IDBTS 2008/2009 Pubertät bei Hunden Zeit zum Verzweifeln?

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1 Pubertät bei Hunden Zeit zum Verzweifeln? Susanne Lehr Judith Utner Hunde-Forum 2009

2 Was ist Pubertät? Als Pubertät bezeichnet man den Übergang vom Welpen zum erwachsenen Hund. Es handelt sich um den entwicklungsphysiologischen Prozess, der durch die Geschlechtsreifung zur Fortpflanzungsfähigkeit und im weiteren Verlauf auch zu einem ausgewachsenen Körper führt. Die Pubertät findet bei Hunden ca. im Alter von 6 12 Monaten statt. Dabei sind rassebedingte Unterschiede möglich, d.h. kleineree Rassen sind etwas früher dran, als große (z.b. Leonberger oft erst mit 15 Monaten). Was verändert sich dabei im Körper? KÖRPER Hormone Gehirn Wachstum Geruchssinn Gehirn: Der präfrontale Cortex ist der Teil des Gehirns, der in dieser Zeit wächst und ausreift. Er ist zuständig für Funktionen wie Planen, Prioritäten setzen, Gedanken organisieren, Impulse unterdrücken oder auch Konsequenzen eigener Taten abwägen. Hormone : Die Hirnanhangdrüse sendet ein hormonelles Signal an den Körper, in bestimmten Organen (Hoden, Eierstöcken) verstärkt Geschlechtshormone herzustellen und ebenfalls in das Blut auszuschütten. Bei Rüden ist es in erster Linie das Testosteron, bei Hündinnen das Östrogen. Wachstum: Die Pubertät ist die Zeit des größten Wachstums, das kann den Hund einerseits irritieren (veränderte Proportionen), andererseits auch Schmerzen hervorrufen. Dadurch kann es auch zu Verhaltensänderungen kommen. Seite 2

3 Wie wirkt sich das auf das Verhalten 1. Geruchswahrnehmung : Durch die Hormonumstellung in der Pubertät verändert sich beim Hund die Dinge, die bis jetzt (für den Welpen; plötzlich wichtig. Allein der Geruch Hund Alter, Fortpflanzungsstatus, Gesundheit Diese neuen Gerüche haben Priorität vor anderen (bereits bekannten

4 2. Bewegungsradius: Der Bewegungsradius des pubertierenden Hundes wird größer. Die Neugier wird größer, die Angst kleiner und er entfernt sich zunehmend weiter von seinem Menschen, er wird selbstständiger. 3. Beziehung zum Besitzer: Der Hund wirkt oft abwesend, unkonzentriert, schlecht ansprechbar, uninteressiert an Futterbelohnungen, nicht gut abrufbar, Weiters scheint er Gelerntes wieder vergessen zu haben. Man hat als Hundebesitzer in dieser Zeit oft das Gefühl, Luft für den Hund zu sein. Vormals akzeptierte Grenzen werden ausgetestet. 4. Aufreiten: Aufreiten nimmt durch den Hormonanstieg zu, andererseits ist dieses Verhalten auch ein Zeichen von Stress und Aufregung. Welche Bedürfnisse hat mein Hund? 1. Umwelt: Die Umgebung mit ihren vielen Gerüchen wird für den Hund zunehmend wichtiger. Alles will genau betrachtet und erschnüffelt werden. 2. Artgenossen: Der Hund lernt jetzt, wie man mit anderen kommuniziert. Dazu braucht er Zeit um in Ruhe andere Hunde aus der Entfernung beobachten zu können. 3. Menschen: Hunde brauchen vor allem in dieser Zeit einen verständnisvollen, geduldigen Menschen, der sie begleitet und der sie fair behandelt. 4. Grenzen: In der Pubertät werden Grenzen immer wieder ausgetestet. Daher sind Beständigkeit, ein geregelter Tagesablauf und liebevolle Konsequenz sehr wichtig. Konsequent sein heißt, nachvollziehbar und immer in derselben Art und Weise zu reagieren. 5. Auswahlmöglichkeiten: Das Leben unserer Hunde wird zum größten Teil von uns Menschen kontrolliert. Um den Hunden eine gute Entwicklung zu ermöglichen, brauchen sie Strategien, um den Alltag selbst meistern zu können. Diese Strategien können sie nur lernen, wenn sie die Möglichkeit haben, innerhalb der Grenzen selbst Entscheidungen zu treffen. Seite 4

5 Wie soll ich reagieren? Setzen sie sich nicht unter Druck! Wenn ihnen ein Spaziergang zu anstrengend erscheint, verzichten sie ruhig einmal darauf und verbringen sie stattdessen Qualitätszeit mit ihrem Hund: gemeinsames Entspannen, Nasenspiele, Denkspiele, gemeinsames Beobachten, Vorsicht! Ein Problemverhalten wird leicht unbeabsichtigt verstärkt! Der Fokus sollte nicht zu sehr auf das Problem gerichtet sein, sondern besser auf das in der Situation erwünschte Verhalten ( Was soll mein Hund? ist besser als Was soll er nicht? ) Ein Beispiel: Reagieren sie auf aufmerksamkeitsforderndes Bellen immer prompt ( Nein, Aus, Pfui ) bekommt er Ihre volle Aufmerksamkeit. Ignorieren sie dieses Verhalten jedoch und schenken ihm ihre Zuwendung wenn er ruhig ist, wird der Hund das Bellen bald aufgeben. Häufige Probleme und ihre Lösungen Mein Hund zieht stark an der Leine! Durch den erweiterten Erkundungsradius kommt es bei pubertierenden Hunden oft zu vermehrtem Ziehen an Leine. Das passiert zumeist am Anfang eines Spazierganges. Das richtig an der Leine gehen ist eine Mischung aus Stehen bleiben, um dem Hund zu zeigen, dass es mit gespannter Leine nicht weitergeht, und Belohnung, wenn das Leinegehen gut klappt. Dabei kann man in besonders schwierigen Situationen ruhig öfter (manchmal sogar jeden/ jeden zweiten Schritt belohnen). Zieht der Hund in eine bestimmte Richtung und man möchte ihm den Focus davon nehmen, kann man entweder Futtersuchspiele am Wegrand machen, oder sich selbst besonders für etwas interessieren (oft nur ein Grasbüschel). Oft wirkt sich auch eine längere Leine positiv auf das Ziehen aus. Ist die Leine zu kurz, hat der Hund oft gar keine andere Möglichkeit, als zu ziehen. Insgesamt ist es wichtig sich genug Zeit für einen Spaziergang zu nehmen, damit man nicht ungeduldig wird und dann entweder dem Ziehen nachgibt, oder sogar ungehalten auf den Hund reagiert. Gestalten Sie Spaziergänge für sie beide angenehm. Seien Sie flexibel! Es muss nicht immer die ganze Runde sein, oft ist es besser nur ein kurzes Stück zu gehen, den Hund schnüffeln zu lassen, gemeinsam etwas zu erkunden (z.b. Futterstückchen im Gras verstecken, ) und anschließend wieder nach Hause zu gehen. Keine Angst vor Unterforderung! Ihr Hund ist jetzt so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er oft keine zusätzliche Beschäftigung braucht. Stattdessen benötigt er vermehrt Ruhephasen, um die neu gewonnenen Eindrücke verarbeiten zu können. Seite 5

6 Mein Hund zieht an der Leine und bellt, wenn er einen anderen Hund sieht! Junge Hunde müssen die richtigen Umgangsformen erst lernen! Gutes Benehmen lernen sie am besten durch Beobachten von erwachsenen, erfahrenen Hunden. Dabei müssen die beiden Hunde keinen Körperkontakt haben! Durch Bellen drücken sie oft ihre Unsicherheit und Aufregung aus. Durch diese Aufregung wird Beobachten und Lernen erschwert bzw. sogar unmöglich gemacht. Am besten vergrößert man den Abstand, damit wird die Aufregung kleiner und der Hund ist wieder in der Lage klar zu denken. Mit etwas Übung ist es ihm auch möglich, Entscheidungen zu treffen und mit dem anderen Hund zu kommunizieren (Calming Signals). Geben sie ihrem Hund die Zeit, die er braucht! Wenn er mit seinem Gegenüber Signale austauscht und einer der beiden dann z.b. weggeht hat ihr Hund einiges gelernt: 1. Meine Signale werden verstanden 2. Ich muss nicht zu jedem Hund hinlaufen 3. Ich kann meinem Besitzer vertrauen, weil er mich nicht in schwierige Situationen bringt 4. Beim nächsten Mal muss ich mich nicht so aufregen Je öfter solche Begegnungen positiv (= ruhig) ablaufen, desto entspannter und sicherer wird er bei Hundebegegnungen. Nun können sie den Abstand Langsam wieder verringern. Mein Hund interessiert sich nur für die Umgebung und überhaupt nicht für mich! Teilen sie die Interessen ihres Hundes! Pubertierende Hunde sind für Futter meist nicht gut zu begeistern. Nutzen sie daher die Belohnungen, die die Umgebung ( z.b. eine Wiese ) bereit hält. Das, was ihren Hund ablenkt, ist die beste Belohnung! Beschäftigen sie sich z.b. mit einem Stück Holz oder mit einem Grasbüschel am Wegesrand. Der Hund wird daraufhin ohne dass sie ihn rufen müssen begeistert zu ihnen kommen. Er wird aufmerksamer weil er lernt, dass sie ab und zu etwas wirklich sehr interessantes finden und mit ihm teilen. Natürlich können sie auch Gegenstände ( Papprolle, Tannenzapfen, Futtertascherl ) mitnehmen und unterwegs verlieren und gemeinsam finden. Mein Hund beißt in die Leine/ Jackenärmel/ Hosenbeine! Da Kauen für Hunde eine stressabbauende Tätigkeit ist, versuchen manche gerade in schwierigen Situationen etwas zu Kauen zu finden. Obwohl der pubertierende Hund schon alle Zähne gewechselt hat, ist sein Kaubedürfnis nach wie vor sehr groß. Meistens tritt ein vermehrtes Kauen/ Zerkauen nach/ in aufregenden Situationen auf. Z.B. Der Hund beißt nach einem langen Spaziergang oder einer aufregenden Situation immer wieder in die Leine. Oder er schnappt scheinbar wahllos in Jackenärmel oder Hosenbeine, wenn Herrchen von der Arbeit heimkommt. Diese Verhaltensweisen sind für den Hundehalter ein guter Indikator dafür, wann es für seinen Hund zu viel wird/ geworden ist. Seite 6

7 In der Situation des Beißens sollte man so ruhig und vorsichtig wie möglich die Leine/ Ärmel aus dem Maul des Hundes befreien. Wichtig dabei ist, keine schnellen Bewegungen zu machen. Anschließend kann man den Hund mit Futtersuchspielen vom Objekt der Begierde abzulenken. Beim nächsten Mal kann man diese Beobachtung ( Wann beginnt das Beißen?, Was ist der Auslöser? ) schon nutzen und das Beißen verhindern, indem man den Spaziergang verkürzt oder die aufregende Situation vermeidet. Um den Hund gezielt zu beruhigen, kann man ihm in aufregenden Situationen (z.b. Gäste kommen ins Haus) ein Kauspielzeug oder Ähnliches anbieten. Mein Hund setzt sich über Verbote hinweg! Verbote werden meist in Menschensprache erklärt und mit menschlichen Mitteln durchgesetzt. Das heißt, der Hund kann sie gar nicht verstehen. Oft hat es den Anschein, Hunde hätten ein schlechten Gewissen, und wüssten genau, dass sie etwas Verbotenes getan haben, aber in Wirklichkeit lesen sie unsere ärgerliche Körperhaltung und wollen uns mit ihren Mitteln beschwichtigen. Schimpfen (Nein!, Aus!, Pfui! usw.) bringt nur sehr kurzfristig Erfolg und birgt viele Gefahren: 1. Vertrauensverlust zu seiner Bezugsperson 2. Fehlverknüpfungen, weil der Hund die Strafe nicht mit seinem Handeln verknüpft, sondern mit einer Person oder einem Geruch. Diese Situation wird in Zukunft gemieden. 3. Gewöhnung man muss immer lauter werden oder immer härter strafen. 4. daraus resultiert Unsicherheit, ansteigen von Stress, vermindertes Selbstvertrauen und eventuell Gegenwehr. Besser: 1. Verhindern von Verhalten durch Türen, Zäune, Kindergitter, Leine, Beaufsichtigen des Hundes 2. Alternativen bieten: Gräbt ihr Hund den Garten um, bieten sie ihm einen Platz an, wo er (mit ihnen gemeinsam?) graben darf. Sitzt er gern am Sofa, bieten sie ihm einen erhöhten Liegeplatz an (zum Beispiel sein Körbchen auf eine Kiste stellen) 3. Stoppen von Verhalten auf hundgerechte weise: mit Körpersprache! Bringen sie sich oder ihre flache Hand zwischen Hund und verbotenem Objekt (=Splitten). Wiederholen sie das immer, wenn ihr Hund Interesse an diesem Objekt (zum Beispiel Esstisch) zeigt. Schenken sie ihm aber keine zusätzliche Aufmerksamkeit; ignorieren sie das Verhaltern, nicht den Hund! Eine andere Möglichkeit ist, den Hund zu sich zu rufen, um ihn von seinem Tun wegzuholen (Vorsicht: Verhaltenskette). Mein Hund kommt nicht, wenn ich ihn rufe! Pubertierende Hunde haben gegenüber Welpen die Distanz, die sie sich von uns entfernen, stark vergrößert (siehe vorne). Mit zunehmender Neugier sinkt auch die Angst seine Menschen aus den Augen zu verlieren. Oft lernen Hunde in dieser Situation, dass es keine Konsequenzen hat, wenn sie auf einen Rückruf nicht reagieren. Seite 7

8 In dieser Phase ist es sehr wichtig das Komm Signal nur zu verwenden, wenn man sich auch sicher ist dass der Hund auch wirklich zurückkommt. Ein gutes Training vom Welpenalter an, muss jetzt vertieft werden. Achten Sie auf die richtige Art von Belohnung; Futter ist in der Pubertät oftmals nicht die beste Wahl. Für ein gutes KOMM Training muss die Ablenkung schrittweise gesteigert werden. In der Pubertät ist es oft notwendig den Schwierigkeitsgrad der Übungen wieder zu verringern, da die Ablenkungen durch die körperlichen Umstellungen oft schon groß genug sind. Belohnen Sie ihren Hund fürs Kommen IMMER, auch wenn er einmal ein wenig länger dafür braucht. In Situationen in denen der Hund zu abgelenkt, um ihr Rufen zu hören (buddelt in einem Mauseloch), ist es besser den Hund dort abzuholen, wo er ist. Dabei ist es wichtig langsam auf den Hund zuzugehen und ihn (trotzdem) freundlich zu bleiben. Mein Hund ist oft ängstlich und unsicher! Hunde durchlaufen während ihrer Entwicklung mehrere sog. Angstphasen. Die Hunde schwanken zwischen Angst und Neugier, laufen geduckt auf ein Objekt oder Lebewesen zu, springen zurück, bellen,... Bleiben sie dabei ruhig geben sie ihm die Möglichkeit, den Abstand selbst zu bestimmen, meist siegt dann die Neugier. Hat der Hund es geschafft, von sich aus den Gegenstand zu erkunden, steigert das sein Selbstbewusstsein und es wirkt sich positiv auf seine Problemlösungsfähigkeiten aus. Eventuell hilft es ihrem Hund, wenn sie das Objekt berühren, aber bitte ohne den Hund näher heranzulocken. Locken mit Stimme oder Futter bringt den Hund in einen noch größeren Konflikt. Trösten sie ihn auch nicht (er würde denken, sie fürchten sich auch), sondern seien sie ein Vorbild für ihn. Text: Susanne Lehr und Judith Utner (Hunde-Forum)2009 Bilder: Judith Utner (Hunde-Forum)2009 Seite 8