Atmo 01 Praxis Putu Oka, gemischt mit ein wenig Atmo 02 Straße

Transkript

1 2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Zehn Jahre, die niemals enden Ein ehemaliger politischer Gefangener in Indonesien erzählt Autor: Redaktion: Regie: Gero Simone Petra Mallwitz Günter Maurer Sendung: Montag, um Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/ Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

2 MANUSKRIPT Atmo 01 Praxis Putu Oka, gemischt mit ein wenig Atmo 02 Straße Putu Oka Gedicht Diberinya aku Er gab mir Er gab mir einen Klumpen Mut der sich in den Adern auflöste er gab mir einen Lichtstrahl Dies ist eines der vielen Gedichte, die Putu Oka Sukanta im Gefängnis formuliert hat. Eigentlich wollte er es auf dem Ubud Literaturfestival auf Bali vortragen. Doch dann wurden alle Lesungen zu den Verbrechen von1965 abgesagt. Dieses Thema würde die nationale Sicherheit gefährden. Fortsetzung Putu Oka 01 er gab mir eine Peitsche die meine Zunge stärkte was wirst du mir noch geben die Selbstachtung zu erproben? Putu Oka Folter: Als ich im Militärgefängnis in Jakarta (Dschakarta) war, wurde ich regelmäßig gefoltert. Sie haben mir den Rücken ausgepeitscht, bis er geblutet hat. Ich wurde mit Stühlen verprügelt und mit Fäusten geschlagen. Das alles passierte ohne Grund. Die haben irgendjemanden gesucht. Ich sollte so lange gefoltert werden, bis ich ihnen sage, wo er ist. Aber ich kannte diese Person gar nicht. Putu Oka Sukanta ist 76 Jahre alt. Er sitzt in seiner Praxis für Akupunktur in Jakarta, die weißen Haare ordentlich zurück gekämmt, die Arme auf den Schreibtisch gestützt. Putu Oka 02b Folter: Wir wussten nie, wie lange man uns gefangen halten wird, wann wir woanders hingebracht werden oder ob sie uns töten würden. Es gab überhaupt keine Gewissheit. Viele Nachbarn und auch viele seiner Patienten wissen nichts von seiner Vergangenheit. Nur manchen hat er im Vertrauen erzählt, wie er am 21. Oktober 1966 ohne Ankündigung in seinem Haus festgenommen wurde, obwohl er weder Kommunist war noch etwas mit dem Putschversuch von 1965 zu tun hatte, den Diktator Suharto zum Vorwand der Kommunistenverfolgung machte. Noch heute klingt Sukantas Stimme völlig fassungslos, wenn er sagt: Sie nahmen mich mit und ich hatte keine Ahnung, was sie von mir wollten. Keiner hat mir meine Fragen beantwortet.

3 Putu Oka 03a Gründe Verfolgung: Man machte einfach die gesamte Kommunistische Partei Indonesiens für den Putschversuch verantwortlich und meinte, deswegen müssten alle Kommunisten ausgerottet werden. Jede noch so kleine kommunistische Wurzel gehöre ausgerissen. Putu Oka Sukanta vermutet, dass er festgenommen wurde, weil er als Schriftsteller der linken Kulturvereinigung Lekra nahe stand und diese auch verschwinden sollte. Putu Oka 03b Gründe Verfolgung: Diese anti-kommunistische Propaganda hat zu den Massenmorden geführt. Dabei waren gar nicht alle, die umgebracht wurden, Mitglieder der Kommunistischen Partei. Viele Opfer hatten überhaupt keine Ahnung, was der Kommunismus, geschweige denn die Kommunistische Partei war. Und das Schlimme war, dass sich an der Ermordung nicht nur das Militär beteiligte, sondern auch viele Zivilisten, die aufgehetzt wurden. Atmo 01 a Aktentasche öffnen, Kruschteln Aus seiner braunen Aktentasche holt Putu Oka einige Fotos, um mir aus seinem Leben zu erzählen. Eines davon zeigt seine Eltern, die einfache Bauern auf Bali waren und weder lesen noch schreiben konnten. Putu Oka deutet mit seinem Zeigefinger auf die saftig grünen Reisfelder im Hintergrund des vergilbten Fotos. Er sagt, es war die Natur Balis, die ihn zum Schreiben inspirierte. Schon mit 15 Jahren nahm er an Poesie- Wettbewerben teil und wurde schließlich Lehrer für Literatur in Jakarta. Putu Oka 04 Gefangen als Schriftsteller: Für mich als intellektueller Mensch war der Alltag im Gefängnis eine unglaubliche Qual. Wir durften keine Bücher lesen die gab es gar nicht. Wir durften nicht schreiben. Und es gab weder Papier noch Bleistifte. Was mir blieb, war, im Stillen nachzudenken, nach Wörtern zu suchen, die ich in meinen Gedichten benutzen könnte. Ich habe versucht, Handlungen für eine Geschichte aneinanderzureihen, die ich irgendwann mal aufschreiben würde. Das alles ist nur in meinem Kopf passiert. Es war unmöglich, mich nach meiner Freilassung an alles zu erinnern. Dass so vieles verloren gegangen ist, war eine Folter für sich. Jedes Mal, wenn ich zurück in Freiheit eine Novelle geschrieben habe, bin ich in die Erstarrung von damals gefallen. Obwohl es wunderbar war, endlich wieder schreiben zu können, habe ich dabei oft angefangen zu weinen, weil all die grausamen Erinnerungen wieder hochgekommen sind. Das war ein schrecklicher Zustand. Atmo 03 Straßenmusiker Putu Oka Sukanta hat die Fenster in seiner Praxis geöffnet. Doch kein Windhauch kommt hinein, nur die Klänge der Straßenmusiker. Die Hitze steht im Zimmer. Er atmet kaum merkbar, streicht sich über die Haare und wirft einen Blick auf das überquellende Bücherregal.

4 Putu Oka 05 Leben heute: Wie ist mein Leben heute? Nun, ich habe mir einen Namen als Schriftsteller gemacht und einige Bücher geschrieben. Die wurden sogar in einige Fremdsprachen übersetzt. Außerdem bin ich ein leidenschaftlicher und geschätzter Akupunkteur mit einer eigenen Praxis. Also, was meine finanzielle Situation angeht, kann ich mich nicht beschweren. Ich kann auf normalem Standard leben und meine Tochter zur Universität schicken. Anderen ehemaligen Gefangenen erging es viel schlimmer. Atmo 03a: Teeklappern Seine Tochter und Frau wohnen im Haus, das sich direkt neben der Praxis befindet. Seine Tochter schreibt gerade eine Hausarbeit für die Uni und bringt zwei Tassen schwarzen Tee. O-Ton 06 Tochter: Sarsa: Ich bin Sarsawademika (ßarßawademika) und 25 Jahre alt. Ich jobbe ein bisschen, gehe zur Uni und bereite gerade meine Hochzeit vor. Und (überlegend) ich bin stolz, die Tochter von Putu Oka Sukanta (Putu Oka ßukanta) zu sein. Was habt ihr in der Schule über ehemalige politische Gefangene wie deinen Vater gelernt? Sarsa: Nichts. Überhaupt nichts. Von der Vergangenheit meines Vaters habe ich erst in der siebten Klasse erfahren, als ich mal mitgegangen bin, als er einen seiner Filme gezeigt hat. Ich war echt überrascht und dachte nur so: okay, mein Papa war mal im Gefängnis. Meine Mitschüler haben dann gefragt: stimmt das wirklich, dass dein Vater im Gefängnis war? Was hat er gemacht? Das war eine anstrengende Zeit, weil sich das an meiner Schule rumgesprochen hat. Das ging so weit, dass ich am Ende sogar gemobbt wurde. Dann ist mein Vater gekommen und hat mit den Lehrern gesprochen. Er hat ihnen erklärt warum er im Gefängnis war und gesagt, dass das Mobbing aufhören muss. Du bewunderst Deinen Vater auch? Sarsa: Ja, sehr. Heute auf jeden Fall, früher nicht so. Ich habe nicht verstanden, was sein Beruf ist, warum er so oft Interviews gibt und in andere Länder reist. Aber mittlerweile bin ich alt genug, um das alles zu verstehen und wertzuschätzen. Ich bin wirklich stolz darauf, dass er sich engagiert und mutig ist, seine Gefühle und Erlebnisse öffentlich zu teilen. Atmo 01 Praxis Putu Oka Putu Oka 07 Freilassung: Als man mich aus dem Gefängnis entlassen hat, war mein Gesundheitszustand miserabel. Aber ich musste mir eine Arbeit suchen. Deswegen bin ich ins Krankenhaus

5 gegangen und habe Medikamente bekommen. Aber ich bin nie wieder vollkommen gesund geworden. Damals war es sehr schwer für mich, Arbeit zu finden. Erstens, weil ich kein Diplom oder sonstigen Abschluss hatte und zweitens, weil kein Unternehmen einen ehemaligen politischen Gefangenen beschäftigen wollte. Der Arbeitgeber hätte das der Regierung, der Polizei und dem Militär mitteilen müssen. Dann hätte er selbst große Probleme bekommen, weil ehemalige politische Gefangene von der Gesellschaft geächtet wurden. Ich musste mir also selbst einen Job suchen. So bin ich zur Akupunktur gekommen. Und seitdem ich die Genehmigung für eine eigene Praxis hatte, arbeite ich als Akupunkteur. Bis heute. O-Ton 08 Behandlung Frau Yeni: Yeni: Yeni: Yeni: Frau Yeni (Jeni), sie waren schon 1,2,3,4,5 Mal hier, richtig? Ja. Vorhin habe ich draußen zu einer anderen Patientin gesagt, dass ich ihnen bisher ja gar nichts von dem Problem mit meinem Ohr erzählt habe. Ich habe die ganze Zeit so ein störendes Geräusch. Das hört sich an, als würde eine Grille in meinem Ohr sitzen. Deswegen bin ich hergekommen. Sollen wir das heute dann mal als erstes angehen? Ja, ich habe wirklich Ohrenschmerzen deswegen. Ok, dann Folgendes: In der Akupunktur sind die Ohren eng verbunden mit den Nieren. Wenn sie so ein Geräusch im Ohr haben, müssen wir uns garantiert erst um die Nieren kümmern. Achso. Putu Oka nimmt sich viel Zeit für seine Patienten. Heute warten insgesamt sieben von ihnen auf eine Behandlung. Die Warteliste ist lang, da die Praxis nur montags und mittwochs geöffnet ist. Putu Oka sagt er sei fast 80 und müsse sich schonen. Die ersten Akupunktur-Ausbildung hat er von einem chinesisch-stämmigen Mann bekommen, mit dem er im Gefängnis saß und sich im Laufe der Zeit anfreundete. Behutsam sticht Putu Oka acht Nadeln in die Füße und Ohren von Frau Yeni. Vor der Behandlung hat er mich gebeten, ihr nicht zu erzählen, warum ich eine Reportage über ihn mache. Sie soll nicht wissen, dass er ein politischer Gefangener war. Geben sie mir mal bitte ihre Hand. Hier ist ein Fernpunkt. Dann haben wir eine Kombination aus Nah- und Fernpunkten. Gut. Jetzt können sie 15 Minuten so bleiben und sich entspannen. (Putu zieht Wecker auf, tickt ab 1:47min bis Ende) Putu Oka 09 Alpträume: Das Brutalste, was mir angetan wurde, war die Dehumanisierung: ich durfte nicht schreiben und meine Familie nicht treffen, weil sie nicht ins Gefängnis kommen durften. Meine Rechte als Bürger Indonesiens wurden mir komplett weggenommen. Das war das, was in mir das Trauma ausgelöst hat. Bis heute habe ich oft Alpträume. Ich bin plötzlich im Gefängnis und werde im Traum gefoltert. Dann wache ich auf, habe kalten

6 Schweiß überall: an den Händen, an den Füßen. Mein Atem rast und manchmal werde ich wütend. Meine Frau hat es deswegen schwer mit mir, weil ich manchmal sehr emotional werde. Atmo 04 Ticken und Weckerklingeln Atmo 05 Wohnzimmer O-Ton 10 Ehefrau: Endah: Ich bin Endah. Putu Oka habe ich 1986 kennen gelernt. Da war er schon Lehrer für Akupressur. Heute bin ich 68 Jahre alt. Sprechen sie mit ihrem Mann viel über seine Zeit im Gefängnis? Endah: Nein, nur ganz ganz selten. Wenn, dann ist es so, dass Putu erzählt und ich das nicht kommentiere. Ich halte mich fern von allen politischen Angelegenheiten. Heißt das, sie sind nicht besonders an seinen Erlebnissen interessiert? Oder haben sie auch mal seine Bücher gelesen oder seine Filme angeschaut? Endah: Nein, ich habe davon nichts gelesen oder gesehen. Das liegt daran, dass wir uns schon von Anfang an gestritten haben. Ich bin eine muslimische Frau aus Solo. Meine Familie gehört zur Oberschicht. Ich bin Nationalistin. Aber Putu ist aus dem hinduistischen Bali, stammt aus einer Bauernfamilie und ist westlich orientiert. Bei uns gibt es jeden Tag Konflikte. Deswegen bin ich nicht mehr an ihm und seiner Geschichte interessiert. Dass er Schriftsteller ist, fand ich am Anfang schon spannend, aber nach der Hochzeit haben wir uns auseinander gelebt. Aber wir sind friedlich: er ist er, ich bin ich. Wir leben zusammen und kümmern uns um unsere Tochter. In Indonesien gibt es viele Menschen, die von der Kommunistenverfolgung vor über 50 Jahren nichts wissen oder nichts wissen wollen. Im ganzen Land gibt es kein einziges Denkmal für die Opfer stattdessen nur ein Propaganda-Monument im Süden Jakartas, das an die angeblichen Grausamkeiten der Kommunisten erinnert und bis heute von Schulklassen besucht wird. Auch in den Schulbüchern erfahren junge Indonesier nichts über die Verbrechen. Ich habe Putu Oka ein Geschichtsbuch für die zwölfte Klasse mitgebracht. Darin: kein Wort über Opfer wie ihn. Putu Oka 11 Schulbuch: Tatsächlich. Kein einziges Wort. Ich glaube, das liegt daran, dass die Propaganda der Suharto-Diktatur immer noch nachwirkt. Jetzt ist es an den Menschenrechtsaktivisten. Die müssen aktiver werden, sich auf informellem Weg an Kinder und Schüler wenden und die Wahrheit vermitteln. Eine andere Lösung gibt es nicht. Das ist auch der Grund, warum ich Bücher schreibe und Filme mache: Ich will das Informationsvakuum ausgleichen und versuche Schüler, Studenten und das indonesische Volk objektiver zu informieren. Den Schulbüchern können wir jedenfalls nicht trauen. O-Ton 12 Adi The Act of Killing:

7 Opfer von 1965 stehen am Rand der indonesischen Gesellschaft. Sie werden bis heute von großen Teilen der Bevölkerung entweder ignoriert oder sogar geächtet. Die Täter von damals dagegen fühlen sich sicher. Ich spiele Putu Oka eine Szene der Dokumentation The Act of Killing von Joshua Oppenheimer vor. Darin geben Täter wie Adi aus Medan vor laufender Kamera damit an, tausende Kommunisten ermordet zu haben. Sprecher 2 Fortsetzung O-Ton 12 Adi The Act of Killing Die Leute, die wir umbringen wollten, mussten das einfach akzeptieren. Ich fühle mich absolut im Recht. Vielleicht versuche ich auch nur, mich besser zu fühlen. Aber es funktioniert. Ich habe mich nie schuldig gefühlt. Ich war nie depressiv oder hatte Alpträume. Putu Oka 13 Putu über The Act of Killing Ich sehe diese Schande zum ersten Mal. Es gibt niemanden, der die Täter von damals vor Gericht bringt. Stattdessen fühlen sich solche Leute heute noch so, als hätten sie das Recht dazu gehabt, Menschen, die sie als Kommunisten bezeichnen, festzunehmen, zu foltern und zu töten. Warum wird das zugelassen? Warum unternimmt die Regierung nichts, um diese Verbrechen ein für alle Mal aufzuarbeiten? Das verstehe ich einfach nicht. Atmo 07 Begrüßung Asienhaus Putu Oka legt Jacke und Mütze beiseite. Weil ihm kalt ist, bittet er um einen heißen Tee. Die indonesische Regierung hat ihn nach Deutschland zur Frankfurter Buchmesse geschickt, wo Indonesien dieses Jahr Partnerland ist. Auch wenn er nicht ganz versteht, warum ausgerechnet er als ehemaliger politischer Gefangener ausgewählt wurde, macht ihn das stolz. Putu Oka 14a Putu über Reise nach Deutschland: Ich glaube ich wurde ausgewählt, weil meine Bücher in mehrere Sprachen übersetzt wurden: zum Beispiel Deutsch, Französisch und Englisch. Besonders freut ihn, dass er vor seinem Auftritt auf der Buchmesse auf Lesereise durch Deutschland gehen kann. Nach Berlin, Hamburg und Aachen ist er heute in Köln. Putu Oka 14b Putu über Reise nach Deutschland: Die Welt zu bereisen ist eine meiner Lebensaufgaben. Wenn ich nach Europa, Amerika oder Australien fahre, kann ich mich mit den Leuten austauschen. Dabei lerne ich viel. Also warum sollte ich nur zu Hause rumsitzen? Mich macht es glücklich, überall eingeladen zu werden.

8 Atmo 08 Filmvorführung Asienhaus Etwa 30 Besucher sind heute ins Kölner Asienhaus gekommen. Putu Oka Sukanta wird heute einige Gedichte vortragen und einen seiner Filme präsentieren. Es ist ein Dokumentarfilm über sein Leben, den ein befreundeter Regisseur gedreht hat. Putu Oka 14c Putu über Reise nach Deutschland: Nach Deutschland komme ich jetzt schon zum dritten Mal. So wie Indonesien hat auch Deutschland eine dunkle Vergangenheit. Hier habe ich gelernt, wie Deutschland damit umgegangen ist. Das wird in Indonesien nicht genau gleich ablaufen können. Aber was ich gelernt habe ist, Deutschland hat nicht alles auf einmal aufgearbeitet. Bis heute gibt es immer wieder Prozesse gegen Nazis. Und: die deutsche Gesellschaft hat die Nazis selbst zu etwas Schlechtem erklärt. Daraus konnte die deutsche Demokratie entstehen. Atmo 09 Applaus Asienhaus Atmo Übergang ins Restaurant Zurück in Jakarta hat mich Putu Oka Sukanta zu einer Chorprobe eingeladen. Er selbst kann zwar nicht singen, geht aber gerne dort hin, um Freunde und andere ehemalige politische Gefangene zu treffen. Atmo 10 Eintritt Restaurant Bevor wir zu Chorprobe fahren, gibt es aber erst einmal etwas zu Essen. O-Ton 15 Restaurant Das hier ist typisches Balinesisches Essen. Das ist Plecing (Pleetsching), also Wasserspinat. Und das hier ist Hühnchen, das mit Gewürzen aus Bali gekocht wurde. Und das ist so genannte rohe Chilipaste. Die macht man aus roten Zwiebeln, Chilis und ein wenig Öl. Hier sind auch noch ein paar geröstete Erdnüsse. Also, guten Appetit! Wie unterscheidet sich dieses Essen hier vom Essen im Gefängnis? Das ist ein großer Unterschied. Im Gefängnis gab es nur Reis, ein kleines Stück Tofu und Salzwasser. Mehr nicht. Wie viel Reis? Ungefähr zehn Löffel am Tag. Vom Essen wurde man nur noch hungriger. Wir politischen Gefangene haben viel weniger Essen bekommen als die normalen Gefangenen. Die hatten ein bis zwei Portionen mehr als wir. Atmo 11 Einstieg Taxi

9 Atmo 13 Lied Pucuk Bambu Mehr als 45 Minuten hat die Taxifahrt zum Haus von Frau Tuti gedauert. Die Hälfte der Zeit hat Putu Oka nach seinem langen Arbeitstag geschlafen. Als wir das Wohnzimmer betreten, läuft die Probe schon. Der Chor singt das Lied Pucuk Bambu (Putschu Bambu). O-Ton 16 Frau Tuti über Lied Pucuk Bambu: Ich bin Tuti Martoyo (Tuti Martojo). Ich leite den Chor Dialita (Dialita). Ich bin 68 Jahre alt und kenne Putu Oka schon aus meiner Jugend. Putu ist nicht nur irgendein Freund, sondern ein sehr, sehr guter Freund von mir, fast schon so wie ein Bruder. Das Lied Pucuk Bambu (Putschu Bambu), also Bambuswipfel, hat Putu Oka geschrieben. Mein Chor hat ihm das letztes Jahr auf seinem 75. Geburtstag vorgesungen. Putu Oka hat es mit einem Freund zusammen geschrieben, als sie beide im Gefängnis waren. Dort ist ihnen ein Bambusblatt aufgefallen. Das Blatt hing ganz oben in der Baumkrone des Bambus. Es war schon gelb und sah so aus, als würde es jeden Moment abfallen. Aber dazu ist es nie gekommen. Es hat sich trotzig am Ast festgekrallt und ist sogar weiter mitgewachsen. Diesen Lebenswillen des Bambusblattes haben sich Putu und sein Freund auch in den schlimmsten Zeiten im Gefängnis zum Vorbild genommen. So ist das Lied entstanden. Solche Lieder waren während der Suharto-Diktatur verboten. Wenn man die gesungen hätte, wäre man garantiert festgenommen, eingesperrt und gefoltert worden. Damit das nicht passiert, haben die Leute damals lieber geschwiegen. Atmo 13 Lied Pucuk Bambu steht einen Moment allein Putu Oka 17 Putu zu Chorprobe Ich genieße es jedes Mal sehr, wenn ich hier bin und sie die Lieder von damals singen. In diesen alten Liedern steckt ein ausgeprägter Lebensgeist. Das ist eine Sache, die man nur sehr selten ausspricht, aber das hier ist wie ein Heilungsprozess für mich: von den uralten, schmerzenden Wunden tief im Inneren, hin zu den Liedern, die unseren Lebenswillen repräsentieren. Das ist wie Balsam für die Seele für mich persönlich, aber auch für die Gruppe. Ich gehe hier immer mit einem guten Gefühl nach Hause, so als ob mein Lebenswille frisch gegossen wurde. Immer wenn andere Leute meine Texte lesen, meine Filme gucken oder meine Lieder singen, fühle ich mich so, als hätte ich einen Partner gefunden, der das, was damals in Indonesien aber auch in meinem eigenen Leben passiert ist, mit mir teilt. Ich hoffe sehr, dass sich die Situation verbessern wird. Ich hoffe, dass die Regierung endlich anerkennt und klarstellt, was damals in unserem Land passiert ist. Ich glaube, dass es dazu kommen wird, aber wann das ist die große Frage. Ich hoffe, ich werde die Aufarbeitung der Verbrechen von 1965 noch miterleben. Ich hoffe, dass das passiert, bevor ich sterbe.