Management akuter und chronischer Kreuzschmerzen
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- Lioba Holtzer
- vor 8 Jahren
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1 Management akuter und chronischer Kreuzschmerzen 3. Fortbildungskongress der Ärztekammer Berlin 28./29. November 2014 Prof. Dr. med. Annette Becker, MPH Abteilung Allgemeinmedizin Philipps-Universität Marburg
2 Kreuzschmerz Definition: sind Schmerzen im Rücken vom unteren Rippenbogen bis zu den Glutäalfalten mit oder ohne Ausstrahlung in die Beine Akut Erstmalig oder nach ½ Jahr Beschwerdefreiheit ( Rezidiv ) Länger als 6 Wochen Beschwerden: Subakut Dauer bis zu 3 Monate Chronisch Seit mindestens 3 Monaten Beschwerden Variation in Intensität und Ausprägung
3 Epidemiologie Ca. 70% der Bevölkerung hatten schon einmal Rückenschmerzen Prävalenz in der Bev.: 39% der Frauen, 38% der Männer Altersgipfel Jahre (Hüppe 2007) Eine der häufigsten ambulant gestellten Diagnosen (M54) (GEK-Report 2008) Häufige Komorbiditäten Hohe Spontanheilungsrate (90% schmerzfrei / 6 Wochen) Hohe Rezidivrate (Andersson 1997, Schneider 2006)
4 Fakten Auch mit aufwendiger Diagnostik lässt sich meist kein objektivierbarer medizinischer / ursächlicher Befund finden. 90% der Rückenschmerzepisoden klingen nach kurzer Zeit wieder ab (unabhängig von Interventionen) Bislang gibt es keine gesicherten spezifischen Therapieansätze, um differenziert nach der Pathophysiologie der Kreuzschmerzen vorzugehen. Übertriebene Diagnostik und Suche nach Ursachen kann die Prognose des Patienten verschlechtern. (BÄK 2010, NVL Kreuzschmerzen )
5 Diagnostische Triage Anamnese / klinische Untersuchung Vertebral? Extravertebral? Nicht spezifisch (nicht klassifiziert) Spezifisch (klassifiziert) (Chenot, Greifswald 2001)
6 Epidemiologie chronischer Kreuzschmerz Ca. 10% der Patienten mit Kreuzschmerzen erleiden einen chronischen Verlauf Fast jeder 4. Patient in hausärztlichen Praxen leidet an chronischen Schmerzen Häufig multilokulär Meist muskuloskelettal (50% Lumbalregion) Ca. 25% mit starken Einschränkungen im Alltag (Hensler 2009)
7 Entstehung eines Schmerzgedächtnisses Periphere Sensibilisierung (Sensibilisierung von Nozizeptoren durch Entzündungen, Traumata, Verletzungen in Muskeln und Faszien) Hyperalgesie, Allodynie Zentrale Sensibilisierung (Sensibilisierung von Nozizeptoren im Rückenmark und Gehirn, Reorganisation) Verstärkte Schmerzreaktionen Schmerzausbreitung Hyperalgesie Sandkühler 2001
8 Sozialer Rückzug Rückenschmerz als Begleiterscheinung Verstärkte Wahrnehmung Depressive Verstimmung Hilflosigkeit Verstärker: Schonung hilft Fokus Schmerz Lernen: Stress u. Schmerz Entlastung durch Krankheit Rezidivierender Schmerz Chronizität Funktionseinschränkungen Iatrogene Somatisierung Gesundheitsleistungen Doktorhopping Angst / Vermeidung Gedanken zu Ursache und Kontrolle
9 Behandlungsziele Akut Frühe Diagnostik spezifischer Ursachen Symptomkontrolle Verhinderung Chronifizierung Vermeidung Überdiagnostik Vermeidung iatrogene Fixierung Chronisch Ausschluss spezifischer Ursachen Förderung von Krankheitsverständnis /- verhalten Erhalt und Wiederherstellung Physische Funktion Rollenfunktion (körperlich, emotional, sozial) Psychische Funktion (Wohlbefinden)
10 Fragen an die Gruppe Was muss ich wissen, bevor ich mich bei akuten Kreuzschmerzen für eine symptomatische Therapie entscheide? Was sind Kriterien bei akuten/chronischen Kreuzschmerzen andere Spezialisten hinzuzuziehen? Was sind wichtige Elemente einer hausärztlichen/kontinuierlichen Betreuung für chronische Schmerzpatienten? Was sind Bestandteile und Hilfen für die Kommunikation mit akuten/chronischen Schmerzpatienten
11 Mittwochmorgen in der Praxis Ein Patient mittleren Alters sucht sie auf. Er habe 2 Wochen zuvor aus heiterem Himmel plötzlich Rückenschmerzen entwickelt. Die Schmerzen seien im Bereich des unteren Rückens aufgetreten, haben sich dann nach rechts verlagert und sind jetzt in der rechten Gesäßhälfte zu spüren. Sie strahlen aus ins rechte Bein bis zum Knie. Im Notdienst habe er bereits Celecoxib und Methocarbamol erhalten. Dies helfe auch, aber er könne es nicht absetzen, dann treten die Schmerzen nach kurzer Zeit wieder auf. Bei Ihrer Untersuchung stellen sie Schonhaltung fest. Der Patient ist ängstlich, dass sein Rücken dauerhaften Schaden nehmen könne. Die Rumpfbeuge ist verhalten möglich; beim Zehenstand zeigt sich eine leichte Schwäche im rechten Bein. Bei der Sensibilitätsuntersuchung stellen sie am rechten Bein eine verminderte Sensibilität im Bereich der Großzehe und der lateralen Fußkante fest.
12 Red flags Kreuzschmerzen Fraktur Tumor Infektion Radikulopathien/ Neuropathien Trauma systemische Steroidtherapie höheres Alter Carcinom-.Anamnese Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, Rasche Ermüdbarkeit Schmerz in Rückenlage starker nächtlicher Schmerz Fieber oder Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, Ermüdbarkeit. Z.n. bakterieller Infektion i.v.-drogenabusus Immunsuppr. Konsumierende Grunderkrankung en Kürzlich Infiltrationsbeh. an der Wirbelsäule starker nächtlicher Schmerz Schmerzen in Dermatom, Ausgeprägte oder zunehmende neurologische Ausfälle Kaudasyndrom
13 DGN-S2-Leitlinie Lumbale Radikulopathie Keine Bettruhe, sondern leichte bis mäßige Belastung NSAR, muskelrelaxierende Medikamente; ggf. kurzfristig Opioide Bei Entwicklung chronischer Schmerzen ist eine Kombination mit Physiotherapie und psychotherapeutischen Verfahren (Verhaltenstherapie, Schmerzbewältigungsprogramme) angezeigt. Beim Übergang vom akuten in einen chronischen Schmerz ggf. Antidepressiva und Antiepileptika Frühzeitige Operation bei progredienten Paresen oder Blasen- Mastdarm-Störungen Elektive Operation bei erfolgloser konservativer ambulanter und/oder stationärer Therapie bei gesicherter morphologischer Ätiologie
14 Medikamentöse Therapie Paracetamol (max 3g / Tag) Cave bei subakuten und chronischen Schmerzen Traditionelle NSAR (bis max Ibuprofen 2,4 g, Diclofenac bis 150 mg, Naproxen 1,25 g / Tag) Nicht parenteral! Cox-2-Hemmer (off label use, wenn tnsar nicht vertragen werden, Celecoxib 200 mg/d, Etoricoxib 60 mg/d) Muskelrelaxanzien (wenn Nicht-Opioide und nicht medikamentöse Therapien nicht wirksam) Nicht länger als 2 Wochen Keine parenteralen Medikamente, keine Mischinfusionen, keine Kortikosteroide (BÄK 2010, NVL Kreuzschmerzen )
15 Medikamentöse Therapie Schwach wirksame Opioide (Tramadol / DHC / Tilidin-Naloxon) bei Therapieresistenz nach festem Zeitschema Starke Opioide (in Zusammenarbeit mit Schmerztherapeuten und in multimodalem Therapiekonzept, Reevaluation nach 4 Wochen (akut) oder 3 Monaten (chronisch) Nur mit langsamen Wirkungseintritt! Nicht transdermal bei akuten und subakuten Kreuzschmerzen! Antidepressiva (noradrenerge oder noradrenerg-serotonerg) in therapeutischen Gesamtkonzept SSNRI nur bei Komorbidität Keine Antiepileptika (BÄK 2010, NVL Kreuzschmerzen )
16 Magenschutz Bei notwendiger tnsar-therapie + Risikopatienten >65 Jahre Gastrointestinale Risiken: bekannte Ulkus-Krankheit anamnestisch Magenblutungen, g.i. Erkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn Komedikation: Kortikosteroiden, Antikoagulantien (INR steigt an!), ASS, SSRI, Stress Alkoholabhängigkeit Schwere Komorbidität Kombination mit PPI (Omeprazol 20 mg/d) oder Misoprostol (4 x 200 μg/d) (BÄK 2010, NVL Kreuzschmerzen )
17
18 Nichtmedikamentöse Therapien: Akute und subakute Kreuzschmerzen Beratung Körperliche Aktivität / keine Bettruhe! Akute Kreuzschmerzen Manipulation / Mobilisation (Optional) Progressive Muskelrelaxation (Optional) Wärmetherapie mit aktivierenden Maßnahmen (Optional) Subakute Kreuzschmerzen Bewegungstherapie Kognitive Verhaltenstherapie Massage in Kombination mit Bewegungstherapie, Rückenschule (BÄK 2010, NVL Kreuzschmerzen )
19 Nichtmedikamentöse Therapien Chronische Kreuzschmerzen Individuelle Information und Beratung Bewegungstherapie Progressive Muskelrelaxation Ergotherapie Verhaltenstherapie Manipulation / Mobilisation (Optional) Akupunktur (Optional) Massage in Kombination mit Bewegungstherapie (Optional) (BÄK 2010, NVL Kreuzschmerzen )
20 NVL Kreuzschmerzen
21 DEGAM-LL Chronischer Schmerz
22 Literatur Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz Langfassung. Version 1.X [cited: ]. Available from: Hüppe A, Müller K, Raspe H. Is the occurrence of back pain in Germany decreasing? Two regional postal surveys a decade apart. Eur J public Health 2007; 17: Grobe TG, Dörning H, Schwartz FW. GEK-Report ambulant-ärztliche Versorgung 2008, In: Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 67; GEK-Gmünder Ersatzkasse (Hrsg).Asgard-Verlag, St. Augustin Available from: gek.de/barmer/web/portale/presseportal/subportal/presseinformationen/archiv/2009/ gek-report-ambulant-aertzliche- Versorgung/PDF-GEK-Report-ambulant-aerztliche-Versorgung,property=Data.pdf [cited: ] Andersson GB. The epidemiology of spinal disorders. In: Frymoyer JW, editor. The adult spine: Principles and Practice. Philadelphia: Lippincott-Raven; p Schneider S, Mohnen SM, Schiltenwolf M, Rau C. Comorbidity of low back pain: Representative outcomes of a national health study in the Federal Republic of Germany. Eur J Pain 2006;11: Hensler S, Heinemann D, Becker MT, Ackermann H, Wiesemann A, Abholz HH, et al. Chronic pain in German general practice. Pain Med Nov;10(8): Sandkühler J. Schmerzgedächtnis: Entstehung, Vermeidung und Löschung. Dtsch Ärztebl 2001; 98(42): A-2725 / C-2172 Glocker FX. S2k-Leitlinie Lumbale Radikulopathie. Available from: [cited: ] Becker A, Becker M, Engeser P. DEGAM S1-Handlungsempfehlung. Chronischer Schmerz. AWMF-Registernr. 053/036, Available from:
23 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. med. Annette Becker, MPH
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