3 Möglichkeiten und Kriterien für die Erhebung schriftlicher Leistungen im Deutschunterricht
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- Julia Vogt
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1 3 Möglichkeiten und Kriterien für die Erhebung schriftlicher Leistungen im Deutschunterricht 3.1 Bewertungskriterien bei Aufsätzen Im Bereich Schreiben kann von der Natur der Sache her eine absolute und zahlenmäßig erfassbare Objektivierung nicht stattfinden! Prüft man nur Aspekte ab, deren Bewertung auch objektivierbar ist, läuft man Gefahr, an den wesentlichen Inhalten bzw. Kompetenzen des Faches vorbeizuprüfen. (vgl. S. 11) Das Bemühen um eine möglichst objektive Bewertung von Schüleraufsätzen mündet oft in eine Aufsplitterung in viele Einzelkriterien. Je mehr solcher Kriterien es gibt, desto eher kann der Eindruck einer sehr genauen und damit gerechten Leistungserhebung entstehen. Im Grunde genommen ist dies aber nur eine Scheingenauigkeit, denn bei jedem Einzelkriterium handelt es sich dann doch wieder um eine relativ subjektive Lehrerentscheidung. Darüber hinaus kann eine Fülle von Einzelkriterien den Blick auf das Ganze sehr stark trüben. Andererseits soll die Notengebung möglichst transparent sein, und hier können sich die Einzelkriterien wohl dosiert und gut begründet durchaus als hilfreich erweisen. Im Folgenden sollen einige bewusst kurz gehaltene Hinweise gegeben werden, welche Kriterien möglich sind und warum sie immer flexibel zu handhaben sein müssen. Grundsätzliches: Ein von oben festgelegter detaillierter Kriterienkatalog, der die Gewichtung einzelner Teilaspekte einer Schülerarbeit verbindlich vorgibt, würde die Freiheiten, die der Lehrplan bietet, zu einem großen Teil aufheben. Deswegen ist es zunächst einmal wichtig, dass alle Bewertungskriterien auf die Schwerpunkte, die im Unterricht gelegt wurden, abgestimmt werden. Wurde etwa in der Vorbereitungsphase einer Schulaufgabe besonderer Wert auf die sprachlich und inhaltlich sinnvolle Verknüpfung der Einzelteile einer Erörterung gelegt, sollte es selbstverständlich sein, dass hierauf auch in der Bewertung der Gesamtleistung entsprechend Rücksicht genommen wird. Da fast alle Noten mitten in einem Lernprozess und das gilt im ganz Besonderen für das Aufsatzschreiben erteilt werden, wäre ein zu eng gefasster, starrer Kriterienkatalog problematisch. Gerade im Rahmen der Implementierung bundesweiter Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss müssen jedoch gewisse Maßstäbe eine verbindlichere Gültigkeit erhalten. Allerdings werden in den Standards 1 immer allgemeine Begriffe zur Beschreibung eines Anforderungsniveaus verwendet; eine Festlegung auf prozentuale Gewichtungen von Teilleistungen findet man auch hier nicht. Rechtschreibung: Auch für den Bereich der Rechtschreibung ist ein verbindlicher Fehlerschlüssel kaum sinnvoll: Man kann zum Beispiel von einem Fünftklässer nicht erwarten ein Wort korrekt zu schreiben, das sich weder im Grundwortschatz der Grundschule wie- 1 Die Standards kann man u. a. auf der Seite der Kultusministerkonferenz ( oder im Realschulnetz ( unter Lehrplan herunterladen. 21
2 derfindet noch im bisherigen (Rechtschreib-)Unterricht der Realschule aufgetaucht ist. Es kann aber trotzdem zum aktiven Wortschatz eines Kindes gehören und somit im Aufsatz verwendet werden. Wird das Wort falsch geschrieben, kann man hier nicht von einem zu bewertenden Rechtschreibfehler reden, auch wenn andere Schüler das Wort richtig schreiben können. Dasselbe gilt auch für die Kommasetzung. Eine Fehlertabelle, die festlegt, welche Note für welche Fehleranzahl pro Seite zu geben ist, ohne zu berücksichtigen, welcher Wortschatz verwendet wird, welche Vorübungen gemacht wurden, wie groß die Schrift ist usw., ist didaktisch mehr als fragwürdig. Folgende Aspekte müssen bei einer Bewertung des Rechtschreibbereichs auf jeden Fall bedacht werden: Ist der verwendete Wortschatz für die betroffene Altersgruppe durchschnittlich, einfacher bzw. anspruchsvoller? (Dies sollte im Übrigen nicht nur bei Fehlern, sondern auch bei korrekt geschriebenen Wörtern bedacht werden.) Kann man Fehlerschwerpunkte ausmachen? Welche Schwerpunkte wurden zuvor im Unterricht berücksichtigt? Wurden viele bzw. nur wenige Fehler in diesen Bereichen gemacht? Wurde aus Fehlern vergangener Arbeiten gelernt? Durfte ein Rechtschreibwörterbuch verwendet werden und ist der effektive Gebrauch eingeübt worden? Wie groß ist die Schrift? Folgende Beispiele sollen vor Augen führen, dass die Note für den Teilbereich Rechtschreibung und Zeichensetzung nicht nur von der Zahl der Fehler, sondern vor allem von der Art der Verstöße abhängig gemacht werden muss, wenn man der tatsächlichen Rechtschreibleistung eines Schülers gerecht werden möchte: Die folgende Geschichte zu Bildern (Jahrgangsstufe 5) wurde als erste Schulaufgabe geschrieben und weist zwar rein zahlenmäßig relativ viele Fehler auf, doch handelt es sich bei den meisten Verstößen streng genommen um Wiederholungsfehler 2, denn sie sind alle darauf zurückzuführen, dass eine Regel zur Kennzeichnung lang gesprochener Vokale übergeneralisiert und in der Folge auf Fälle angewandt wurde, wo sie nicht greift. Weitere Fehlerschwerpunkte sind nicht auszumachen, weswegen die Rechtschreibung von der Lehrkraft als gut eingestuft wurde und damit für die Gesamtbewertung des sehr guten Aufsatzes nicht negativ ins Gewicht fiel. Im Übrigen ist es in diesem Fall relativ einfach, Erfolg versprechende Förderhinweise zu geben. 3 2 Bei der Festlegung, was als Wiederholungsfehler gilt und was nicht, kann man auf keine allgemein gültige Regelung zurückgreifen. Sicherlich ist dieses Beispiel nicht auf alle anderen Fälle übertragbar. Handelt es sich beispielsweise um das-dass-fehler sofern man sie überhaupt als Rechtschreibfehler kategorisieren will, kann man sicherlich nicht von Wiederholungsfehlern reden, da jede einzelne Satzstruktur fehlinterpretiert wurde. Andererseits sollte ein Wiederholungsfehler nicht nur bei dem gleichen Wort gegeben werden, sondern auch bei eindeutig verwandten Fällen (wie z. B. wahr kahm). 3 Vgl. hierzu auch Kapitel 6 22
3 Sichtbar machen kann man diese Einordnung z. B. dadurch, dass man die falschen Schreibungen im Text als Wiederholungsfehler markiert und sie am Rand lediglich einmal mit dem entsprechenden Korrekturzeichen als Rechtschreibfehler kategorisiert. Wesentlich schlechter müsste die Bewertung ausfallen, wenn ein Fehlerschwerpunkt nicht auszumachen ist, der betreffende Schüler also häufig unterschiedlichste und zum Teil elementare orthographische Regeln missachtet und selbst Lerngegenstände, die unmittelbar vor der Schulaufgabe im Rahmen der Aufsatzvorbereitung behandelt wurden, wie z. B. die Zeichensetzung bei der indirekten Rede oder das Komma bei Aufzählungen, nicht sicher beherrscht. 23
4 Auch im folgenden Beispiel wurden Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler, die nicht gewertet wurden (Wiederholungsfehler und Verstöße gegen Regeln, die die Schüler bis dahin noch nicht erarbeitet haben, z. B. die Zeichensetzung in Satzgefügen), lediglich im Aufsatz markiert, aber nicht am Rand als solche vermerkt. Doch selbst dann ist die Zahl der Fehler so hoch und die Art der Verstöße so unterschiedlich, dass man in diesem Fall von einer sehr schwachen Rechtschreibleistung sprechen muss, die die Gesamtnote um eine Stufe heruntersetzt: 24
5 Mögliche Gewichtungen der Bewertungsbereiche: Für die Aufsatzbeurteilung wird meist folgende Aufteilung vorgenommen: - Inhalt - Sprache - Formalbereich (Rechtschreibung und Zeichensetzung) Denkbar wären außerdem beispielsweise Bereiche wie - Gliederung, - Aufsatztechnik (z. B. Aufbau der Argumente; Zitiertechnik o. Ä.), - äußere Gestaltung/Form (z. B. bei einem Protokoll oder einem Bewerbungsschreiben), die aber auch in die oben genannten drei Hauptbereiche eingeordnet werden können. Die Gewichtung dieser einzelnen Elemente muss von den Schwerpunkten im Unterricht und von der Aufsatzart abhängig gemacht werden. Die Schüler müssen informiert werden, worauf besonders Wert gelegt wird, dennoch ist eine Abweichung von dem Schema wegen einer besonders auffälligen Leistung in einem der Bereiche möglich. Aus der Bemerkung unter dem Aufsatz muss dies hervorgehen. Vorschlag für flexibel zu handhabende Bewertungsschemata 4 : Bei Textgebundenen Aufsätzen (v. a. für Jahrgangsstufe 9 und 10): Gliederung 0 5 % Inhalt % Aufsatztechnik 5 10 % Sprache/Stil % Formalbereich (R/Sz) % 6 Bei Erörterungen: Gliederung 5 10 % Inhalt % Aufsatztechnik 5 10 % Sprache/Stil % Formalbereich (R/Sz) % 6 Bei anderen eher sachlichen Schreibformen (z. B. berichten, Inhalte wiedergeben; Textarbeit und argumentieren in unteren Jahrgangsstufen): Inhalt % Sprache/Stil % Formalbereich (R/Sz) % 4 Hierbei ist zu beachten, dass durch die Einteilung in Bewertungsbereiche das Aufsatzganze nicht aus dem Blick geraten darf. 5 Es können selbstverständlich je nach Text und nach Schwerpunkten in der Vorbereitung unterschiedliche Gewichtungen bei einzelnen Erschließungsfragen liegen. 6 Die höheren Werte implizieren, dass ein Rechtschreibwörterbuch und/oder ein Rechtschreibprogramm verwendet werden dürfen und die entsprechenden Techniken intensiv eingeübt wurden. 25
6 Bei eher subjektiven Schreibformen (z. B. schildern; erzählen; zu einem Bild schreiben): Inhalt % Sprache/Stil % Formalbereich (R/Sz) % Geht der Inhalt eines Aufsatzes völlig am gestellten Thema vorbei oder sind die eingeübten Aufsatzkriterien absolut nicht eingehalten, hat der Deutschlehrer die Möglichkeit die Note 6 zu erteilen, auch wenn die anderen Teilbereiche vielleicht zufrieden stellend bearbeitet wurden. Die äußere Form darf vom Deutschlehrer in die Notengebung einbezogen werden. Hier sollte man allerdings auch berücksichtigen, dass Aufsätze prozessorientierte Schreibprodukte sind, die überarbeitet werden müssen. Das wirkt sich auch auf die äußere Form aus. Man kann nicht auf der einen Seite die Schüler auffordern ihre Texte zu verbessern und sie andererseits dafür bestrafen, indem man die Note abwertet. Es gibt aber natürlich Extremfälle, in denen eine Abwertung gerechtfertigt sein kann. Wird von den Schülern eine Reinschrift gefordert, darf die Aufgabenstellung nicht zu komplex sein. Zudem muss auch für langsam schreibende Schüler hinreichend Arbeitszeit zur Verfügung gestellt werden. In einer Fachschaft sollte es zum Thema Aufsatzbewertung einen regen Informationsaustausch geben, nicht zuletzt wegen der Vergleichbarkeit und der Transparenz der Bewertung innerhalb einer Schule. Dabei muss es aber immer möglich sein, dass Lehrkräfte auf Grund unterschiedlicher Schwerpunkte im Unterricht auch bei derselben Aufsatzart unterschiedliche Gewichtungen der Teilbereiche vornehmen dürfen, solange sie sich in einem abgesprochenen Rahmen bewegen. Anregung für den Unterricht Bei einem nicht zu komplexen Schreibanlass z. B. Gebrauchsanweisung, Kochrezept, Bewerbungsschreiben entwickeln die Schüler selbst einen Bewertungskatalog für die von ihnen zu schreibenden Texte und beurteilen danach ihre eigenen Entwürfe. Besonders wirkungsvoll ist es, wenn aus der Kritik an den Texten ein von allen verantworteter optimaler Entwurf entsteht, der für alle kopiert wird oder z. B. in der Schülerzeitung veröffentlicht wird. Mit der Klasse muss aber geklärt werden, dass diese Fassung eine von vielen möglichen ist, dass unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten denkbar sind und dass diese Fassung deswegen nicht als 1:1-Vorlage für ähnliche Themen dienen sollte. 7 Vor allem bei den ersten Aufsätzen in Jahrgangsstufe 5 ist durchaus zu überlegen, ob man die Rechtschreibung von der Bewertung ausnimmt und stattdessen eine eigene Leistungserhebung für diesen Bereich durchführt (vgl. auch Kapitel 6). 26
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