Frontal21-Interview mit Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Duma, 20. November 2014
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- Johannes Winkler
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1 Frontal21-Interview mit Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Duma, 20. November 2014 von Joachim Bartz Frontal21: Warum sind Ihrer Meinung nach die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zurzeit angespannt? Alexej Puschkow: Die Antwort auf diese Frage scheint einfach, weil es im Westen heißt, die Ursache sei die Ukraine. Meiner Meinung nach hat sich diese politische Konfrontation allmählich entwickelt. Sie zeichnete sich schon im Syrien-Konflikt ab. Russland weigerte sich, die Politik der USA und einige ihrer Verbündeten mitzutragen und jene Kräfte zu unterstützen, die die Regierung Assad stürzen wollten. Russland ging davon aus, dass ein staatlicher Umsturz keine Methode ist, um internationale Probleme zu lösen. Und es geht erst recht nicht auf dem Wege ausländischer Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten. Und bei Syrien ist das noch insofern besonders kompliziert, dass die Wahrscheinlichkeit gegen Null geht, dass anstelle Assads demokratische Kräfte an die Macht kommen. Dagegen ist es recht wahrscheinlich, dass radikale Islamisten in der Art der IS an die Macht kommen. Mittlerweile sind offenbar alle davon überzeugt, dass Assad niemals ein Feind des Westens war. Er hat keine amerikanischen und englischen Journalisten enthauptet. Das tun allerdings jene Leute, die der Westen de facto politisch unterstützt hat, weil sie gegen Assad kämpften. Ich glaube, dass die Krise mit Syrien begonnen hat. Sie hat sich dann während der Olympischen Spiele zugespitzt. Statt die Chance wahrzunehmen, aus Anlass der Olympischen Spiele die Beziehungen auf Grund des gemeinsamen Interesses am Sport und an den Idealen der Olympischen Bewegung zu verbessern, nutzte man die Spiele zu persönlichen Attacken auf Putin. Es wurde eine unsinnige Kampagne losgetreten, um die Rechte sexueller Minderheiten in Russland zu verteidigen, eine Sache, die meiner Meinung nach völlig künstlich aufgeblasen war. Mit dieser Kampagne wollte man die Durchführung der Olympischen Spiele in Russland diskreditieren. Ich möchte betonen, dass Russland es nie unternommen hat, einen Staat, in dem die Olympischen Spiele stattfanden, zu diskreditieren. Wir haben allerdings solche Bestrebungen schon von Seiten vieler westlicher Politiker erlebt, besonders von amerikanischen. Das Klima zu Beginn der ukrainischen Krise war bereits recht ungünstig, und diese Krise hat sich dann zu dieser Konfrontation ausgewachsen.
2 Sie erinnern sich vielleicht, dass sieben Länder auf der Sitzung der G8 in Lough Erne in Nordirland Vladimir Putin dazu bringen wollten, sie in Sachen Syrien zu unterstützen, und dass er das abgelehnt hat. Er wollte Obama in Syrien nicht unterstützen, weil wir das, was die USA im Nahen Osten machen, für von Grund auf falsch halten. Die Aggression gegen den Irak war kein Fehler, wie die Amerikaner meinen, sondern ein politisches Verbrechen und eben kein Fehler, der ihnen unterlaufen ist. Die Amerikaner haben einen bewussten Versuch unternommen, das Regime zu stürzen, um dort eine Demokratie aufzubauen. Im Ergebnis haben sie Chaos und Terrorismus, hunderttausende Tote und einen islamischen Staat produziert. Da haben Sie das Resultat der Besetzung des Irak. Das Gleiche wollten sie in Syrien machen, natürlich mit demokratischen Parolen. So baut man aber keine Demokratie auf, eine Demokratie muss reifen, sie muss innere Wurzeln haben, und nicht mit amerikanischen Infanteristen kommen. Den Beweis dafür sehen Sie in allen Ländern, das zeigt sich in allen Ländern: Libyen, das ein stabiler Staat war, ja, mit einem Diktator an der Spitze, aber was ist denn da jetzt besser. Der Lebensstandard in Libyen ist um 50 Prozent gesunken, und es herrscht totales Chaos. Deshalb lehnen wir solche Methoden kategorisch ab. Ich denke, die Ukraine hat viel dazu beigetragen, die Krise in der Beziehung zwischen Russland und dem Westen weiter anzuheizen. Aber die Voraussetzungen für diese Krise bestanden schon vorher, und sie sind ziemlich schwerwiegend. Insbesondere war und bleibt Russland kategorisch gegen die Ost- Erweiterung der NATO. Natürlich hat jedes Land das Recht, sich dem einen oder anderen Bündnis anzuschließen. Russland hat auch ein gewisses Recht, und zwar das, sich um seine Sicherheit Sorgen zu machen. Deshalb ist es in unseren Augen nicht produktiv, die NATO bis zur russischen Grenze auszudehnen. Russland ist gegen eine Stationierung amerikanischer Raketenabwehrsysteme in Europa, weil das Systeme sind, die das russische strategische Atompotenzial neutralisieren sollen. De facto haben diese Systeme den Zweck, das derzeit bestehende atomare Gleichgewicht zu zerstören. Seit den 60er Jahren hat dieses atomare Gleichgewicht die Voraussetzung dafür geschaffen, dass ein Atomkrieg verhindert werden konnte. Es stammt aus der Zeit nach der Kuba-Krise. Dieses atomare Gleichgewicht hat 50 Jahre lang einen atomaren Konflikt verhindert. Die USA wollten dieses Gleichgewicht zerstören und Russland strategisch für amerikanische Raketen verwundbar machen. Wir halten das für falsch. Deshalb würde ich nicht alles auf die Ukraine reduzieren. Die Ukraine ist nur die Spitze eines Eisbergs. Leider ist der Eisberg viel größer. Frontal21: Welche Bedeutung hat die Ukraine für Russland? Puschkow: Die Ukraine ist ein Staat, der erst vor relativ kurzer Zeit entstanden ist, das ist eine historische Tatsache. Er ist
3 weitgehend auf Territorien entstanden, die zur Zeit der Sowjetunion zu der historischen Ukraine dazugekommen sind. Niemand kann beweisen, dass die Ukraine jemals in ihren heutigen Grenzen bestanden hätte. Erstens hat es die Ukraine als Staat nicht gegeben, und zweitens, selbst wenn wir die klassische historische Ukraine nehmen die hat sich niemals auf Gebiete erstreckt, die heute zur Ukraine gehören. Das ist von prinzipieller Bedeutung, weil auf diesen Gebieten vor allem Russen leben und weil das gemischte Familien sind. Unter diesen Bedingungen hatte die Ukraine, wie mir scheint, die Möglichkeit, eine Formel für eine Koexistenz des ukrainischen und russischen Volks zu finden und auch des tatarischen Volks, wenn es um die Krim geht, die alle zufriedengestellt hätte. In Europa gibt es sehr gute Beispiele für die Koexistenz verschiedener Völker: in der Slowakei zum Beispiel fühlt sich die ukrainische Minderheit meines Wissens nicht diskriminiert. Soviel ich weiß, leben in Finnland sechs Prozent Schweden, und das Schwedische ist dort eine Staatssprache. Die neuen ukrainischen Machthaber haben sich meiner Meinung nach für einen ganz falschen Weg entschieden. Sie wollten gewaltsam einen ukrainischen Einheitsstaat mit einer Staatssprache der ukrainischen schaffen. Obwohl die Erfahrung in Europa, wo sie ja angeblich unbedingt hin wollen, andere Beispiele für eine erfolgreiche Lösung nationaler Probleme zeigt. Die Ukraine stand uns immer sehr nah, und wir haben die ukrainische Wirtschaft lange unterstützt mit niedrigen Gaspreisen und durch billige Tarife für ukrainische Waren. In den 90er Jahren haben wir einen Vertrag abgeschlossen, der der Ukraine große Rechte gab, dafür sagte die Ukraine zu, das Problem mit der russischen Sprache und mit der Kultur- und Bildungspolitik zu lösen. Das ist jedoch nicht erfolgt. Von diesem Land hängt die Sicherheit Russlands ab: Wir haben eine 2400 km lange gemeinsame Grenze, das ist nicht wenig. Das Land war zwar dagegen, aber die ukrainische Führung unter Juschtschenko wollte der NATO beitreten. Obwohl nach Umfrageergebnissen höchstens 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung dafür waren. Damals haben sich Deutschland und Frankreich dagegen ausgesprochen. Und erst das hat es verhindert, dass ein spezielles Partnerschaftsprogramm erklärt wurde, worauf dann der NATO-Beitritt der Ukraine gefolgt wäre. Natürlich hat das schon damals bei uns große Nervosität und Unruhe ausgelöst. In der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine heißt es im ersten Artikel, dass die Ukraine ein blockfreies Land ist, das heißt, sich keinem Bündnis anschließen wird. Wir haben von der Ukraine nie mehr erwartet, als dass sie ihre eigene Unabhängigkeitserklärung einhält, die die Bedeutung eines staatsbildenden Gesetzes hat. Deshalb scheint uns, dass die Ukraine nicht nur ein Staat ist, in dem sehr viele Russen leben, nicht nur ein Staat, mit dem wir viele historische und kulturelle Bindungen haben, nicht nur ein
4 Staat, der für uns emotional wichtig ist, sondern auch ein Staat, der für Russlands Sicherheit von eminenter Bedeutung ist. Wie mir scheint, haben die anhaltenden und intensiven Bestrebungen der USA, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, eine große Rolle bei der Entwicklung der Krise gespielt. Als es in Kiew am 21., 22. Februar zu einem staatlichen Umsturz kam, darum handelte es sich nämlich, da sah man in Russland dahinter sofort das Bestreben einiger Kräfte von außen, die Voraussetzungen für einen Beitritt der Ukraine zur NATO zu schaffen. Frontal21: Welcher Kräfte? Puschkow: Sie befinden sich vor allem auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans, aber es gibt auch in Europa Kreise, die ebenso an einem NATO-Beitritt der Ukraine interessiert sind. Ich lüge ja nicht, wenn ich sage, dass Rasmussen das insgeheim wünschte und dass es überhaupt in Europa eine ziemlich bedeutende Gruppe von Politikern gibt, die das Bündnis erweitern und die Ukraine und Georgien aufnehmen wollen. Das ist bekannt. Bei der Ukraine musste das natürlich entsprechende Reaktionen von unserer Seite auslösen. Also die Ukraine ist für uns in jeder Hinsicht ein besonderes Land. Das heißt nicht, dass wir glauben, dass es irgendwelche Einflusssphären geben müsse. Aber wenn man an unseren Grenzen eine Einflusssphäre der NATO schafft - und gerade das wird in der Ukraine versucht -, dann müssen wir darauf reagieren. Frontal21: Warum kämpfen russische Soldaten in der Ost- Ukraine? Puschkow: Die russische Armee ist nicht in der Ost-Ukraine. Es gibt nicht einen einzigen Beweis dafür, dass sich russische reguläre Streitkräfte in der Ostukraine befinden. Wenn es da Russen gibt, die auf der Seite der Volkswehr kämpfen, wie erklären Sie dann, dass es Deutsche gibt, die auf Seiten der radikalen Terroristen gegen das Assad-Regime kämpfen. Sie können sie ja nicht an ihrer Ausreise aus Deutschland hindern, da sie freie Menschen sind und da kämpfen, wo sie wollen. Genauso wissen wir, dass es französische Freiwillige gibt, die in Syrien kämpfen, Muslime, in der Regel französischer Herkunft. Bekanntlich gibt es dort auch Amerikaner und Engländer. Das sind einige tausend Personen, wenn man alle Vertreter Europas zusammennimmt, die auf Seiten radikaler Gruppierungen in Syrien gegen Assad kämpfen. Wir haben jedoch nie behauptet, dass es bewaffnete Formationen westlicher Staaten auf syrischem Gebiet gebe, die gibt es dort nicht. Genauso wenig wie es bewaffnete Formationen Russlands auf ukrainischem Gebiet gibt. Frontal21: Warum liefert Russland militärische Ausrüstung in die
5 DNR? Puschkow: Russland sagt nicht, dass wir militärische Ausrüstung in die DNR liefern. Es gibt ebenso wenig Beweise für derartige Lieferungen. Wir wissen, dass die Volkswehr bei den ukrainischen Streitkräften sehr viel Technik erbeutet hat. Ich möchte Sie an die Niederlage der ukrainischen Truppen bei Ilovajsk erinnern, wo die ukrainischen Truppen eingekesselt waren. Darüber wird bis heute viel diskutiert, und es gibt Leute, die den früheren Verteidigungsminister für diese Niederlage verantwortlich machen. Natürlich haben die ukrainischen eingekesselten Truppen viel Technik verloren, deshalb ist ein Großteil der Technik, die die Volkswehr einsetzt, eben die Technik, die sie von der ukrainischen Seite erbeutet hat. Ich wiederhole es nochmal, es gibt keine belastbaren Beweise dafür, dass der Volkswehr russische Technik geliefert wurde. Die Fotos, die uns die NATO immer wieder vorweist oder die in westlichen Zeitschriften veröffentlicht werden, sind sehr häufig gefälscht. In einigen Fällen wurden die Fotos auf dem Gebiet der Russischen Föderation gemacht und die Panzer auf den Fotos wurden als Panzer ausgegeben, die der Volkswehr in der Ukraine übergeben worden seien. Leider gibt es in dieser Frage sehr viel Desinformation. Vor kurzem hat Schweden ein russisches Flugzeug bezichtigt, den schwedischen Luftraum verletzt zu haben. Wie sich dann herausstellte und wie die Schweden auch einräumten, handelte es sich um ein französisches Flugzeug. Also es gibt hier sehr viel Desinformation, und ich würde mich daher nicht auf diese Information verlassen. Frontal21: Deutsche Politiker kritisieren Russland für seine Ukraine-Politik, weil sie die europäischen Rechtsnormen und überhaupt die Weltordnung verletzt. Wie denken Sie darüber? Puschkow: Ich denke, dass die USA und ihre engsten Verbündeten ständig die Weltordnung verletzen, seit Ende der 90er Jahre. Ich halte die Besetzung des Irak ohne jeglichen Grund für eine Verletzung der Weltordnung. Ich halte die Bombardierung von Libyen ebenfalls ohne hinreichende Gründe auch für eine Verletzung der Weltordnung. In Libyen haben sie die Zivilbevölkerung von Tripolis bombardiert, um die Zivilbevölkerung von Bengasi zu schützen. Wieso die Bewohner von Tripolis schlechter sind als die von Bengasi, weiß ich nicht. Vielleicht kann man darauf in der NATO eine Antwort geben, wo diese Operation geplant wurde. Die Weltordnung wurde meines Erachtens auch in Jugoslawien verletzt. Und wenn man mir sagt, dass Russland zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg europäische Grenzen verletzt hat, dann ist das nicht wahr. Zum ersten Mal seit dem Weltkrieg wurden europäische Grenzen in Jugoslawien durch die westliche Koalition gewaltsam verändert, die meinte, die Ermordung einiger hundert Personen im Kosovo, von Albanern im Kosovo, für die man die serbischen Streitkräfte verantwortlich machte, reiche als Begründung aus, um Belgrad zu
6 bombardieren und die serbischen Grenzen zu verändern. Das ist ein Faktum. Danach hat ein internationales UNO-Gericht erklärt, dass die Abspaltung eines Territoriums, dessen Bevölkerung das wünscht, dem internationalen Recht nicht widerspricht. Wir haben damals die westlichen Kollegen gewarnt, damit werde die Büchse der Pandora geöffnet und dass das damit nicht einfach sein Bewenden haben werde. Wenn man den Teil eines Staats von einem anderen abspalten kann, und wie Sie wissen, wurde das gegen den Willen Belgrads gemacht, dann werden in anderen Gebieten Europas Bewegungen mit ähnlichen Zielen entstehen. Dann hat auch Abchasien gesagt, es wolle sich abspalten, und Süd-Ossetien und dann hat die Krim gesagt, dass sie sich abspalten und Russland anschließen will. Die Krim hat sich entschieden, sich an Russland anzuschließen, als klar wurde, dass dort die Sicherheit nicht gewährleistet war. Sehen Sie, was jetzt in der Ost-Ukraine passiert? Deshalb hat nicht Russland als erstes die europäische Ordnung verletzt, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, und nicht Russland hat damit angefangen, die Grenzen zu verändern. Alles hat im Kosovo begonnen, aber man hat uns gesagt, das sei ein Sonderfall. Wenn das Kosovo ein Sonderfall ist, dann ist die Krim auch ein Sonderfall. Frontal21: Gehört Ihrer Meinung nach die Krim noch zur Ukraine? Puschkow: Meiner Meinung nach gehört die Krim zu Russland, weil sich erstens die Mehrheit der Bevölkerung dafür ausgesprochen hat. Es hat auf der Krim keine Abstimmung unter Gewehrläufen gegeben, das ist ein Mythos. Die Menschen haben frei abgestimmt, und die Mehrheit hat dafür votiert. Sie sehen jetzt keinerlei Protestaktionen oder Protestbewegungen auf der Krim. Ich war vor kurzem auf der Krim das ist eine der ruhigsten Regionen der ehemaligen Ukraine. Wenn man die Krim mit dem vergleicht, was sich jetzt in Donezk und Lugansk abspielt, dann war das für die Krim einfach die Rettung. In Donezk und Lugansk sind inzwischen 4000 Menschen umgekommen, 7000 wurden verletzt, sind nach Russland geflohen und noch einige hunderttausend ins Gebiet der Ukraine. Das sind die Folgen des ukrainischen Gewalteinsatzes in der Ost-Ukraine. Können Sie sich daher vorstellen, dass unter diesen Bedingungen die Bevölkerung der Krim jetzt ihre Entscheidung revidieren und zur Ukraine zurückkehren will? Ich denke, das ist unmöglich. Ebenso wie es ausgeschlossen ist, dass sich die Bevölkerung des Kosovo jetzt wieder Serbien anschließen will. Frontal21: Gehören die Gebiete Donezk und Lugansk noch zur Ukraine? Puschkow: Ich denke, das müssen Sie Kiew fragen. Gerade hat
7 Kiew beschlossen, über diese Gebiete eine Wirtschaftsblockade zu verhängen, das heißt, die Zahlung von Renten, sozialer Unterstützung und Gehältern einzustellen. Damit trennt sich Kiew selbst von diesen Gebieten. Deshalb müssen Sie die Frage, ob diese Gebiete noch Teil der Ukraine sind, Herrn Poroschenko stellen. Frontal21: Welche Pläne hat der Kreml hinsichtlich der Gebiete Donezk und Lugansk? Sollen sie Teil der Russischen Föderation werden? Puschkow: Wir gehen davon aus, dass das Schicksal dieser Gebiete auf dem Verhandlungsweg von Kiew mit den Vertretern dieser Gebiete entschieden werden muss. Beachten Sie, dass Russland, als die letzten Wahlen dort durchgeführt wurden, nicht erklärt hat, dass es die Wahlergebnisse anerkennt. Wir haben vielmehr erklärt, dass wir den Willen des Volks respektieren. Eine große Anzahl von Menschen dort leben insgesamt 7,5 Millionen ist zu diesen Wahlen gekommen und hat abgestimmt. Wir können den Willen dieser Menschen nicht ignorieren. In Europa hat man uns immer erklärt, dass der Wille der Bevölkerung Vorrang hat das sei die Quelle der Demokratie. Jetzt hat die Quelle der Demokratie Wahlen durchgeführt, und wir respektieren die Ergebnisse dieser Wahlen. Wir können nicht sagen, dass die Leute in Kiew das Recht haben, abzustimmen und ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen, wenn sie in Donezk und Lugansk dieses Recht nicht haben sollen, weil die Europäische Union es ihnen verweigert. Ich denke, wir sollten uns in diesem Fall an den Stimmen dieser Menschen orientieren. Aber wir haben nicht erklärt, die Ergebnisse dieser Wahlen anzuerkennen, das heißt, wir erkennen diese Territorien nicht als solche an, die sich von der Ukraine abgespalten haben. Ihr weiterer Status muss zwischen Kiew und den Vertretern dieser Gebiete ausgehandelt werden. Und wenn Kiew vorschlägt, mit Russland zu verhandeln, sagen wir: nein. Da gibt es eine Bevölkerung, die etwas will, vielleicht will sie einen Sonderstatus, vielleicht will sie einen Status für die russische Sprache. Frontal21: Das heißt, Moskau übernimmt keine Verantwortung für die Ereignisse im Donbas? Puschkow: Moskau übernimmt keine Verantwortung für die Ereignisse im Donbas. Umso weniger, als alles anders verlaufen wäre, wenn Kiew nicht im Frühjahr seine Armee dorthin geschickt hätte, sondern stattdessen eine Gruppe für Verhandlungen über die Forderungen der dortigen Bevölkerung. Dann hätte es keinen Krieg gegeben. Kiew aber hat diese Menschen als Terroristen bezeichnet und damit begonnen, sie umzubringen und das damit begründet, dass sie Separatisten seien. Aber auch Separatisten haben ein Recht auf Leben und auf ihren Standpunkt. Etwas
8 anderes wäre es, wenn es zu Terrorakten gekommen wäre, aber niemand in Kiew wird mir sagen, welchen Terrorakt diese Personen außerhalb von Donezk und Lugansk begangen hätten, wo sie gegen die ukrainische Armee kämpfen. Wo haben sie etwas in die Luft gesprengt? Oder hat es in Kiew Terroranschläge gegeben? Oder in Saparozhe? Wo begehen sie Terrorakte? Aus welchem Grund erklärt man sie zu Terroristen? Sie sind keine Terroristen, sie verteidigen ihre Forderung mit Waffen, weil Kiew auf friedlichem Wege nicht mit ihnen sprechen wollte. Statt zu verhandeln, hat man ihnen die Nationalgarde geschickt, die mit der ukrainischen Armee den Tod vieler Menschen in der Ukraine auf ihrem Gewissen hat. Wir denken, dass Kiew mit den Vertretern von Donezk und Lugansk verhandeln muss. Wir halten diese Territorien nicht für unabhängig. Ihr künftiger Status muss im Laufe dieser Verhandlungen geklärt werden. Frontal21: Wie wird die Ukraine territorial in zehn Jahren aussehen? Puschkow: Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil mir scheint, dass nicht einmal die derzeitigen Führer der Ukraine das können. Und wenn selbst die das nicht wissen, wie soll ich das dann wissen. Frontal21: In der Ukraine befürchten viele, dass die bewaffneten Gruppen einen Korridor zur Krim schaffen wollen. Wird ihnen das gelingen? Puschkow: Wenn die bewaffneten Gruppen einen Korridor zur Krim schaffen wollten, dann hätten sie sich nicht darauf eingelassen, das Friedensabkommen von Minsk zu unterzeichnen. Damals bestanden ideale Voraussetzungen dafür, Mariupol einzunehmen und von da aus zur Krim durchzubrechen. Das ist eine Tatsache. Die ukrainische Armee war in sehr schlechter Verfassung, sie befand sich im Rückzug, und wenn die bewaffneten Gruppierungen und die Volkswehr einen solchen Plan gehabt hätten, dann hätten sie ihn damals umsetzen müssen. Sie haben sich für den Waffenstillstand entschieden, um Menschenleben zu retten und zu sehen, ob es eine Perspektive für politische Verhandlungen gibt. Frontal21: Präsident Putin verwendet das Wort Neurussland. Wird sich Neurussland bis nach Transnistrien erstrecken? Puschkow: Mir scheint, ich habe diese Frage schon beantwortet.
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