Abmahnungen im Urheberrecht



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Transkript:

14. Mai 2013 Abmahnungen im Urheberrecht Ausnahmeregelung zur Begrenzung der Abmahngebühren im Urheberrecht im Gesetzesentwurf gegen unseriöse Geschäftspraktiken (Stand: Regierungsentwurf vom 15. April 2013 BT Drucksache 17/13057) Gutachten von Rechtsanwalt Christian Solmecke im Auftrag des Verbraucherzentale Bundesverbands Herausgeber: Verbraucherzentrale Bundesverband e.v. vzbv Fachbereich Wirtschaft Markgrafenstr. 66 10969 Berlin wirtschaft@vzbv.de www.vzbv.de

Inhalt 1. Ausgangssituation, Problembeschreibung und Ziel des Gutachtens... 3 2. Methodik... 3 3. Auslegungskriterien zur Ausnahmeregelung... 4 a) Gesetzesbegründung... 4 b) Rechtsprechung... 5 c) Zusammenfassung... 7 4. Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung auf typische Abmahnkonstellationen in der Praxis... 7 a) Kinofilme... 8 b) Fernsehserien...... 8 c) Pornografische Filme... 9 d) Musikalben / Sampler... 9 e) Singles / einzelne Musiktitel... 9 f) Sonstiges... 9 5. Zusammenfassung... 10 Autor: Christian Solmecke, Rechtsanwalt, WILDE BEUGER SOLMECKE, Kaiser-Wilhelm-Ring 27-29, 50672 Köln Für den Inhalt verantwortlich: Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.v. Diese Veröffentlichung steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nichtkommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland (CC BY-NC-ND 3.0). Unter Verweis auf den Herausgeber Verbraucherzentrale Bundesverband, die Quelle www.vzbv.de, den Autor Christian Solmecke und bei Beachtung der weiteren Lizenzbedingungen http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/ dürfen Sie das Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen. Verbraucherzentrale Bundesverband e.v. 2

1. Ausgangssituation, Problembeschreibung und Ziel des Gutachtens Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf gegen unseriöse Geschäftspraktiken verabschiedet. Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem eine Neuregelung der Begrenzung der Gebühren bei urheberrechtlichen Abmahnungen vor. Nach 97a Abs. 3 S.2 UrhG-E i. V. m. 49 GKG-E soll es einen festen Streitwert für Unterlassungsansprüche bei Abmahnungen in Urheberrechtsstreitsachen gegenüber natürlichen Personen von 1.000,00 Euro geben. Nach 49 Abs. 1 Hs. 2 GKG-E soll dies jedoch dann nicht gelten, wenn dieser Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Offen und auslegbar bleibt in dem Gesetzesentwurf, in welchen Fällen die Streitwertbegrenzung unbillig sein soll. Im Rahmen der Gesetzesbegründung wird in diesem Zusammenhang nur ausgeführt, dass auch eine im Einzelfall in relevantem Ausmaß vom üblichen Maß abweichende Anzahl oder Schwere der Rechtsverletzung berücksichtigt werden soll. Aufgrund der Erfahrungen mit der gegenwärtigen Regelung zur Begrenzung der Abmahngebühren in 97a Abs. 2 UrhG, die aufgrund der Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen in der Praxis der Filesharing-Abmahnungen so gut wie nie Anwendung findet, sowie aufgrund der Rechtsprechung zum Begriff des gewerblichen Ausmaßes zum Auskunftsanspruch des 101 UrhG muss befürchtet werden, dass mit der neuen Ausnahmeregelung erneut die Begrenzung der Abmahngebühren in einer Vielzahl von Fällen unterlaufen wird. Das Gutachten soll die praktischen Auswirkungen der Ausnahmeregelung zur Begrenzung der Abmahngebühren untersuchen, um festzustellen, ob Verbraucher im Rahmen der derzeit typischen Abmahnkonstellationen in den Genuss der Streitwertbegrenzung kommen oder die Ausnahmeregelung zum Tragen kommt. 2. Methodik Das Gutachten ermittelt zunächst anhand der Gesetzesbegründung sowie bisher ergangener Rechtsprechung zum gewerblichen Ausmaß gem. 101 UrhG und zur Deckelung gem. 97a Abs. 2 UrhG Kriterien für die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung des 49 Abs. 1 Hs. 2 GKG-E. In einem zweiten Schritt wird dann aufgezeigt, inwiefern die Ausnahmeregelung unter Zugrundelegung dieser Kriterien in den aktuellen Abmahnfällen im Bereich Filesharing Anwendung finden könnte. Zu diesem Zweck wurden anhand der aktuell erfahrenen Abmahnpraxis die fünf wichtigsten Abmahnkonstellationen nach der Art des abgemahnten Werkes (Kinofilme, Fernsehserien, Musikalben/Sampler, einzelne Musiktitel, pornografische Filme) gebildet, um dann hinsichtlich jeder einzelnen Abmahnkonstellation zu prüfen, ob die Ausnahmeregelung voraussichtlich zur Anwendung kommt oder nicht. Um letztendlich auch prozentuale Aussagen treffen zu können, wurden sodann die letzten 254 Anfragen potenzieller Neumandanten (Zeitraum: 25.04.2013-06.05.2013) ausgewertet und den jeweiligen Kategorien zugeordnet. 3

3. Auslegungskriterien zur Ausnahmeregelung Der Gesetzesentwurf gegen unseriöse Geschäftspraktiken sieht über 97a Abs. 3 S.2 UrhG-E i. V. m. 49 GKG-E einen festen Streitwert für Unterlassungsansprüche bei Abmahnungen in Urheberrechtsstreitsachen gegenüber natürlichen Personen von 1.000,00 Euro vor. Die Voraussetzungen des 49 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GKG-E (natürliche Person, keine Verwendung für gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit, keine vorherige Unterlassungsverpflichtung) sind auch in den allermeisten Abmahnfällen wegen Filesharing erfüllt. Nach 49 Abs. 1 Hs. 2 GKG-E soll die Beschränkung des Streitwerts auf 1.000,00 Euro jedoch dann nicht gelten, wenn dieser Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Als Auslegungskriterien zur Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs der Unbilligkeit sollen diesem Gutachten neben der Gesetzesbegründung auch Rechtsprechung zur bisherigen 100-Euro-Deckelung gem. 97a Abs. 2 UrhG sowie zum Begriff des gewerblichen Ausmaßes gem. 101 UrhG herangezogen werden. Es ist davon auszugehen, dass eine Streitwertdeckelung jedenfalls dann unbillig ist, wenn in gewerblichem Ausmaß ( 101 UrhG) Rechtsverletzungen begangen worden sind oder wenn eine erhebliche Rechtsverletzung ( 97a Abs. 2 UrhG) vorliegt. a) Gesetzesbegründung Die Gesetzesbegründung selbst enthält nur wenige Ausführungen zu der Frage, wie der unbestimmte Rechtsbegriff der Unbilligkeit nach dem Willen des Gesetzgebers vorliegend ausgefüllt werden soll. Wenn dies dann an einer Stelle doch geschieht, wird hierbei lediglich auf weitere unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgegriffen. So heißt es im Besonderen Teil der Gesetzesbegründung zu 49 GKG-E: Zu den in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden besonderen Umständen des Einzelfalles kann auch eine im Einzelfall in relevantem Ausmaß vom üblichen Maß abweichende Anzahl oder Schwere der Rechtsverletzung gehören Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Frage, was unter einem üblichen Maß zu verstehen sein soll. Muss bei der Nutzung von Filesharing-Systemen und dem damit verbundenen öffentlichen Angebot an einen unbestimmten Personenkreis grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das übliche Maß überschritten ist, oder soll die Urheberrechtsverletzung durch privates Filesharing gerade das übliche Maß darstellen? Die Gesetzesbegründung liefert hierzu jedenfalls keine weiteren Anhaltspunkte, sodass die Auslegung beziehungsweise Wertung voraussichtlich wieder der gerichtlichen Praxis überlassen wäre. 4

b) Rechtsprechung Bereits in der Vergangenheit hatte die Rechtsprechung in den Vorschriften 101 UrhG und 97a Abs. 2 UrhG mit unbestimmten Rechtbegriffen zu kämpfen. Die bislang ergangenen Urteile können zur Auslegung des Begriffs unbillig herangezogen werden. Gewerbliches Ausmaß gem. 101 UrhG: Ausgehend von der These, dass eine Streitwertdeckelung jedenfalls dann unbillig sein muss, wenn die Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß erfolgt ist, soll nun analysiert werden, wann in der Vergangenheit von den Gerichten insbesondere bei der Nutzung von Tauschbörsen ein gewerbliches Ausmaß bejaht worden ist. Der mit dem Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums im Jahre 2008 eingeführte urheberrechtliche Auskunftsanspruch hat insbesondere durch die Tatbestandsvoraussetzung in gewerblichem Ausmaß für höchst unterschiedliche Rechtsprechung an deutschen Gerichten gesorgt. Im Zusammenhang mit der gerichtlich erwirkten Providerauskunft über die ermittelten Anschlussinhaber ist hier insbesondere der Drittauskunftsanspruch gem. 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG Anlass zahlreicher Gerichtsentscheidungen gewesen. Zwar hat der BGH entgegen der Gesetzesbegründung letztendlich entschieden, dass es für einen solchen Auskunftsanspruch ausreicht, dass allein der Provider (wie in jedem Fall unproblematisch gegeben) die für die rechtsverletzende Tätigkeit genutzten Dienstleistungen selbst in gewerblichem Ausmaß erbracht hat. Da die Instanzgerichte zuvor aber durchweg vom Erfordernis einer doppelten Gewerbsmäßigkeit ausgegangen waren, ist in diesem Zusammenhang eine umfangreiche Rechtsprechung zur Frage des gewerblichen Ausmaßes der Rechtsverletzungen in Filesharing-Fällen entstanden. Die extremste Ansicht zugunsten der Rechteinhaber vertrat hier das OLG München, indem es mit Beschluss vom 26. Juli 2011 (Az.: 29 W 1268/11) entschied: Einer Rechtsverletzung, die im Angebot einer Datei mit urheberrechtlich geschütztem Inhalt auf einer Internet-Tauschbörse liegt, kommt grundsätzlich gewerbliches Ausmaß zu, ohne dass es weiterer erschwerender Umstände bedürfte. Verwiesen wurde dabei nicht nur auf die theoretisch unkontrollierte Verbreitung an eine Vielzahl von Personen, sondern auch auf einen zumindest mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil. Nicht ganz so weitgehend ist die diesbezügliche Rechtsprechung des OLG Köln. Ein gewerbliches Ausmaß wird aber auch hier beim Vorliegen bestimmter Kriterien angenommen. Das gewerbliche Ausmaß kann sich nach dem OLG Köln sowohl aus dem Wert des angebotenen Werkes (Beschluss vom 3.11.2008-6 W 136/08, für ein Computerprogramm, dessen aktuelle Version 499,00 Euro kostet) als auch daraus ergeben, dass eine hinreichend umfangreiche Datei in ihrer aktuellen Verwertungsphase über Tauschbörsen veröffentlicht wird. Dies sei zunächst in dem in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses genannten Fall anzunehmen, dass eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in 5

Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird (BT-Drucks. 16/8783, S. 50). Bei den in der Praxis häufigen Fällen von Filmen oder Musikalben sei dies innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung in der Regel der Fall, wobei es bei Kinofilmen nicht auf den Kinostart, sondern auf das Datum der DVD- Veröffentlichung ankomme (OLG Köln, Beschluss vom 27.12.2010, Az.: 6 W 155/10). Unerheblich sei es zudem etwa bei Musikalben, ob der Verletzte Rechte an dem gesamten Musikalbum innehabe oder nur an einem einzelnen Titel. Es genüge insofern, dass eine Rechtsverletzung gewerblichen Ausmaßes vorliegt; nicht erforderlich sei es dagegen, dass der Antragsteller selbst in diesem Ausmaß in seinen Rechten verletzt ist. Geht man also davon aus, dass die geplante Streitwertdeckelung jedenfalls dann unbillig ist, wenn die Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß stattgefunden hat, so würde die Streitwertdeckelung in all den Fällen keine Anwendung finden, in denen sich die abgemahnten Werke noch in der relevanten Auswertungsphase befanden und/oder die Abmahnung aufgrund von mehreren Rechtsverletzungen erfolgt ist. Deckelung gem. 97a Abs. 2 UrhG: Ausgehend von der These, dass die Deckelung des Streitwertes bei einer erheblichen Rechtsverletzung ebenfalls unbillig ist, lohnt ein Blick auf die bisherige Rechtsprechung zu 97 a Abs. 2 UrhG. Die Einführung der Deckelung von Abmahnkosten in Ausnahmefällen gem. 97a Abs. 2 UrhG hat im Zusammenhang mit Filesharing aufgrund der in der Norm enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe zu höchst unterschiedlicher Rechtsprechung geführt. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus. Die Auffassung, dass die Deckelung auf 100,00 Euro in Tauschbörsenfällen grundsätzlich Anwendung findet (so etwa AG Frankfurt am Main, Urteil vom 1. Februar 2010, Az.: 30 C 2353/09-75), bildet dabei bislang die absolute Ausnahme. Auf der anderen Seite gibt es viele Gerichte, die eine Anwendbarkeit des 97a Abs. 2 UrhG allein aufgrund der Funktionsweise von Filesharing-Systemen verneinen (so zum Beispiel AG München, Urteil vom 11.11.2009, Az. 142 C 14130/09). Das Anbieten urheberrechtlich geschützter Werke an einen unbestimmten Kreis von Nutzern sei insofern nicht vergleichbar mit den in der Gesetzesbegründung genannten Beispielen für eine unerhebliche Rechtsverletzung (Einfügung eines Stadtplans auf einer privaten Internetseite, Verwendung eines Lichtbilds im Rahmen eines Verkaufsangebots einer Internet-Auktionsbörse). Das Landgericht Köln (Urteil vom 21. April 2010 28 O 596/09) verneinte zudem auch das Tatbestandsmerkmal des einfach gelagerten Falles, da es sich offensichtlich um eine komplexe Materie handele. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Person des Verletzers streitig ist beziehungsweise vom Abgemahnten eine andere Person als Verletzer genannt wird. Zum Teil stellt das Landgericht Köln aber auch auf die Art des Werkes ab. Danach liege jedenfalls dann kein Bagatellverstoß im Sinne von 97a Abs. 2 UrhG vor, wenn nicht nur ein einzelner Musiktitel, sondern ein ganzes Musikalbum (Urteil vom 21. April 2010 28 O 596/09) oder ein Kinofilm (Urteil vom 11. Mai 2011 Az. 28 O 763/10) angeboten werde. Das LG Berlin (Beschluss vom 3. März 2011 Az. 16 O 433/10) schränkt hier weiter ein, indem es darauf abstellt, ob sich das abgemahnte Werk (hier: ein Kinofilm) noch in der relevanten Verwertungsphase befindet. Hierbei wird dann wieder auf die bereits behandelten Grundsätze im Zusammenhang mit dem gewerblichen Ausmaß 6

zurückgegriffen (grundsätzlich sechs Monate nach Veröffentlichung, in Ausnahmefällen auch mehr oder weniger). Betont werden muss jedoch, dass den wenigen Urteilen zu diesem Themenkomplex nur zu entnehmen ist, wann eine Rechtsverletzung nicht unerheblich ist. Daraus lässt sich nicht zwingend schlussfolgern, dass nicht unerhebliche Rechtsverletzungen zwangsläufig erheblich sind. Letztlich enthalten die Urteile allerdings viele Argumente, die darauf schließen lassen, dass zumindest die Gerichte in Köln, München und Berlin von einer erheblichen Rechtsverletzung durch den Tausch aktueller urheberrechtlicher geschützter Werke ausgehen. c) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Rechtsprechung zur aktuellen Deckelung gem. 97a Abs. 2 UrhG ebenso wie zum gewerblichen Ausmaß gem. 101 UrhG dazu tendiert, die Nutzung von Tauschbörsen in vielen Fällen als schwere Rechtsverletzung einzustufen. In solchen Fällen dürfte die vorgesehene Streitwertdeckelung als unbillig anzusehen sein. Eine Analyse der differenzierenden Ansichten zeigt im Ergebnis, dass ausgehend von den in der Gesetzesbegründung genannten Kriterien der Anzahl und Schwere der Rechtsverletzung neben dem Wert des abgemahnten Werkes insbesondere die Aktualität von Bedeutung ist. 4. Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung auf typische Abmahnkonstellationen in der Praxis Anhand der in der Rechtsprechung zu den 97a Abs. 2 und 101 UrhG entwickelten Kriterien soll nun im Hinblick auf die momentan fünf wichtigsten Abmahnkonstellationen im Zusammenhang mit der Nutzung von Filesharing-Systemen ermittelt werden, ob und inwiefern bei diesen die Gefahr besteht, dass sie unter die Ausnahmeregelung des 49 Abs. 1 Hs. 2 GKG-E fallen. Die prozentuale Verteilung der abgemahnten Werkarten gestaltet sich nach Auswertung der letzten 254 Anfragen potentieller Neumandanten (Zeitraum: 25.4.2013 bis 6.5.2013), die wegen Filesharing abgemahnt worden sind, wie folgt: 7

Abb. 1: Verteilung der Werkarten bei Filesharing-Abmahnungen a) Kinofilme Kinofilme machen mit 33,46 Prozent den größten Anteil der Abmahnungen wegen Filesharings aus. Dabei handelt es sich zumeist um aktuelle Werke, deren relevante Auswertungsphase jedenfalls hinsichtlich der DVD/bluray-Verwertung noch nicht abgeschlossen ist. Zum Teil sind die Filme auch noch gar nicht in den deutschen Kinos gelaufen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Rechtsprechung dürfte daher regelmäßig von einer das übliche Maß übersteigenden Schwere der Rechtsverletzung auszugehen sein. b) Fernsehserien In jüngster Vergangenheit nehmen auch Abmahnungen wegen des Anbietens von Fernsehserien einen bedeutenden Anteil ein: 21,26 Prozent. Wird wegen der Verbreitung von Fernsehserien abgemahnt, handelt es sich hierbei zumeist um Serien aus dem englischsprachigen Raum, wobei die angebotenen Folgen zum Teil auf dem deutschen Markt noch gar nicht erhältlich sind. Zu beachten ist in dieser Kategorie zudem, dass in der Regel wegen einzelner Folgen abgemahnt wird, was in vielen Fällen dazu führt, dass Mandanten von ein und demselben Rechteinhaber mehrfach abgemahnt werden. Der Produktionsaufwand beziehungsweise wirtschaftliche Wert dürfte daher in der Regel mit dem von Kinofilmen vergleichbar sein. Auch für aktuelle Fernsehserien gilt insofern das oben gesagte. Abmahnungen aufgrund mehrerer Folgen könnten zudem die übliche Anzahl von Rechtsverletzungen überschreiten. Das übliche Maß wäre dann in mehrfacher Hinsicht überschritten. 8

c) Pornografische Filme Für Abmahnungen wegen des Anbietens pornografischer Filme (15,75 Prozent) ist eine allgemeine Aussage bezüglich der relevanten Auswertungsphase schwierig. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich (wie nicht selten) um reine Internetveröffentlichungen handelt. Die Produktionskosten sind jedenfalls deutlich geringer als etwa bei Kinofilmen. Eine im Einzelfall in relevantem Ausmaß vom üblichen Maß abweichende Anzahl oder Schwere der Rechtsverletzung dürfte insofern auch für die Rechteinhaber schwierig darzulegen und zu beweisen sein. Auf der anderen Seite kann es aber auch im Bereich der pornografischen Filme zu Mehrfachabmahnungen kommen. d) Musikalben / Sampler Abmahnungen wegen der Verbreitung von Musikalben und kompletten Samplern (14,17 Prozent) beziehen sich schon heute in aller Regel auf aktuelle und zumeist auch erfolgreich in den Charts vertretene Werke. Ein entsprechender Nachweis, etwa anhand von Chart-Platzierungen, dürfte auch in einem möglichen Gerichtsverfahren keine großen Probleme eröffnen. Die Ausnahmeregel dürfte insofern regelmäßig Anwendung finden. e) Singles / einzelne Musiktitel Werden Mandanten nur wegen eines einzelnen Musiktitels abgemahnt (9,06 Prozent), steckt zumeist ein so genannter Chart-Container dahinter. Dies bedeutet, dass etwa alle Titel der aktuellen deutschen Charts (German Top 100) in einer komprimierten Datei über Tauschbörsen angeboten worden sind. Auch wenn das Anbieten eines einzelnen Musiktitels für sich genommen noch nicht als vom üblichen Maß abweichend einzustufen ist, könnte hier seitens der Rechteinhaber immer mit Aktualität, Erfolg sowie der hohen Anzahl an insgesamt angebotenen Musikstücken argumentiert werden. Die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. f) Sonstiges Die übrigen Werkarten (zum Beispiel Hörbücher, ebooks oder Software) machen für sich genommen nur einen sehr kleinen Teil der gesamten Filesharing-Abmahnungen aus. Auch hier gilt aber im Wesentlichen das Gleiche wie für die meisten bisher genannten Konstellationen. Spätestens seit der bereits zitierten Rechtsprechung des OLG Köln zum Auskunftsanspruch gem. 101 UrhG werden in erster Linie solche Werke abgemahnt, die sich noch in der relevanten Auswertungsphase befinden und in der Regel auch einen nicht unerheblichen wirtschaftlichen Erfolg aufweisen. Dies rührt 9

zweifellos auch daher, dass entsprechend nachgefragte Werke zu höheren Quoten bei den Ermittlungen führen. Die Ausnahme bilden dagegen solche Werke (zum Beispiel einzelne Software-Titel), die auf dem realen Markt offensichtlich kaum verbreitet werden. Derartige Software ist in der Regel nicht nur den abgemahnten Mandanten selbst überhaupt kein Begriff. Die Hintergründe der Abmahnung sind oft unklar. In solchen Fällen wird es den Rechteinhabern jedenfalls in einem gerichtlichen Verfahren schwer fallen, eine besondere Schwere der Rechtsverletzung zu beweisen. 5. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bereits bei den meisten heutzutage aufgrund von Tauschbörsennutzung versandten urheberrechtlichen Abmahnungen davon auszugehen wäre, dass die Ausnahmeregelung des 49 Abs. 1 Hs. 2 GKG-E von der Rechtsprechung angewandt würde. Die ermittelten Kriterien für eine Unbilligkeit der Streitwertdeckelung (Aktualität und/oder mehrere Rechtsverletzungen) werden jedenfalls in den Kategorien Kinofilm, Fernsehserie, Musikalbum und Musik- Single (zusammen zirka 78 Prozent aller Filesharing-Abmahnungen) in den allermeisten Fällen erfüllt. Es besteht insofern die große Gefahr, dass aufgrund dieser Ausnahmeregelung die Streitwert-Begrenzung des 49 Abs. 1 Hs. 1 GKG-E in der Praxis ebenso selten zur Anwendung kommt wie die aktuelle Deckelung gem. 97a Abs. 2 UrhG. Zu anderen Ergebnissen in Einzelfällen könnte es wohl allenfalls aufgrund der geänderten Beweislast kommen, wenn der Rechteinhaber das besondere Ausmaß der Rechtsverletzung nicht beweisen kann. Wie oben dargestellt, wäre dies aber wohl nur im Bereich pornografischer Filme (15,75 Prozent aller Filesharing-Abmahnungen) oder sogenannter Pseudo-Software zu erwarten, und dies auch erst dann, wenn es hier zu gerichtlichen Verfahren kommt. Insofern wäre erst einmal damit zu rechnen, dass sich auch in solchen Fällen die Rechteinhaber zunächst auf die Ausnahmeregelung berufen. Wenn sie hierbei nicht nur auf die Funktionsweise von Filesharing-Systemen abstellen, dürfte es im Rahmen der Abmahnungen nicht viel Phantasie benötigen, um den Ausnahmetatbestand zumindest scheinbar zu erfüllen. 10