Der Schulschiffbau hat in Deutschland eine lange Tradition. Seine letzte, aber deshalb nicht weniger würdige Repräsentantin ist die Gorch Fock.

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2 Der Schulschiffbau hat in Deutschland eine lange Tradition. Seine letzte, aber deshalb nicht weniger würdige Repräsentantin ist die Gorch Fock. Die Stahlbark zählt zu den leistungsstärksten, heute noch im Dienst befindlichen Groß seglern und hat hinsichtlich der Sicherheit und Verlässlichkeit in der Segelschifffahrt neue Maßstäbe gesetzt.

3 Oben: Während einer der zahllosen Windjam mer-paraden, an denen die Gorch Fock seit 1958 teilgenommen hat, wartet die Bark darauf, dass der Lotse längsseits geht. Rechts: Auf der Gorch Fock fahren 85 Mann Stammbesatzung und maximal 138 Lehrgangsteilnehmer. egenwärtig gibt es zwei Großsegler, die G auf den Namen Gorch Fock getauft sind. Zur besseren Unterscheidung werden sie mit den römischen Ziffern I (für das Vorkriegsmodell von 1933) und II (für das 1958 auf der Grundlage derselben Pläne gebaute Schulschiff der Bundesmarine) bezeichnet. Die Ziffern sind jedoch nicht Bestandteil des Schiffsnamens. Die Geschichte der Gorch Fock beginnt im Juli 1932 mit dem Untergang der Niobe, die von der Reichsmarine als Segelschulschiff eingesetzt wurde. Sie kenterte in einer Gewitterbö im Fehmarnbelt, 69 Personen ertranken. Das Aufsehen, das dieses Unglück in der Öffentlichkeit erregte, gipfelte im erfolgreichen Aufruf zur Volksspende Niobe. Die Reichs marine konnte daraufhin auf der Hamburger Werft 3

4 Bug und Bugspriet der Gorch Fock mit gesetzten Klüvern. Seit den Umbauund Instandsetzungsarbeiten im Jahr 2001 erstrahlt die obere Bordwand der Back (siehe Glossar) in leuchtendem Weiß. Zur Betonung der Kontraste ist sie gelb eingefasst. Blohm & Voss umgehend eine Nachfolgerin für die Niobe ordern lief die Bark mit einer Gesamtlänge von 82 m vom Stapel und wurde auf den Namen Gorch Fock (nach dem Pseudonym eines damals populären Schriftstellers, siehe Kasten S. 12) getauft. Was die Sicherheit und die Fahrleistung betraf, waren die Erfahrungen mit der Dreimastbark so positiv, dass Blohm & Voss bald den Auftrag zum Bau dreier Schwesterschiffe erhielt: Für die deutsche Kriegsmarine, wie sie nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten hieß, liefen 1936 die Horst Wessel und 1938 die Albert Leo Schlageter (beide benannt nach zu Märtyrern hochstilisierten SA-Mitgliedern) vom Stapel, die rumänische Marine orderte 1938 die Mircea. Obwohl alle drei nach denselben Rissen gebaut wurden, war nur die letztgenannte Bark mit der Gorch Fock identisch. Die Horst Wessel und die Albert Leo Schlageter wiesen bei einer Gesamtlänge von 89,5 m geringfügig größere Dimensionen auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Gorch Fock (I) zunächst versenkt, später gehoben und unter dem Namen Towaritschtsch II als Schulschiff der sowjetischen Handelsmarine genutzt. Die Horst Wessel ging als Eagle in den Besitz der US-Küstenwache über, die Albert Leo Schlageter fuhr einige Jahre als Guanabara unter brasilianischer Flagge und seit 1961 als Schulschiff Sagres II für die portugiesische Marine. Da die Bundes marine nun über kein seetaugliches Segelschulschiff mehr verfügte, griff man auf die Baupläne der (längeren) Schwesterschiffe zurück und gab bei Blohm & Voss die Gorch Fock (II) in Auftrag. Sie ist das vierte Schwesterschiff der ursprünglichen Bark. Dass seit 2003 die Gorch Fock (I) wieder unter ihrem ursprünglichen Namen in deutschem Privatbesitz ist, verdanken wir der Initiative des gemeinnützigen Vereins Tall-Ship Friends e.v., der sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von der Ukraine kaufte und nach Deutschland überführen ließ. 4

5 Den wichtigsten Impuls für den Segelschulschiffbau in Deutschland gab im Jahr 1900 ein Herzog des Hauses Oldenburg, der als großer Liebhaber von Segelschiffen und Freund der Seefahrt den Deutschen Schul schiffverein ins Leben rief. Zu jener Zeit verschwanden langsam die letzten Segelschiffe aus den Kriegsmarinen, und auch in den Handelsmarinen waren Windjammer immer seltener zu finden. Trotzdem (oder wahrscheinlich gerade deshalb) wurde in dieser Zeit die Philosophie des Segelschulschiffs geboren, an der man bis heute festhält. Sie besagt, dass vom Seekadetten bis zum angehenden Marineoffizier die praktische Seemannschaft am besten auf einem Großsegler erlernt werden sollte. Diese Idee wurde nach und nach in ganz Europa aufgegriffen. So entstand das Konzept des Segelschulschiffs. Meist handelt es sich dabei um so genannte Glatt decker, bei denen das Haupdeck nicht von zentralen Aufbauten unterbrochen wird, die sich über die gesamte Schiffsbreite erstrecken. Die ersten derartigen, auf Initiative des Vereins entstandenen Schiffe waren die Dreimast- Vollschiffe Großherzogin Elisabeth (1901, J. C. Tecklenborg, Geestemünde, heute Bremerhaven) und die Prinzess Eitel Friedrich (1909, Blohm & Voss, Hamburg). Die Großherzogin Elisabeth ging als Repa ra tionsleistung nach dem Ersten Weltkrieg als Duchesse Anne Ganz oben: Lackierarbeiten an der Bordwand mit alter Farbgebung Oben: Matrose und Gefreiter auf der Gorch Fock 5

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7 Vorausgehende Doppelseite: Mit ihrem schlanken Schiffskörper wirkt die Gorch Fock sehr elegant und begeistert jeden Liebhaber von Windjammern. Rechte Seite: Mit aufgegeiten Segeln nähert sich das Schulschiff langsam dem Anlegeplatz. Rechts: Reparaturarbeiten am Takelwerk der Gorch Fock. Unten: Der Albatros die Galionsfigur der Gorch Fock 7 in den Besitz der französischen Marine über und kann heute in der Normandie im Hafenmuseum von Dunkerque (Dün kirchen) besichtigt werden. Die Prinzess Eitel Friedrich fand über Großbritannien den Weg nach Frankreich, wo sie 1921 restauriert und in Colbert umgetauft wurde. Schließlich landete sie 1930 unter dem Namen Dar Pomorza in Polen. Als vollkommen, vollendet und als schönstes Segelschulschiff, das vom Deutschen Schulschiffsverein konzipiert wurde, gilt jedoch nach Exper tenmeinung die 1914 ebenfalls von der Tecklenborgwerft gebaute Bark Großherzog Friedrich August. Nach dem Ersten Welt Fortsetzung auf Seite 11

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9 Die deutschen Werften ein kurzer historischer Überblick Bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die meisten deutschen Werften Familienbetriebe, die sich vor allem nahe der Mündungen großer Flüsse in die Nord- und Ostsee angesiedelt hatten. Viele blickten auf eine lange Tradition im Bau von Segelschiffen aus Holz zurück, die oft noch bis in die Zeiten der Hanse reichte. Doch kaum eine dieser Werften erlangte überregionale Bedeutung. Dieser Zustand änderte sich mit dem wachsenden Einfluss der Schwerindustrie. Der Aufstieg Preußens zur Großmacht sowie der unaufhaltsame Siegeszug des Dampf antriebs schufen eine neue Wettbewerbssituation, der nach und nach viele kleinere Werftbe - triebe zum Opfer fielen. Segler, die ab den 1860er-Jahren in Auftrag gegeben wurden, mussten mit Eisen- bzw. Stahlrumpf ausgerüstet sein, wenn sie dem Standard entsprechen sollten. Am Anfang dieser Entwicklung verfügten nur wenige deutsche Werften über das nötige Know-how, um sich gegen die (vornehmlich britische und irische) Konkurrenz zu behaupten, die auf diesem Gebiet ein gutes Jahrzehnt Vorsprung hatte. Wirtschaftlicher Aufschwung Mit der Gründung des Kaiserreichs 1871 kam der Aufschwung: Großaufträge der Reichs- und Handelsmarine ließen die Werften, die sich während der schwierigen Jahre gehalten hatten, schnell wachsen. Bis zur Jahrhundertwende gelang es, den technischen Rückstand aufzu holen und sogar eine internationale Führungsrolle einzunehmen insbesondere, was den Bau von Großseglern aus Stahl betraf. Zu nennen sind hier vor allem die Rickmers Reismühlen Rhederei und Schiffbau A.-G. und die Werft von Joh. C. Tecklenborg (beide ansässig in Geestemünde, heute Bremerhaven), die sich einen wahren Wettkampf um den Bau des größten deutschen Segelschiffs lieferten, sowie Blohm & Voss mit Sitz in Hamburg. Andere Werften wie der Bremer Vulkan, die AG Weser (beide Bremen) oder die Norddeutsche Schiffbau gesellschaft (die spätere Krupp-Germania) und die Howaldtswerke-Deutsche-Werft/HDW (beide in Kiel) bauten ebenfalls Segler, wurden aber eher durch Groß linienschiffe oder U-Boote bekannt. Dass in diesen Werften neben maschinengetriebenen Schiffen auch weiterhin Großsegler entstanden, ist nicht nur der Initiative des 1900 gegründeten Deutschen Schulschiffvereins zu verdanken, sondern auch 9

10 Die deutschen Werften ein kurzer historischer Überblick das Verdienst der Hamburger Reederei F. Laeisz. Sie setzte da rauf, dass Frachtsegler auf bestimmten Routen mindestens ebenso schnell, aber viel billiger operieren konnten als Frachter mit Dampf- bzw. Dieselantrieb. Für Laeisz gebaute Schiffe zeichneten sich durch Verlässlichkeit und enorme Schnelligkeit aus. Weil ihre Namen alle mit P anfingen, wurden sie bald als Flying-P-Liner berühmt. Im Auftrag von F. Laeisz liefen u. a. vom Stapel: die Potosi (Fünfmastbark, 1895, später Flora), die Preußen (Fünfmast-Vollschiff, 1902), die Padua (heute Krusenstern, Viermastbark, 1926, alle J.C. Tecklenborg) sowie die Viermastbarken Pamir (1905), Peking (1911) und Passat (1911, alle Blohm & Voss). Reparationszahlungen Im Ersten Weltkrieg verlagerte sich die Produktion auf Kriegsschiffe. Nach der Niederlage wurde die deutsche Flotte als Reparationszahlung konfisziert. In den Jahren da rauf liefen zwar Großsegler wie die Magdalena Vinnen vom Stapel (Germania-Werft, 1921, heute als russisches Schulschiff Sedov größte noch segelnde Viermastbark der Welt), insgesamt verlor der Segelschiffbau jedoch an Bedeutung legte die Weltwirtschaftskrise den Schiffbau ohnehin lahm. Unter der NS-Regierung besserte sich zwar die Auftragslage, aber abgesehen von einer Hand voll Schulschiffen (u. a. die Gorch Fock I) diente die Produktion der Rüstung. Als der Krieg 1945 verloren war, lagen die deutschen Werften in Schutt und Asche. 10

11 Vorausgehende Doppelseite: Die Gorch Fock auf einer der 112 Ausbildungsfahrten, die sie seit dem Stapellauf unternommen hat. Dabei legte sie fast Seemeilen zurück. Oben: Die Glocke an Deck des Schiffs erinnert an das Jahr des Stapellaufs. Mit der Gorch Fock besaß die Deutsche Marine endlich wieder ein ihrer Tradition ent sprechendes Segelschulschiff. Johann Kinau Der Name Gorch Fock war eines der Pseudonyme, unter denen der Dichter und Schriftsteller Johann Kinau zu Zeiten Kaiser Wilhelms II. Lieder, Gedichte, Geschichten und Romane in Hoch- und Plattdeutsch veröffentlichte als Sohn eines Hochseefischers auf der Elbinsel Finkenwerder geboren, wurde er von seinem Vater für nicht seetauglich befunden. So verarbeitete er seine Leidenschaft für die Seefahrt und den Alltag der Hochseefischerei in literarischer Form, etwa in seinem bekanntesten Werk, dem Roman Seefahrt ist not von Im Ersten Weltkrieg diente er zunächst als Infantrist, ließ sich dann zur Marine versetzen, wo er 1916 in der Seeschlacht am Skagerrak auf dem Kreuzer Wiesbaden den Tod fand. Die Nationalsozialisten benutzten Kinaus Werk, um es als ein Musterbeispiel deutscher Volksdichtung zu präsentieren. krieg gelangte sie zunächst in britische Hände und wurde 1922 an die norwegische Marine verkauft, die sie in Statsraad Lehmkuhl um benannte. Heute gehört das Schiff einer Privat stiftung. Zwischen den Weltkriegen blieb man auch ohne Initiative des Vereins dem Bau von Segelschulschiffen treu lief bei J.C. Tecklenborg das Schul schiff Deutschland vom Stapel (das einzig erhaltene Vollschiff der deutschen Schifffahrtsge schichte kann in Bremen- Vegesack besichtigt werden); in den 1930ern folgten, wie eingangs beschrieben, die Gorch Fock und ihre drei Schwesterschiffe. Damit steht die Gorch Fock (II) das Vorbild für das Modell dieses Sammelwerks am Ende einer langen Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg verging ein Jahrzehnt, bis die deutschen Werften ihre Tätigkeit wieder aufnehmen konnten. Dass die 1955 im Rahmen der Wiederbewaffnung gegründete Bundes marine auch ein Segelschulschiff orderte, war eine Entscheidung von historischer Bedeutung. (Fortsetzung in der nächsten Ausgabe.) 11