Kurzfassung der Fortbildung in Ethik (zuhanden der Thementräger/in)
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- Henriette Gerstle
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1 Alter und Pflege Ethik Kurzfassung der Fortbildung in Ethik (zuhanden der Thementräger/in) Aufgaben der Thementräger/in (Ethik-Konzept 2007) Die Thementräger/innen: verfügen über elementare Kenntnisse zum Umgang mit ethischen Fragen (Menschenwürde, Eth. Prinzipien, Entscheidungsfindung) stellen das Ethik-Konzept in der zuständigen Abteilung vor informieren kontinuierlich die Basis über ethische Themen sind Kontaktperson zur Fachgruppe Ethik informieren ihre Vorgesetzten über ethische Themen und Fragestellungen aus der eigenen Abteilung sind Ansprechpersonen für die Mitarbeitenden erteilen Beratung und Unterstützung der Mitarbeitenden bei eth. Fragen sind zuständig für die Organisation und Durchführung interdisziplinärer Fallbesprechungen, holen sich bei bedarf die Unterstützung von der Fachgruppe Ethik Ziele der Fortbildung in Ethik Die Mitarbeitenden sollen: für die ethischen/moralischen Aspekte ihrer Arbeit sensibilisiert werden und wahrnehmen, wann/wo sich entsprechende Fragen stellen elementare Begriffe, Werte, Prinzipien und Denkansätze kennen und damit in der Praxis umgehen können eine konkrete Vorstellung davon haben, wie ethisches Entscheidungsverfahren in der Praxis aussehen kann die wichtigsten berufsethischen und rechlichten Richtlinien kennen, die für ihre berufliche Praxis relevant sind
2 Fortbildung in Ethik (Kurzfassung Script 2008) 1. Sequenz Ethik/Moral, Moral-Ethik-Zyklus Moral Ethik Moral bezeichnet das Set von Werten, Normen, Handlungsrichtlinien etc., die das Handeln im Alltag steuern. Jede Person und jede Gruppe von Menschen verfügt über eine bestimmte Moral, nach der sie unterscheidet, was gut und was schlecht ist, wozu jemand verpflichtet ist und was als verwerflich gilt. Unter Ethik versteht man das kritische, grundsätzliche Nachdenken über Moral. Ethik drängt sich dann auf, wenn man sich in einer konkreten Situation nicht mehr einig ist wenn bisherige moralische Vorgehensweisen nicht mehr recht überzeugen verschiedene Moral-Ansprüche miteinander in Konflikt geraten sich neue Fragen stellen, bei denen man noch keine moralische Antwort auf die Frage hat, wie man konkret handeln soll Man muss nicht ständig über das richtige moralische Verhalten in alltäglichen Situationen diskutieren. Aber es ist wichtig, den 'moralischen Chip' wahrzunehmen, also das moralische Element, das in jeder Handlung oder Entscheidung bewusst oder unbewusst im Spiele ist. 2
3 Der Zyklus läuft vereinfacht folgendermassen ab: dann wieder moralische Praxis werden. 1. Eine bestimmte Moral wird selbstverständlich gelebt, bis... Gegenseitiger Bezug von Moral und Ethik zu einer ethischen Reflexion nötigt, die neue Handlungsperspektiven hervorbringt, die eine Irritation oder Verunsicherung dieser Moral entsteht, die... 3
4 2. Sequenz- Würdeverständnis Art.7 der Bundesverfassung: "Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen." Was beinhaltet Menschenwürde? Schutz des eigenen Lebens Anspruch auf Autonomie / Selbstbestimmung / Selbstverantwortlichkeit grundlegender Respekt von Seiten anderer Recht auf Menschenrechte Die Menschenwürde ist im Menschsein vorgegeben unverlierbar unantastbar In der Pflege gilt es, für den Betroffenen eine Lebens- und Pflegesituation zu schaffen, die durch den Respekt vor seiner Menschenwürde geprägt ist dann kann man von menschenwürdigem Verhalten anderen gegenüber sprechen. Grundprinzipien medizinisch-pflegerischer Ethik Was ein menschenwürdiger Umgang mit Patienten oder Bewohnerinnen einer Institution des Gesundheitswesens bedeutet, verdeutlichen die Grundprinzipien medizinischer und pflegerischer Ethik nach T. L. Beauchamp & J. F. Childress, die sich in der westlichen Welt weitgehend durchgesetzt haben: 4
5 1. Prinzip: Autonomie Das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung jedes Menschen ist zu respektieren (gegen noch so gut gemeinte ärztliche und pflegerische Bevormundung). 2. Prinzip: Fürsorge Menschen, die der Hilfe bedürfen, soll immer mit dem Ziel einer möglichst guten Lebensqualität geholfen werden. Das beinhaltet das doppelte Bemühen, a) Übel/Schaden zu vermeiden und b) Gutes zu tun. 3. Prinzip: Gerechtigkeit Die jeweils vorhandenen Mittel an Geld, Personal, Zeit und Infrastruktur sind gerecht und fair auf die sie benötigenden Personen zu verteilen. 5
6 3. Sequenz- Autonomie Autonomie bezeichnet das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung. Dieses Prinzip gilt es zu respektieren, auch gegen noch so gut gemeinte ärztliche und pflegerische Bevormundung. Autonomie-Anspruch Wesenhaft absolut, in allen Situationen umfassend unverlierbar Autonomie-Fähigkeit Aktuelle Fähigkeit zur Selbstbestimmung situationsbezogen graduell variabel verlierbar Mutmasslicher Wille: Bei eingeschränkter Autonomiefähigkeit besteht die Aufgabe darin: sorgfältig abzuklären, wie weit die Autonomiefähigkeit (noch) reicht; in denjenigen Bereichen, in denen Bewohnende/ Klienten noch autonomiefähig sind, ihre Entscheide zu respektieren; die Behandlung auf das Ziel der Erweiterung der Autonomiefähigkeit auszurichten; bei fehlender Autonomiefähigkeit stellvertretend zu entscheiden, aber immer im Sinne des mutmasslichen Patientenwillens! Zum Eruieren des mutmasslichen Willens ist ggf. eine Patientenverfügung zu beachten. 6
7 Es darf nie einfach nach Belieben der Pflegenden/Ärzte/ Angehörigen über Bewohnende/Klienten verfügt werden! Das würde gegen die Autonomie der Betroffenen verstossen und ihre Würde missachten. Grenzen des Rechts auf Autonomie / Selbstbestimmung: - Einfordern von Dingen, die: nicht zum Katalog der Dienstleistungen gehören fachlich/ethisch nicht indiziert sind (PatGes 23) nicht den heute gültigen Regeln der Kunst entsprechen (PatGes 4) - Grenzen der Legalität - Autonomie-Ansprüche von Dritten - Pflicht zur Compliance und Rücksichtnahme auf Gemeinschaft/Hausordnung - bei gravierender Selbstgefährdung oder Gefährdung Dritter (FFE) 7
8 4. Sequenz Freiheitsbeschränkende und Zwangsmassnahmen Freiheitsbeschränkende Massnahmen meinen Massnahmen zum Schutz der Betroffenen aufgrund von Überlegungen nach professionellen Kriterien. Geschieht das mit dem Einverständnis des Betroffenen und nach sorgfältiger Abwägung, ist dies kein moralisches Problem. Freiheitsbeschränkende Massnahmen sind grundsätzlich auf Zustimmung angewiesen. Demgegenüber stehen Zwangsmassnahmen, die gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden und dessen Autonomie verletzen. In welchen Situationen können Zwangsmassnahmen erlaubt sein? Bspw.; bei massiver Selbstgefährdung bei Urteilsunfähigkeit (SAMW 3.1) bei erheblicher Drittgefährdung wenn alle andern Möglichkeiten ausgeschöpft sind Wie sollte es nach heutigen Regeln der Kunst zu einer Entscheidung über Zwangsmassnahmen kommen? Alle Möglichkeiten müssen geprüft werden Interdisziplinäre Abklärung und Beratung Verhältnismässigkeit wahren Protokollierung des Beschlusses und seiner Begründung 8
9 Sterbehilfe Unterscheidung der verschiedenen Formen von Sterbehilfe. Hilfe beim Sterben Hilfe zum Sterben Sterbebegleitung (psycho-soziale Umsorgung, palliative Massnahmen) Beihilfe zum Suizid Passive Sterbehilfe (moralisch erlaubt) Indirekte Sterbehilfe (moralisch erlaubt) Aktive Sterbehilfe (rechtlich verboten) Tötung (rechtlich verboten) Regelung Stadt Winterthur zur Beihilfe zum Suizid (Interpellation des Grossen Gemeinderates 2001): Es bestehen keine Regelungen für den Zutritt von Sterbehilfeorganisationen in den städtischen Heimen. Der Stadtrat beabsichtigt nicht, zu diesem Thema eine Verordnung zu erlassen. Dem Personal ist es untersagt, an der Vorbereitung oder Durchführung eines Suizids unter Beihilfe einer Sterbehilfeorganisation mitzuwirken. Die blosse Anwesenheit und Begleitung der Sterbewilligen beim Suizid ist dem Personal freigestellt, es kann aber dazu nicht verpflichtet werden. Personen, die Selbsttötung beabsichtigen, müssen die städtischen Heime nicht verlassen. Wie ist vorzugehen, wenn ein Suizidwunsch bekannt wird? Es gilt, den Wunsch wahrzunehmen und herauszufinden ob er dem wirklichen, autonomen Willen des urteilsfähigen Bewohner/Klienten entspricht, oder ob er gegebenenfalls bloss aus einem durch eine kurierbare Krankheit (z.b. Depression) beeinträchtigten Wunsch der betroffenen Person resultiert. Wenn Letzteres der Fall zu sein scheint, sind genauere Abklärungen nötig, weil dann die Voraussetzungen für einen begleiteten Suizid nicht mehr gegeben wären. 9
10 5.und 6. Sequenz Aspekte einer ethischen Entscheidungsfindung Welche Aspekte sind bei einer interdisziplinären, ethischen Entscheidungsfindung zu beachten? Die folgenden Schritte sind nicht als starres Schema zu verstehen, sondern als Hilfe, keine wesentlichen Gesichtspunkte zu übersehen. 1. Wahrnehmung eines ethischen Problems durch irgend jemand Erste Klärung (z.b. mit einer Kollegin): Wo liegt das ethische Problem? Wenn nötig: Veranlassen eines Entscheidungsfindungsprozesses (durch zuständige Ansprechperson) 2. Beizug aller relevanten Personen und Klärung der Fragestellung Wer alles ist beteiligt? Wessen Gesichtspunkt muss mit einbezogen werden, um zu einer gemeinsamen, interdisziplinären, begründeten ethischen Entscheidung zu gelangen (Bewohnerin/Klientin, Pflegende, Leitung Pflege, Wohngruppenleitung, Geschäftsleitung, Arzt, Angehörige, andere Bezugspersonen)? Wer entscheidet in letzter Instanz und ist damit hauptverantwortlich? Gemeinsame Klärung: Was genau ist das ethische Problem? 3. Situation und Wille der Bewohnerin Was wissen wir von der Klientin/Bewohnerin: - wie ist ihre Situation, wie hat sie sich entwickelt? - wie ist die Prognose? - was weiss man über ihren aktuellen/mutmasslichen Willen? 10
11 4. Orientierungs-Richtlinien zusammentragen Was für ethische Werte/Haltungen/Prinzipien/Richtlinien spielen im vorliegenden Fall eine Rolle: - Grundwert der Menschenwürde und die 3 medizinethischen Grundprinzipien (Autonomie, Fürsorge, Gerechtigkeit) - Aussagen einschlägiger Texte wie Patientengesetz, SAMW- und SBK-Richtlinien, hausinterne Regelungen Was für moralische/ethische Dilemmas entstehen allenfalls? 5. Entwerfen verschiedener Lösungsmöglichkeiten Möglichst viele mögliche Lösungen des Problems durchspielen: welche Konsequenzen hätte jede Lösung für alle Betroffenen (Vor- und Nachteile, Nutzen und Schaden)? 6. Abwägung im offenen interdisziplinären Gespräch Ethisches Gewichten der verschiedenen Möglichkeiten (im Sinne einer Güterabwägung) Konsensfindung Entscheidung für eine bestimmte Option (wenn immer möglich im Konsens) 7. Dokumentation Der Entscheid und seine Begründung sollen festgehalten und nachvollziehbar sein 8. Spätere Überprüfung: Überzeugt die Lösung des Problems immer noch? Hat sich die Situation geändert? Wenn nötig: den Fall erneut diskutieren und eine verantwortbare Entscheidung suchen 11
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