Grußwort anlässlich der Verabschiedung derabiturientinnen und Abiturienten am 11. Juli 2014, Uhr, Hölty-Sportforum
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- Mathilde Fürst
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1 Grußwort anlässlich der Verabschiedung derabiturientinnen und Abiturienten am 11. Juli 2014, Uhr, Hölty-Sportforum Sehr geehrte Abiturientinnen und Abiturienten, sehr geehrte Frau Laukamp-Grimsel, sehr geehrtes Kollegium, liebe Eltern, sehr geehrte Gäste, zunächst einmal gratuliere ich Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten des Jahrgangs 2014, im Namen von Rat und Verwaltung der Stadt Wunstorf zum bestandenen Abitur. Höhen und Tiefen, Erfolge und teilweise auch Enttäuschungen werden Sie erlebt haben, aber nunmehr sind Sie am Ziel: Sie erhalten Ihr Abiturzeugnis in wenigen Minuten oder vielleicht in einer Stunde, je nachdem wie lange ich zu reden gedenke. In den 8 Jahren, in denen Sie hier am Hölty-Gymnasium als Schülerin oder Schüler waren, hat sich im Bildungsbereich vieles verändert. Humanistische Bildungsgedanken, die insbesondere Johann Wolfgang von Goethe oder Wilhelm von Humboldt entsprechend vertreten haben, werden immer weiter zurückgedrängt. Die Pisa-Studie wurde das Maß aller Dinge. Interessanterweise ist diese Studie keine wissenschaftliche Studie im klassischen Sinne. Vielmehr habe ich das Gefühl, hier werden häufig Äpfel mit Birnen verglichen. Meine Tochter, die selbst hier auf dem Hölty-Gymnasium ihr Abitur bestanden hat, war für ein Jahr in Neuseeland und hat dort die Schule besucht. Neuseeland hat immer gut in der Pisa-Studie abgeschlossen, weil dort eher ich sage es mal salopp der Paukbetrieb
2 2 durchgeführt wurde, also Auswendiglernen, bestehende Regeln unreflektiert wiederholen, sich einem Leistungsdiktat unterziehen. Hier in Deutschland sind wir einen anderen Weg gegangen. Der Unterricht soll auch etwas bringen, zur Selbstreflektion anregen und durch exemplarisches Lernen Zusammenhänge erschließen und allgemeine und übertragungsfähige Kenntnisse und Fähigkeiten sowie Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens vermitteln. Wir müssen uns nicht verstecken, unser Bildungssystem ist eigentlich in Ordnung, nur im Augenblick wird es immer wieder verändert, nicht unbedingt reformiert. Ich bin der Meinung, diese Veränderungen sind zum Teil keine Verbesserungen sondern Verschlechterungen. Dabei verlieren leider unsere Lehrerinnen und Lehrer immer mehr an Wertschätzung, egal welche Partei die Landesregierung stellt. Insbesondere das Bachelor-Studium ist nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Es wird bisweilen sogar die These vertreten, dass dadurch die Hochschulen entintellektualisiert werden. In Deutschland besteht mittlerweile der Trend, dass alle oder zumindest die meisten Schüler zum Gymnasium gehen, Abitur machen und studieren sollen. Das führt jedoch in anderen Bereichen zu erheblichen Problemen. Viele Ausbildungsstellen können nicht besetzt werden. Mit dem Bachelor-Abschluss selbst können die meisten Studenten wenig anfangen, denn die Industrie und die Wissenschaft erwarten den Master-Abschluss, den jedoch nicht alle absolvieren können. Machen Sie das Beste aus der augenblicklichen Situation. Bleiben Sie auch im Studium kritische Menschen, die vieles hinterfragen und nicht alles akzeptieren. Sie
3 3 selbst, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, haben die Diskussion G 8 oder G 9, also Abitur nach 12 oder nach 13 Schuljahren erlebt. Die Diskussion wurde auf Ihrem Rücken ausgetragen. Hier ist man erstaunt: Ziemlich vorschnell, ohne die Sache gründlich zu untersuchen, ist unsere Kultusministerin dem populistischen Ansatz gefolgt, die Rückkehr zum Abitur nach 13 Schuljahren durchzusetzen. Dieses ist eigentlich zu kurz gesprungen. In anderen europäischen Ländern ist das Abitur nach 12 Schuljahren überhaupt kein Problem, sondern der Standard. Was Sie bislang erdulden mussten, ist quasi eine Überfrachtung des Lehrstoffes und eine Beschneidung der persönlichen Freiheit, die auch Schülerinnen und Schülern zusteht. Hinzu kommt, dass das Ganztagsangebot den Schulalltag weiterhin verändert. Meine Damen, meine Herren, was wir brauchen, ist nicht eine Reform nach parteipolitischen Gesichtspunkten oder persönlichen Neigungen der Kultusminister. Wir brauchen in den Schulen vor allen Dingen Ruhe und Kontinuität. Dieses vermisse ich in Niedersachsen ganz besonders. Wir lassen uns zu sehr von den Medien treiben, von den so genannten Meinungsführern, die gar keine sind, und vielleicht auch von Entscheidungen, die deshalb getroffen werden, damit man in einigen Monaten oder Jahren ein besseres Wahlergebnis erzielt. Dieses, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, ist eigentlich der falsche Weg. Ich bin bei der Vorbereitung meines Grußwortes auf ein Buch gestoßen, auf das ich durch die Spiegel-Bestsellerliste aufmerksam geworden bin. Darin setzt sich die
4 4 Professorin, Brigitte Witzer, mit der Diktatur der Dummen auseinander und meint, dass unsere Gesellschaft verblödet, weil die Klügeren immer nachgeben. Sie schreibt: Demokratie ist zweifellos die größte Errungenschaft, zu der wir Menschen es gebracht haben. Was aber, wenn die Klügeren, die Besonderen und die Rücksichtsvollen immer öfter den Schreihälsen weichen, den Wichtigtuern und den Selbstherrlichen? Dann wird aus der Demokratie ganz schnell eine Idiokratie, eine Diktatur der Dummen. Vielleicht ist dies etwas überspitzt formuliert, denn natürlich sind diejenigen, die demonstrieren, die eine andere Meinung haben, nicht dumm, sondern wir sollten froh sein, dass in einer Demokratie derart kritische Ansätze weiterhin möglich sind. Aber man sollte sich nicht jeglicher populistischen Strömung hingeben und selbst auch die eine oder andere These hinterfragen. Ich habe selbst über Facebook erlebt, dass auch hier in Wunstorf bei der einen oder anderen Entscheidung, die Facebook-Gemeinde sich entrüstete, ohne aber genügend Hintergrundwissen und Sachkenntnisse zu haben. Gerade hier müssen Sie ansetzen. Sie müssen hinterfragen, ob das, was Ihnen dort in Facebook oder in den öffentlichen Medien vorgegeben wird, auch der Realität entspricht und sachlich richtig ist. Das Abitur, das Sie in kürzester Zeit in Händen halten werden, bescheinigt Ihnen ein hohes Maß an Intelligenz und Zukunftsfähigkeit. Allerdings bin ich der Meinung, dass Intelligenz nicht nur das Herunterbeten von Wissen ist, sondern dass Intelligenz insbesondere auch Einsichtsfähigkeit bedeutet und hierzu gehören Gefühle und gesunder Menschenverstand. Daher, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, lassen Sie sich nicht vom Shitstorm beeinflussen, sondern bleiben Sie kritisch und reflektieren Sie die Ihnen dort vorgesetzten Ansichten. Sie müssen sich auch in Zukunft immer eine eigene Meinung bilden. Dieses ist in einer Demokratie existenziell.
5 5 Die Demokratie verliert an Wert, wenn man sich unkritisch beeinflussen lässt oder, was viel schlimmer ist, gar nicht zur Wahl geht. Gerade bei den letzten Wahlen haben rund 50 % der Wahlberechtigten nicht gewählt. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen nicht vom Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Aber es ist kein gutes Signal, sich zu weigern oder ganz allgemein Politik als entartet oder unfähig zu bezeichnen. Der Bundespräsident, Joachim Gauck, der vor einigen Jahren hier selbst in Wunstorf war und mich damals mit seiner Rede sehr beeindruckt hat, hat immer propagiert, das Wichtigste für ihn sei als ehemaliger Bürger der DDR, hier in der Demokratie wählen zu gehen. In seinem Buch Winter im Sommer Frühling im Herbst hat er deutlich gemacht, dass kein System so lernfähig ist wie die Demokratie. Sie ist nicht gerade das Einfachste, schreibt er, das schwer zu machen ist. Sie ist das Komplizierteste, was auch einfache Menschen machen können. Wir brauchen also keine neue Gesellschaftsordnung, sondern eine Demokratie, die auf aktuelle Probleme und Bedrohungen mit innovativem Geist und ermächtigten Demokraten reagiert. Demokratie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, beginnt nicht erst in Europa. Sie beginnt hier vor Ort in der Kommune. Vor einigen Wochen haben Sie oder Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler im Politik-Leistungskurs eine Veranstaltung organisiert, in der Politikerinnen und Politiker sich zur bevorstehenden Europawahl äußern durften. Leute von Attac wurden eingeladen und ich habe mich gefragt, was diese Leute eigentlich mit Europa zu tun haben.
6 6 Ich hätte mir gewünscht, im Vorfeld der Wahl des Regionspräsidenten und auch des Bürgermeisters wären die vor Ort handelnden Akteure eingeladen worden. Sie hätten sehr schnell sehen können, dass vieles, was kritisiert wird, hier auch vor Ort entschieden wird und die Probleme, die sich dadurch ergeben, eine einfache Antwort erhalten. Insofern ist auch die Schule aufgefordert, noch mehr in Sachen Demokratie im Unterricht aufzuklären und deutlich zu machen, dass Demokratie nicht erst bei Europa beginnt, sondern hier vor Ort. Auch das sollten Sie in Zukunft nicht vergessen. In einer demokratischen Gesellschaft haben Sie mehr Chancen als in einem totalitären System. Nicht die Beziehungen entscheiden, sondern Ihr Charakter, Ihre Geradlinigkeit und natürlich auch Ihre Abschlussnote. Alles in allem sind es aber gute Voraussetzungen dafür, dass Sie Ihren gewählten Beruf auch tatsächlich ausüben können. Insbesondere in einer Zeit, in der die Bevölkerung zurückgeht und wir mehr Akademikerinnen und Akademiker benötigen, haben Sie die besten Perspektiven in unserer Gesellschaft. Das hatte meine Generation nicht unbedingt. Vor 40 Jahren hatte man das Gefühl, zu viele Akademikerinnen und Akademiker auszubilden, die dann keine Perspektive gehabt haben. Nun, die Praxis hat uns auch damals eines Besseren belehrt. Aber Sie selbst haben alle Chancen dieser Welt.
7 7 Nur Beruf und Arbeit ist nicht alles. Sie müssen sich auch gesellschaftlich in einer Demokratie engagieren, und wenn es nur ist, wählen zu gehen. Joachim Gauck hat hierzu gesagt - ich zitiere : Mag sein, dass Jahre kommen, in denen die Freiheit noch mehr an Glanz verliert. Mag sein, dass uns ungewohnte Lasten auferlegt werden. Mag sein, dass dann allgemeiner Verdruss das Land noch mehr einhüllt, aber ich werde mich erinnern: Wir haben sie ersehnt, sie hat uns angeschaut, wir sind aufgebrochen und sie hat uns nicht im Stich gelassen, als uns in der Freiheit neue Herausforderungen begegneten. Es kann nicht anders sein: Sie wird immer leuchten. Ich wünsche Ihnen für Ihren neuen Lebensabschnitt alles erdenklich Gute. Den Eltern wünsche ich, dass sie mit der räumlichen Emanzipation ihrer Kinder fertig werden, denn sie werden ggf. in einigen Monaten ausziehen und in einer anderen Stadt studieren. Für meine Frau und mich war diese Erfahrung durchaus ein Lebenseinschnitt. Wir haben verstanden: Wir sind damit älter geworden, aber wir waren auch stolz auf unsere Kinder. Kinder sind eine Bereicherung in unserem Leben und ich hoffe, Sie sehen das genauso. Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, alles Gute, vergessen Sie Wunstorf nicht. Unsere Stadt hat zusammen mit dem Lehrkörper und dem Hölty-Gymnasium das Fundament gelegt, sodass Sie nunmehr in den neuen Lebensabschnitt erfolgreich starten können. Sie sind nun selbst Ihres Glückes Schmied. Schmieden
8 8 Sie dieses Eisen, es ist ein gutes und ich bin mir sicher, Sie werden alle den Erfolg haben, den Sie sich persönlich wünschen. Ihnen wünsche ich eine gute, schöne Abiturfeier und alles Gute für Ihre Zukunft. Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Wunstorf, 11. Juli 2014 Rolf-Axel Eberhardt Bürgermeister
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