ÜBUNG IM STRAFRECHT FÜR ANFÄNGER/INNEN II (SoS 2010) Juristische Fakultät der Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Prof. Dr. Roland Hefendehl und Matthias Krausbeck, Dr. Jens Puschke, Alexander Stenner Besprechungsfall 5 Lösungshinweise A: Strafbarkeit der E 212, 211 (Habgier; Heimtücke) I. Tatbestand 1. 212 (+) 2. 211 Abs. 2 Mordmerkmale Heimtücke (+), sowohl in feindlicher Willensrichtung als auch besonders verwerflicher Vertrauensbruch. 3. subjektiver Tatbestand bedingter Vorsatz hinsichtlich Tod der M und Vorsatz hinsichtlich der Mordmerkmale (+), Habgier (+), stellt sich als eines der dominierenden Motive im Motivbündel mit der Liebe zu A dar. II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) III. Ergebnis: 212, 211 (+) Ein Rücktritt ist hier trotz der freiwilligen und ernsthaften Bemühungen der E ausgeschlossen, da der Todeserfolg der E objektiv zurechenbar und die Tat somit vollendet ist. B: Strafbarkeit des A I. 212, 25 I Alt. 2 1. Verwirklichung des Delikts durch eine andere Person (+) 2. mittelbare Täterschaft Tatherrschaft Herrschaft des Hintermannes kraft überlegenen Wissens? Hier glaubte A, die E wisse nicht, dass er die Spritze teilweise mit Luft füllte. Er ging also davon aus, die E würde unvorsätzlich handeln. Dies würde bei tatsächlicher Unkenntnis der E die Tatherrschaft begründen. Tatsächlich bemerkte sie es jedoch, so dass sie vorsätzlich handelte. Den Defekt nahm also A nur irrtümlich an. Problem: Behandlung dieses Irrtums
a) rein subjektive Theorie: mittelbare Täterschaft (+), da hierfür der Täterwille zur mittelbaren Täterschaft ausreichend ist. b) a.a. versuchte mittelbare Täterschaft: Da die Unkenntnis einer objektiv vorhandenen Herrschaft schon nicht zur mittelbaren Täterschaft führen kann, muss dies erst recht bei ihrem objektivem Fehlen der Fall sein. Das vermeintliche Werkzeug ist gerade kein Werkzeug. Durch die eigene Täterschaft des Werkzeugs ist die Tatherrschaft des Hintermannes nicht mehr möglich. Es bleibt bei einem Versuch der mittelbaren Täterschaft mit einem untauglichen (weil bösgläubigen) Mittel. c) h.m. vollendete Anstiftung: Obwohl sich der Vorsatz des Hintermannes (A) auf eine mittelbare Täterschaft bezog, liegt auch Vorsatz bzgl. der Anstiftung vor. Der Anstiftungsvorsatz wird durch den weitergehenden, qualitativ schwereren Tatherrschaftswillen (der Strafrahmen von Anstiftung und Täterschaft ist freilich identisch) ersetzt. Wer selbst (mittelbarer) Täter eines Delikts sein möchte, ist nicht dadurch beschwert, wenn er aus der minderen Beteiligungsform bestraft wird; Versuchslösung weder aus kriminalpolitischen Erwägungen noch nach dem Strafgrund der Teilnahme (Verursachung der Rechtsgutsverletzung) sachgerecht, da der Hintermann sonst so behandelt würde, als hätte er an der Rechtsgutsverletzung nicht mitgewirkt. d) a.a.: sowohl versuchte Deliktsverwirklichung in mittelbarer Täterschaft als auch Anstiftung (vgl. LK/Schünemann 25 Rn 146 f.); wichtig ist die Strafbarkeit der Anstiftung deshalb, weil in Fällen der fehlenden Versuchsstrafbarkeit Straflosigkeit des Täters die Folge wäre, was nicht hinnehmbar sei; Problem: Verdoppelung des Vorsatzes; richtigerweise liegt wohl nur ein Vorsatz vor, der unterschiedlich interpretierbar ist. 2. Ergebnis: Eine vollendete mittelbare Täterschaft liegt jedenfalls nicht vor. II. 212, 211, 25 I Alt. 2, 22 f. 1. Nichtvollendung und Strafbarkeit (+) 2. Tatentschluss hinsichtlich eines in mittelbarer Täterschaft begangenen Totschlags, insbesondere hinsichtlich der Tatherrschaft durch den Defekt des Werkzeugs (E). A stellte sich vor, dass E nicht vorsätzlich handelte; ebenfalls Vorsatz hinsichtlich des Mordmerkmals der Heimtücke. 3. unmittelbares Ansetzen - 2 -
Problem: unmittelbares Ansetzen bei mittelbarer Täterschaft a) a.a.: Versuch beginnt spätestens, wenn der Tatmittler zur Tatbestandshandlung ansetzt; hier (+) b) a.a.: Versuchsbeginn bereits mit abgeschlossener Einwirkungshandlung auf den Tatmittler; hier (+) c) h.m.: Versuch (+), wenn der mittelbare Täter nach seiner Vorstellung nicht nur die erforderliche Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen, sondern die Tat aus den Händen gegeben hat und das Rechtsgut bei Abschluss der Einwirkung auf den Tatmittler nach der Vorstellung des mittelbaren Täters bereits unmittelbar konkret gefährdet ist; hier (+) Damit kommen alle Theorien zum identischen Ergebnis. 4. A handelte selbst nicht habgierig. Ein täterschaftlich versuchter habgieriger Mord scheidet somit aus. 5. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 6. Ergebnis: 212, 211 (Heimtücke), 25 I Alt. 2, 22 f. (+) III. 212 I, 211, 26 1. Bestimmen des Haupttäters? a) h.m.: Willensbeeinflussung durch offenen, geistigen Kontakt. Ausreichend ist die Anregung zur Tatbegehung durch einen vermittelnden Impuls, der zur Grundlage seines Tatentschlusses wird; hier: (-) (Vorstellbar ist eine Konstellation der versuchten mittelbaren Täterschaft, die gleichzeitig ein Bestimmen zur Tat darstellt, wenn der der vermeintliche Hintermann den Irrtum durch unmittelbare Kommunikation mit dem vermeintlichen Werkzeug erzeugen will. Etwa, wenn A der E die Spritze mit den Worten übergeben hätte Setzt Du bitte die Spritze. Hier läge ein offener geistiger Kontakt vor.) b) m.m.: Verursachung des Tatentschlusses ausreichend; hier (+) c) Streitentscheid: Keine ausufernde Strafbarkeit des Anstifters durch Erfordernis der h.m., da Strafbarkeit gleich dem Täter. Eine rein kausale Beziehung bietet hierfür keine ausreichende Grundlage. Zudem ist die versuchte Anstiftung strafbewehrt. - 3 -
2. Ergebnis: (-) IV. 212 I, 211, 27 1. Rechtswidrige, schuldhafte Haupttat: die der E, s.o. unter A.; hier (+) 2. Förderung der Tat (+) durch das Manipulieren der Spritze 3. Subjektiver Tatbestand a) Hinsichtlich der Haupttat: (+), eigentlich Vorsatz auf mittelbaren Täterschaft; aber s.o. unter B II 2 c): Bestrafung wegen minderer Beteiligungsform ist zulässig. A hatte zudem Vorsatz im Hinblick auf eine heimtückische Vorgehensweise. b) hinsichtlich der Beihilfe (+) 4. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 5. Ergebnis: (+) C: Strafbarkeit des N 212, 22 f. I. Strafbarkeit des untauglichen Versuchs (+) II. Tatentschluss bzgl. 212 (+) Zwar soll hier eine fremde Rettungshandlung unterbunden werden, so dass es sich um ein Unterlassen der Rettungshandlung handeln würde. Hier wird jedoch in die Rettungshandlung eines anderen aktiv eingegriffen. Wer fremdes Rettungsmittel direkt verhindert oder mit den Mitteln der mittelbaren Täterschaft so auf rettungswillige Personen einwirkt, dass die Rettungshandlung vom Garantenpflichtigen nicht vorgenommen wird, handelt als Begehungstäter. III. unmittelbares Ansetzen (+) IV. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) V. Ergebnis: 212, 22 f. (+) D: Gesamtergebnis und Konkurrenzen - 4 -
E hat sich des Mordes ( 212, 211 [Heimtücke; Habgier]) strafbar gemacht. A hat sich des versuchten Mordes im mittelbarer Täterschaft gem. 212, 211 (Heimtücke), 25 I Alt. 2, 22, 23 in Tateinheit mit Beihilfe zum Mord (Heimtücke) gem. 212, 211, 27 strafbar gemacht. N ist strafbar des versuchten Totschlags gem. 212, 22, 23. Variante: A: Strafbarkeit der E I. 212 1. Handlung, Erfolg und Kausalität (+) 2. Obj. Zurechenbarkeit? Hier verwirklicht sich nicht die von E geschaffene Gefahr, sondern eine neue (grob fahrlässiges Verhalten des Krankenwagenfahrers). Atypischer Kausalverlauf bzw. Dazwischentreten Dritter (+), der den objektiven Tatbestand entfallen lässt. a.a. vertretbar. 3. Ergebnis: (-) II. 212, 211, 22, 23 1. Strafbarkeit des Versuchs (+) 2. keine Vollendung (+), hier scheidet die Vollendung mangels objektiver Zurechenbarkeit aus. 3. Tatentschluss (+), bzgl. 212 (+) und bzgl. 211 (+), s.o. (Habgier und Heimtücke) 4. Unmittelbares Ansetzen (+) 5. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 6. Rücktritt? (+), autonomer Entschluss. 7. Ergebnis: (-) - 5 -
III. 223 I, 224 I Nr. 1, 5, Rücktritt kann sich nicht auf vollendete gefährlicher Körperverletzung auswirken. B: Strafbarkeit des A 212, 211, 25 Abs. 1 Alt. 2, 22 f. Die Rücktrittsbemühungen der E lassen den Versuch mittelbarer Tatbegehung durch den A unberührt. Das Lösungsmodell über die Anstiftung würde sich in ein solches über die versuchte Anstiftung wandeln. C: Strafbarkeit des N 212, 22 f. I. Strafbarkeit des Versuchs (+) II. Tatentschluss bzgl. 212 (+) III. unmittelbares Ansetzen (+) IV. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) V. Ergebnis: 212, 22 f. (+) D: Gesamtergebnis E hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. 223 I, 224 I Nr. 1, 5 strafbar gemacht. A ist strafbar wegen versuchten Mordes in mittelbarer Tatbegehung gem. 212, 211, 25 Abs. 1 Alt. 2, 22, 23. Die Beihilfe zum versuchten Mord tritt dahinter zurück. N ist strafbar wegen des versuchten Totschlags gem. 212, 22, 23. - 6 -