Predigt von Pastorin Lisa Tsang 21. Sonntag nach Trinitatis 16. Oktober 2016 Epheser 6, 10-17 Gnade sei mit euch und Friede von dem der da ist, der da war und der da kommt. Amen. Liebe Gemeinde, nach einer turbulenten Woche und der Aussicht, dass auch die nächste wieder viele Herausforderungen bereithalten wird, hätte ich mich über einen Text gefreut, der Ihnen und mir ein wenig Erholung gegönnt hätte. Einen, den wir vielleicht innerlich hätten mitsprechen können, irgendwas Beruhigendes, Bestärkendes. Aber das ist heute Morgen nicht die Aufgabe: Vom Wochenspruch über das Evangelium bis zum Predigttext wohin das lesende Auge auch geht, es wartet die Aufforderung es sich NICHT kommod zu machen. Der Wochenspruch aus dem Römerbrief bürstet unsere Welt wie wir sie erleben gegen den Strich: Überwinde das Böse durch Gutes! Und vorher: Lass dich nicht vom Bösen überwinden! Mit anderen Worten: widersteh und sei phantasievoll die ausgetretenen Pfade der Vergeltung zu verlassen. Gib nicht nach, wenn das Böse dich bedroht oder wenn es dir weismacht, sein Weg sei der Richtige, der Bessere, womöglich auch der leichtere. Was auch immer das Böse sein mag!
- 2 - Da hatten es die Vorfahren doch erheblich leichter, wenn ich der bildenden Kunst gerade des Mittelalters und danach glauben kann. DAS Böse gibt es das überhaupt oder trägt nicht DAS Böse so unendlich viele Masken, die oft sehr hübsch, auf jeden Fall verlockender aussehen als DAS Gute. Schaue ich mich in diesen Tagen um, so erblicke ich zwar klassisch Böses, wie Gewalt in vielen offensichtlichen Formen, strukturell wie aktuell. Aber ich sehe auch die Tarnformen, die so harmlos daherkommen. Was soll denn schlimmes dabei sein, wenn man es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nimmt, sie vereinfacht, wo sie doch so kompliziert ist und sie ein wenig verdreht, damit sie zu meinen Ansichten passt? Was ist denn so furchtbar, wenn ich als Christin schweige, wenn der Nachbar oder die Nachbarin ihre Befürchtungen über die Fremdheit im eigenen Land äußert und ich darin eine Übertreibung im Laufe der Zeit wahrnehme, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt? Muss ich etwas sagen und es in Kauf nehmen, dass es nicht mehr so geschmeidig läuft im Gespräch? Wie sieht es aus, wenn mein Gegenüber beginnt, die Religion des anderen zu verunglimpfen? Stimme ich mit ein, es ist ja schließlich nicht mein Glauben, der herabgesetzt oder in Frage gestellt wird? Vielleicht geht es Ihnen ja auch manchmal so, dass Sie sich in solchen Situationen erst einmal hilflos fühlen, die richtigen Worte suchen, um angemessen zu reagieren. Der Theologe Martin Niemöller hat uns das immer noch wahre Diktum über ein Gemeinschaftsverständnis in komplizierten Verhältnissen hinterlassen: Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte. Wir können dieses Zitat auch auf unser Verhältnis zu unseren Glaubensgeschwistern im Islam und Judentum übertragen, die in unserem Land von nicht Wenigen verunglimpft werden oder auf sog. Randgruppen unserer Gesellschaft, denenfürsprecher in vielen Stammtischdebatten fehlen. Paulus Spruch ist kein gemütlicher Sinnspruch, sondern ein gutes Hilfsmittel, wenn wir heute über das Gelingen von Gesellschaft im komplexen Zusammenleben in einer globalisierten Welt nachdenken.
- 3 - Er fordert uns auf, kreativ zu sein, unüblich zu denken, vielleicht sogar mal den Kopfstand zu wagen, um danach unsere Welt wieder auf sichere Füße zu stellen. Was kann uns dabei helfen? Vielleicht versuchen wir es jetzt mit unserem Predigtext, so sperrig er auch ist mit seiner Waffenmetaphorik. Ihr Lieben, es waren diese militärischen Begriffe, die mich auf Abstand zu unserem Predigttext gehalten haben. Und ich denke, Ihr könnt das Nachvollziehen, hat Deutschland doch eine fatale Geschichte der Verquickung von Kirche, Gewalt und Militär hinter sich. Aber ein genauerer Blick lohnt sich dann doch um den Predigttext als Hilfe zum Handeln und Denken im Sinne Jesu und Paulus zu verstehen. Die Gemeinde in Ephesus, dieser kosmopolitischen Großstadt mit ihren vielen Religionen und Tempeln, musste Vertrauen lernen. Sie drohte der eigenen Verunsicherung zum Opfer zu fallen, ob denn ihr Glaube wirklich der wahre sei, wo es so viele andere Weisen gab zu glauben. Ephesus, die Stadt, die gerade ein goldenes Zeitalter durchlebte, als dieser Brief um 80 nach Christus an die Gemeinde geschrieben wurde. Die Gewinnerin war im globalisiert denkenden und handelnden römischen Reich. In kosmische Sphären verlagert der Autor dieses Briefes, der sich paulinischer Gedanken bedient, den Kampf des Glaubens und macht ihn zu einem finalen. Jeder und jede Christin in Ephesus als Waffenträgerin Gottes ein mich verstörendes, eher abstoßendes als anziehendes Bild. Aber was wird aus diesem Tableau, wenn ich versuche, es in meine kleine Welt zu übertragen? Das ist ein doppeltes Geschehen: Zum einen erweitere ich meinen eigenen Denk- und Handlungshorizont und zum anderen breche ich den kosmischen Zusammenhang auf meinen Alltag herunter. Kompliziert, aber denkbar. Ich erweitere meinen Horizont, indem ich mich in die Geschichte stelle als eine Perle, die mit vielen anderen aufgereiht ist in der Kette des Glaubens. Vor mir gab es diesen Glauben und er wird auch durch Gott selbst weitergehen. Er hängt nicht an mir. Ich, wir, sind kostbar und einzigartig für den Schöpfer des Kosmos.
- 4 - Aber er ist es, der uns hält und erhält. Das erleichtert meine Verantwortung. Das ist die Erweiterung des Horizonts. Sehe ich nun meine individuelle Situation als Christin, als Christ im Jahr 2016 in Hamburg an, stelle ich fest, dass die Anfechtung, von der gesprochen wird oder auch der Teufel mir zunächst fremd bleiben. Was aber würden sie für mich, für Euch bedeuten, wenn aus dem Teufel der Vater der traurigen Sorgen und des unruhigen Umtreibens wird, wie Martin Luther es in einem Brief schreibt? Da bekomme ich diese Größen eher zu fassen. Dann kann ich es so beschreiben, dass die Anfechtung darin besteht, angesichts der unendlich großen Aufgaben in der Welt mich in einer totale Überforderungssituation gefangen zu fühlen. Ich kann auf sie mit Depression reagieren und Defätismus da kannst du ja eh nichts ausrichten! Oder ich kann mich besinnen, was und wer mir in ähnlichen Situationen geholfen hat. Und vielleicht ist es gut, sich mal vorzustellen, welche Voraussetzungen zum Tragen dieser geistlichen Rüstung wir haben müssen. Die grundlegende ist, dass wir wissen: Wir sind verwundbar und bedürfen des Schutzes. Wer sich für unverwundbar hält, der nimmt nichts von diesem Schutz und Waffen an. Verwundbar zu sein ist für mich die Voraussetzung für Glauben. Wissend um meine Endlichkeit, meine Zweifel, ja, manchmal auch Verzweiflung, bedarf ich der Stärkung, der Aufrichtung, des Schutzes von Gott. Nackt und bloß bin ich im übertragenen Sinn. Der Epheserbrief rät uns, wenn wir uns schutzlos fühlen, Gottes Waffen und Rüstung anzulegen, die so ganz andere sind als die der Welt. Er rät uns nicht zur Coolness oder Gleichgültigkeit gegenüber unseren Mitmenschen und der Schöpfung. Vielmehr wird uns geraten, die Wahrheit ganz nahe um uns zu legen um unsere Lenden. Die Wahrheit, komplex und nicht schlicht, soll uns zusammenhalten, umgürten. Die Gerechtigkeit - und ich verstehe das als die Suche nach ihr, die wir nicht haben, die uns nur von Gott zugeteilt werden kann möge uns schützen vor den Zumutungen, die gerade aus der Ungerechtigkeit in ihren vielfältigen Formen entstehen. Eintreten sollen wir für das Evangelium, die frohe Botschaft des Friedens, dass Gott uns immer noch sucht und finden will. Dass er Versöhnung stiften will mit sich, zwischen uns und mit der Schöpfung. Dafür sollen wir gestiefelt und gespornt sein und Wege auf uns nehmen, auch beschwerliche, mühselige, anstrengende.
- 5 - Und schließlich wird uns der Schild des Glaubens helfen: Zu glauben, dass Gott nicht nur uns retten wird, sondern auch jeden Menschen, der sich auf ihn verlassen will. Das macht uns stark, den Zweifeln und dem Hochmut zu widerstehen, wir hätten das Heil gepachtet. Ihr Lieben, Gott schickt uns nicht schutzlos ins Glaubensleben, das wir jeden Tag neu erleben, oft zu erkämpfen haben. Karl Rahner, der große katholische Theologe sagt dazu: Gott ist nicht der, der immer schon hart als unüberwindliches Hindernis dasteht, wenn wir die verkehrten Wege gehen. Er ist die größere Güte, die heiligere Gerechtigkeit, die selbst noch das Böse zum Guten wenden kann, nicht einfach dadurch, dass sie dieses Böse niederschlägt. Wir können auf die Geduld Gottes mit uns rechnen, selbst so könnte man beinahe sagen mit einer heiligen Unverschämtheit rechnen. Aber sagt: Müssten dann unsere Nächsten und die Fernen mit einer solchen Gesinnung nicht auch bei uns rechnen können? Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.