anspruch nehmen müssen, ist im Jahr 2013 um ca. 30.000 auf knapp 500.000 gestiegen, und diese Zunahme wächst von Jahr zu Jahr weiter an. Schließlich: Deutschland ist das Land mit der höchsten Vermögensungleichheit innerhalb der Eurozone. Es gibt über 7 Billionen Euro Privatvermögen in Deutschland, gleichzeitig gilt jeder zehnte Erwachsene mittlerweile als überschuldet und hat im Durchschnitt über 32.600 Euro Schulden. Im vermögendsten Zehntel der Bevölkerung verfügt jeder und jede dagegen über ein durchschnittliches (!) Vermögen von 1,15 Millionen Euro. Noch einmal zusammengefasst: Deutschland ist tief gespalten und die Spaltung wird von Jahr zu Jahr tiefer. Die Frage ist: Hat die Politik diese Entwicklungen hinreichend korrigiert? Hat sie Antworten auf diese Situation der sozialen Spaltung und der Ungleichheit? Ist sie gewappnet für die Herausforderungen, die vor uns liegen? Die Politik tut zu wenig für den sozialen Zusammenhalt und gefährdet ihn teilweise sogar. Die Bundesregierung war sozialpolitisch nicht faul im Berichtsjahr, im Gegenteil. 2014 wurden eine Reihe großer sozialpolitischer Vorhaben gesetzgeberisch umgesetzt: Vom Einstieg in die große Pflegereform, über das Rentenpaket bis hin zu Veränderungen im Staatsangehörigkeitsrecht. Wir haben für das vorliegende Gutachten alle Maßnahmen zusammengetragen, die der Gesetzgeber im Bereich der Sozialpolitik im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht hat. Mit Blick auf den sozialen Zusammenhalt ergibt die Analyse ein zunächst widersprüchliches, aber unterm Strich negatives Bild: Insbesondere das sehr kostenintensive Gesetzespaket zur Rentenreform hat nichts zum sozialen Zusammenhalt beigetragen, sondern durch einseitige Prioritätensetzung die Spaltung sogar noch vertieft. Die Maßnahmen verfolgen dabei durchaus Ziele, die für sich betrachtet durchaus ihre Berechtigung haben: Bei der Mütterrente ging es um die Herstellung von Gleichstellung, bei der Rente mit 63 um die Honorierung von Lebensleistung. Beides sind legitime Projekte, ihre isolierte Umsetzung vermindert aber sogar die soziale Kohäsion: Bei der Rente mit 63 wird eine Gruppe von Leistungsträgern, im Wesentlichen relativ gut verdienende, vergleichsweise gut

abgesicherten Männer über 50 mit vollständigen Erwerbsbiografien, im Rentenrecht bevorzugt. Zugespitzt kann man sagen: Das Rentenpaket war teure Politik für bestimmte Wählergruppen einzelner Koalitionspartner. Damit ging diese Rentenreform vorbei an den tatsächlichen und weiter wachsenden Herausforderungen einer armutsfesten Alterssicherung. Sie schuf Gewinner, aber hinterließ vor allem auch viele Verliererinnen und Verlierer. Die Finanzierung dieser teuren Maßnahmen aus Beitragsmitteln der Rentenversicherung statt über Steuern verschärft die Ungerechtigkeit und Ungleichheit dabei noch zusätzlich. Auch in der Krankenversicherung erfolgte eine Lastenverschiebung zu Ungunsten der Versicherten durch die Kürzung des steuerfinanzierten Bundeszuschusses und die Abkehr von der paritätischen Finanzierung wurde festgeschrieben. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe positiver Beispiele für Gesetze, die durchaus einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt leisten: Vorneweg ist die Einführung des Mindestlohns zu nennen, der zweifellos einen Meilenstein darstellt und ein Stoppschild gegen extreme Ausbeutung. Damit leistet der Mindestlohn ohne Frage einen Beitrag zur sozialen Kohäsion, auch wenn er in seiner Höhe und als alleiniges Instrument nicht geeignet ist, um beispielsweise die Armut von Familien zu bekämpfen o der vor Armut im Alter zu schützen. Weiterhin positiv hervorzuheben sind der Ausbau der Kindertagesbetreuung, einzelne Maßnahmen im Bereich der Flüchtlingspolitik sowie der überfällige Einstieg in die große Pflegereform. Im Bereich der Taten der Politik also ein durchaus gemischtes Bild. Allerdings muss sich Politik nicht nur daran messen lassen, was sie getan hat, sondern auch daran, was sie nicht getan hat, um das weitere Auseinanderdriften der Gesellschaft zu bremsen oder gar zu verhindern. Insbesondere im Bereich der Armutsbekämpfung grenzt die Passivität dieser Regierung bisweilen schon an sozialpolitische Ignoranz. So ist beispielsweise überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die Bundesregierung trotz Ermahnung durch das Bundesverfassungsgericht (Juli 2014) die dringend angezeigte Reform der Regelsatzbemessung nicht sofort und mit Nachdruck in Angriff genommen hat. Man braucht nicht die Ergebnisse der neuen Einkommensund Verbrauchsstichprobe abzuwarten, um heute bereits zu wissen und entscheiden zu können, dass Stromkosten für Hartz IV Bezieher künftig spitz übernommen werden müssen oder dass man Transferbezieher von Kosten der Mobilität entlasten muss. Es sind also nicht zuletzt politische Unterlassungen, die dazu führen, dass sich die Waage zur falschen Seite neigt, der soziale Zusammenhalt also nicht zu sondern abgenommen hat. Drei Personengruppen sind es dabei insbesondere, die zu den großen Verlierern dieser Politik im Berichtsjahr gezählt werden müssen: Langzeitarbeitslose: Die Hilfen für Langzeitarbeitslose wurden über Jahre hinweg rigoros zusammengestrichen, so dass es heute an wirksamen Angeboten mangelt. Die von Bundesarbeitsministerin Nahles Ende 2014 angekündigten Programme für etwa 43.000 Langzeitarbeitslose ist schön gedacht, aber hoffnungslos unterfinanziert und allenfalls ein sozialdemokratisches Trostpflästerchen. Nur ein kleiner Bruchteil der Langzeitarbeitslosen wird erreicht.

Um echte Perspektiven auch für Langzeitarbeitslose zu schaffen, brauchen wir öffentlich geförderte, sozialversicherungspflichtige, langfristige Beschäftigungsangebote. Arme Kinder: Beim Thema Kinderarmut hat der Koalitionsvertrag einen blinden Fleck. Von den Verbesserungen beim Elterngeld profitieren Eltern im Hartz IV Bezug überhaupt nicht, da die Leistung voll in Anrechnung gebracht wird. Das einst zur Förderung der über zwei Millionen armen Kinder und Jugendlichen gedachte Bildungsund Teilhabepaket läuft in der Praxis ins Leere. Die Regelsätze für Kinder in Hartz IV sind weder realitäts noch bedarfsgerecht. Wir brauchen eine grundlegende Reform der Bildungs und Teilhabeförderung von Jugendlichen. Diese muss eine bedarfsgerechte Gestaltung von Regelleistungen, einmalige Leistungen und Leistungen zur Bildungsförderung und Nachhilfe umfassen. Darüber hinaus ist ein Rechtsanspruch auf Angebote der Jugendhilfe und Jugendarbeit zu schaffen. Arme Ältere: Auf uns rollt eine Lawine der Altersarmut zu. Die derzeit noch moderate Quote armer alter Menschen wird sich in den nächsten Jahren drastisch erhöhen, sofern konsequente Reformen ausbleiben. Um Menschen wirksam vor Armut im Alter zu schützen und bestehende Altersarmut zu beseitigen, brauchen wir eine durchgreifende Reform der Altersgrundsicherung und eine Anhebung des Rentenniveaus. Meine Damen und Herren, die soziale Spaltung in Deutschland nimmt zu. Reformprojekte, die als soziale Gerechtigkeit verkauft werden, stärken nicht automatisch den sozialen Zusammenhalt. Politik muss den sozialen Zusammenhalt endlich tatsächlich zum Maßstab ihres Handelns machen, um dem weiteren Auseinanderdriften unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Die Bundesregierung wird dabei nicht umhinkommen, auch ihr Tabu der Steuererhöhungen zu überdenken. Der Verzicht auf eine angemessene Besteuerung sehr hoher Einkommen, Vermögen und Erbschaften ist und bleibt der Geburtsfehler dieser Großen Koalition, Unstrittig und auch von der Bundesregierung immer wieder betont ist der soziale Zusammenhalt ein zentrales Ziel aller Politik und auch eine Voraussetzung guter wirtschaftlicher Entwicklung. Unbestreitbar ist auch, dass es für eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts in Deutschland notwendig ist, die Leistungen unseres Sozialstaats gezielt zur Verminderung von Ungleichheit einzusetzen und die Mittel hierfür zu vermehren. Notwendig ist, dass Parlament und Regierung ihre eigenen Beteuerungen ernst nehmen und die Weichen in Richtung auf mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt stellen. Dazu müssen die am besten gestellten Einkommens und Vermögensgruppen stärker als bisher zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden.