Karriereschlüssel Schreiben eröffnet neue Denkund Lernräume. ID Schweiz 16 Seiten über Swissness und Identität
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- Hertha Kurzmann
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1 Magazin der EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Nr. 35 Herbst 2012 Karriereschlüssel Schreiben eröffnet neue Denkund Lernräume ID Schweiz 16 Seiten über Swissness und Identität Delia Mayer Kommissarin, Musikerin; Baggerfahrerin und Kioskfrau?
2 EDITORIAL DIE NEUE SCHRIFTLICHKEIT In den USA wurden 1929 über 200 Millionen verschickt, 2005 noch Dann wurde aus Mangel an Nachfrage der Dienst eingestellt. Telegramme! 2011 wurden in Deutschland 55 Milliarden ( ) SMS gesendet. Tendenz steigend. Der Telegrammstil («Ankomme Freitag Mittag») wurde durch eine noch knappere Schreibcodierung ersetzt. Auf der anderen Seite werden die Werke in den Schaufenstern der Buchhandlungen immer dicker. So ab 400 Seiten schreibt sich offensichtlich leichter. EB KURS Nr. 35 Herbst 2012 Magazin der EB Zürich, Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Zürich, Riesbachstrasse 11, 8090 Zürich TELEFON FAX INTERNET HERAUSGEBER Serge Schwarzenbach (für die Geschäftsleitung) REDAKTION Christian Kaiser, Fritz Keller (silbensilber, Zürich) GESTALTUNG Giorgio Chiappa MITARBEIT Felix Aeppli, Jürg Fischer, Anouk Holthuizen, Ute Ruf, Guido Stalder, Emil Zopfi FOTOS Philipp Baer, Sarah Keller, Miriam Künzli, Reto Schlatter, Emil Zopfi ILLUSTRATIONEN Sämi Jordi, Eva Kläui DRUCK Ringier Adligenswil AG Schreiben (und Lesen) begleitet uns trotz Radio, Fernsehen, Mobile und Internet in noch intensiverem Mass als noch vor einigen Jahren. Dabei gehts nicht bloss um die Konservierung und Distribution von Wissen. Das moderne «papierlose» Büro produziert mehr beschrifteten Papierabfall denn je. Den Wertverlust durch die Schriftlichkeit beklagte schon Sokrates in Platons Dialog «Phaidros». Sokrates war ein Anhänger des «Sprechdenkens». Wie das Schreiben heute mit unserem Denken und Lernen zusammenhängt, erfahren Sie in unserer Titelgeschichte ab Seite 6 über das «Schreibdenken». Nachgedacht und geschrieben haben auch die 10 Absolventinnen und Absolventen des Bildungsgangs Journalismus zum Thema «ID Schweiz». Die lesenswerten Beiträge rund um «Swissness» und «Identität» finden Sie auf 16 Seiten in der Heftmitte. Und vielleicht inspiriert Sie die Lektüre unseres Magazins ja dazu, selber wieder einmal ganz bewusst zum Stift oder Füller zu greifen. Serge Schwarzenbach Herausgeber TITELBILD Sarah Keller 2 EB Kurs Nr. 35 Herbst 2012
3 «Schreiben ist eines der besten Denk- und Lernwerkzeuge» Ausatmen auf Papier. Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin, Coach und Dozentin für kreatives und berufliches Schreiben. Seit 15 Jahren unterstützt sie Wissenschaftlerinnen, Sachbuchautoren und Berufstätige beim Schreiben und Publizieren. In ihrem neusten Buch wirbt sie dafür, Schreiben ganz neu als Denk- und Lernwerkzeug zu sehen, und zeigt Wege auf, wie man dieses «Schreibdenken» vermitteln kann. INTERVIEW Christian Kaiser Frau Scheuermann, Ihr neustes Buch heisst «Schreibdenken». Schreiben ist also nicht nur ein Werkzeug, um im Kopf formulierte Gedanken festzuhalten, sondern auch ein Instrument, um überhaupt zu denken? Schreiben ist eines der besten Denkwerkzeuge neben dem Denken im Kopf, also ohne Hilfsmittel und dem Weiterdenken im Gespräch. Welche Denkform für jemanden am besten passt, hängt auch von den Vorlieben und der Persönlichkeit ab: Gerade Introvertierte und das sind ungefähr die Hälfte aller Menschen können im Austausch mit anderen Menschen oft nicht so gut weiterdenken. Sie lassen sich leicht vom Eigenen ablenken. Schreibdenken ist dann eine gute Alternative. Beim Denken im Kopf verlieren sich zudem viele in ihren Assoziationen und es fällt ihnen schwerer, sich zu konzentrieren. Beim Schreibdenken dagegen schreiben Sie in einem ruhigeren Tempo, Sie bemerken in der Regel sofort, wenn Sie abschweifen und statt über Ihr neues Projekt über das schreiben, was Sie heute Nachmittag noch einkaufen wollen. Sie schreiben, Schreibdenken verbessere die Schreibkompetenz, ermögliche es, Sachthemen weiterzuentwickeln und diene zugleich der Selbstreflexion und dem Selbstcoaching. Klingt nach einem Allheilmittel, einer eierlegenden Wollmilchsau die im deutschsprachigen Raum bisher viel zu wenig bekannt ist. In anderen Ländern, allen voran den USA, wird Schreiben längst für alle diese Ziele eingesetzt. An Schulen und Hochschulen, in der beruflichen Weiterbildung. Unser Sein ist von Sprache und Kommunikation durchdrungen. EB Kurs Nr. 35 Herbst
4 Sie sagen, mit Schreibdenken lasse sich auch besser lernen. Wie funktioniert das genau? Lernen bedeutet, sich etwas zu eigen zu machen, was Sie zuvor nicht verstanden, gewusst oder gekonnt haben. In diesem Lernprozess gibt es zwei Phasen: Beim «Einatmen» nehmen Sie Neues auf. Beim «Ausatmen» setzen Sie neue Informationen in Aktivität um. Sie erinnern das neu Aufgenommene, geben es wieder und integrieren es in Ihr Denken. Und genau dort ist das Schreibdenken im Lernprozess angesiedelt: Wenn Sie über das schreiben, was Sie gehört, gelesen oder erfahren haben, so setzen Sie sich aktiv damit auseinander. Heisst das auch, dass man umso besser lernt, je besser man schreibt? Oder anders: Haben Menschen mit Schreibschwäche mehr Mühe zu lernen? Nein. Beim Schreibdenken spielen Stil, Struktur keine Rolle. Es geht nicht um das Produkt einen tollen, wohldurchdachten Text, sondern ausschliesslich um ein Schreiben im Sinne eines schriftlichen Denkens. Das kann jeder. Ist Schreibdenken eher ein Denken auf Papier oder am Computer? Sie können am Computer oder auf Papier schreiben. Ich empfehle in Coachings und Seminaren, wieder mehr das handschriftliche Schreiben zu kultivieren, ob nun mit Papier oder einer Tablet-Oberfläche. Schreibdenken mit Papier und Stift lädt dazu ein, auch visuell zu denken; die Arbeit mit der Tastatur fördert dagegen das rein sprachliche Denken. Beim Schreibdenken auf Papier können Sie schnell mal eine Denkskizze einfügen, also mit Text und Bild arbeiten; Bezüge kennzeichnen, Kommentare und Symbole einfügen. Es entsteht ein Textbild, das sich viel besser einprägt. Ich suche fürs Schreibdenken immer nach dem einfachsten, niedrigschwelligsten Weg: Ein Notizbuch zur Hand zu nehmen, während ich gerade in der S-Bahn sitze so lässt sich eine gerade aufgetauchte Idee direkter weiterdenken, als wenn ich erst mein Notebook aufklappen und die Finger auf die Tastatur setzen muss. Das Konzept des «schreibend lernen» haben Schreibdidaktiker aus der Tradition des «writing to learn» an amerikanischen Universitäten auf Hochschulen im deutschsprachigen Raum übertragen. Lässt es sich auch für Lernprozesse im beruflichen Umfeld nutzen? Ja, unbedingt. Mein Wunsch und mein Ziel ist es, Schreibdenken im beruflichen Bereich mehr zu etablieren. Auch hier gilt es ständig, Ideen weiterzuentwickeln und zu konkretisieren. Auch hier müssen neue Informationen in das eigene Denken integriert werden, müssen Entscheidungen vorbereitet, Bewertungen getroffen, komplexe Sachverhalte durchdacht, Projekte geplant werden. Und die Anwendungsmöglichkeiten für Selbstcoaching zu beruflichen Themen sind mannigfaltig der Konflikt mit dem Kollegen, der Umgang mit überfordernden Situationen, die Entscheidung für oder gegen einen Jobwechsel usw. 12 EB Kurs Nr. 35 Herbst 2012
5 Der Schreibforscher Otto Kruse konstatierte 2003 für die deutschsprachigen Hochschulen einen Rückstand von mehreren Jahrzehnten auf die Schreibdidaktik in den USA. Gilt das noch immer? Die Hochschulen holen auf, das Interesse an schreibdidaktischen Ansätzen wächst auch in Europa. An vielen Hochschulen gibt es Schreibzentren und es werden immer mehr die Studierende, Promovierende und andere Hochschulangehörige beim Schreiben unterstützen. In diesem Rahmen finden viele schreibdidaktische Entwicklungen statt. Und wie steht es in Bezug auf das berufliche Schreiben? Im beruflichen Umfeld sieht das noch anders aus. Hier bedeutet es bereits einen Fortschritt, wenn Organisationen für ihre Mitarbeitenden ein Schreibtraining zur Verbesserung der Schreibkompetenz anbieten. Da dreht es sich dann meist um Stil- und Strukturierungsfragen, manchmal auch um Schreibblockaden. Moderne Ansätze prozessorientierten Schreibens und das Schreibdenken sind da noch weitgehend unbekannt. Sie schreiben, der Rückstand hänge damit zusammen, dass im deutschsprachigen Raum vor allem das Schreiben am Produkt gelehrt wird und nicht der Prozess. Also: Wie schreibe ich ein Protokoll oder ein Konzept, statt; welche Methoden stehen zur Verfügung, um möglichst ertragreich zu schreiben. Müssen die Schreibpädagogen und Schreibdidaktikerinnen also selbst erst einmal umlernen? Prozessorientiert zu schreiben bedeutet, dem Weg statt dem Ziel Aufmerksamkeit zu schenken, ständig nach passenden Vorgehensweisen zu suchen und die Früchte sprich Ideen am Wegesrand zu ernten. Ausgebildete Schreibdidaktiker haben diesen Fokus gelernt. Traditionell herrscht bei uns jedoch die Produktorientierung vor. In der Schule etwa schreiben wir Klausuren und geben eine Version ab, die noch Erstfassung ist ein Rohtext, der erst durch vielfältige, kreative Überarbeitungsdurchgänge zur Endfassung werden würde. Eine Fokussierung auf den Prozess ist eine neue Ausrichtung, die jeder von uns neu lernen muss. EB Kurs Nr. 35 Herbst
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