Erdfälle und Tagesbrüche Möglichkeiten einer numerischen Modellierung. Sinkholes and caves to the surface - possibilities of a numerical modelling
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1 veröffentlicht in: Bulletin für angewandte Geologie 12/1, 2007 Erdfälle und Tagesbrüche Möglichkeiten einer numerischen Modellierung Sinkholes and caves to the surface - possibilities of a numerical modelling GÜNTER MEIER 1 JÖRG MEIER 2 Stichworte Tagesbruch, Erdfall, Verbruchprozess, Verbruchmodellierung, Verbruchberechnung, Äquidistanz, Gesetzmäßigkeit, Zufälligkeit, Karst, Altbergbau Zusammenfassung Die Genese von Erdfällen und Tagesbrüchen ist sehr ähnlich, da sie auf gleichen geomechanischen Gesetzmäßigkeiten beruhen. Mehrere numerische Modelle sind für die Abschätzung von Tagesbrüchen bekannt. Sie sind auch für die numerischen Modellierungen von Erdfällen nutzbar. Einen erheblichen Einfluss auf die räumliche Anordnung und Verteilung von Erdfällen nimmt das strukturgeologische Inventar im Fels. Die Rupturen folgen Gesetzmäßigkeiten, aber auch Zufälligkeiten. Für die Äquidistanz der einzelnen Hauptkluftrichtungen wird eine numerische Beziehung vorgestellt. Für die Zufälligkeiten bedarf es jedoch stets objektspezifischer ingenieurgeologischer Untersuchungen und Bewertungen. Die Gesetzmäßigkeiten und Zufälligkeiten der Eigenschaftsverteilungen gilt es bei den objektspezifischen Betrachtungen zu filtern. Eine numerische Tagesbruch- und Erdfalleinschätzung kann nur unter diesen Aspekten erfolgreich weiterentwickelt werden. Abstract The genesis of sinkholes and caves to the surface is very similar because they base on the same geomechanical mechanism. Many numerical models for the estimation of caves to the surface are known. They are also useable for the numerical modelling of sinkholes. The structural fabric has a much wider influence on the areal arrangement and distribution of sinkholes. The ruptures follow rules and randomness. For the equidistance of the different main joint directions a numerical correlation is presented. Concerning the randomness always object specific analysis and estimations of structural geology are necessary. Performing object specific considerations the rules and the randomness in distribution of properties are to filter out. Only under these aspects a numerical estimation of sinkholes and caves to the surface can be enhanced successfully. 1 Dr.-Ing. habil. Meier, Günter - Ingenieurbüro Dr. G. Meier, Wegefarth/Freiberg 2 Dipl.-Ing. Meier, Jörg - Bauhaus-Universität, Weimar
2 1. Problemstellung Bei der Nutzung der Tagesoberfläche in Karst- und Altbergbaugebieten stellt sich immer wieder die Frage nach den Gefahren und Risiken für die Tagesoberfläche, die sich insbesondere aus verbrechenden Hohlräumen im Untergrund ergeben. Eine Gefahr liegt dann vor, wenn in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ereignis zu erwarten ist und eine Bedrohung von Schutzgütern besteht. Als Risiko wird das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß für ein zu erwartendes unerwünschtes Ereignis definiert (AUTORENKOLLEKTIV 2004). In Karstgebieten werden diese Einbrüche an der Geländeoberfläche als Erdfälle bezeichnet. Tagesbrüche entstehen durch den Verbruch von bergmännisch hergestellten Hohlräumen (Abb. 1). Verbruch von natürlichen Hohlräumen Erdfall von anthropogen geschaffenen Hohlräumen von unverritztem Gebirge Tagesbruch Mundlochverbruch von verritztem Gebirge Schachtverbruch Nachbruch Abb. 1: Definition des Verbruch-Begriffes Über einem Hohlraum mit nicht dauerstandsicheren Deckschichten kann es unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Verbruch an der Tagesoberfläche kommen. Sowohl bei natürlichem als auch bei anthropogenem Ursprung der verbrechenden Hohlräume sind beide Einsturzbilder an der Tagesoberfläche sehr ähnlich, da der Verbruchmechanismus der Deckschichten gleichen fels- bzw. bodenmechanischen Gesetzen folgt. Für die quantitative Modellierung von Tagesbrüchen existieren mehrere numerische Ansätze, um deren Verbruchparameter an der Tagesoberfläche zumindest abschätzen zu können. Da auch Erdfälle vergleichbare geotechnisch-markscheiderische Verbruchkennwerte wie Tagesbrüche an der Tagesoberfläche aufweisen, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten einer ebenfalls numerischen Modellierung von Erdfällen. Grundlage einer quantitativen Bewertung ist dabei stets die eindeutige Klärung der jeweiligen ingenieurgeologischen Randbedingungen zum Verbruchprozess und zur räumlichen Verteilung von potentiellen Verbruchstandorten, um eine numerische Betrachtung überhaupt sinnvoll ansetzen zu können
3 2. Vergleich der ingenieurgeologischen Randbedingungen zu Verbruchprozessen und numerische Ansätze für Tagesbrüche und Erdfälle 2.1 Tagesbruch Ein Tagesbruch stellt aus ingenieurgeologischer und gebirgsmechanischer Sicht die Endphase eines als Hochbruchprozess bezeichneten dynamischen, dreidimensionalen Verbruchvorganges mit Durchschlag zur Tagesoberfläche im Locker- oder Festgestein dar. Beim Verbrechen des Deckgebirges über einem Hohlraum bildet sich als Idealform in der aktiven Verbruchzone ein senkrecht stehender, halbierter Rotationsellipsoid aus. Unter steter Einwirkung der Schwerkraft arbeitet sich progressiv ein Volumen- und damit gleichzeitig Massendefizit senkrecht in Richtung Tagesoberfläche vor (Abb. 2). Abb. 2: Schematisches Blockbild eines Hochbruches über einer Strecke Grundvoraussetzung für einen Tagesbruch ist die Existenz von bergmännisch angelegten Hohlräumen. Nicht jeder Bergbauhohlraum muss jedoch zwangläufig zum Tagesbruch führen. Erst wenn kein ausreichend standfestes Deckgebirge vorhanden ist, eine zu geringmächtige Überdeckung vorliegt oder ein stabilisierender Ausbau seine Funktion verliert, kommt es von unten nach oben zu einem Verbruchprozess, der bis zur Tagesoberfläche durchschlagen kann. Im Allgemeinen fallen Tagesbrüche punktuell und die Pingen reihen sich oft perlschnurartig auf. Im Endstadium des Verbruchprozesses entspricht die Pingenlandschaft nahezu dem - 3 -
4 Konturverlauf des Grubenbaues. Als Beispiel sei hier eine verbrochene tagesnahe Strecke genannt, worüber die Tagesbrüche perlschnurartig aufgereiht sind. Unter bestimmten geometrischen Randbedingungen und unter Einfluss der anstehenden Deckgebirgseigenschaften stellen sich verschiedene Verbruchbilder an der Tagesoberfläche ein, deren Formen sich in Abhängigkeit von der Zeit erheblich ändern können und verschiedene Stadien der Verbruchentwicklung widerspiegeln. Ein Überhängen der Verbruchränder ist im Jugendstadium oder bei stark kohäsiven oberen Deckschichten zu beobachten. Trichterartige Hohlformen bilden sich nach längerer Standzeit oder bei nicht kohäsiven Deckschichten. Bei einem Vergleich der Verbrüche und einer numerischen Betrachtung ist es deshalb notwendig, sich auf senkrechte Verbruchränder zu beziehen. Geländebeobachtungen zeigen, dass sich der Verbruch in der Regel vertikal über den Hohlraum einstellt. Störungszonen, steiles Schichteinfallen oder geneigte Hohlräume können den Verbruchschlot in seinem Verlauf jedoch modifizieren. In vielen Fällen wurden im Bereich befestigter Oberflächen (z. B. Beton- oder Asphaltschichten) Vorsenkungen in Form von Eindellungen und konzentrischen Rissbildungen vor dem eigentlichen Verbruchereignis beobachtet. Relativ umfangreiche Untersuchungen und numerische Ansätze zu den Verbruchmechanismen von Hohlräumen liegen aus dem Arbeitsgebiet des Altbergbaues vor. Als Tagesbruch wird hier das schrittweise Hocharbeiten eines Volumen- und damit gleichzeitig Massendefizites im Untergrund in Richtung der Tagesoberfläche im gewachsenen Deckgebirge definiert. Das Hochbrechen des Volumendefizites findet in einem mehr oder weniger senkrechten, zylindrischen Bruchschlot statt, der sich nach dem strukturgeologischen Inventar und insbesondere nach den tektonischen Elementen (z. B. Störungen) orientiert. Der Nachfallprozess kann zeitweise unterbrochen werden, was auf die Ausbildung gewölbeförmiger, labiler Gleichgewichtszustände im hangenden Gebirge zurückzuführen ist. Einen grundlegenden Unterschied zwischen Locker- und Festgesteinsbereiche beim Verbruchablauf kann nicht festgestellt werden, zumal domartige Verbrüche im Festgesteinsbereich dort auftreten, wo eine hohe, lockergesteinsähnliche Verbandsauflösung vorliegt. Eine differenzierte, objektspezifische Betrachtung der Verbruchvorgänge im Locker- und Festgestein ist jedoch bei der Bewertung der konkreten Tagesbruchwahrscheinlichkeit unumgänglich, um realbezogene Ergebnisse zu erhalten. Modelle zur Tagesbruchabschätzung Empirische Modelle Analytische Modelle Numerische Modelle Bruchgewölbemodelle Geometrisch-ingenieurgeologische Modelle Geomechanische Modelle Komplexmodelle Hohlraum-Bruchmassen- Bilanz-Modelle Kräftegleichgewichtsmodelle In Abbildung 3 sind verschiedene Modelle zur Tagesbruchabschätzung zusammengestellt. Abb. 3: Modelle zur Tagesbruchabschätzung - 4 -
5 Die empirischen Modelle basieren auf statistischen Auswertungen von Daten und den daraus abgeleiteten statistisch gesicherten Regeln und Formeln. Differenzierte ingenieurgeologische, hydrogeologische und geomechanische Einflussfaktoren werden in einem stark abstrahierten Rahmen zusammengefasst, so dass meist nur Aussagen zur Größenordnung und stark regional oder begrenzt revierbezogen möglich sind. Beispiele hierfür sind Veröffentlichungen von FENK (1979, 1981 und 1984) und von LERCHE & LEMPP (2002). Bei den analytischen Modellen werden geometrische, geomechanische und ingenieurgeologische Zusammenhänge und Erkenntnisse genutzt, um ein Regelwerk für den Verbruchverlauf aufstellen zu können. Grundsätzlich werden dazu geometrische Daten und Materialkennwerte sowie Kenntnisse zu hydrogeologischen Verhältnisse benötigt. Diese Eingangsdaten beeinflussen die Genauigkeit der Modelle grundlegend. Die primäre Hohlraumgeometrie und die Deckgebirgseigenschaften, insbesondere die Mächtigkeit, bestimmen maßgeblich die Tiefe und den Durchmesser des Tagesbruches. ECKART (1972 und 1973) gibt mit der nachfolgenden Gleichung eine Abschätzungsmöglichkeit für eine Hohlraum-Bruchmassen-Bilanz (HBB) an, die erforderliche Grenzdeckgebirgsmächtigkeit H max zu bestimmen. Sollte ein Hohlraum tiefer als H max liegen, kann davon ausgegangen werden, dass für die Tagesoberfläche kein Verbruchrisiko besteht. Eine Ausbreitung der Verbruchmassen in seitlich verbleibende Hohlräume in Form von Schüttkegel wird nicht berücksichtigt. (1) Mit den Parametern: s Schüttungszahl (in rm 3 /fm 3 ) 1,27(1 f ) h H max (in m) s 1 h Höhe des bergmännischen Hohlraumes (in m) f Versatzeinbringung (f = 1 für 100 %) In Abbildung 4 sind die numerischen Ansätze mit Hilfe der Hohlraum-Bruchmassen- Bilanz (HBB-Methode) nach G. MEIER (1978a) zur Abschätzung von Tagesbruchwahrscheinlichkeiten zusammengestellt. Charakteristik, Skizze und Formel senkrechte Bruchflächen über seitlich begrenztem bergmännischen Hohlraum, z. B. Stollen, Strecken, Gangabbaue u. a. h h (2) H max 1 s 1 l tan - 5 -
6 Charakteristik, Skizze und Formel gewölbeartiger Verbruch (Verbruchform: stehende Halbellipse) über seitlich begrenztem bergmännischen Hohlraum, z. B. Stollen, Strecken, Gangabbaue u. a. 1,274h h (3) H max 1 s 1 l tan schlotartiger Hochbruch mit senkrechten Bruchflächen über Flächenabbauen ohne seitliche Begrenzung für den Bruchmassenkegel (Verbruchform: Zylinder) 2 h h h (4) H max s 1 b tan 3b tan gewölbeartiger Hochbruch über Flächenabbauen, sonst wie vorher (Verbruchform: Rotationsellipsoid) 2 1,5 h h h (5) H max s 1 b tan 3b tan Abb.4: Hohlraum-Bruchmassen-Bilanz-Modell nach MEIER (1978a) Parameterbezeichnung: b Halbe Breite des Bruchschlotes l Breite des Bruchschlotes h Höhe des Hohlraumes s Auflockerungsfaktor (Schüttungszahl) innerer Reibungswinkel der Bruchmassen Über die Volumenbilanz wird die maximale Höhe des Bruchschlotes unter Berücksichtigung der sich ausbildenden Schuttkegel in den offenen, seitlich vorhandenen Hohlraum errechnet. Durch den Vergleich mit der realen Über
7 deckung (H vorh ) kann so eine Aussage zu der grundsätzlichen Möglichkeit eines Tagesbruches getroffenen werden. Dabei gilt folgende Forderung: H vorh > H max Sollte diese Gleichung erfüllt sein, kann davon ausgegangen werden, dass kein Tagesbruch eintritt, da sich der Verbruch totläuft. Bei den geomechanischen Modellen gehen neben geometrischen Daten insbesondere geomechanische Parameter in die Berechnungen ein. Dabei werden das Bruchgewölbemodell nach LISZKOWSKI (1973) und das Kräftegleichgewichtsmodell nach PENZEL (1980) unterschieden, Letzteres lehnt sich an die MOHRsche Bruchtheorie an. Bei dem Komplexmodell nach FENK (1979) werden die Deckgebirgsschichten über dem Hohlraum in Bruchbereiche unterteilt, welche nach ihrem Bruch- oder Fließverhalten unterschieden werden. Über ein Formelsystem (mehr als 100 Gleichungen) sind Aussagen zu dem Durchmesser und Volumen der Tagesbrüche kurz nach ihrer Entstehung möglich. Es kann dabei auf das kritische Primärbruchvolumen geschlossen werden, ab dem Tagesbrüche zu erwarten sind. Dieses Komplexmodell wurde für den Braunkohlentiefbau entwickelt und setzt die Kenntnis von bodenphysikalischen Kennwerten (Rohwichte, Kohäsion, Winkel der inneren Reibung, Auflockerungsfaktor) der einzelnen Deckschichten und der hydrogeologischen Verhältnisse voraus. Für eine numerische Modellierung werden mit Hilfe von leistungsfähiger Rechentechnik verschiedene numerische Ansätze genutzt. Als Beispiele für solche numerischen Ansätze sind die Finite Elemente Methode (FEM), die Finite Körper Methode (FKM) und die Finite Differenzen Methode (FDM) zu nennen. Auch bei diesen viel versprechenden Verfahren wirkt sich nachteilig aus, dass oft die nötigen Parameter und die Geometrie des Bruchbereiches nicht oder nur ungenau zur Verfügung stehen. Die oft diffuse Kenntnis zu den Parametern in ihrer Größe und räumlichen Verteilung nimmt grundlegenden Einfluss auf die quantitativen und qualitativen Ergebnisse bei der Berechnung und Bewertung von Tagesbrüchen. Einen Vergleich der verschiedenen Modelle zur Tagesbruchabschätzung beispielsweise im Braunkohlentiefbau ergeben sehr differenzierte Ergebnisse. Der Unterschied in den analytischen Verfahren tritt vor allem bei der hypothetischen Tiefe hervor, wo ein verbrechender Hohlraum zu keinem Tagesbruch mehr führt. Das Verfahren nach PENZEL gibt die optimistischsten Werte an (geringste nötige Überdeckung). Es folgen die HBB nach ECKART und die HBB nach MEIER. Für das Verfahren nach LISZKOWSKI kann keine Grenzteufe angegeben werden, da dieses teufenunabhängig arbeitet. Die Hochbruchsimulation im Programm FLAC erreichte größte Annäherung an die HBB nach MEIER (2002). Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kann deshalb bei einer numerischen Betrachtung von Tagesbrüchen im Fest- sowie im Lockergestein grundsätzlich nur von einer näherungsweisen Abschätzung gesprochen werden. 2.2 Erdfall Die Definition des Erdfalles ist in der ingenieurgeologischen Fachliteratur sehr allgemein gehalten und nicht immer widerspruchsfrei. Bereits MEYN (1850) versteht unter einem Erdfall einen plötzlichen, trichterartigen oder kesselförmigen, scharf begrenzten, kreisförmigen Einsturz an der Erdoberfläche durch unterirdische - 7 -
8 Auslaugung von Salz, Gips oder Kalkstein. Das Ingenieurgeologische Wörterbuch von 1964 definiert den Begriff Erdfall wie folgt: Erdfall (auch: Einsturztrichter), katastrophenartiger Einbruch der Erdoberfläche über einer durch Auslaugung (Verkarstung) entstandenen Höhle; meist über schwerere löslichen Gesteinen, wie Gips, Kalkstein usw.; vorkommend, aber auch über Steinsalz, hier abhängig vom Beanspruchungsgrad des Deckgebirges; s. a. Einsturz, Doline. REUTER & KOCKERT (1971) verweisen auf die unterschiedlich definierten Terminologien zu verschiedenen Formen der Verkarstung und insbesondere zum Erdfall. Eine Erklärung ist dazu die jeweilige phänomenologische oder genetische Betrachtungsweise. ADERHOLD (2005) und PRINZ & STRAUSS (2006) bezeichnen als Erdfall eine Einsturzdoline, die als Folge von Hohlraumbildungen im verkarstungsfähigen Untergrund zu Einbrüchen an der Erdoberfläche führt. Nicht nur für die Verständigung in der Fachwelt sondern insbesondere für eine ingenieurgeologische Analyse eines Erdfalles ist eine klare, genetisch bezogene Definition die Grundlage. Die verschiedenen Entwicklungsphasen eines Erdfalles sind dabei zu berücksichtigen, vergleichbar mit den verschiedenen Bruchphasen bei einem Tagesbruch. Das Erdfallgeschehen innerhalb des Karstes (Auslaugung) ist eingebettet in die exogen-geodynamischen Abtragungs- und Lösungsprozesse der Erdkruste (Abb. 5). Exogen-geodynamische Abtragungs- und Lösungsprozesse Erosion (Abtragungs- und Verlagerungsprozesse an der Erdoberfläche) Subrosion (unterirdische Lösungs- und Transportprozesse) weitere Prozesse (Deflation, Korrasion, Reptation u. a.) Karst (Silikat-, Karbonat-, Sulfat-, Chlorid- und Eiskarst) Suffosion (z. B. im Löß) Abb. 5: Schema zu den exogen-geodynamischen Abtragungs- und Lösungsprozessen Grundvoraussetzungen für den Karst sind lösliche Minerale und Wasser mit seinen chemischen und physikalischen Randbedingungen in einem bestimmten klimatischen und biologischen Milieu. Nackter und bedeckter Karst haben einen wichtigen Einfluss auf die Erscheinungsbilder der Auslaugung an der Tagesoberfläche und damit auch auf den Erdfallprozess. Ebenfalls sind aktive, inaktive und abgeschlossene Karstprozesse zu unterscheiden (REUTER et al. 1986). Unter den dargelegten ingenieurgeologischen Randbedingungen und unter dem Aspekt einer Vergleichbarkeit mit Tagesbrüchen sollte auch der Erdfall unter genetischen Aspekten definiert werden. Ein Erdfall stellt somit die Durchschlags
9 phase zur Tagesoberfläche eines dreidimensionalen dynamischen Hochbruchprozesses über einen natürlich entstandenen Hohlraum im Locker- oder Festgestein dar. Der Verbruch im Deckgebirge nähert sich unter steter Einwirkung der Schwerkraft beim Verbrechen einem senkrecht stehenden, halbierten Rotationsellipsoid als Idealform. Für die räumliche Anordnung und Verteilung der morphologischen Karstphänomene nimmt das strukturgeologische Inventar im Festgestein einen wichtigen Platz ein. An diese Rupturen unterschiedlicher Größenordnungen sind wiederum die Wasserwegigkeit und damit die Abtragungs- und Lösungsprozesse gebunden. Die Strukturelemente im Gebirge folgten einerseits gebirgsmechanischen Gesetzen, die bei der Entstehung der anstehenden Gebirgsschichten gewirkt haben, andererseits nahm auch das Chaosprinzip Einfluss auf die Verteilung und Anordnung der Rupturen. Gesetzmäßigkeit und Zufälligkeit prägen somit grundsätzlich die ingenieurgeologischen Eigenschaften jedes Gebirges. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass stets eine objektspezifische ingenieurgeologische Untersuchung und Bewertung notwendig ist, um die real existierenden Gebirgsbedingungen zu erfassen und Gesetzmäßigkeiten und Zufälligkeiten zu filtern, um aufgabenbezogene, effiziente Schlussfolgerungen ableiten zu können. Auch für Erdfälle gilt diese Gesetzmäßigkeit und Zufälligkeit. Nach MEIER (1978b) lässt sich die äquidistante Tennflächenverteilung der unterschiedlichen Größenordnungen im Festgestein nach folgender Beziehung beschreiben: (6) a a 2 n 0 n a n mittlerer Kluftabstand für die beobachtete Rupturgröße n a 0 beobachteter Trennflächenabstand einer Flächenschar der Rupturgröße 0 n Größenordung der untersuchten Ruptur, wobei n mit der Rupturgröße wächst und eine natürliche Zahl darstellt Diese Beziehung besitzt in petrographisch und tektonisch einheitlichem Gebirge (Homogenbereich) ihre Gültigkeit. Ändern sich beispielsweise die Gesteinsverhältnisse oder die strukturgeologische Situation, so ändert sich auch der kleinste beobachtete Trennflächenabstand. Die Veränderung dieser Eigenschaften ist sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Richtung zu erwarten. Jede statistisch ausgegliederte Kluftrichtung weist einen eigenen kleinsten beobachteten Trennflächenabstand auf, was jeweils einer getrennten statistischen Betrachtung bedarf. In der Abbildung 6 ist die Abhängigkeit des mittleren Rupturabstandes einer Trennflächenschar (bc-kluft) von der Rupturgröße am Beispiel eines Talsperrenstandortes im Osterzgebirge grafisch dargestellt
10 mittlerer Abstand a n der Ruptur [m] hydrodynamisch wirksamer Kluftabstand markante, geöffnete Kluftflächen kleine Störungen geöffnete und mit Letten ausgefüllte größere Trennflächen (kleinere Störungen) Störungsabstand im Kleinbereich Störungsabstand im Großbereich Ausräumungszonen G. Meier & J. Meier: Erdfälle und Tagesbrüche Möglichkeiten einer numerischen Modellierung gemessen berechnet a n = a 0 2 n Rupturgröße n Abb. 6: Abhängigkeit des mittleren Rupturabstandes einer statistisch ermittelten Trennflächenschar (bc-kluft) von der Rupturgröße (modifiziert nach MEIER 1978b) Die statistischen Verteilungsgesetze von Trennflächeneigenschaften spiegeln sich bereits im Kluftkörperbereich wider. Eine Analyse der Rangordnung von Rupturgrößen einer Trennflächenschar am Beispiel einer Pingenanordnung innerhalb einer Gangzone aus dem Bereich des Altbergbaus zeigt die Abbildung 7. Abb. 7: Äquidistante Anordnung von Altbergbau-Relikten innerhalb einer Gangzone
11 Die perlschnurartige Anordnung der Schachtpingen und Tagesbrüche widerspiegelt hier den jeweiligen Gangverlauf entsprechend der ausgebildeten Rupturgröße n. Die Abstände der einzelnen Gänge verhalten sich nach den oben aufgeführten numerischen Beziehungen der Äquidistanz. Für den Gangerzbergbau ergibt sich daraus auch der Zusammenhang, dass im Lagerstättenbereich ein Hauptgang zu erwarten ist, der von abgestuften, kleineren Gängen begleitet wird. Der Einfluss der Zufälligkeiten bei der Genese der Lagerstätte modifiziert jedoch diese Gesetzmäßigkeit. Ähnliche Verhältnisse können der Anordnung und Verteilung von Erdfällen zugeordnet werden. In der Abbildung 8 ist die äquidistante Anordnung von Erdfallereignissen schematisch dargestellt. a b 0 a a 0 a a 1 a a 2 a b 2 a b 1 Abb. 8: Blockschema der äquidistanten Verteilung von Erdfallereignissen Ein vertikales Strukturelement mit hoher Rupturgröße und großer Wasserwegigkeit lässt im Kreuzungsbereich mit einer orthogonal stehenden Kluft mit ebenfalls höherer Rupturgröße einen Erdfall erwarten. Beispiele von perlschnurartig aufgereihten Erdfällen im Gipskarst gibt es genügend. So sind in der Mansfelder Mulde 12 von 14 Schlottenbildungen an tektonische Störungszonen gebunden, die von der Tagesoberfläche bis in den Auslaugungshorizont nachweisbar und hydraulisch wirksam sind (PENZEL 1980). Im aktiven Gipskarst ist dabei die temporäre Entwicklung des Bruchgeschehens noch zu berücksichtigen, wo sich die perlschnurartig aufgereihten Erdfälle durch die Lageveränderung der Auslaugungsfront zeitlich verschoben entwickeln. Dies beinhaltet die Chance, potentielle Verbruchbereiche bzw. Bereiche mit Hohlraumbildungen und damit Zonen mit erhöhten Erdfallrisiken auszugliedern und gezielte Erkundungen anzusetzen
12 Die numerische Betrachtung von Erdfällen erfolgte in vielen Fällen aus theoretischer geomechanischer Betrachtungsweise und auch oft in Beziehung zu Tagesbrüchen (z. B. ADERHOLD 2005). Die wesentlichen dazu genutzten Modelle wurden bereits oben behandelt. Unzureichende Definitionen der ingenieurgeologischen Randbedingungen und die daraus genutzten Parameter zu den Modellansätzen sowie die Vermischung von phänomenologischen und genetischen Definitionen zu Erdfällen und anderen Schadensbildern stellten ebenfalls objektive Grenzen für eine erfolgreiche numerische Behandlung der Thematik dar. 3. Beispiel, Grenzen und Ausblick Ausgehend von den genetisch bezogenen Definitionen von Tagesbruch und Erdfall lassen sich unter dem Aspekt der gesetzmäßigen Verteilung von Struktur- und Materialkennwerten numerische Modellierungen bei hinreichender Kenntnis der ingenieurgeologischen, hydrogeologischen und geometrischen Verhältnisse objektbezogen durchführen. Aufgrund der möglichen Überprägung durch die Zufälligkeit haben die numerischen Ergebnisse momentan nur den Charakter von Abschätzungen. Die Genauigkeit der numerischen Betrachtungen erhöht sich sprunghaft durch die Kenntnis von ingenieurgeologischen, hydrogeologischen und geometrischen repräsentativeren Parametern zum Objekt. Durch Rückwärtsrechnungen an vorhandenen Verbrüchen oder untertägigen Aufschlüssen können nicht unmittelbar messbare Parameter hinreichend genau eingegrenzt werden. Dies ist sowohl bei Tagesbrüchen als auch bei Erdfällen anwendbar. So können auch die verschiedenen Phasen bei der Verkarstung und damit die zeitlichen Aspekte berücksichtigt werden. Die praxisorientierte HBB-Methode nach MEIER lässt hierbei verschiedene Möglichkeiten offen. Auf Berechnungsbeispiele für Tagesbrüche wird hier verzichtet, da dazu bereits mehrere Veröffentlichungen vorliegen (z. B. MEIER 2001; MEIER & MEIER 2006). Als ein sehr beeindruckendes Beispiel für Verbrüche im bedeckten Karst können die Erdfälle bei Neckendorf auf und an der Bundesstraße B 180 im Randbereich der Mansfelder Mulde aufgeführt werden (HEROLD at al.). Am und ereigneten sich zuerst in einer Kleingartenanlage und später 35 m entfernt unmittelbar im Fahrbahnbereich der B 180 zwei große Erdfälle. Der Erdfalldurchmesser in der Kleingartenanlage betrug 10,5 m, die Tiefe 7,2 m. Der Erdfall im Straßenbereich wies einen anfänglichen Durchmesser von ca. 6 x 7 m auf, die Teufe wurde mit 30 bis 35 m angegeben. Nach der Verfüllung der Verbrüche mit Haldenmaterial des Kupferschieferbergbaues kam es in den Folgejahren wiederholt zu Nachbrüchen mit teilweisen Erweiterungen, insbesondere am Erdfall in der Kleingartenanlage. Der Erdfall im Bereich der B 180 wurde 1993 durch ein mit Geokunststoff bewehrtes Kiespaket auf einer Länge von 60 m gesichert. Eine Bewegungssensorik an der Basis des Sicherungssystems wurde mit einer Warnanlage gekoppelt, die bei eintretenden Deformationen ein optisches Signal aktivieren und eine Straßesperrung auslösen sollte kam es zu einem trichterartigen Nachbruch auf der Straße mit einem Bruchdurchmesser von ca. 15 m (Abb. 9)
13 Abb. 9: Nachbruch des Erdfalles auf der B 180 im Oktober 2001 mit vollständiger Zerstörung der Fahrbahn (Foto: DAUTERSTEDT) Die tektonische Verhältnisse im Deckgebirge, die atektonische Überprägung der Deckschichten durch bereits erfolgte Karstprozesse, der Zustand der auslaugbaren Schichten und der Einfluss des alten Kupferschieferbergbaues an der Basis der Zechsteinsedimente sind nicht hinreichend bekannt. Die numerische Abschätzung der maximalen Hohlraum-Bruchvolumen-Bilanzen ist in Abbildung 10 dargestellt. 7 m Deckgebirge 136 m Bruchschlot: Volumen V Schlot m³ Volumenzuwachs V Schlot (s - 1) m³ (für s = 1,6) Anhydrit / Gips 134 m Hohlraum (bei maximaler theoretischer Auslaugung): Volumen φ = 32 φ = 36 spaltenartig m³ m³ Kreuzung von Schlotten m³ m³ φ Abb. 10: Schematischer Schnitt durch den Erdfall auf der B 180 mit maximalen Hohlraum-Bruchvolumen-Bilanzen
14 Die numerische Abschätzung macht deutlich, dass nur ein relativ kleiner Karsthohlraum verbrach und potentiell noch große Volumendefizite auftreten werden. Mit weiteren erheblichen Nachbrüchen muss deshalb bei beiden Erdfällen in den nächsten Jahren gerechnet werden. Auch neue Erdfälle sind zu erwarten. Das Erdfallgebiet befindet sich in einer aktiven Karstzone mit summarisch mächtigen Sulfatablagerungen. Nicht geklärt ist der mögliche Einfluss von Steinsalz, da bekannt ist, dass der Salzspiegel in der Mansfelder Mulde bei etwa 150 m unter der Tagesoberfläche liegt, jedoch die Erdfälle sich in der Muldenrandlage befinden und somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieses Gebiet im Bereich des Salzhanges liegt. Als Schlussfolgerung aus dieser Betrachtung kann deshalb für die B 180 aus sicherheitstechnischer und wirtschaftlicher Sicht nur eine Verlegung der Bundesstraße in Frage kommen. Die Analyse der numerischen Tagesbruch- und Erdfallabschätzungen zeigt deutlich, dass nur eine konsequent genetisch bezogene Definition der betrachteten Verbrucherscheinungen und aller Erscheinungsbilder der Karstprozesse die entscheidende Ausgangsbasis für eine praxisorientierte Betrachtung und für das Erkennen weiterer ingenieurgeologischer Gesetzmäßigkeiten im Karst darstellt. Derzeit sind numerische Abschätzungen und Prognosen möglich, die auch für die Festlegung von Ansatzpunkten zur indirekten und direkten Erkundung nutzbar sind. Die Anwendungsgrenzen werden durch die verfügbare Repräsentanz der ingenieurgeologischen, hydrogeologischen, geomechanischen und geometrischen Parameter bestimmt. Eine numerische Vergleichbarkeit von Tagesbruch und Erdfall ist nur dann gegeben, wenn diese Kenndaten objektspezifisch vorliegen und die ingenieurgeologischen Gesetzmäßigkeiten und Zufälligkeiten für den Betrachtungsbereich in die numerische Modellierung einfließen. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass bei beiden Erscheinungsbildern gleiche Stoffgesetze und Verbruchabläufe wirksam sind. Im konkreten Fall sind die gesetzmäßigen und zufälligen Einflussgrößen auf die jeweiligen Erscheinungsbilder aus ingenieurgeologischer Sicht objektbezogen zu erkunden und zu bewerten. Im Bereich des Karstes als eine tragende Säule der Ingenieurgeologie bedarf es einer Grundlagenforschung zu den verschiedenen Erscheinungsbildern. Einheitliche und fundierte Definitionen aus genetischer Sicht sind für einen wirkungsvollen Informationszuwachs unerlässlich. Nutzbare Ergebnisse lassen sich derzeit durch Rückrechnungen aus bereits gelaufenen Verbruchereignissen ableiten, wobei stets die jeweilige zeitliche Komponente der Dynamik von Verbrüchen zu berücksichtigen ist. 4. Literatur ADERHOLD, G. (2005): Klassifikation von Erdfällen und Senkungsmulden in karstgefährdeten Gebieten Hessens Empfehlungen zur Abschätzung des geotechnischen Risikos bei Baumaßnahmen. - Geologische Abhandlungen Hessen, Bd. 115, Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie, Wiesbaden AUTORENKOLLEKTIV (2004): Empfehlung Geotechnisch-markscheiderische Untersuchung und Bewertung von Altbergbau des Arbeitskreises 4.6 der Fachsektion Ingenieurgeologie der DGGT e. V. Tagungsband 4. Altbergbau-Kolloquium, , Leoben, Anhang S. 1-23, Verlag Glückauf, Essen ECKART, D. (1972): Arten und Ursachen von Schäden an stillgelegten Bergwerksanlagen. - Neue Bergbautechnik 2. Jg., H. 8, S
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Erdfälle und Tagesbrüche - Möglichkeiten einer numerischen Modellierung Günter Meier 1, Jörg Meier 2
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