Avifaunistisches Gutachten zum Bebauungsplan Nr. 21. Baugebiet Nördlich der Straße An der Schonung im Ortsteil Ramsel in 2012. Von Diplom Biologe Klaus Dieter Moormann Antoniusstraße 35 49811 Lingen Im Auftrag der Grundstücks- und Erschließungsgesellschaft Lingen ( Ems ) 1. Einleitung : Die geplante Ausweisung eines Baugebietes im Bereich Ramsel Mitte erforderte in 2012 die Durchführung einer Brutvogelbestandserfassung und eine artenschutzrechtliche Prüfung der geplanten Bebauung aus der Sicht der europäischen Brutvogelarten. Anhand der Kartierergebnisse soll geprüft werden, ob die geplante Bebauung negative Auswirkungen auf die europäischen Brutvogelarten hat und aus artenschutzrechtlicher Sicht zulässig ist. Gegebenenfalls sind Vorschläge zur Vermeidung, Minimierung oder für vorgezogene Ausgleichs und Ersatzmaßnahmen ( CEF Maßnahmen ) zu unterbreiten. 2. Untersuchungsgebiet : Die für die Bebauung vorgesehene Fläche hat eine Größe von 2,06 Hektar und liegt im Ortsteil Ramsel. Sie umfasst einen Hof mit älteren, landwirtschaftlichen Gebäuden, einen Laubholzbestand mit älteren Eichen, eine Ackerfläche und eine Pferdeweide. Sie grenzt im Süden an die Straße An der Schonung, im Norden und Osten ebenfalls an Straßen mit regem Ortsdurchgangsverkehr. Im Westen grenzt eine Wohnhausbebauung direkt an die Planungsfläche. Die weitere Umgebung umfasst einen mittelalten Kiefernforst mit Laubholzanteilen im Süden, weitere Wohnbebauungen im Südosten und Westen, Ackerflächen und Grünlandflächen mit Gehölzen im Norden und Osten. In 100 bis 200 Metern Entfernung nordwestlich der Planungsfläche liegt der Pferdehof Pool, der von größeren Pferdeweiden umgeben wird. Die weitere Umgebung des Pferdehofs Pool, die nördlichen und östlichen Außenbereiche der Ortschaft Baccum einschließlich der Umgebung des Baccumer Bruches und die Ortschaft Münningbüren bilden das Verbreitungszentrum des in Niedersachsen vom Aussterben bedrohten Steinkauzes ( Rote Liste Niedersachsen 2007 ) im Stadtgebiet von Lingen. Der Steinkauz besiedelt hier vor allem die zu einem erheblichen Teil noch kleinbäuerlich geprägten Standorte mit ihren für die Art noch zugänglichen, landwirtschaftlichen Gebäuden, alten Bäumen und die meistens durch Pferdehaltung kurzrasig gehaltenen Grünlandflächen. Das Planungsgebiet liegt im westlichen Teil dieses Verbreitungsgebietes.
3. Brutvogelerfassungen : Zur Erfassung des Brutvogelbestandes wurden in 2012 insgesamt 8 Flächenkontrollen am Tage und zehn weitere Kontrollen in der Dunkelphase durchgeführt. Im einzelnen ergaben sich folgende Kontrolltermine für die Tageskontrollen = 21.03.2012, 10.04.2012, 27.04.2012, 05.05.2012, 11.05.2012, 21.05.2012, 04.06.2012, 14.06.2012. Kontrollen in der Dunkelphase fanden am 22.02., 02.03., 06.03., 10.03., 13.03., 17.03., 18.03., 23.03., 25.03., und 14.04.2012 jeweils früh morgens vor Sonnenaufgang statt und dienten vornehmlich der Erfassung des Steinkauzes und anderer Eulen. Während jeder Kontrolle wurde die Untersuchungsfläche in ausreichender Hörweite der Arten entlang der Straßen abgelaufen. Für die Festlegung von Revieren wurden revieranzeigende Verhaltensweisen wie Gesang, Balzverhalten, paarweises Auftreten und territoriale Auseinandersetzungen herangezogen. Zur Festlegung eines Revieres kam es dann, wenn während fünf aufeinanderfolgender Kontrollen wenigstens zwei Beobachtungen über revieranzeigendes Verhalten räumlich zusammenfielen. Miterfaßt wurden auch alle an die Eingriffsflächen angrenzenden Reviere der Umgebung, da auch für diese Reviere eine Beeinflussung durch eine Bebauung möglich ist. Dabei richtete sich die Erfassungsweite nach den Raumansprüchen und Reviergrößen der Vogelarten. In der beiliegenden Karte wurden die derart nachgewiesenen Reviere als Punktvorkommen signiert. Dabei fanden die nachfolgend aufgeführten Abkürzungen für die Artnamen Verwendung. Im einzelnen konnten folgende Revieranzahlen der Brutvogelarten innerhalb und außerhalb der Planungsfläche festgestellt werden. Angegeben wird auch der Gefährdungsstatus nach der Roten Liste Niedersachsens 2007 ( Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 3/2007 ) mit Status 3 für bestandsgefährdet, Status 1 für vom Aussterben bedroht und Status V für Vorwarnliste. Artname Abkürzung Rev Planungsfläche Rev außerhalb Steinkauz RL 1 Stk 1 0 Rauchschwalbe RL 3 Rs 1 0 Haussperling RL V H 9 6 Feldsperling RL V Fe 1 0 Star RL V S 2 1 Trauerschnäpper RL V Ts 0 1 Fasan Fa 0 1 Blaumeise Bm 2 3 Kohlmeise Km 1 4 Haubenmeise Hm 0 2 Mönchsgrasmücke Mg 1 3 Gartengrasmücke Gg 0 1 Hohltaube Hot 1 0 Kernbeisser Kb 1 0 Kleiber Kl 1 0 Gartenbaumläufer Gb 0 1 Buchfink B 0 8 Grünfink Gf 0 3 Zilpzalp Zi 0 5 Zaunkönig Z 0 1 Rotkehlchen R 1 1 Ringeltaube Rt 2 7 Amsel A 3 8
Singdrossel Sd 0 2 Heckenbraunelle He 0 4 Grünfink Gf 0 3 Sommergoldhähnchen Sg 0 1 Wintergoldhähnchen Wg 0 1 Hausrotschwanz Hr 0 3 Elster El 0 2 Rabenkrähe Rk 0 1 4. Diskussion der Ergebnisse der Brutvogelerfassungen : Von den 31 auf der Planungsfläche und in deren Umgebung nachgewiesenen Brutvogelarten wird zwei Arten in der Roten Liste Niedersachsens ein Gefährdungsstatus zugeordnet und vier Arten werden in der Vorwarnliste geführt. Bei letzteren ist zukünftig mit einer Bestandsgefährdung zu rechnen, wenn die Lebensraumbeeinträchtigung dieser Arten weiter anhält. Der Steinkauz gilt nach der Roten Liste Niedersachsens als vom Aussterben bedroht und weist daher einen besonders ungünstigen Erhaltungszustand auf. In Niedersachsen konzentrieren sich die letzten Vorkommen auf die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim. In den meisten Landesteilen Niedersachsens ist die Art bereits ausgestorben. Die Rauchschwalbe gilt als bestandsgefährdet und weist einen ungünstigen Erhaltungszustand auf. Die Arten Star, Trauerschnäpper, Haus- und Feldsperling werden in der Vorwarnliste geführt. Vorkommen europäischer Brutvogelarten auf der Planungsfläche: Auf der Planungsfläche konnte ein Revier des vom Aussterben bedrohten Steinkauzes nachgewiesen werden. Dieses erstreckt sich auch auf die nördlich der Planungsfläche angrenzenden Bereiche bis zum Pferdehof Pool. Auf der Planungsfläche wurde ein rufender Vogel am Rande des Hofes in direkter Nachbarschaft zur Pferdeweide beobachtet. Vermutlich nutzt der Vogel die Weide als Nahrungsfläche, möglicherweise Gebäude des Hofes als Ruhequartier oder gar als Brutplatz. Von der bestandsgefährdeten Rauchschwalbe gelang der Nachweis eines Revierpaares in Hofnähe. Die Art brütet im Innern landwirtschaftlicher Gebäude, nutzt den freien Luftraum um die Gebäude zur Nahrungssuche und sammelt Nistmaterial in Form angefeuchteter Erde an unbewachsenen Bodenstellen in Hofnähe. Ferner konnten auf der Planungsfläche mit Star, Haussperling und Feldsperling drei Arten der Vorwarnliste nachgewiesen werden. Vom Star gelangen zwei Reviernachweise im älteren Laubholzbestand. Hier brütet die Art vermutlich in alten Spechthöhlen. Der Nahrungssuche dienen vor allem kurzrasige Grünlandflächen wie die Pferdeweide. Haussperling und Feldsperling siedelten mit neun beziehungsweise einem Revier an den Gebäuden. Die Sperlinge profitieren vom reichen Angebot an Spalträumen und Hohlräumen an alten Gebäuden als Brutplatz. Gut zugängliche Tierfütterung, Mieten, Silagen und samenreiche Staudenfluren am Rande landwirtschaftlicher Nutzflächen und Gebäude sichern den Sperlingen in kleinbäuerlich geprägten Siedlungen ein gutes Nahrungsangebot.
Desweiteren wurden auf der Planungsfläche jeweils ein Revier der nicht bestandsgefährdeten Arten Kohlmeise, Mönchsgrasmücke, Rotkehlchen, Hohltaube, Kernbeisser und Kleiber gefunden, zwei Reviere der Arten Ringeltaube und Blaumeise sowie drei Amselreviere. Kernbeisser, Kleiber und Hohltaube sind dabei in ihrem Vorkommen eng an den älteren Laubholzbestand gebunden, die übrigen Arten an verschiedenste Gehölzausprägungen. Insgesamt handelt es sich bei Avifauna der Planungsfläche um ein von der kleinbäuerlichen Nutzung geprägtes Artenspektrum. Die enge räumliche Kombination aus älteren, landwirtschaftlichen Gebäuden, alten Randholzungen um die Gebäude und angrenzenden, landwirtschaftlichen Nutzflächen, vor allem von kurzrasigem Grünland ist der bevorzugte Lebensraum von Steinkauz, Rauchschwalbe, Haussperling, Feldsperling und Star. Kernbeisser, Kleiber und Hohltaube haben ihren Verbreitungsschwerpunkt in Wälder, profitieren aber ebenfalls vom alten, höhlenreichen Baumholzbestand um die landwirtschaftlichen Gebäude. Der durch die Rote Liste dokumentierte Rückgang des Steinkauzes, der Rauchschwalbe, der Sperlinge und des Stars ist vor allem auf den fortschreitenden Verlust der traditionellen, alten, kleinbäuerlich geprägten Lebensräume zurückzuführen. Vorkommen europäischer Brutvogelarten in der Umgebung der Planungsfläche: Das auf der Planungsfläche nachgewiesene Steinkauzrevier erstreckt sich auch auf die Bereiche nördlich der Planungsfläche, wobei der Pferdehof Pool mit seinen Pferdeweiden und Gebäuden eine wichtige Rolle bei der Habitatwahl spielen dürfte. Der in der Vorwarnliste geführte Trauerschnäpper konnte nur in der Umgebung der Planungsfläche im Bereich einer Wohnbebauung nachgewiesen werden. Hier dürfte die Art vom Angebot künstlicher Nisthilfen profitieren. Niedersächsische Trauerschnäpper brüten im Westen des Landes fast ausschließlich in Meisennistkästen. Insgesamt sechs Haussperlingreviere und ein Starenrevier wurden in der Wohnsiedlung westlich der Planungsfläche gefunden. Weitere Arten mit Gefährdungsstatus oder Vorwarnung in der Roten Liste Niedersachsens fehlten in der Umgebung der Planungsfläche. Es handelte sich bei den übrigen Arten mit Ausnahme des Fasans um streng an Gehölze oder Wohngebäude gebundene Vorkommen. Sommergoldhähnchen, Wintergoldhähnchen und Haubenmeise besiedeln fast ausschließlich nur Wälder und konnten im Kiefernforst südlich der Planungsfläche nachgewiesen werden. Der Fasan besiedelte die Acker- und Grünlandflächen östlich der Planungsfläche.
5. Auswirkungen der geplanten Bebauung auf die europäischen Brutvogelarten: Die geplante Bebauung dürfte mit recht hoher Wahrscheinlichkeit zum Verlust des hier festgestellten Steinkauzvorkommens führen. Inwieweit der Steinkauz sich dann noch im Bereich des Pferdehofes Pool und in dessen Umgebung halten kann, lässt sich ohne detaillierte Kenntnisse der Reviernutzung derzeit nicht einschätzen. Von einer Bebauung wird auch die bestandsgefährdete Rauchschwalbe betroffen sein, wenn im Zuge der Bebauung die alten, landwirtschaftlichen Gebäude und der freie Luftraum um diese verloren gingen. Gleiches gilt für Haussperling und Feldsperling als Gebäudebrüter. Auch sie verlieren ihre Reviere auf der Planungsfläche. Eine Beseitigung des Altholzbestandes würde zum Verlust der Reviere von Star, Hohltaube, Kleiber, Kernbeisser, Blaumeise, Ringeltaube und Rotkehlchen führen. Alle restlichen Reviere der gehölzgebundenen Arten gingen in dem Maße verloren wie die besiedelten Gehölze im Zuge der Bebauung beseitigt würden. Für die außerhalb der Planungsfläche in ihrem Vorkommen an Gebäude oder Gehölze gebundenen Arten ist mit Ausnahme des Steinkauzes ( siehe Ausführungen oben am Anfang des Kapitels ) durch eine Bebauung auf der Planungsfläche keine Beeinträchtigung zu erwarten. Der Fasan dürfte sich gegenüber einer Bebauung in der Umgebung seines Revieres indifferent verhalten und auch die Randzone zwischen Bebauung und offenen Flächen nutzen.