Bedarfsgemeinschaft und individuelle Rechte sowie Pflichten nach dem SGB II Ist so ein geschlechtergerechter Zugang zur Arbeitsförderung rderung möglich? ExpertInnen-Workshop am 30.05.08, Universität Bremen Arbeitsförderung nach SGB II und SGB III für Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft eine rechtliche oder auch eine reale Möglichkeit? Erste sozialwissenschaftliche Erkenntnisse Dr. Sigrid Betzelt Zentrum für Sozialpolitik 1
Gliederung Kategorien der Bezieher/innen passiver Leistungen in den Rechtskreisen, zahlenmäßige Verteilung auf Frauen und Männer Aktivierende Leistungen : Gleicher Zugang und Förderung von Chancengleichheit? - Zahlen zur tatsächlichen Förderung - Befunde zur Beratungspraxis - Stellenwert von Gleichstellung bei den Trägern Schlussfolgerungen und Ausblick 2
Kategorien passiver Leistungen im SGB III und SGB II 1. Arbeitslose in SGB III Versicherungssystem a) Leistungsbezieher/innen: - erfüllen Vorversicherungszeit - maximal 12 Monate arbeitslos registriert - Bezug von Arbeitslosengeld I auf Basis individueller, lohnbezogener Beiträge b) Nichtleistungsbezieher/innen: - keine individuellen SGB III Versicherungsleistungen (mehr) - kein Anspruch auf SGB II Leistungen wg mangelnder Bedürftigkeit in Bedarfsgemeinschaft (erw.tätiger Partner) 2. Arbeitslose im SGB II Grundsicherung - erwerbsfähige - Bedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft - Leistungen: bedarfsgeprüftes, pauschaliertes ALG II 3
Wie verteilen sich Frauen und Männer auf Kategorien Arbeitsloser? Verteilung in Prozent (Jahresdurchschnitt 2006/7) 11 Nichtleistungsbeziehende 67 Männer 25 ALG II-Beziehende (SGB II) 100 ALG I-Beziehende (SGB III) 19 Frauen 23 61 100 A'lose Gesamt 0 20 40 60 80 100 Quelle: BA Eingliederungsbilanz 2006, eigene Darstellung 4
und wieviele Arbeitslose sind das jeweils und warum? Jahresdurchschnitt 2006/7, Dtl. Frauen Männer Gesamt Registrierte Arbeitslose 2.112.169 2.247.522 4.359.691 ALG I Beziehende (SGB III) 484.781 559.648 1.044.429 ALG II Beziehende (SGB II) 1.278.198 1.499.264 2.777.462 Nichtleistungsbeziehende 63% Frauen! 406.757 250.939 657.696 Fazit aus den Zahlen: Breite Mehrheit Arbeitsloser in SGB II Grundsicherung (ca. 2/3) Frauen beziehen viel seltener Geldleistungen als Männer wegen: a) niedrigerer Verdienste, daher geringeren individuellen Ansprüchen b) angerechneter Partnereinkommen in Bedarfsgemeinschaft c) durchschnittlich längerer Dauer von Arbeitslosigkeit => Benachteiligungen am Arbeitsmarkt in Sicherungssystem fortgesetzt => SGB II führt zu stärkerer Abhängigkeit von einem Ernährer 5
Aktivierung : Gleicher Zugang, Förderung v. Chancengleichheit? Formal: Alle registrierten Arbeitssuchenden haben Zugang zu Eingliederungsleistungen des SGB III und SGB II Real: Zugang eingeschränkt durch politische Vorgaben: Vorrang für arbeitsmarktnahe Kunden nach Vermittlungsfähigkeit Haben arbeitslose Frauen und Männer den gleichen Zugang zu Arbeitsförderung? Wird SGB II Ziel Förderung von Chancengleichheit umgesetzt? => Gleichstellungspolitisch relevant sind: erwerbsfähige Bedürftige insg.: => Gleicher Zugang? Frauenquote? Benachteiligte Gruppen: Alleinerziehende, Berufsrückkehrerinnen, gering Qualifizierte u.a.: => Nachteilsausgleich, besondere Förderung? F Nichtleistungsbezieherinnen: => Arbeitsförderung? rderung? 6
In welchem Umfang werden Arbeitslose / Frauen gefördert? Anzahl Arbeitsloser / Geförderter Gesamt und Frauen (SGB II, ohne kommunale Träger) 24,5% der arbeitslosen Frauen in SGB II werden gefördert Frauen Anzahl Geförderte Anzahl ALO SGB II 27,5% aller Arbeitslosen in SGB II werden gefördert Gesamt 0 500000 1000000 1500000 2000000 2500000 Quelle: BA Eingliederungsbilanz 2006, eigene Darstellung 7
und wie? - Frauenquote wird verfehlt, Frauen am wenigsten mit arbeitsmarktnahen Leistungen gefördert Anzahl mit Eingliederungsleistungen geförderte Frauen 30,9% 40,2% 42,4% 40,9% 42,4% 43,8% Frauenanteile an allen geförderten Arbeitslosen 40,5% Eingliederungszuschuss ( 218 III) ABM ( 260ff III) Trainingsmaßnahmen ( 48 III) Berufl. Weiterbildung ( 77ff III) Beauftragung Vermittlung ( 37 III) Sonstige Leistungen ( 16,2 II) Arbeitsgelegenheiten ( 16,3 II) Alle geförderten Frauen SGB II 40,2% Frauenzielförderquote: 43,4% 0 50000 100000 150000 200000 250000 300000 Quelle: BA Eingliederungsbilanz 2006, eigene Darstellung 8
Benachteiligte besonders gefördert? Förderung aller Personen der Bedarfsgemeinschaft? Zahlen zur tatsächlichen Förderung zeigen: Benachteiligte insgesamt am wenigsten gefördert Benachteiligte Frauen wie gering Qualifizierte und Migrantinnen besonders wenig gefördert, obwohl größte Gruppe Arbeitsloser Alleinerziehende bleiben am längsten von SGB II abhängig Befragungen Arbeitsloser zeigen ungleiche Beratungspraxis: Männer erhalten häufiger Beratung als Frauen und schließen häufiger Eingliederungsvereinbarungen ab Männer werden öfter aktiviert und sanktioniert als Frauen Eltern mit Kleinkindern erhalten seltener Beratung als Nichteltern Väter von Kleinkindern werden häufiger aktiviert als Mütter, auch wenn jeweils allein erziehend Bedarfsgemeinschaft wird selten in Beratung einbezogen Quellen: Evaluationsstudien 2007 9
Gleichstellungspolitische Ziele des SGB II verfehlt! Mangelnde Förderung von Frauen hat System, denn: Geschlechtergleichheit durchgängiges Prinzip, Lebensverhältnisse zu berücksichtigen ( 1 SGB II), aber: ohne Umsetzungs- u. Kontrollregeln Befragungen der Grundsicherungsträger zeigen mangelnde Umsetzung des SGB II Gleichstellungsziels: Gleichstellung hat geringsten Stellenwert für große Mehrheit der Träger Keine Gleichstellungsbeauftragten bei zwei Drittel der Träger Keine Leitlinien für gender-sensible Arbeitsweise Sicherstellung der Kinderbetreuung hat geringen Stellenwert Quellen: Evaluationsstudien 2007 10
Schlussfolgerungen und Ausblick Aktivierungspolitik in Deutschland folgt weniger sozialund gleichstellungspolitischen Prinzipien, sondern ist primär marktwirtschaftlich orientiert: Bestenauslese, wenig Befähigung, mangelnde Umsetzung von Gender Mainstreaming Viele Pflichten der Bedarfsgemeinschaft, kaum konkrete individuelle Rechte Arbeitsloser auf Förderung Kann-Leistungen mit großem Ermessensspielraum, der rollenstereotype Zuweisung nach Geschlecht erlaubt 11
Schlussfolgerungen und Ausblick Datenlage aus offizieller BA-Statistik lückenhaft: - keine Daten zur Förderung der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Partnerinnen, Alleinerziehende) - keine Daten zur Förderung NichtleistungsbezieherInnen - Daten unvollständig: kommunale Träger fehlen Weitere Planung: => eigene Forschung zu Nichtleistungsbezieherinnen (SOEP) => Auswertung weiterer Evaluationsforschung => Sozialwissenschaftlicher Workshop 29./30.9. Loccum 12
Danke für f r Ihre Aufmerksamkeit! Weitere Informationen: www.zes.uni-bremen.de/~sbetzelt sbetzelt@zes.uni-bremen.de siehe auch Publikation in Tagungsmappe 13