Weiterentwicklung und Steuerung der Hilfen zur Erziehung. Anhörung am in Mainz

Ähnliche Dokumente
Neuregelung oder Vereinheitlichung der Systeme: Bundesteilhabegesetz. Lösungen im SGB VIII

Bundespressekonferenz

Fachliche Grundlagen der Beratungstätigkeit. des Landesjugendamtes. zur Verfahrensweise im Rahmen. der Begleitung und Förderung

Inklusion von Kindern mit (drohender) Behinderung in die Kinder- und Jugendhilfe

Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen

Die Planung von Hilfen in der Kinder- und Jugendhilfe & in der Behindertenhilfe im Vergleich. Prof. Dr. Albrecht Rohrmann

SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

drobs Halle Ambulant Betreutes Wohnen Halle / MSH

Voraussetzungen für gelingende Inklusion im Bildungssystem aus Sicht der Jugendhilfe

Leitbild. des Jobcenters Dortmund

Inklusion braucht Information und Beratung

Herzlich willkommen zum Workshop: Inklusion und Frühförderung Was braucht es an Kooperation?

- Diskussionsforum zur Schnittstelle zwischen Arbeitsverwaltung und Jugendhilfe - Diana Eschelbach. Jugendberufshilfe

Bundesrat Drucksache 309/15 (Beschluss) Beschluss des Bundesrates

die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Antrag für eine

SCHULINTEGRATION IN KONZEPTION REGEL- UND FÖRDERSCHULEN 54 SOZIALGESETZBUCH XII

im Freiwilligen Sozialen Jahr ( FSJ )

Wie wollen Menschen mit Behinderung wohnen? Zusammenwirken von Sozialraum und Menschen mit Behinderung Empfehlungen aus der Berliner Kundenstudie

Wir machen Sie fit für die Zukunft Seite 1 von 5 Seiten RA Torsten G. Blach. Einführung ins KJHG

WORKSHOP. Berlin Sept.2015

Das Bundesteilhabegesetz

Wo stehen die Frühen Hilfen?

Ombudschaften. auch nützlich für. Jugendhilfeausschüsse & Jugendämter

Vom Kind aus denken?!

Gemeinsame Erziehung von Kinder mit und ohne Behinderung in. im Rheinland

Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung

Gesetzliche Grundlagen der Jugendhilfe Unterstützungsmöglichkeiten und Angebote Voraussetzungen der Inanspruchnahme von Leistungen

Deutscher Caritasverband

Eingliederung der Sozialhilfe in das SGB XII. Darstellung der wesentlichen Änderungen und der neuen Anforderungen


Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit Zuständigkeiten, Kooperationen und Abgrenzungen zwischen kreisangehörigen Gemeinden und Landkreisen

Tagesstrukturierende Maßnahmen für Menschen mit Behinderung und/oder psychischer Erkrankung im Ruhestand

Konzeptbaustein. Ambulant Betreutes Wohnen für Menschen mit psychischen Behinderungen

Elternmitwirkung in Kindertageseinrichtungen

Der Bedarf von Senioren mit Behinderung als Anforderung an den Sozialhilfeträger

Integration und Inklusion behinderter (Klein-)Kinder und ihrer Familien ein neues Thema für die Kinder- und Jugendhilfe?

Sozialarbeit an Grundschulen im Landkreis Verden zur Weiterentwicklung der inklusiven Beschulung

Das Persönliche Budget

Interkulturelle Öffnung im Kinderschutz

Konzeption für das Ambulant Betreute Wohnen psychisch Kranker

Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UmF) im Landkreis Bad Kreuznach

Landesverband der Gehörlosen Thüringen e.v.

Arbeitshinweise des Rheinischen Sozialamt:

Rahmenkonzept für Schulsozialarbeit in Jena

Beschäftigung von besonders betroffenen Menschen mit Behinderungen und Werkstätten für behinderte Menschen

Umsetzung des Persönlichen Budgets in der Eingliederungshilfe. Erfahrungen aus der Praxis am Beispiel der Stadt Emden

Berufliche Teilhabe psychisch beeinträchtigter Menschen. Sozialrechtliche Flankierung personenzentrierte Hilfe

Reform SGB VIII: Rück- oder Weiterentwicklung?

Macht Eingliederungshilfe süchtig?

So gelingt Zusammenarbeit mit Eltern!

Aktuelle Entwicklungen der Kinder- und Jugendhilfe auf Landesebene

Jahresbericht der Jugendhilfeplanung

Arbeits- und Wohnungslosenhilfe UNSER LEITBILD

MEINE PERSPEKTIVE. ist sehr persönlich

Inklusion bedeutet Vielfalt!

Schnittstellen Was können die unterschiedlichen Systeme an- und ausrichten? 10. Mai 2012

Ambulant Betreutes Wohnen -Eingliederungshilfegemäß 53, 54, 67 ff. SGB XII. Konzeption

AGJ Fachtagung Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven der Kinder- und Jugendhilfe am 11./ , Berlin

Der ergänzende Lohnkostenzuschuss nach diesem Programm wird auf Grundlage des 53 Abs. 3 SGB XII als freiwillige Leistung gewährt.

Rechtsgrundlagen und Leistungsbereiche der Familienpflege

Auf dem Weg zur Inklusion. Erreichtes und aktuelle Entwicklungen in den städtischen Kindertageseinrichtungen

Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) - Kinder- und Jugendhilfe. 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe

13. Wahlperiode

Positionspapier Inklusion in Bildungseinrichtungen des Fachbereichs Bildungseinrichtungen

Das neue Bundesteilhabegesetz und seine Bedeutung für Integrationsunternehmen

Berufliche Reha wer leistet was

Magistrat der Universitätsstadt Marburg, Jugendamt. Thesen zum Thema

Kommunale Qualitätszirkel für (offene) Ganztagsschulen in Nordrhein- Westfalen

DIJuF Interaktiv Stand:

Fachtag: Die heilpädagogische Dienstleistung zwischen Profession und Verwaltung

Staatliche Förderung der strukturellen Weiterentwicklung kommunaler Familienbildung und von Familienstützpunkten

2 Die mehrdimensionale Diskriminierung behinderter Frauen - Daten, Hintergründe, Erklärungsansätze 25

Der Lüner Dialog. Auf dem Weg zur Inklusion in Lünen. - Inpulsreferat Roland Borosch, MAIS NRW -

Fragen im Rahmen dieser Tagung

Eckpunkte für eine inklusive Kindertagesstätte

Gliederung. 1. Einleitung 12


Christophorus-Werk im Überblick

Das Jugendamt. besteht von Vorläufern abgesehen seit der Weimarer Republik (RJWG 1922)

c/o mcw Wuhrmattstrasse Zofingen Charta zur Qualität familienergänzender Kinderbetreuung

Kompetenzzentrum Inklusive Stadtteilarbeit

Gute Jugendhilfeplanung als Steuerungsinstrument in der kommunalen Kinder- und Jugendpolitik: ein Steuerungsinstrument auch für Qualitätsentwicklung?

Die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. Einflussmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde

Leitbild. geschäftsstelle obstgartensteig 4 ch-8006 zürich t: +41 (0) f: +41 (0)

Gemeinsam stark die Selbstorganisation

UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Richtlinien für die öffentliche Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe durch den Landkreis Prignitz

Die Entwicklung der Schulsozialarbeit

Familienbesuch Willkommen oder Heimsuchung?

Aktion 1000 Perspektive 2020 und zur

Niedrigschwellige Angebote Umsetzung der Anerkennung durch die Länderverordnungen. Umsetzung in Nordrhein-Westfalen

Auswirkungen des SGB II auf Freie Träger

11. Sozialgesetzgebung

Medizinische Versorgungszentren (MVZ)

FlexsiS. Flexibel strukturierte Integrationshilfe an Schulen. Siedlungsschule Realschuleplus Speyer

61 und 63 Abs. 3 SGB IX Budget für Arbeit

Kooperative Sozialplanung

Vereinbarung. zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses. gemäß 30 a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) für

Kooperationsvereinbarung. zwischen dem ambulanten Hospiz. und. (SAPV-Team)

Fortschreibung des Konzeptes der Fachberatung für den Bereich der kommunalen Kindertageseinrichtungen

Transkript:

Stellungnahme der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH e.v.) zur Anhörung der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugend- und Familienbehörden AGJF Weiterentwicklung und Steuerung der Hilfen zur Erziehung Anhörung am 10.12.2013 in Mainz Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) Galvanistrasse 30 D-60486 Frankfurt am Main E_Mail: igfh@igfh.de Web: www.igfh.de 1

Leitfrage 6: Inklusion von Kindern mit Behinderung Die AG,Inklusion von Kindern mit Behinderung hat die Einführung einer neuen Leistung Hilfe zur Entwicklung und Teilhabe als einzelfallbezogene Hilfe vorgeschlagen, unabhängig davon, ob es sich um einen erzieherischen oder behinderungsspezifischen Bedarf handelt. - Was sind die Konsequenzen für die Hilfen zur Erziehung? Was ist bei der Ausgestaltung der neuen Leistung zu beachten? Die mit der Großen Lösung im SGB VIII zu verbindende Zielsetzung der Inklusion ist mit der bloßen Zuständigkeitsverlagerung noch nicht gewährleistet. Inklusion, hier verstanden als gleichberechtigte Teilhabemöglichkeit aller Menschen in der Gesellschaft ohne behindernde Barrieren, setzt nicht nur inkludierende Teilhabe- und Leistungsrechte, sondern in besonderem Maße auch eine entsprechende strukturelle und organisatorische Ausgestaltung der jeweiligen gesellschaftlichen Bereiche und damit auch der Kinder- und Jugendhilfe voraus. Mit der Schaffung eines inkludierenden individuellen Leistungsrechts in der Kinder- und Jugendhilfe wie etwa der angedachten Hilfe zur Entwicklung und Teilhabe allein ist es damit noch nicht getan. Das Verfahren zur Gewährung der Hilfe, die einzelnen Leistungsangebote selbst sind organisatorisch und strukturell so zu gestalten, dass sie Inklusion ermöglichen. 2

a) Was ist bei der Ausgestaltung der neuen Leistung zu beachten? Die Inklusionsperspektive erfordert einen Ausbau des Umwelt- und- Sozialraumbezugs der Kinder- und Jugendhilfe. Der Auftrag, dazu beizutragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen zu erhalten oder zu schaffen ( 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII), müsste einer der wesentlichen Bestandteile einer Hilfe zur Entwicklung und Teilhabe sein. Die Kinder- und Jugendhilfe kann und darf nicht getrennt von den anderen zur Inklusion verpflichteten Bereichen der Gesellschaft zu sehen. Inklusive Konzepte der Kinder- und Jugendhilfe können letztlich nur im Kontext von inklusiven Konzepten z.b. der Schule und des Ausbildungsmarktes wirksam werden. Die Kinder- und Jugendhilfe muss sich vielmehr vergegenwärtigen, dass bereits Hilfe zur Erziehung in der Regel eine Antwort auf gesellschaftliche Ausgrenzungsund Selektionsprozesse ist. Exklusion durch soziale Benachteiligung stellt häufig den Beginn und den Auslöser von Hilfen zur Erziehung dar. Armuts- und soziale Ausschlussphänomene dürfen nicht im Rahmen einer an die Entwicklungspsychologie angelehnten Begrifflichkeit individualisiert werden. Die Kinder- und Jugendhilfe ist schon jetzt vielfach Ausfallbürge für andere exkludierende Systeme, insbesondere der Schule. Die parallel zu erfolgende inklusive Entwicklung anderer gesellschaftlicher Systeme, insbesondere der Schule, aber auch anderer Leistungsbereiche des SGB VIII wie dem Kindertagesstättenbereich, könnten und sollten hier eine regulierende Funktion haben. Die Vor- und Nachrangigkeiten der unterschiedlichen Bereiche einschließlich Regelungen zu Kostenerstattungs-Ansprüchen wären gesetzlich konkret(er) zu regeln, um Verschiebebahnhöfe zu vermeiden. Der große gesellschaftliche Entwicklungsbedarf in Sachen Inklusion muss daher mit in den Blick genommen werden, soll Jugendhilfe nicht als Ausfallsbürge für exkludierende Subsysteme der Gesellschaft fungieren. Die Frage nach den Befähigungen beinhaltet die Forderung an die Gesellschaft, aktiv zur Entwicklung aller Mitglieder der Gesellschaft beizutragen. Ein abschließender Leistungskatalog ist bisher weder im Bereich Hilfe zur Erziehung noch in der Eingliederungshilfe vorhanden und sollte auch für einen neuen Leistungstatbestand nicht eingeführt werden. Er würde der Vielfalt der Lebenssachverhalte nicht gerecht. Alle bisher als Hilfe zur Erziehung und Eingliederungshilfe möglichen Leistungen sind in diesen Katalog zu übernehmen. Im Laufe der Zeit ist jede (auch schon etablierte) Leistung einem Inklusions-Check zu unterziehen und daraufhin zu überprüfen, ob sie Inklusion tatsächlich stützt, und ggf. unter dieser Perspektive zu variieren. 3

Unter Inklusionsperspektive ist es notwendig, neben einem Katalog individueller Leistungen eine Gewährleistungsverpflichtung der öffentlichen Jugendhilfe ins Gesetz aufzunehmen, um die organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen (u.a. Finanz- und Personalressourcen) für Inklusion in der Jugendhilfe zu garantieren. Gleichzeitig ist mit Blick auf die Verwirklichung der Umwelt- und Sozialraumperspektive eine Verpflichtung der öffentlichen Jugendhilfe (sowie der freien Träger) zur Kooperation mit anderen gesellschaftlichen Bereichen (mit dem Ziel der Abstimmung und Unterstützung der jeweiligen inklusiven Bemühungen) gesetzlich abzusichern. Der Inklusionsgedanke ist als Zielformulierung der Kinder- und Jugendhilfe sowohl in 1 wie auch 9 SGB VIII aufzunehmen. Anspruchsberechtigte der neuen Hilfe können nach Auffassung der IGfH nur die jungen Menschen selbst sein. Ein Rückbau der Rechtsposition gegenüber 35a SGB VIII ist unter Kinderrechtegesichtspunkten nicht vertretbar. Die mit der den Kindern und Jugendlichen zugeordneten Anspruchsinhaberschaft der neuen Hilfe gleichzeitig verbundene Verlagerung des Rechts auf erzieherische Hilfe nach 27 SGB VIII auf die Kinder und Jugendlichen wird in Fachkreisen seit langem gefordert. Mit Erreichen der Volljährigkeit sollte den jungen Menschen mit besonderem Bedarf an Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der selbstbestimmten, gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (vgl. 1 SGB IX) ein längerer Verbleib in der Jugendhilfe ermöglicht werden. Dem Ablöseprozess eines Menschen z.b. mit geistiger Behinderung ist ausreichend Zeit einzuräumen. Aus Gründen der Rechtsklarheit sind eindeutige Voraussetzungen dafür im Gesetz zu schaffen. Denkbar wäre eine generelle Festlegung der Altersgrenze auf das 27. Lebensjahr, verbunden mit Kostenerstattung durch die Sozialhilfeträger ab dem 21. Lebensjahr. Vermutlich werden bei einer Hilfe zur Entwicklung nicht alle Entscheidungen über Teilhabeleistungen (z.b. Hilfsmittel) der Vorbereitung durch eine Hilfeplanung bedürfen. Die Befürchtung besteht, dass in diesem Zusammenhang die in der Jugendhilfepraxis jetzt schon z.t. reduzierte Umsetzung der Hilfeplanung eine weitere Aushöhlung mit Hinweis auf vermeintlich nicht hilfeplannotwendige Teilhabeleistungen erfährt. Das Hilfeplanverfahren müsste gesetzlich neu abgesichert werden, (u.a. auch die hinzukommenden neuen Akteur_innen beispielhaft benennen), um zu verdeutlichen, dass es das zentrale inklusive Steuerungselement der Hilfe ist. Die Erweiterung der zu verhandelnden Thematiken und die Ausweitung des zu beteiligenden Personenkreises werden einen höheren Zeit- und Bearbeitungsaufwand bedeuten und entsprechend kostenrelevant sein. Bei einer Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für die Eingliederungshilfe gilt es, die Kostenheranziehungsregeln von Jugendhilfe 4

und Sozialhilfe zu harmonisieren und zu vereinheitlichen. Ziel muss es sein, inkludierende Regelungen zu finden, die den Betroffenen den Zugang zu den Hilfen ermöglichen und erleichtern. Unter rein struktureller Perspektive bieten sich auf den ersten Blick die Kostenheranziehungsregeln des SGB VIII an. Die Regelungen des SGB XII sind eher unsystematisch und auf Grund verschiedener weichenstellender Beurteilungsspielräume weniger transparent. Vor Klärung der Kostenheranziehungsfrage ist daher eine Erhebung der bisherigen Praxis der Kostenheranziehung nach SGB XII zu empfehlen, um den Vergleich zwischen den beiden Leistungssystemen verlässlich ziehen zu können. Ist Jugendhilfe ausschließlich für die Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen zuständig (d.h. für die nachrangige Erbringung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an der Gemeinschaft), ist sie über ihre bisherige Rolle als Rehabilitationsträger hinaus verstärkt in das System des Rehabilitationsrechts und damit in die Struktur des SGB IX eingebunden. Das betrifft u.a. das Persönliche Budget ( 17 SGB IX), die Zuständigkeitsfeststellung ( 14 SGB IX) und die Vernetzung und Zusammenarbeitspflicht mit den anderen Rehabilitationsträgern (vgl. 12 SGB IX). Notwendig ist aus Sicht der IGfH ein inhaltlich und zeitlich gut geplanter Implementierungsprozess, der u.a. folgende Elemente beinhaltet: - Kooperation der Führungs- und Fachkräfte der bislang getrennten Bereiche Jugendhilfe und Behindertenhilfe mit dem Ziel der Entwicklung eines neuen gemeinsamen Aufgabenverständnisses - Kooperation der Jugendämter und freien Träger mit den Behindertenverbänden, insbesondere den Selbsthilfeverbänden bei der Hilfegewährung - Sensibilisierung der politischen Verantwortungsträger in den Kommunen für die Bedeutung der Inklusionsthematik und die Notwendigkeit der Ausstattung der Jugendhilfe mit zusätzlichen Finanzressourcen insbesondere für Schulungen und Weiterbildungen der Fachkräfte und zur Förderung von Um und Neubauten von Jugendhilfeeinrichtungen - Beim Thema gemeinsame und fachübergreifende Fort- und Weiterbildungen sowie Schulungen könnten die Fachverbände für Erziehungshilfen und die Fachverbände sowie vor allem die Selbsthilfeverbände der Behindertenhilfe eng zusammenarbeiten Kooperation der Jugendhilfe mit den jeweiligen Schulen und Schulträgern - Da die Umsetzung des Inklusionsgedankens wesentlich von der Haltung der agierenden Fachkräfte abhängig ist, ist neben der Vermittlung spezifischen operativen Fachwissens in Schulungen die Ausbildung einer inklusiven Grundhaltung bedeutsam. - Eine flankierende Überzeugungsarbeit von Bund, Ländern und Kommunen, die z.b. mit kleinen Modellversuchen immer wieder versucht, einen lernenden 5

Prozess anzustoßen und Modelle guter Praxis sichtbar macht, wird notwendig sein. Aus Verantwortung für die Belange und die Erfüllung der Bedarfe der jungen Menschen mit Behinderung sollte eine Phase der Erprobung von Modellprojekten (mit wissenschaftlicher Begleitung und Evaluation) einer bundesweiten Implementierung vorgeschaltet werden. b) Was sind die Konsequenzen für die Hilfen zur Erziehung? Bei der Ausgestaltung der Hilfe ist zu beachten, dass vor allem in stationären und ambulanten Angeboten Zusammensein und Zusammenleben von jungen Menschen mit und ohne Behinderung tatsächlich ermöglicht wird und konzeptionell/methodisch abgesichert ist. Leben Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung z.b. in einer Regelgruppe zusammen, ist nach unserer Auffassung - sicherzustellen, dass genügend Mitarbeiter_innen mit spezifischem Wissen aus den Bereichen Behinderung und Rehabilitation (z.b. zu speziellen Kommunikationstechniken) sowie Sozialpädagogik und Fallverstehen für die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung zur Verfügung stehen. Hier sind vermutlich gegenüber reinen Gruppen von jungen Menschen mit Behinderung Kostensteigerungen zu erwarten. Weitere Konsequenzen sind: Es ist darauf zu achten, dass in gruppenpädagogischen Settings eine gute fachliche Integration der verschiedenen Professionen auf Augenhöhe gelingt. Die Kooperation muss von gegenseitigem Respekt vor dem Wert anderer professioneller Kompetenzen und dem Bewusstsein der Notwendigkeit multiprofessioneller Arbeit geprägt sein. Dieses verbietet selbstverständlich auch eine unterschiedliche Bezahlung und eine formale Hierarchisierung von Fachkräften mit unterschiedlichen Ausbildungen. Die Konzeption eines Angebotes müsste den umfassenden Leistungsauftrag der inklusionsorientierten Hilfe zur Entwicklung widerspiegeln. Es ist konzeptionell deutlich zu benennen, welche Aktivitäten sich auf individuellen Unterstützungsbedarf, auf die Herstellung einer inklusiven Organisationsstruktur der Einrichtung oder z.b. einer Gruppe und auf die Kooperation mit dem Umfeld/Sozialraum beziehen. Die Betreuungsdauer in Jugendhilfe- und Behinderteneinrichtungen ist in der Regel unterschiedlich. So geht stationäre Behindertenhilfe bei z.b. Menschen mit geistiger Behinderung von eher längerfristigen Betreuungen aus als es bisher in der Jugendhilfe im Rahmen der Hilfe zur Erziehung üblich ist. Evtl. wird hier bei Zuständigkeit der Jugendhilfe eine Erhöhung der Pflegefamilienunterbringung erfolgen (siehe Positionspapier der AGJ Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen vom 24./25.11.2011, S. 5f und S. 8f). 6

Das Recht des jungen Menschen mit Behinderung auf Schutz(raum) muss gewahrt sein. Schutz bedeutet einmal Schutz vor exkludierendem Verhalten z.b. von Mitgliedern einer stationären Wohngruppe. Schutzraum könnte u. U. notwendig werden, um besondere Bedarfe zur Verbesserung der Entfaltungsund Teilhabechancen zu erfüllen (vergleichbar vielleicht den Konzepten der geschlechtergetrennten und geschlechtergemischten Arbeitsweise zur Herstellung von mehr Chancengleichheit im Geschlechterverhältnis). In der Jugendhilfeplanung ( 80 SGB VIII) ist der Bedarfsbegriff um den Bedarf nach Teilhabeleistungen aller Kinder mit Behinderung zu erweitern. Es muss eine inklusive Jugendhilfeplanung konsequent entwickelt werden. Bei der Zusammensetzung der Jugendhilfeausschüsse ist zu garantieren, dass die Einrichtungen, die inklusive Hilfe zur Entwicklung anbieten, angemessen vertreten sind. Der Aufgabenbereich der Ausschüsse sollte in 71 Abs. 2 SGB VIII einen ausdrücklichen Hinweis auf Weiterentwicklung der Jugendhilfe in Richtung Inklusion enthalten. Die Langfassung unserer Ausführungen zu diesem Themenbereich siehe unter: Häbel, H./ Koch, J. (2012): Statement der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) im Rahmen der Anhörung bei der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung/ Große Lösung ; in: Forum Erziehungshilfen Heft 3/2012, S. 184-188. 7