Vorstellung der Bewegungsstudie Realschule Kirn/Uni Mainz durch Studienleiterin Frau Henz beim
Einleitung Kognitive Leistungsfähigkeit gehört zu den zentralen Aspekten für einen effektiven Schulunterricht. Untersuchungen legen nahe, dass entgegen der landläufigen Meinung eine enge Verbindung zwischen Motorik und Kognition besteht (Pellecchia 2003), wobei unterschiedliche Ansätze wie Altersbezug oder Art und Weise der motorisch-kognitiven Aufgaben ein weites Forschungsfeld eröffnen und unterschiedliche Schlussfolgerungen über den Zusammenhang zulassen (Vgl. Anderson et.al. 2001; Makizako et.al. 2013; Van Impe et.al. 2012; Woollacott / Shumway-Cook 2002). In der vorliegenden Studie wurde auf der Grundannahme einer positiven Beeinflussung der kognitiven Leistungsfähigkeit durch einen erhöhten Anteil von Bewegung die Lösefähigkeit bei Algebra sowie die subjektive Einstufung der Befindlichkeit geprüft. Damit einhergehend sollte eine grundlegende Tauglichkeit von beweglichen Sitzmöbeln in der Unterrichtspraxis überprüft werden. Methoden Setting. Zwei Schulklassen der neunten Klasse einer Realschule-Plus (Rheinland-Pfalz) bildeten die Versuchsgruppen. Die Interventionsklasse (n=26, 15 weiblich) wurde mit fünfzehn beweglichen Sitzhockern Leitner Wipp (Leitner Ergomöbel, Lohnsburg, AT) teilweise ausgestattet. Zum Praxistest wurden weiter zwei höhenverstellbare Pulte ScholarFlex (Novex, Offenbach, DE) in der Klasse bereitgestellt. Die Kontrollklasse (n=27, 14 weiblich) absolvierte den Testzeitraum von sechs Nettowochen (Schulausflüge abgezogen) auf dem Standardschulmöbel. Während der Unterreichtseinheiten wechselte die Interventionsklasse zwischen Bewegungshocker und Standardmobiliar selbstständig. Nach zwei- respektive fünftägiger Eingewöhnung, ebenso nach drei und sechs Nettowochen erfolgte ein Algebra und Befindlichkeitstest. Nach Abschluss der Studie erfolgte durch die Interventionsklasse und das Lehrpersonal eine Einschätzung der Praxistauglichkeit mithilfe eines kurzen, nicht standardisierten Fragebogens. Messung. Die Befindlichkeit wurde mittels des standardisierten Mehrdimensionalen Befindlichkeitsfragebogens (MDBF) (Styer et.al. 1997) gemessen. Hierbei wurde die Langform verwendet. Die Lösungsfähigkeit Algebra wurde mithilfe eines von R. Oldenburg (2013) konstruiertem, auf Portable Python basierenden Computertests gemessen. Im festen
Testzeitraum von fünfzehn Minuten wurden Anzahl beantworteter und richtig-beantworteter Aufgaben je Schwierigkeitsstufe registriert. Alle fünf Minuten wurde der Schwirigkeitsgrad (dreistufig, zufällige Reihenfolge) automatisch variiert. Auswertung. Die statistische Auswertung erfolgte mit IBM SPSS Statistics 22. Ergebnisse Algebra. Die einfaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholungen mit dem Faktor Schwierigkeit (richtige Antworten) und Zwischensubjektfaktor Gruppe bei einem Konfidenzintervall von 95% weist keine signifikanten Zwischensubjekteffekte (p =0,114) auf. Der erkennbare statistische Trend bezieht sich auf ein besseres Abschneiden der Interventionsgruppe (Stufen 1-3: M=21,34; M=27,53; M=16,38) im Vergleich zur Kontrollgruppe (Stufe 1-3: M=14,50; M=19,33; M=9,52) im Mittel. Der Zusammenhang zwischen Schwierigkeitsstufe und Gruppe (Alg1*Gruppe: η= 0,172; Alg2*Gruppe: η= 0,154; Alg3*Gruppe: η= 0,148) gibt wenig Auskunft über den Trend. Befindlichkeit. Der Skalenwert des MDBF für die Dimensionen Gute-Schlechte Stimmung (GS) liegt für die Interventionsgruppe bei M=30,55 (SD=6,527) und die Kontrollgruppe bei M=30,23 (SD=5,314). Für die Dimension Ruhe-Unruhe (RU) zeigt die Interventionsgruppe einen Score von M=27,72 (SD=4,749) und die Kontrollgruppe M=28,81 (SD=5,673). Beide Unterschiede sind nicht signifikant (p>0,05). Für die Dimension Wachheit-Müdigkeit (WM) erreicht die Interventionsgruppe einen Mittelwert von M=26,54 (SD=5,980), die Kontrollgruppe einen Mittelwert von M=21,91 (SD=6,777). Dieser Unterschied zwischen den Gruppen ist bei der Varianzanalyse hoch signifikant (p<0,001). Für das Verhältnis von MDBF_WM*Gruppe ergibt sich η=0,338, was auf einen relativ starken Zusammenhang der Faktoren hindeutet. Praxistauglichkeit. Die Ergebnisse der persönlichen Einschätzung variieren, weisen aber auch Gemeinsamkeiten bei positiv wie auch negativ genannten Aspekten auf. So empfinden vor allem die Lehrer das Klassenklima als angenehmer und schätzen den Effekt als positiv auf die Leistung und Konzentration ihrer Schüler ein. Ebenso wird eine ausdauerndere Aufmerksamkeit von den Schülerinnen und Schülern überschneidend erwähnt. Bei gering bis nicht frequentierten Stuhlwechseln kommt es überschneidend zur Angabe von Rückenschmerzen - als Grund wird hier eine falsche Haltung genannt. Diskussion Die Ergebnisse stützen die Annahme, dass das Zulassen von mehr Bewegung im Unterricht
förderlich für die Leistung der Schülerinnen und Schüler ist. Auch wenn einige Studien darauf hinweisen, dass der Kontrolle der Körperhaltung der Vorzug vor der Kognition gewährt wird (Vgl. Anderson et. al. 2002) - der statistische Trend der Interventionsgruppe könnte durch den höheren Grad an Wacheit und damit einhergehender Aufmerksamkeit erklärt werden. Die Annahme von Riley et.al. (2003) einer inversen Beziehung von Haltungskontrolle und Kognition bzw. Aufmerksamkeit sowie die vorliegenden Ergebnisse stützen die Vermutung, dass die stetig variierende Haltung nicht direkt, sondern indirekt über die Aufmerksamkeit positiv auf die Kognition wirkt. Die mentale frische sowie der Sitzplatzwechsel zwischen den Unterrichtseinheiten zeigen ebenso Auswirkungen auf das Klassenklima. Ferner zeigen die Schülerinnen und Schüler der Interventionsklasse keine größe innere Unruhe durch die veränderte Lernumgebung. Allerdings muss auf eine sorgfältig durchgeführte Rotation über den Tagesverlauf geachtet werden. Es ist unabdingbar, weitere Studien mit Projektcharakter auf diesem Gebiet durchzuführen. Neben Einflüssen von Altersunterschieden (Vgl. Makizako et.al. 2013; Van Impe et.al. 2013) bleiben bei dieser Untersuchung z.b. auch Unterschiede zwischen den Schulformen sowie die Auswirkung auf andere Bereiche ungeklärt und bedürfen näheren Untersuchungen. Außerdem können Veränderungen im Bildungswesen nur vorankommen, wenn Schulen sich für neue Ideen öffnen und diese Projektweise für ihr Schulkonzept testen und evaluieren. Literatur Anderson, G. et. al. (2002). Effect of cognitive load on postural control. Brain Research Bulletin, 58(1), 135-139. Makizako, H. et. al. (2013). Age-related Differences in the Influence of Cognitive Task Performance on Postural Control Under Unstable balance Conditions. International Journal of Gerontology, 7, 199-204. Pelleccia, G. (2003). Postural sway increases with attentional demands of cognitive task. Gait and Posture, 18, 29-34. Riley, M. A., et. al. (2003). Inverse relation between postural variability and difficulty of a concurrent short-term memory task. Brain Research Bulletin, 62, 191-195. Steyer, R. et. al. (1997). Der Mehrdimensionale befindlichkeitsfragebogen. Göttingen u.a.: Hogrefe.
Van Impe, A. et.al. (2013). Age-related neural correlates of cognitive task performance under increased postural load. AGE, 35, 2111-2124. Woollacott, M., Shumway-Cook, A. (2002). Attention and control of posture and gait: a review of an emerging area of research. Gait and Posture, 16, 1-14.