Vom Journalisten zum entgrenzten multi-tasking Content-Produzenten? Befunde aus einem Forschungsprojekt für das Bundesinstitut für Berufsbildung Dr. Lutz P. Michel, MMB-Institut 22. Journalistentag der dju Berlin, 29. November 2008
Hintergrund und Zielsetzung der Untersuchung 1
Hintergrund der Studie Umfassende Digitalisierung Zunehmende Konvergenz auf allen Ebenen Content-Hunger der digitalen Medien Web 2.0 Automatisierte Content-Produktion Journalisten übernehmen immer mehr Aufgaben Annäherung von PR und Journalismus Erkenntnisinteresse der Studie: Wie verändern sich Berufe und Tätigkeiten in den Branchen, die mit der Produktion von Medien-Content befasst sind und was kann getan werden, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden? 2
Untersuchungsziele und -methoden Ziele Tätigkeiten in der Content-Produktion analysieren Qualifikationsanforderungen und -angebote erheben Auswirkungen auf bestehende Berufsbilder prüfen Generelle Trends beschreiben Empfehlungen für die Berufsbildungspolitik ableiten Methoden Expertenbefragung Fallstudien Delphi-Befragung Workshops Zur Erreichung der Untersuchungsziele wurde ein breites Set an qualitativen Methoden eingesetzt 3
Befragte Branchen Corporate Communication Telefon-/Internetprovider mit redaktionellem Angebot nicht-kommerzielle Organisationen Marketing-Kommunikation Mediendienstleister Print-Verlage AV-Unternehmen Digitale Medien Im Mittelpunkt standen jene Branchen, in denen in erster Linie nichtjournalistischer Content produziert wird; die klassischen journalistischen Medien wurden entsprechend ihres gesellschaftlichen Auftrags (Art. 5 GG) besonders sensibel betrachtet. 4
Was verstehen wir unter Content? analog journalistische Contentproduktion nicht-journalistische digital Das Content-Kontinuum umfasst journalistische wie nicht-journalistische Inhalte in der digitalen wie in der analogen Berlin, Welt. 29.11.2008 5
Nicht-Journalistische Content-Produktion Welche Produkte werden in diesen Unternehmen erstellt? Werkzeitschriften Kundenzeitschriften Broschüren, Flyer Websites Weblog / Newsletter Corporate Design Geschäftsbericht Anzeigen Trailer Im Zentrum der Untersuchung standen (alte und neue) Produkte im Feld der nicht-journalistischen Content-Produktion 6
Schlaglichter aus den Teilstudien: Trends im Journalismus Auch wenn der nicht-journalistische Inhalt im Mittelpunkt der Studie stand, ergaben sich doch zahlreiche aktuelle Befunde, die für die Zukunft des Journalismus sowie das Berufsbild des Journalisten von Bedeutung sind. 7
Megatrend Konvergenz Ausgewählte Ergebnisse aus der Delphi-Befragung: Medienübergreifende Inhalte-Erstellung (82%) Bewegtbild in Online-Medien immer wichtiger (80%) Werkzeuge werden immer leichter erlernbar (67%) Kein Trend: Inhaltliche Qualität verbessert sich (17%) Die befragten Experten prognostizieren, dass Journalisten ihre Inhalte für immer mehr Ausgabemedien erstellen und dabei auch Videobeiträge erstellen oder bearbeiten werden dank einer immer leichter erlernbaren Technik. Die Qualität der Produkte wird sich durch die neuen digitalen Möglichkeiten wohl nicht verbessern. 8
Der konvergente Medienbetrieb Internet TV Radio Zeitung Broschüre Immer mehr Medien und Produktionsschritte unter einem Dach Content Mehrfachverwertung des Contents wird zum Regelfall Planung Recherche Redaktion Produktion Post Production Technik Organisation Zwei Trends hervorzuheben: 1. Mehrfachverwertung von Content wird zum Regelfall; 2. Von der Zeitung zum Medienhaus Distribution 9
Die konvergente Journalistin Internet TV Radio Zeitung Broschüre Content Gesamte redaktionelle Wertschöpfungskette in Journalistenhand Planung Recherche Redaktion Produktion Post Production Technik Organisation Distribution Die Aufhebung der Arbeitsteilung schreitet fort; Journalisten agieren in der gesamten Wertschöpfungskette der Contententwicklung. 10
Noch mehr Aufgaben in Technik und Gestaltung Content-Spezialisten (mit Studium (mit Studium und/oder und/oder Volontariat) Volontariat) übernehmen mehr technische Aufgaben übernehmen mehr technische Aufgaben 75 Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Contentproduktion kennen und verstehen die Aufgaben ihrer Kollegen 64 Content-Spezialisten (mit Studium und/oder Volontariat) übernehmen mehr grafische Aufgaben Content-Spezialisten (mit Studium und/oder Volontariat) übernehmen mehr grafische Aufgaben 59 Absolventen von kaufm. Medienausbildungsberufen übernehmen mehr redaktionelle Tätigkeiten im Sinne einer Redaktionsassistenz Absolventen von techn. Medienausbildungsberufen übernehmen mehr redaktionelle Tätigkeiten im Sinne einer Redaktionsassistenz 45 47 Andere Szenarien 42 Absolventen von grafischen Medienausbildungsberufen übernehmen mehr redaktionelle Tätigkeiten im Sinne einer Redaktionsassistenz 36 wahrscheinlich 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Frage: Im Vergleich zu heute. für wie wahrscheinlich halten Sie diese Entwicklung im Jahre 2012? Ist dies "sehr wahrscheinlich" oder "sehr unwahrschenlich"? Zusammengefasst werden hier die Nennungen zu "sehr wahrscheinlich" und "eher wahrscheinlich". Prognose: Noch mehr technische und grafische Aufgaben für Journalisten! 11
Deprofessionalisierung des Journalismus? Welche Art der Deprofessionalisierung wird befürchtet? Schleichende Deprofessionalisierung des journalistischen Berufs durch Wechsel zwischen Journalismus und PR (Interne) Deprofessionalisierung durch Zunahme nichtjournalistischer Tätigkeiten (Externe) Deprofessionalisierung durch immer mehr Quereinsteiger Einschätzung der Experten Nur wenige Befragte teilen Befürchtungen hinsichtlich Deprofessionalisierung durch PR-Aufgaben Anteil nicht-journalistischer Tätigkeiten wird eher noch zunehmen Wenn Qualität gefordert ist, werden gelernte Journalisten beschäftigt Deprofessionalisierung ist ein vielschichtiges Phänomen. Starkes Bollwerk gegen diesen Trend: die professionellen Regeln der Journalisten. 12
Web 2.0 Trends Pioniere aus der Web 2.0-Welt erschließen und besetzen neue Aufgabenfelder im alltäglichen Content-Erstellungsprozess. Gelernte Journalisten sind/werden nicht gefragt. Automaten generieren Content, den Rest erledigen Techniker. Web 2.0 und Social Software bieten neue Möglichkeiten der Contentproduktion ohne Journalisten. 13
Drei Szenarien zum Ausblick Journalisten 2010 Welche Zukunftsperspektiven ergeben sich aus der Studie? 14
Szenario 1: Journalismus ohne Journalisten Blogger und Roboter übernehmen (externe Deprofessionalisierung) Gelernte Journalisten werden entbehrlich. 15
Szenario 2: Journalisten ohne Journalismus Journalisten machen alles, Journalismus wird zur Randaufgabe (interne Deprofessionalisierung) Keine Zeit mehr für Recherche, Texten oder Redigieren. Dies öffnet die Schleusen für Quereinsteiger ohne journalistische Ausbildung. 16
Szenario 3: Journalisten bekommen Assistenten Journalisten geben Aufgaben an Assistenten ab ( Reprofessionalisierung ) Aufgaben, die nicht zu ihren professionellen Kompetenzen zählen, geben Journalisten an eine qualifizierte Assistenz ab. Welche Aufgaben das im Einzelnen sein können, zeigt das folgende Chart: 17
Tätigkeiten, die eine "Content-Assistenz" ausführen könnte (Top 10, Angaben in %) Recherche Inhouse (z.b. per Telefon, Internet) Archivierung (systematische Ablage ) Kategorisierung (z.b. Einordnung in Rubriken) Dokumentation (Darstellung von Arbeitsleistungen) Aktualisierung bestehender Inhalte (z.b. auf einer Website) 75 75 71 71 69 Datenbankpflege Themensuche Community-Management Grafik-Auswahl Recherche außer Haus (z.b. Interviews vor Ort) Redaktionsmanagement (organisatorische und verw. Tätigkeiten) 60 56 52 50 49 48 0 20 40 60 80 Frage: Und welche Tätigkeiten könnte eine dual ausgebildete "Content-Assistenz" ausführen? 18
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung www.mmb-institut.de 19