Personzentrierte Beratung und Erfahrungstherapie: Modelle, Prozesse und Effekte Kapitel 3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung
Was ist Psychotherapie? Es gibt drei prinzipiell vertretbare Positionen: 1.Gemeinsame Grundelemente sind für alle Schulen entscheidend: striktes Einheitsmodell 2.Unterschiede in Effekten und Prozessen sind auf unterschiedliche Wirkfaktoren zurückzuführen (spezifisches Vorgehen für spezifische Bedingungen): striktes differentielles Modell 3.Es gibt gemeinsame wie unterschiedliche Elemente, solche, die in jeder Art von psychologischer Intervention und bei jedem Klientel veränderungswirksam sind, und solche die bei unterschiedlichen Klienten und Situationen wirken Dann nötig Verschränkung 1mit 2: Integrationsmodell WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 2
Integration heißt: Effizientere Methode durch Berücksichtigung aller veränderungswirksamen Faktoren Unterschiedliche Methodenelemente (z.b. Techniken) auf Boden notwendiger gemeinsamer Grundelemente für spezifischen Einzelfall (personzentriert!), aber durch Verankerung in gemeinsamem Boden: Ganzheitlichkeit Gültigkeit von differentiellem und einheitlichen Modell: Differentielle Psychotherapie und Thp. Basisverhalten Keine einseitige Betonung wie in manchen Schulen! Beide sind Teile des Gesamtprozesses der Interaktion zwischen Klient und Therapeut WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 3
Differentielle Psychotherapie ist... der sachkundige und geplante Einsatz von Techniken und Verfahren von Psychotherapeuten mit dem Ziel, bestimmte Verhaltens- und Erlebensweisen zu modifizieren, die vom Therapeuten und vom Klienten als veränderungsbedürftig beurteilt werden. Der Psychotherapeut beurteilt sie zusätzlich als veränderungsfähig aufgrund seiner Ausbildung und weil die Techniken aus psychologischen Prinzipien abgeleitet sind. (Das differentielle Therapeutenverhalten variiert von Klient zu Klient oder von Situation zu Situation.) WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 4
Therapeutisches Basisverhalten ist... der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer bestimmten Art zwischenmenschlicher Beziehung, die in sich hilfreich ist und psychische Veränderung und Entwicklung fördert. Es ist keine technische, sondern eine sehr persönliche Angelegenheit. Ist häufig nicht von anderen psychologischen Interventionen abzugrenzen. Beratung! Es wird durch Therapeut und Klient gestaltet. (Das Therapeutenverhalten wird idealiter durch die schwierigsten und die unterschiedlichsten Situationen und Klientenmerkmale wenig beeinflusst und variiert deshalb auch wenig.) WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 5
Der gemeinsame Boden konstruktiver zwischenmenschlicher Interaktion: Therapeutisches Basisverhalten 1. Realitätsoffenheit: Sie zeigt sich in dem Ausmaß an Offenheit für die persönliche Wirklichkeit und reale Situation der Interaktionspartner. 2. Personenbezogenheit: Sie zeigt sich in dem Ausmaß des korrekten Verstehens der persönlichen Eigenart der Interaktionspartner (des Gegenübers und der eigenen Person). 3. Akzeptationsbreite: Sie zeigt sich in dem Ausmaß an Achtung vor der individuellen Eigenart der Interaktionspartner (also wiederum vor sich selbst und vor dem anderen). WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 6
Die Bedeutung unterschiedlicher Vorgehensweisen: Differentielle Psychotherapie These: Durch Unterscheidung von Klienten- oder Störungs- Arten sowie diverser Methoden und durch entsprechende Zuordnungshypothesen ist Indikation und Effektmaximierung möglich Aber: lt. Strupp (1973) gehen nur 20%, lt. Lambert & DeJulio (1978) nur 10% der Effektvarianz auf Techniken zurück Trennung von Differentieller Psychotherapie und Therapeutischem Beziehungsverhalten überhaupt möglich? Teilweise Gültigkeit des Differentiellen Modells nach Beutler: WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 7
Unterscheidbare Klienten-Dimensionen für differentielles Vorgehen: 1. Die Symptom-Komplexität: Einfache und umschriebene Symptomatik (z.b. monosymptomatische Phobien) vs. komplexe und generalisierte Symptomatik (z.b. vielschichtige Phobien, Persönlichkeitsstörungen etc.). 2. Der Abwehr-Stil: Externale Abwehr oder angstmeidende Strategien (z.b. Projektion und Ausagieren) vs. internale Abwehr oder angst-bindende Strategien (z.b. Intellektualisieren und Etikettieren). 3. Der Bewältigungs-Stil oder die Reaktanz: Starke vs. schwache Reaktanz als stärkere bzw. schwächere Prädisposition, externalem Einfluss zu widerstehen. WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 8
Hauptrichtungen für differentielles Vorgehen (Beutler, 1979): 1. Kognitive Modifikation (z.b. Rational-emotive Therapie nach Ellis; oder Selbstanweisungs-Therapie nach Meichenbaum) 2. Kognitive Einsichtstherapie (z.b. psychoanalytische, individualpsychologische und neoanalytische Methoden), 3. Verhaltenstherapie (als vorstellungsvermittelte Behandlung von Verhalten, z.b. Systematische Desensibilisierung), 4. Verhaltensmodifikation (ohne Vorstellungsvermittlung und direkt, z.b. Münzverstärkungs-Programme, aversive Konditionierung), 5. Affektive Einsichtstherapie (klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Encounter-Therapien). WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 9
Vergleichsanalyse von Beutler: Eine Stichprobe von Patienten mit umschriebenen (einfachen) Symptomen, externalem Abwehrstil und einer schwachen Reaktanz würde den wahrscheinlichen Erfolg von Verhaltenstherapie maximieren, während eine Stichprobe von Patienten mit komplexen Symptomen, internalem Verteidigungsstil und hoher Reaktanz die wahrscheinlichen Effekte der affektiven Einsichtstherapie maximieren würden. (1979, p.894, Übers. D.Ts.) Bei allen unseren Diskussionen über Techniken und Verfahren muss daran erinnert werden, dass diese keine Psychotherapie konstituieren. Wenn Techniken angewendet werden, dann müssen sie aus der therapeutischen Beziehung abgeleitet werden. (Beutler, 1983, p.139, Übers. D.Ts.) WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 10
Spezifische Ziele in der Differentiellen Therapie: 1. Finale Ziele: Lösung von Kernkonflikten auf Grund der Selbstentwicklung in den Bereichen Bindung (attachment) und Trennung, Autonomie und Sicherheit, Ambivalenzen, die sich aus widersprüchlichen Bedürfnissen in diesen Bereichen ergeben. 2. Zwischenziele: (a) Einsichtsgewinn (b) emotionales Gewahrsein (c) Gefühlsintensivierung (d) Affektmilderung (e) Verhaltenskontrolle (f) Wahrnehmungsänderung. WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 11
Tabelle 4: Beutler (1983) Kennzeichen div.therapie- Richtungen WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 12
Tabelle 5: Zwischen ziele WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 13
Was ist Psychologische Beratung? Es gibt eine kaum zu überblickende Vielfalt von Definitionsvorschlägen; Überschneidung mit Therapie Deshalb Vorschlag: Hier Unterscheidung zwischen Therapeutischem Beziehungsverhalten und Differentieller Beratungssituation Probleme von Beratungsklienten Schädigungen durch spezifische Lebensumwelt eingeschränkte Handlungsfähigkeit (besonders auf Grund von:) Stressbedingungen, Benachteiligungen, Einschränkungen und Überforderungen Dadurch hervorgerufene Ängste, Gefühle der Wertlosigkeit und Hemmung sind nicht primär ein Ergebnis der negativen Selbstentwicklung wie bei Psychotherapieklienten, sondern stärker ein Ergebnis aktueller Belastungssituationen. (Sander, 1999, S.90) Spezifische Ziele: Bewältigung der konkreten aktuellen Belastungssituationen WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 14
Probleminhalte und Beratungsmethoden (Sander, 1999, S.36) Problem-Erfahrungsfelder Lösungsangebote Lebenswelterfahrung Beziehungserfahrung Selbsterfahrung Information und Orientierung Typ 1 Sachberatung in den Gebieten Beruf, Arbeit, Recht, Verwaltung, Institutionen, Gesundheit usw. Typ 2 Ehevorbereitungsberatung, Sexualberatung, klassische Erziehungsberatung usw. Typ 3 Berufsberatung, Begabungsberatung, diagnostische Beratung, Gesundheitsberatung, Eignungsberatung Deutung und Klärung Typ 4 Klärende und überschaubar machende Beratung in Verwaltung, Politik, Gemeinwesen, Wirtschaft usw. Typ 5 Paarberatung, Familienberatung, Personalberatung, Organisationsberatung, Institutionsberatung usw. Typ 6 Psychotherapeutische Beratung, Krisenberatung, Sterbeberatung, Selbstklärung, existenzielle Beratung usw. Handlung und Bewältigung Typ 7 Schuldnerberatung, Beratung über effektiven Umgang mit Institutionen, Behörden, Verwaltungen usw. Typ 8 Mediationsberatung, Trennungsberatung, lösungsorientierte Familienberatung, Verhaltensmodifikation bei Paaren und Familien Typ 9 Gesundheitsberatung, Stressberatung, Meditationstechniken, Verhaltensmodifikation bei seelischen und körperl. Störungen usw. WS 02-03 Kap.3: Definition von Psychotherapie und Psychologischer Beratung 15