Erste sozialwissenschaftliche Erkenntnisse



Ähnliche Dokumente
Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II INFORMATIONEN FÜR KUNDEN SGBII 52. Arbeitslosengeld II und Renten.

Arbeitslosengeld II II

Monatsbericht August 2011

Sozialquartier Innenstadt

Regionalisierte Umsetzung des Operationellen Programms in Baden-Württemberg im Arbeitskreis Göppingen. Spezifische Ziele und Querschnittsziele im OP

Thema Soziale Sicherung

Gliederung. Arbeitslosengeld II. Arbeitslosen- & Sozialhilfe. Hintergrund der Sozialreform

LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/ Wahlperiode

Arbeitsmarktberichterstattung, Juni Der Arbeitsmarkt in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Deutliche Mehrheit der Bevölkerung für aktive Sterbehilfe

Gründermontag Existenzgründung (M)ein Weg aus der Arbeitslosigkeit?

Inhaltsverzeichnis. 4. Jugendhilfe SGB VIII 4.1 Klientel/ gesetzliche Grundlagen 4.2 Maßnahmen 4.3 Ziele 5. Kurzes Resümee 6.

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

Wirkungsforschung nach 55 SGB II im IAB

LANDKREIS OSTERODE AM HARZ Jobcenter. nach 54 SGB II

SGB II. Fördermöglichkeiten

Entbürokratisierung in der Pflege Strukturmodell Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation. - Sozialrechtliche und heimrechtliche Einordnung -

Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen

Gründungszuschuss (GZ) von der Agentur für Arbeit nach 93 SGB III und 94 SGB III

Kinder und ihr Kontakt zur Natur

Verband alleinerziehender Mütter und Väter, OV-Frankfurt. Auftaktveranstaltung PAKKO-Passgenau in Arbeit mit Kind im Kreis Offenbach,

Die Relevanz von Gleichstellung für die Hochschulen

Sozialleistungen und Hilfen nach der Geburt

dem Vater der Mutter des betreuten Kindes/der betreuten Kinder. Mein Kind/ Meine Kinder wird/werden in der Woche durchschnittlich Stunden betreut.

Kosten der Unterkunft aus Sicht der Betroffenen

Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen (WeGebAU) Marketing Chancen und Herausforderungen für die BA

Online Befragung Familienfreundliche Region Mitte Februar Ende April 2008

Beispiel überschießendes Kindergeld:

SGB II Grundsicherung für Arbeitssuchende Aufbau einer Arbeitsgemeinschaft

Wesentliche Änderungen 19

Der Dreiklang der Altersvorsorge

Welcher Stellenwert hat die Gleichberechtigung von Frau und Mann in Ihrer politischen Arbeit?

Merkblatt zu Befreiungsmöglichkeiten von dem kassenindividuellen Zusatzbeitrag der gesetzlichen Krankenkassen

Datenschutz im Jobcenter. Ihre Rechte als Antragsteller

Wandel der Arbeitsgesellschaft: Unsichere Erwerbsbeteiligung und arbeitsmarktpolitische Instrumente

Betriebs-Check Gesundheit

LEONARDO DA VINCI Mobilität. Trainingsmaßnahmen im europäischen Ausland SGB II Kunde

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

Die Leistungen der Agentur für Arbeit Hamburg für schwerbehinderte Menschen

Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt

1. Weniger Steuern zahlen

Frauen in MINT-Berufen

Die gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit

FAMILIENSTAND ALLEINERZIEHENDE MÜTTER

Bürger legen Wert auf selbstbestimmtes Leben

Sehr geehrte Damen und Herren

Fördermöglichkeiten nach dem SGB II

Alleinerziehend in M-V Ergebnisse der Mütterstudie des Kompetenzzentrums Vereinbarkeit Leben in MV

Thüringer Landtag 5. Wahlperiode

Umsetzung und Akzeptanz des Persönlichen Budgets; Modul 1: Quantitative Datenanalyse

Dozentin: Arijana Neumann. Seminar: Paradigmenwechsel von der aktiven zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik

Lehrer-Umfrage "LRS / Legasthenie" im deutschsprachigen Raum LegaKids 2010

Wissens-Check und Umfrage zur Situation der Gleichstellung in Wien

einernsthaftesvermittlungshindernisdarstellen.nachderoffiziellenarbeitslosenstatistikhatten2010nahezu542000arbeitslosevermittlungsrelevante

Kieferorthopädische Versorgung. Versichertenbefragung 2015

Weiterbildungen 2014/15

Werte und Grundsätze des Berufskodexes für interkulturell Dolmetschende. Ethische Überlegungen: Was ist richtig? Wie soll ich mich verhalten?

GA Seite 1 (09/2012) 136. Änderungen

JUNI 2014 AUSGABE 31. Hinweis zu Modul 13: Feld Unterrichts-/Arbeitszeit und Fehler R13_0030

Planungskonferenz stadtweite Handlungsfelder. Input des Jobcenters Dresden

Informationen für Schulen und Träger der VBO. Änderungen im Zulassungsverfahren für Träger der Vertieften Berufsorientierung

Wünsche und Bedarfe von Familien

Studienkolleg Köthen. Name, Vorname: DSH-Aufnahmetest Sommersemester Studienkolleg Köthen. Name, Vorname: Lesen

Jobcenter Junges Mannheim

Beschäftigung und Qualifizierung

Qualitative Querauswertung der Demonstrationsprojekte. Thomas Bloch, pro:21 GmbH

Zusammenhänge zwischen Behinderung und Geschlecht

Pauschalen für Arbeitslosengeld I (Alg I), Arbeitslosengeld II (Alg II) und Leistungen für Sozialversicherung

Welcher Stellenwert hat die Gleichberechtigung von Frau und Mann in Ihrer politischen Arbeit?

Rentenzugang nach Rentenarten (RV*)

Kreise. Produkte der Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Produktübersicht

Moderne Personalpolitik Ausbildung nutzen I N F O R M A T I O N E N F Ü R A R B E I T G E B E R. Ausbildung in Teilzeit

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Herr Bugzel, sehr geehrter Herr Grave,

Beauftragung von Trägern mit Eingliederungsmaßnahmen 421i SGB III

Vertiefungssequenz 2 Gender in Organisationen. Was heisst dies für die Fachbereiche von CURAVIVA Weiterbildung?

2. Satzung zur Änderung der Gebührenordnung zur Satzung über die Benutzung der Kindertagesstätten der Gemeinde Schöneck

Agentur für Arbeit Bad Homburg. Gründungszuschuss Gründung aus der Arbeitslosigkeit

Was ist Peer-Beratung?

Die neuen Familienleistungen machen vieles leichter. Kinderbetreuungskosten.

Emnid-Umfrage zur Bürger-Energiewende

GA Seite 1 (04/2012) 154. Änderungen

Hinzuverdienstgrenzen für Rentner

RAN. Netzwerkpass. Angebote für Alleinerziehende. Auch im Internet unter: JobKompass. Remscheider Alleinerziehenden Netzwerk

Welche Staatsangehörigkeit(en) haben Sie?... Mutter geboren?...

Eingliederungsbilanz nach 54 SGB II

Soziale Arbeit an Schulen im Landkreis Bad Kreuznach Ergebnisse der Online Befragung 2015

AHVplus D E L E G I E R T E N V E R S A M M L U N G V OM 1 1. M A I Die AHVplus-Varianten. Antrag: Abstimmung.

Vertrauen in Banken. Bevölkerungsrepräsentative Umfrage. PUTZ & PARTNER Unternehmensberatung AG. Partner der Befragung

Wir machen neue Politik für Baden-Württemberg

Der Arbeitsmarkt im Dezember und Jahresrückblick 2013

Das große ElterngeldPlus 1x1. Alles über das ElterngeldPlus. Wer kann ElterngeldPlus beantragen? ElterngeldPlus verstehen ein paar einleitende Fakten

Anlage Statistik. Die Daten beziehen sich auf BMS-Leistungen zum Lebensunterhalt aus dem Titel der BMS und zur Krankenhilfe.

Stand 15. Oktober Fragen und Antworten

EINIGE ERGEBNISSE IM DETAIL

Personalentwicklung. Umfrage zur Personalentwicklung. Februar Cisar - consulting and solutions GmbH. In Zusammenarbeit mit

Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag ( 28a SGB III)

Übersicht. Begleitforschung. Ausgangslage. Zugang zu PC und Internet. Zielgruppenanalyse. Evaluation in Gender Mainstreaming

Befragung zum Migrationshintergrund

Gliederung allgemeiner Teil

Transkript:

Bedarfsgemeinschaft und individuelle Rechte sowie Pflichten nach dem SGB II Ist so ein geschlechtergerechter Zugang zur Arbeitsförderung rderung möglich? ExpertInnen-Workshop am 30.05.08, Universität Bremen Arbeitsförderung nach SGB II und SGB III für Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft eine rechtliche oder auch eine reale Möglichkeit? Erste sozialwissenschaftliche Erkenntnisse Dr. Sigrid Betzelt Zentrum für Sozialpolitik 1

Gliederung Kategorien der Bezieher/innen passiver Leistungen in den Rechtskreisen, zahlenmäßige Verteilung auf Frauen und Männer Aktivierende Leistungen : Gleicher Zugang und Förderung von Chancengleichheit? - Zahlen zur tatsächlichen Förderung - Befunde zur Beratungspraxis - Stellenwert von Gleichstellung bei den Trägern Schlussfolgerungen und Ausblick 2

Kategorien passiver Leistungen im SGB III und SGB II 1. Arbeitslose in SGB III Versicherungssystem a) Leistungsbezieher/innen: - erfüllen Vorversicherungszeit - maximal 12 Monate arbeitslos registriert - Bezug von Arbeitslosengeld I auf Basis individueller, lohnbezogener Beiträge b) Nichtleistungsbezieher/innen: - keine individuellen SGB III Versicherungsleistungen (mehr) - kein Anspruch auf SGB II Leistungen wg mangelnder Bedürftigkeit in Bedarfsgemeinschaft (erw.tätiger Partner) 2. Arbeitslose im SGB II Grundsicherung - erwerbsfähige - Bedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft - Leistungen: bedarfsgeprüftes, pauschaliertes ALG II 3

Wie verteilen sich Frauen und Männer auf Kategorien Arbeitsloser? Verteilung in Prozent (Jahresdurchschnitt 2006/7) 11 Nichtleistungsbeziehende 67 Männer 25 ALG II-Beziehende (SGB II) 100 ALG I-Beziehende (SGB III) 19 Frauen 23 61 100 A'lose Gesamt 0 20 40 60 80 100 Quelle: BA Eingliederungsbilanz 2006, eigene Darstellung 4

und wieviele Arbeitslose sind das jeweils und warum? Jahresdurchschnitt 2006/7, Dtl. Frauen Männer Gesamt Registrierte Arbeitslose 2.112.169 2.247.522 4.359.691 ALG I Beziehende (SGB III) 484.781 559.648 1.044.429 ALG II Beziehende (SGB II) 1.278.198 1.499.264 2.777.462 Nichtleistungsbeziehende 63% Frauen! 406.757 250.939 657.696 Fazit aus den Zahlen: Breite Mehrheit Arbeitsloser in SGB II Grundsicherung (ca. 2/3) Frauen beziehen viel seltener Geldleistungen als Männer wegen: a) niedrigerer Verdienste, daher geringeren individuellen Ansprüchen b) angerechneter Partnereinkommen in Bedarfsgemeinschaft c) durchschnittlich längerer Dauer von Arbeitslosigkeit => Benachteiligungen am Arbeitsmarkt in Sicherungssystem fortgesetzt => SGB II führt zu stärkerer Abhängigkeit von einem Ernährer 5

Aktivierung : Gleicher Zugang, Förderung v. Chancengleichheit? Formal: Alle registrierten Arbeitssuchenden haben Zugang zu Eingliederungsleistungen des SGB III und SGB II Real: Zugang eingeschränkt durch politische Vorgaben: Vorrang für arbeitsmarktnahe Kunden nach Vermittlungsfähigkeit Haben arbeitslose Frauen und Männer den gleichen Zugang zu Arbeitsförderung? Wird SGB II Ziel Förderung von Chancengleichheit umgesetzt? => Gleichstellungspolitisch relevant sind: erwerbsfähige Bedürftige insg.: => Gleicher Zugang? Frauenquote? Benachteiligte Gruppen: Alleinerziehende, Berufsrückkehrerinnen, gering Qualifizierte u.a.: => Nachteilsausgleich, besondere Förderung? F Nichtleistungsbezieherinnen: => Arbeitsförderung? rderung? 6

In welchem Umfang werden Arbeitslose / Frauen gefördert? Anzahl Arbeitsloser / Geförderter Gesamt und Frauen (SGB II, ohne kommunale Träger) 24,5% der arbeitslosen Frauen in SGB II werden gefördert Frauen Anzahl Geförderte Anzahl ALO SGB II 27,5% aller Arbeitslosen in SGB II werden gefördert Gesamt 0 500000 1000000 1500000 2000000 2500000 Quelle: BA Eingliederungsbilanz 2006, eigene Darstellung 7

und wie? - Frauenquote wird verfehlt, Frauen am wenigsten mit arbeitsmarktnahen Leistungen gefördert Anzahl mit Eingliederungsleistungen geförderte Frauen 30,9% 40,2% 42,4% 40,9% 42,4% 43,8% Frauenanteile an allen geförderten Arbeitslosen 40,5% Eingliederungszuschuss ( 218 III) ABM ( 260ff III) Trainingsmaßnahmen ( 48 III) Berufl. Weiterbildung ( 77ff III) Beauftragung Vermittlung ( 37 III) Sonstige Leistungen ( 16,2 II) Arbeitsgelegenheiten ( 16,3 II) Alle geförderten Frauen SGB II 40,2% Frauenzielförderquote: 43,4% 0 50000 100000 150000 200000 250000 300000 Quelle: BA Eingliederungsbilanz 2006, eigene Darstellung 8

Benachteiligte besonders gefördert? Förderung aller Personen der Bedarfsgemeinschaft? Zahlen zur tatsächlichen Förderung zeigen: Benachteiligte insgesamt am wenigsten gefördert Benachteiligte Frauen wie gering Qualifizierte und Migrantinnen besonders wenig gefördert, obwohl größte Gruppe Arbeitsloser Alleinerziehende bleiben am längsten von SGB II abhängig Befragungen Arbeitsloser zeigen ungleiche Beratungspraxis: Männer erhalten häufiger Beratung als Frauen und schließen häufiger Eingliederungsvereinbarungen ab Männer werden öfter aktiviert und sanktioniert als Frauen Eltern mit Kleinkindern erhalten seltener Beratung als Nichteltern Väter von Kleinkindern werden häufiger aktiviert als Mütter, auch wenn jeweils allein erziehend Bedarfsgemeinschaft wird selten in Beratung einbezogen Quellen: Evaluationsstudien 2007 9

Gleichstellungspolitische Ziele des SGB II verfehlt! Mangelnde Förderung von Frauen hat System, denn: Geschlechtergleichheit durchgängiges Prinzip, Lebensverhältnisse zu berücksichtigen ( 1 SGB II), aber: ohne Umsetzungs- u. Kontrollregeln Befragungen der Grundsicherungsträger zeigen mangelnde Umsetzung des SGB II Gleichstellungsziels: Gleichstellung hat geringsten Stellenwert für große Mehrheit der Träger Keine Gleichstellungsbeauftragten bei zwei Drittel der Träger Keine Leitlinien für gender-sensible Arbeitsweise Sicherstellung der Kinderbetreuung hat geringen Stellenwert Quellen: Evaluationsstudien 2007 10

Schlussfolgerungen und Ausblick Aktivierungspolitik in Deutschland folgt weniger sozialund gleichstellungspolitischen Prinzipien, sondern ist primär marktwirtschaftlich orientiert: Bestenauslese, wenig Befähigung, mangelnde Umsetzung von Gender Mainstreaming Viele Pflichten der Bedarfsgemeinschaft, kaum konkrete individuelle Rechte Arbeitsloser auf Förderung Kann-Leistungen mit großem Ermessensspielraum, der rollenstereotype Zuweisung nach Geschlecht erlaubt 11

Schlussfolgerungen und Ausblick Datenlage aus offizieller BA-Statistik lückenhaft: - keine Daten zur Förderung der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Partnerinnen, Alleinerziehende) - keine Daten zur Förderung NichtleistungsbezieherInnen - Daten unvollständig: kommunale Träger fehlen Weitere Planung: => eigene Forschung zu Nichtleistungsbezieherinnen (SOEP) => Auswertung weiterer Evaluationsforschung => Sozialwissenschaftlicher Workshop 29./30.9. Loccum 12

Danke für f r Ihre Aufmerksamkeit! Weitere Informationen: www.zes.uni-bremen.de/~sbetzelt sbetzelt@zes.uni-bremen.de siehe auch Publikation in Tagungsmappe 13