Grußwort der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, MdB,
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- Martina Lichtenberg
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1 Grußwort der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, MdB, anlässlich des Auftakts des Nationalen Pakts für Frauen in MINT-Berufen am 17. Juni 2008 in Berlin Es gilt das gesprochene Wort!
2 1 Anrede Wer Schulabsolventinnen fragt, welche berufliche Perspektive sie für sich sehen und welche Ausbildungs- und Studienwünsche sie haben, bekommt seit vielen Jahren meistens die Antwort: Irgendetwas mit Menschen. Neuerdings kommt hinzu: Oder vielleicht mit Medien. Mathematik, Naturwissenschaften oder Technik gelten vielen nicht als Berufsfelder, in denen es um Menschen geht. Sie umgibt oft eine Aura der Kälte. Viele können mit solchen Berufsfeldern nichts anderes verbinden als die Vorstellung einer Werkstatt, in der Frauen sich eigentlich nicht gerne aufhalten möchten. Solche und ähnliche Erfahrungen sind der Ausgangspunkt des Nationalen Pakts für Frauen in MINT-Berufen, den wir heute schließen wollen. Ziel des Paktes ist es, den Anteil der Studienanfängerinnen in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern um durchschnittlich fünf Prozent zu steigern, bei Neueinstellungen im MINT-Bereich Frauen mindestens entsprechend ihres Anteils an den Absolventen zu berücksichtigen und ihren Anteil bei den Führungspositionen deutlich zu erhöhen. Die Bereitschaft bei Ihnen allen war groß, diesen Pakt zu schließen und aktiv aufzugreifen, worüber wir seit vielen Jahren sowohl im Blick auf Berufs- als auch Studienwahlentscheidungen klagen. Ich sage Ihnen allen dafür herzlichen Dank. Manche sagen, dass wir in Deutschland etwas haben, was es sonst in der Welt nicht gibt: eine Physikerin als Regierungschefin. Eine Schwalbe aber macht noch keinen Sommer. Denn nach wie vor bringen sich viele Frauen um interessante Berufsmöglichkeiten. Wenn die beschriebene Aura der Mathematik, der Naturwissenschaften und Technik so bleibt, wie sie im Augenblick ist, dann raubt sie diesen Wissenschaften Impulse und Ideen von Frauen. Hier gibt es eine Wechselbeziehung: Frauen bringen sich um Chancen, wenn sie einen Bogen um die MINT-Fächer machen, und in den MINT-Fächern und den damit verbunden Berufen bringen wir uns um wichtige Talente, wenn Frauen darin so selten vertreten sind. In den nächsten Jahren werden sich viele Ingenieure und Naturwissenschaftler in den Ruhestand verabschieden. Es ist absehbar, dass wir mehr junge Menschen in den MINT-Berufen brauchen. Diese Bevölkerungsentwicklung ist kein rein deutsches Problem, sondern eines der allermeisten Wohlstandsgesellschaften. Deswegen wollen wir aktiv nach Wegen suchen, um den Blick junger Frauen und Schulabsolventinnen, die gerade dabei sind, ihre Berufsentscheidung zu treffen, auf die Möglichkeiten der MINT-Fächer zu lenken. Frauen konzentrieren sich immer noch auf einen relativ kleinen Kreis von Berufen. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten hier schon viel erreicht, wir müssen unsere Anstrengungen in Zukunft aber noch einmal verstärken. Dabei gibt es mittlerweile auch schon eine
3 2 entgegengesetzte Diskussion; Jungen verlangen in den Schulen mehr Förderung, weil sie sich mental überholt fühlen. Mädchen machen die besseren Schulabschlüsse; bei den Studienabschlüssen ist es ähnlich. Der Anteil der Frauen bei den Studienanfängern ist höher als derjenige der jungen Männer; ihr Anteil an den Abiturienten liegt bei 56 Prozent. Immerhin 40 Prozent der jungen Frauen mit Abitur geben an, sich für die MINT-Fächer zu interessieren. Das Interesse korrespondiert aber noch nicht mit einer konkreten positiven Entscheidung. Die Studie Frauen auf dem Sprung hat sogar herausgefunden, dass zum Beispiel Biotechnologie bei den Jährigen als ein Wunschberuf gilt. Also haben wir es nicht primär oder gar ausschließlich mit mangelndem Interesse zu tun. Die Hemmschwellen liegen zwischen dem artikulierten allgemeinen Interesse und der konkreten Entscheidung. Hier ist der Stellenwert der Mathematik, der Naturwissenschaften, der Technik in der schulischen Bildung bedeutsam. Wir versuchen im Jahr der Mathematik, Begeisterung für dieses Fach zu wecken. Es ist hoch erfreulich, wie viele Partner uns mittlerweile dabei unterstützen, die Mathematik in ein anderes Licht zu rücken und deutlich zu machen, dass es dabei um die Sprache der Natur- und Technikwissenschaften geht. Wer allerdings nach der Rolle der Naturwissenschaften fragt und danach, wo Technik im Gymnasium vorkommt, der weiß, dass es in vielen Regionen in Deutschland noch Weiterentwicklungsbedarf gibt. Letztlich ist es unter den Frauen weniger als ein Viertel, das sich für ein naturwissenschaftlich-technisches Studium entscheidet. Von den Studienanfängern sind in Elektrotechnik lediglich 9 Prozent und in Informatik nur 17 Prozent Frauen. Genau in diesen Fächern aber können wir Innovationspotenzial heben und Entwicklungen voranbringen. Wissenschaftlich-technologische Entwicklung ist der Schlüssel für viele Entwicklungsprozesse und für die Generierung künftigen Wohlstands. In der Informatik, dem Maschinenbau oder der Elektrotechnik nimmt der Mangel an Fachkräften schon heute bedenkliche Ausmaße an. Weil Stellen nicht besetzt werden konnten, sind der deutschen Wirtschaft im Jahr 2006 insgesamt 18,5 Milliarden Euro Wertschöpfung verlorengegangen. Die Erkenntnis, dass in den nächsten fünf Jahren Naturwissenschaftler und Ingenieure in den Ruhestand gehen werden und sich damit auf dem Arbeitsmarkt ein enormer Bedarf auftun wird, können wir auf unsere Universitäten und auf die Forschungsinstitute übertragen. Jetzt, wo es durch die Exzellenzinitiative und den Hochschulpakt zusätzliche Stellen geben wird, werden an der einen oder anderen Stelle die Bewerber fehlen. Wir können jetzt guten Gewissens sagen, dass es in den MINT-Berufen sowohl in der Wissenschaft als auch in den Unternehmen in Deutschland hervorragende Berufsaussichten geben wird und in manchen Branchen sogar schon heute gibt.
4 3 Es gehört zu den wichtigsten Erfahrungen, die junge Menschen machen, dass sie gebraucht werden. Dieses Signal müssen wir ihnen mit dem Pakt geben. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Man kann einem jungen Menschen, einem Schulabsolventen nicht einfach sagen, dass die demografische Entwicklung oder der Fachkräftemangel ihm nahelegt, Elektrotechniker oder Maschinenbauer zu werden. Was man studiert oder wie man sich ausbilden lässt, ist mit sehr persönlichen Vorstellungen vom eigenen Lebensweg und der eigenen Biografie verbunden. Wie die Situation in Deutschland in fünf oder zehn Jahren sein wird, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Wir brauchen mehr Bilder und Vorbilder, die erkennbar und erfahrbar machen, dass Frauen ihren Weg machen können. Frauen, die bereits in Führungspositionen stehen und die über Personalpolitik in ihrem Haus mitentscheiden, können aus ihrer Verantwortung und aus ihren Erfahrungen heraus Wesentliches bewirken. Deshalb reden wir nicht mehr nur über den Einstieg, sondern auch den Aufstieg im Bereich von Mathematik, Naturwissenschaft und Technik. Beides gehört zusammen. Je mehr Aufstieg gelingt, umso mehr Vorbilder wird es geben. Vorbilder spornen an und führen zu der Erfahrung, dass der Aufstieg möglich ist. Sie schaffen Bilder. Bilder verändern die Welt mehr als alle Reden. Denn sie stellen einen persönlichen Bezug her, an dem sich junge Frauen orientieren können. Es muss eine Vorstellung davon geben, wie ein interessanter Beruf zur eigenen Lebensplanung passt, in der für Frauen und hoffentlich auch für manchen Mann nicht nur der Beruf eine Rolle spielt. Es geht darum, persönliche Überlegungen und persönliche Interessen im Hinblick auf die Berufsentscheidung zu prägen. Deshalb ist auch wichtig, was unter der Überschrift Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusammengefasst wird. Es gibt immer noch Wissenschaftskulturen, in denen sich die junge Wissenschaftlerin, die sich um eine Professorenstelle bewirbt und Mutter von Kindern ist, sich verbal oder nonverbal der Frage gegenüber gestellt sieht, ob sie denn tatsächlich mit Haut und Haaren für die Wissenschaft zur Verfügung stehen kann, wenn sie schon familiär Verantwortung übernommen hat und eine Bindung eingegangen ist. Das gilt in gleicher Weise für Führungspositionen in einem Unternehmen. Hinter der Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss eine Kultur stehen, in der es wie etwa in den USA sehr viel selbstverständlicher akzeptiert wird, eine Mitarbeiterin nicht nur im Blick auf das zu sehen, was im Unternehmen oder im Institut bedeutsam ist. Hier wird akzeptiert, dass das, was in diesem Leben abseits des Beruflichen eine Rolle spielt, sich positiv auf die Arbeit in diesem Unternehmen oder in diesem Institut auswirkt. Was diese Fragen der Unternehmenskultur, und der Atmosphäre angeht, müssen wir zu einer
5 4 Weiterentwicklung kommen. Das ist keine pragmatische, sondern eine Wertefrage. Es gehört zu dem, was eine Gesellschaft kulturell zusammenhält und welche Vorstellungen wir von der künftigen Gesellschaft in Deutschland haben. Ich danke Ihnen, dass wir heute gemeinsam das Memorandum zum Nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen unterschreiben werden. Das ist ein erster wichtiger Schritt ein Aufbruchsignal. Wir müssen in den nächsten Jahren im Blick behalten, wie dieser Pakt zur Entfaltung kommt und welche zusätzlichen Chancen sich für Frauen und damit auch für die Wissenschaft, die Unternehmen und unser Land ergeben. Heute muss unsere Aufmerksamkeit wie selten zuvor in den vergangenen sechs Jahrzehnten darauf gerichtet sein, die junge Generation zu ermutigen und ihr das Signal zu geben: Ihr werdet gebraucht! Vielen Dank!
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