Einleitung. Was versteht man unter chronischer Krankheit?



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Transkript:

Die chronische Krankheit im Recht der medizinischen Rehabilitation: Inwieweit werden chronisch Kranke nach den geltenden Vorschriften besonders berücksichtigt? Referat von Harry Fuchs, Düsseldorf im Rahmend es 2. Workshops zum Projekt Chronische Krankheit im Recht der medizinischen Rehabilitation und der gesetzlichen Krankenversicherung am 30.6.2006 in Lübeck Einleitung Dass die medizinische Akutversorgung den Anforderungen, die sich gesellschaftlich, medizinisch und ökonomisch aus der Zunahme von Menschen mit chronischen Krankheiten und deren Lebensbedingungen ergeben, nur unzureichend gewachsen ist, wird in der Öffentlichkeit kaum noch bestritten. In der Fachwelt ist eine differenzierte Diskussion zur bedarfsnotwendigen Berücksichtigung der chronischen Krankheiten in den Versorgungsbereichen Akutversorgung und Rehabilitation geboten. Im Recht der Akutversorgung beschränkt sich der Umgang mit chronischer Krankheit bisher auf spezifische Versorgungsangebote ( z.b. strukturierte Behandlungsprogramme DMP-) oder normative Zieldefinitionen (z.b. 2a SGB V), deren Ausführung jedoch nicht weiter operationalisiert bzw. unter entsprechende Controlling-Systeme gestellt wird. Demgegenüber erfasst das Recht der Rehabilitation und Teilhabe die Menschen mit chronischen Krankheiten für alle Rehabilitationsträger verbindlich umfassend und enthält auch ausgeprägte Regelungen zur Operationalisierung und zum Controlling. Hier sind nicht fehlende gesetzliche Regelungen, sondern die Nichtdurchführung geltenden Rechts das Problem. Was versteht man unter chronischer Krankheit? Das Sozialrecht enthält keine Lex-artis-Definition von chronischer Krankheit. Für die Auslegung des geltenden Rechts muss deshalb auf medizin-wissenschaftliche bzw. sozialrechtliche Definitionen zurückgegriffen werden. In der Medizin wird in der Regel dann von einer chronischen Krankheit gesprochen, wenn sie über einen längeren Zeitraum besteht und kompensatorische Bemühungen erfordert, die mit einem hohen Bedarf an medizinischen Versorgungsleistungen einhergehen. Dabei gilt eine Behandlung von mehr als einem Jahr als längerer Zeitraum Das Recht der Krankenversicherung enthält keine Definition von chronischer Krankheit, sieht aber für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden chronischen Krankheit in Dauerbehandlung sind, eine geringere Zuzahlung vor ( 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach 1 der diesbezüglichen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ( 91 SGB V) ist eine Krankheit im Sinne des 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der Behandlungsbedürftigkeit zur Folge hat. Das umschreibt allerdings jedwede Krankheit, nicht nur die bereits chronisch gewordene. Nach 2 ist eine Krankheit schwerwiegend chronisch, wenn sie wenigstens ein Jahr lang mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde (Dauerbehandlung) und bei dem Patienten weitere Merkmale bezogen auf den Grad der Pflegebedürftigkeit, den Grad der Behinderung vorliegen oder eine Versorgung zur Vermeidung einer lebensbedrohlichen Verschlimmerung, einer Verminderung der Lebenserwartung oder einer dauerhaften Beeinträchtigung der Lebensqualität erforderlich ist. Damit könnte im Umkehrschluss eine chronische Krankheit auch schon bei einer Behandlungsdauer von weniger als einem Jahr und einer geringeren Behandlungsdichte angenommen werden, weil eine Dauerbehandlung von mindestens einem Jahr in Verbindung mit den weitergehenden Kriterien bereits als schwerwiegend chronische Erkrankung definiert wird. 1

Die chronische Krankheit im Recht der Rehabilitation Das Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen beinhaltet ebenfalls keine Legaldefinition der chronischen Krankheit. Das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) bezieht an verschiedenen Stellen die chronische Krankheit ausdrücklich in den Behindertenbegriff ein (u.a. 3, 26 SGB IX). In der Begründung zu 2 SGB IX hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch chronisch Kranke sowie suchtkranke Menschen einbezogen sind, soweit bei ihnen die jeweiligen Voraussetzungen gegeben sind (BT-Drs. 14/5074 S. 98). Nach Mrozynski wäre die Auffassung nicht zutreffend, der Begriff der Behinderung umfasse die chronische Erkrankung ( 26 Rn 2), Nach seiner Auffassung hat der Gesetzgeber die chronischen Erkrankungen nur für das Leistungsrecht den Behinderungen gleichgestellt. Dem widerspricht jedoch die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Präventionsauftrag ausdrücklich darauf ausgerichtet hat, dass der Eintritt einer Behinderung einschließlich einer chronischen Krankheit vermieden wird ( 3 SGB IX). Mrozinski stellt dagegen zu Recht fest, dass chronische Krankheiten unabhängig von ihrer Schwere zur Behinderung werden, wenn die Teilhabe beeinträchtigt ist ( 2 Rn. 12). Genau das hat der Gesetzgeber mit dem zitierten Vorbehalt in der Begründung soweit bei Ihnen die jeweiligen Voraussetzungen gegeben sind gewollt. Führt eine chronische Krankheit zu einer Teilhabebeeinträchtigung oder droht eine solche, dann sind die Voraussetzungen der 1, 2 SGB IX erfüllt und die chronische Krankheit in den Behinderungsbegriff einbezogen. Der Gesetzgeber ist unter Berücksichtigung der Maßstäbe der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) offensichtlich davon ausgegangen, dass eine chronische Krankheit ohne Teilhabebeeinträchtigung bzw. drohende Teilhabebeeinträchtigung nur noch eine eher statistisch relevante Ausnahmeerscheinung ist. Da sich der Behinderungsbegriff des 2 SGB IX teilweise noch eng am Wortlaut des früheren Schwerbehindertenrechts orientiert, wurde bereits während des Gesetzgebungsverfahrens zum SGB IX, insbesondere von den Verbänden der Rehabilitationsträger, aber auch von den Spitzenorganisationen der Leistungserbringer, die Gefahr gesehen, dass bei der Anwendung des SGB IX auf dem Hintergrund des für die einzelnen Rehabilitationsträger geltenden speziellen Rechts unterschieden werden könnte zwischen chronisch Kranken, die zugleich die Behinderungseigenschaft des 2 nachweisen und solchen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Eine solche interpretative Differenzierung hätte zur Folge, dass nur die chronisch Kranken, die zugleich behindert im Sinne des 2 SGB IX sind, ihre Leistungen nach dem SGB IX erhalten würden. Die ca. drei Viertel aller chronisch Kranken (zb Kinder, Jugendliche und ältere Menschen), deren Erkrankungen für das Lebensalter nicht untypisch sind, würden dagegen ihre Rehabilitationsleistungen nicht auf der Basis des SGB IX, sondern ausschließlich auf der Grundlage des für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Sozialgesetzes erhalten. Ein solches Ergebnis würde die Konvergenz-, Koordinations- und Kooperationsziele des SGB IX nachgerade konterkarieren. Um dies klar zu stellen, betont 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, dass die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zielgerichtet auch zur Beseitigung der durch chronische Erkrankungen verursachten Einschränkungen zu erbringen sind und 26 SGB IX für die gesamte medizinische Rehabilitation chronisch Kranker die einheitliche Rechtsgrundlage aller Rehabilitationsträger ist. Zur Vermeidung der befürchteten Fehlinterpretationen wurden zudem in den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen Querverweise auf das SGB IX aufgenommen ( z.b. 11 Abs. 2 Satz 3 SGB V, 15 Abs. 1 SGB VI ), um sicher zu stellen, dass sich die Ausführung der medizinischen Rehabilitation chronisch Kranker immer nach dem SGB IX richtet. So sind nach 11 Abs. 2 Satz 3 SGB V die Leistungen zur Rehabilitation der Krankenversicherung unter Beachtung des SGB IX zu erbringen, soweit im SGB V nichts anderes 2

bestimmt ist. Das SGB V enthält jedoch ebenso wenig eine Definition von chronischer Krankheit, wie eine vom SGB IX abweichende Definition des Behinderungsbegriffs im Zusammenwirken mit chronischer Krankheit. Danach sind die im SGB IX enthaltenen Definitionen und Maßstäbe zur chronischen Krankheit unmittelbar für die Rehabilitationsleistungen der Krankenversicherung wirksam. 2a SGB V bestimmt im Übrigen ausdrücklich, dass den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen bei der Durchführung des Fünften Sozialgesetzbuches Rechnung zu tragen ist. Dies knüpft an die Regelung des 27 SGB IX an, wonach die in 26 Abs. 1 SGB IX genannten Ziele und 10 SGB IX auch bei der Krankenbehandlung gelten. Damit haben die Krankenkassen nicht nur ihre Rehabilitationsleistungen, sondern alle Leistungen der Krankenversorgung auf die für die Rehabilitation bei chronisch kranken und behinderten Menschen ( 26 Abs. 1 SGB IX) gesetzlich vorgegebenen Ziele auszurichten und im Übrigen auch bei Leistungen der Krankenbehandlung den individuellen Leistungsbedarf funktionsbezogen im Sinne der ICF festzustellen ( 10 SGB IX). Dass dies mit der Pflicht aller Rehabilitationsträger nach 8 SGB IX korrespondiert, bei der Gewährung jedweder Sozialleistungen den Bedarf an Leistungen zur Teilhabe zu prüfen, liegt auf der Hand. Auf die weiteren Regelungen des SGB V mit Bezügen zum Begriff der chronischen Krankheit bzw. das Rehabilitations- und Teilhaberecht (z.b. strukturierte Behandlungsprogramme bei chronischen Krankheiten - 137f SGB V-) soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Zielorientierung der Rehabilitation Als für alle Rehabilitationsträger einheitliche Leistungsvoraussetzung gestattet 4 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe - einschl. der medizinischen Rehabilitation ausschließlich zur Erreichung der in 4 Abs. 1 genannten Ziele, die (nach Maßgabe dieses Buches) für die medizinische Rehabilitation durch 26 Abs. 1 SGB IX weiter konkretisiert werden. 26 Abs. 1 SGB IX übernimmt die Zieldefinitionen des 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IX und stellt mit der Aufnahme der Definition aus dem Präventionsbereich - 3: Behinderungen einschl. chronischer Krankheiten klar, dass die auf Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ausgerichtete übergeordnete Zielsetzung des 1 SGB IX für alle Teilhabeleistungen ( 4. 5 SGB IX) und damit selbstverständlich auch für die medizinische Rehabilitation von Menschen mit chronischen Krankheiten gilt, bei denen eine Teilhabebeeinträchtigung bereits eingetreten ist oder droht. Das Fünfte Sozialgesetzbuch enthält dazu keine abweichenden Regelungen im Sinne des 7 Satz 1 SGB IX/11 Abs. 2 Satz 3 SGB V. Im Gegenteil: Ausschließlich im Bereich der Mutter/Vater-Kind-Rehabilitation enthält 41 Abs. 1 SGB V eine Beschränkung auf die Voraussetzungen des 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der einen Anspruch auf Krankenbehandlung nur zur Erkennung, Heilung, Verhütung der Verschlimmerung oder Linderung einer Krankheit vorsieht. Die allgemeine Rehabilitationsvorschrift der Krankenversicherung ( 40 SGB V) enthält demgegenüber eine solche ausdrückliche Beschränkung auf die Ziele der Krankenversorgung nicht, sondern bezieht sich ausdrücklich auf die in 11 Abs. 2 SGB V genannten Ziele das sind die des SGB IX. Die seit vielen Jahren von den Krankenkassen vertretene Auffassung, sie dürften ihre Rehabilitationsleistungen ausschließlich zur Erreichung der in 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V beschriebenen Ziele der Krankenbehandlung durchführen, entbehrt danach seit Inkrafttreten des SGB IX einer tragfähigen Rechtsgrundlage. Auch im Bereich der Krankenversicherung ist seitdem nicht mehr Art und Schwere einer Krankheit oder der Grad der Pflegebedürftigkeit, sondern Art und Ausprägung der durch die chronische Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit verursachten Teilhabebeeinträchtigung Maßstab für den Anspruch auf eine medizinische Rehabilitationsleistung, die Rehabilitations-(Teilhabe-)prognose, die Ausführung der Leis- 3

tung, die Eignung der zur Ausführung herangezogenen Rehabilitationseinrichtung wie auch die Ergebnisqualität der Leistung. Letztlich bedeutet die Zielorientierung auf die Teilhabe für die medizinische Rehabilitation der Krankenversicherung auch, dass die Erkennung, Heilung oder Linderung von Krankheiten für sich gesehen nur noch einen Anspruch auf Mutter/Vater-Kind-Rehabilitationsleistungen begründen können. In den Leistungsfällen nach 40 SGB V, können diese Ziele nur noch in Verbindung mit einer Zielsetzung nach 1, 4 Abs. 1, 26 Abs. 1 SGB IX leistungsbegründende Tatbestände sein. Bedarfsorientierung der Rehabilitation Die Krankenkassen haben wie alle Rehabilitationsträger nach 10 SGB IX die individuell erforderlichen Leistungen funktionsbezogen festzustellen und schriftlich so zusammenzustellen, dass sie nahtlos ineinander greifen. Nach 27 SGB IX gilt diese Regelung ausdrücklich auch bei Leistungen der Krankenbehandlung, d.h., bei allen Leistungen des SGB V. Da in diesem Kontext immer Leistungen verschiedener Leistungsgruppen nicht nur des 5 SGB IX, sondern auch des SGB V anfallen, kann die Anwendung des 10 SGB IX auch inhaltlich nicht streitig sein. Daneben besteht nach 8 SGB IX die Verpflichtung der Krankenkassen zu prüfen, ob Leistungen zur Teilhabe voraussichtlich erfolgreich sind, bei jeder Gewährung einer Leistung nach dem SGB V, weil alle diese Leistungen bei chronisch kranken Menschen durchweg unter Berücksichtigung einer Behinderung oder einer drohenden Behinderung beantragt oder erbracht werden und zwar unabhängig von der Entscheidung über diese Leistungen. Verfahren die Krankenkassen nach diesen Vorschriften, ist gewährleistet, dass - nicht nur bei chronisch kranken Menschen, sondern generell durch Krankheit verursachte Teilhabebeeinträchtigungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt wahrgenommen, - die erforderlichen Präventions-/Rehabilitationsleistungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt bereitgestellt und ausgeführt und - die teilhabeorientierten Rehabilitationsziele nach 1, 4 Abs. 1, 26 Abs. 1 SGB IX erreicht werden. Geeignete Rehabilitationseinrichtungen Die Rehabilitationsträger dürfen zur Ausführung der Leistungen nur Rehabilitationseinrichtungen heranziehen, die geeignet, nach 19 Abs. 4 Satz 1 SGB IX sogar am besten geeignet sind ( 17 Abs.1 SGB IX). Zur Ausführung von Rehabilitationsleistungen geeignet sind solche Einrichtungen, die nach ihrer Struktur- und Prozessqualität Gewähr dafür bieten, dass die auf Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ausgerichteten individuellen Rehabilitationsziele von den chronisch kranken Menschen in dieser Einrichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erreicht werden können. Danach besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Teilhabebeeinträchtigung, Rehabilitationszielen (Reha-/Teilhabeprognose) sowie Eignung der Rehabilitationseinrichtung und deren Qualität. Rehabilitation Pflegebedürftiger Menschen Die Pflegekassen sind nicht Rehabilitationsträger; an Stelle der Pflegekassen hat der Gesetzgeber den Krankenkassen auch die Aufgabe der Rehabilitation zur Beseitigung, Minderung, Vermeidung usw. von Pflegebedürftigkeit ebenfalls übertragen. Rechtsgrundlage sind die 11 Abs. 2 und 40 SGB V. Das SGBV enthalt keine davon abweichenden spezifischen Regelungen für die Rehabilitation pflegebedürftiger oder von Pflegebedürftigkeit bedrohter Menschen. Ebenso wie für chronisch kranke Menschen kommt es auch bei pflegebedürftigen oder von Pflegebedürftigkeit bedrohten Menschen für die Beurteilung eines Rehabilitationsanspruchs 4

entscheidend darauf an, dass eine Teilhabebeeinträchtigung vorliegt oder droht. Der Grad der eingetretenen Pflegebedürftigkeit begründet Art und Ausprägung der durch die Pflegebedürftigkeit verursachten Teilhabebeeinträchtigung, ist aber im Übrigen noch für die Definition der Rehabilitationsziele, ansonsten jedoch für die Rehabilitation weitestgehend bedeutungslos. Der Zeitpunkt der Leistungsgewährung soll nicht zuletzt auch aus ökonomischen Gründen bei jedwedem Anlass von Rehabilitationsleistungen immer der frühestmögliche sein. Ist Auslöser für den Leistungsfall ein Drohens-Tatbestand (unabhängig davon, ob eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. Pflegebedürftigkeit droht), richtet sich die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit immer nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und dem darauf basieren Erfahrungswissen. Nach 8 SGB IX ist im Übrigen die Erfolgsaussicht von Teilhabeleistungen Maßstab für die Einleitung eines Verfahrens, nicht der Grad einer Wahrscheinlichkeit. Zur Abgrenzung von Rehabilitation/Vorsorge zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit siehe folgenden Abschnitt. Abgrenzung Vorsorge/Rehabilitation Im Gegensatz zu allen übrigen Rehabilitationsträgern können die Krankenkassen nach 23 SGB V Vorsorgeleistungen gewähren, um im Vorfeld einer Krankheit eine Schwächung der Gesundheit zu beseitigen (Ziff. 1), einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegen zu wirken (Ziff. 2), eine Krankheit zu verhüten, deren Verschlimmerung zu vermeiden (Ziff.3) oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden (Ziff. 4). Diese Vorsorgeleistungen werden durch das SGB IX nicht erfasst, da es sich um Leistungen für Menschen handelt, bei denen eine Teilhabebeeinträchtigung weder vorliegt noch droht. Die Vorsorgeleistungen der Krankenkassen beinhalten einen gesetzlich klar umrissenen und begrenzten Auftrag zur personenbezogenen Prävention mit der Zielsetzung, den Eintritt einer Krankheit bzw. von Pflegebedürftigkeit zu vermeiden (Ziff. 1,2 u.4). Diese Leistungen greifen im Vorfeld manifest gewordener Erkrankungen. Da nicht einmal eine Krankheit manifest geworden ist, kann sie im Zweifel auch eine Teilhabebeeinträchtigung begründet haben, die mit Leistungen zur Rehabilitation zu behandeln wäre. Abgesehen von dem Tatbestand der Pflegebedürftigkeit sind bei dieser eindeutigen gesetzlichen Abgrenzung rechtlich keine Überschneidungen zwischen Rehabilitations- und Vorsorgeleistungen gegeben. Ist eine Krankheit eingetreten, können zur Vermeidung einer Verschlimmerung der Krankheit, d.h., auch zur Vermeidung ihrer Chronifizierung, ebenfalls Vorsorgeleistungen gewährt werden. Bedingt die Krankheit oder chronische Krankheit eine Teilhabebeeinträchtigung im Sinne der ICF oder droht eine solche Teilhabebeeinträchtigung, sind die Voraussetzungen für eine Rehabilitationsleistung gegeben. Auch insoweit ist eine Überschneidung zwischen Vorsorge und Rehabilitationsleistungen nicht zu erkennen. Die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit ist zwar sowohl Zielsetzung nach dem SGB IX, wie auch nach 23 SGB V. Auch hier kann nicht von einer Überschneidung von Zielen gesprochen werden. Da pflegebedürftige Menschen immer zugleich auch häufig sogar besonders schwer behinderte Menschen sind, sind in der übergroßen Mehrzahl die Voraussetzungen nach dem SGB IX gegeben. Dass 23 SGB V dennoch diese Zielsetzung auch enthält, ist vielmehr der Absicht geschuldet, Pflegebedürftigkeit immer und zu jeder Zeit zum frühest möglichen Zeitpunkt zu bekämpfen, auch denn schon, wenn eine Krankheit noch keine Teilhabebeeinträchtigung begründet, wohl aber eindeutige Symptome zeigt, die ohne weitere Maßnahmen im weiteren Verlauf Pflegebedürftigkeit begründen können. Alles entscheidend ist die Frage, ob und wie die Kostenträger ihrer Verpflichtung zur individuellen Feststellung des funktionsbezogenen Leistungsbedarfs nachkommen. Ohne qualifi- 5

zierte, ICF-orientierte Assessments zur Feststellung des Rehabilitationsbedarfs - ausgehend von Art und Ausprägung der Teilhabebeeinträchtigung - sind weder die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Rehabilitationsbedarfs, noch in Abgrenzung dazu auf der darunterliegenden Versorgungsebene die Voraussetzungen für die Gewährung von Vorsorgeleistungen zweifelsfrei zu klären. Es handelt sich im wesentlichen um ein Problem der Rechtsdurchführung, nicht der Rechtsauslegung. Sollte der anspruchsberechtigte Personenkreis in 26 SGB IX verankert werden? Nach 7 Satz 2 SGB IX richten sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen. Nach der vom Gesetzgeber gewählten Rechtssystematik ist deshalb solange der Gesetzgeber diese Systematik beibehält, wobei keine überzeugenden Gründe für eine Änderung ersichtlich sind der anspruchsberechtige Personenkreis in den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen zu regeln und geregelt. Zusammenfassung: Ausgehend von der Überzeugung, dass chronisch kranke Menschen durchweg behindert oder von Behinderung bedroht sind, gilt das Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) in gleicher Weise für behinderte und chronisch kranke Menschen bzw. solchen, die davon bedroht sind. Für die Begründung eines Anspruchs auf Rehabilitationsleistungen kommt ist die Feststellung des Rehabilitationsträgers, dass eine Teilhabebeeinträchtigung vorliegt, wesentlicher, als die Frage ob eine Krankheit, chronische Krankheit oder Behinderung diese verursacht hat. Das Rehabilitationsrecht der Krankenversicherung bezieht sich mit Ausnahme der Regelung des 41 SGB V ausdrücklich auf 11 Abs. 2 bzw. das SGB IX und nicht auf die in 27 Abs. 1 SGB V genannten Ziele. In Ermanglung abweichender Vorschriften sind damit die im SGB IX für chronische Krankheiten und chronisch kranke Menschen enthaltenen Regelungen unmittelbar im Bereich der Krankenversicherung geltendes Recht. Leistungsbegründender Tatbestand für die medizinische Rehabilitation aller Rehabilitationsträger ist nach dem SGB IX Art und Ausprägung der Teilhabebeeinträchtigung. Art und Schwere der Erkrankung definiert demgegenüber lediglich noch die Ursache für die Teilhabebeeinträchtigung, die den Rehabilitationsbedarf und damit die Rehabilitationsleistung auslöst. Leistungsziele, Leistungsinhalte sowie die Qualität der Leistungen sind auf die Behandlung der Teilhabebeeinträchtigung auszurichten. Die wegen Art und Schwere der Krankheit erforderliche Krankenbehandlung ist selbstverständlich währen der medizinischen Rehabilitation sicher zu stellen, soweit es sich um Erfordernisse handelt, die mit den Mitteln einer Rehabilitationseinrichtung bewältigt werden können. Erfordert die Krankenbehandlung therapeutische Interventionen, die mit den Mitteln einer Rehabilitationseinrichtung nicht bewältigt werden können (sogen. interkurrente Erkrankung), ist die Rehabilitationsleistung zu beenden. Die Ziele der Krankenbehandlung Herstellung der bestmöglichen Gesundheit sind dann im Rahmen der Akutversorgung zu verfolgen. 6